Das Grundsätzliche: „Der Mensch ist im Grunde gut."Aber zwischen ihm und diesem Guten liegen Ängste, Manien und Verdrängungen.“
Ein weiser Mann hat einmal gesagt, dass es nicht zwei Menschen gebe, die einander genau gleichen. Darüber sollten wir froh sein.
Es gibt große Menschen, kleine Menschen und Menschen verschiedener Hautfarbe. Jeder hat seine Vergangenheit, seine Erfahrungen, seine Marotten. Obwohl die menschliche Fauna derart reichhaltig ist, stieß wir auf etwas Grundsätzliches, das allen gemeinsam ist: auf die Emotionen.
Emotionen?
Gefühle?
Nun, damit kann er doch wohl nur jene hysterischen Frauen meinen, die beim Anblick einer Maus aus dem Häuschen geraten.
Oder jene Kinder, die in Wutanfälle ausbrechen, wenn sie nicht sogleich ihr Bonbon kriegen.
Oder jene entsetzten Soldaten, die meutern und um keinen Preis in die Schlacht zurückkehren wollen.
Oder jene übersensiblen Ehefrauen, die laut aufschluchzen, weil ihr Mann sie angeblich nicht mehr liebt.
Aber was hat das mit dir und mir zu tun und mit dem braven Buchhalter, der um die Ecke wohnt?
Wir sind doch nicht „emotionell“!
Wir lassen uns doch nicht von unseren Gefühlen „treiben“!
Emotion, Gefühl. klingt das nicht irgendwie geradezu abfällig?
Als ich Die Schriften las, begann ich jedoch, alle meine Bekannten heimlich zu beobachten.
(Ich schrak auch nicht davor zurück, mich selber zu beobachten.)
Seine Behauptungen schienen zu stimmen.
Jeder Mensch nimmt eine bestimmte Haltung zum Leben ein.
Der eine findet das Dasein grässlich, der zweite furchtbar, der dritte kläglich, während wiederum andere alles ganz einfach närrisch oder wunderbar finden.
All diese Standpunkte werden nicht etwa von der Vernunft oder dem Intellekt diktiert: Es sind die Emotionen, die den Menschen zu seiner Einstellung veranlassen.
Die Entdeckung führte zu wichtigen Erkenntnissen über die Gefühlswelt:
1. Jede Emotion hat ihre eigenen unveränderlichen Verhaltensweisen.
2. Emotionen sind ihrer Reihenfolge nach klassifizierbar – von abscheulich bis zu großartig.
Es gibt Emotionen, die nicht so leicht zu erkennen sind. Sie werden verdrängt. Die unveränderlichen Verhaltensweisen
Zu jeder Emotion gehört eine ganz bestimmte Einstellung, die sich kaum verändern lässt.
Wenn ein Mensch von einem vorübergehenden oder ständigen Kummer geplagt wird, können wir damit rechnen, dass er klagt:
„Ich bin betrogen worden!
Keiner kann mich ausstehen!
Früher war eben alles viel besser.“
Wir wissen auch, wie er sich in den meisten Situationen verhalten wird.
Die schöne und reiche Schauspielerin etwa, die zuviel Schlaftabletten nimmt, empfindet die gleiche ausweglose Hoffnungslosigkeit wie der Bahnhofspenner, der am Bordstein hockt und seine leere Flasche im Arm hält. Beide fühlen ähnlich, obwohl sie in unterschiedlichem Milieu und anderem Gewand auftreten.
Wer die Welt durch die RosaRote-gefärbte Brille der Apathie betrachtet, ist dem Verderben nahe – wie immer seine Vergangenheit oder seine gegenwärtige Umgebung auch sein mögen.
Jede Äußerung, jede Entscheidung, jede Handlung ist von der Apathie gekennzeichnet.
Die Reihenfolge der Emotionen als wir mache Methoden suchte, welche imstande sein würden, die zwischen menschlichen Beziehungen zu verbessern, beobachtete er, dass die Leute verschiedene aufeinander folgende Stufen emotionellen Verhaltens durchliefen.
So oft er sich bemühte, die Nachwehen schmerzlicher Erlebnisse auszulöschen, erkannte er, dass die Menschen zunächst apathisch reagierten.
Während der Therapie durchlebten sie dann gewisse gefühlsmäßige Stadien, die bei jedem in dieser unveränderlichen Reihenfolge auftraten:
Gram (Traurigkeit),
Furcht, versteckte Feindseligkeit,
Zorn (Streitsucht),
Langeweile,
Zufriedenheit und Wohlbefinden. Dieser Wechsel von schmerzlichen zu angenehmen Empfindungen war ein solch zuverlässiger „Erfolgsanzeiger“, dass wir ihn als Maßstab zur Beurteilung des Fortschritts bei seinen Verfahren anwandte.
Bald danach kam er auf den Einfall, diese Stimmungen auf einer Skala einzuordnen.
Die positiven Verhaltensweisen vermerkte er an der Spitze, die negativen am Fuße.
Es dauerte nicht lange, bis er bemerkte, dass sich die Personen Innerhalb dieser Skala einreihen lassen, auch wenn ihr „Stimmungsbarometer“ steigt oder fällt (je nachdem, ob es ihnen gut geht oder schlecht). Gleichzeitig wurde deutlich: Je höher sich ein Mensch auf dieser Emotionsskala befindet, desto besser sind seine Zukunftschancen.
Er kann sich sein Leben leichter einrichten. Er ist glücklicher, lebhafter, vertrauensvoller und handlungsfähiger.
Andererseits: Je tiefer jemand auf der Skala herabsinkt, desto näher ist er dem Untergang.
Er tappt auf der Verliererstraße dahin. Ihm ist erbärmlich zumute. Er resigniert mehr und mehr.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Wer eine Reise durch, ein wildes unwirtliches Land plant, wird sich natürlich keinen Gefährten wählen, der in einem fort Trübsal bläst, und der unablässig Gefahren wittert. Der gesunde Menschenverstand sagt ihm viel mehr, dass er einen Begleiter braucht, der sich auf diese Reise ebenso freut wie er selber. Menschen auf den unteren Stufen der Skala können sich auf rein gar nichts mehr freuen. Je weniger ein Mensch willens ist, über seine Zukunft nachzudenken, desto geringer sind seine Aussichten. Bei der Einordnung in die Skala versah wir die verschiedenen Emotionen mit einem Namen und zur Kenntlichmachung ihrer Rangfolge mit einer Nummer. Das Ganze nannte er schließlich „Emotionsskala“.
Jeder gefühlsmäßige Abschnitt wird als „Emotionsniveau“ bezeichnet. (Ebenso gut können wir auch Emotionsstufe oder Gefühlsebene sagen.)
So wie jeder Ton in der Musik durch Höhe und Schwingung definiert wird, hat auch jedes Emotionsniveau auf der Skala seine erkennbaren Eigenschaften.
Das Klavierspielen fiele schwer, wären die Tasten nicht in einer Reihenfolge, sondern kunterbunt angeordnet.
Es ist kaum möglich, Menschen zu verstehen und ihnen zu helfen, wenn man nicht eine Skala zur Verfügung hat, die genau anzeigt, auf welcher hohen oder niedrigen „emotionellen Tastatur“ der Mensch „eingependelt“ ist.
Die Trennlinie auf der Emotionsskala liegt bei Langeweile. Oberhalb dieser Linie sind die Chancen eines Menschen gut. Unterhalb von ihr ist die Lebenserwartung geringer. Wenn wir uns dieser Trennlinie bedienen, dann bezeichnen wir Personen, die sich „oberhalb“ befinden, als „auf hohem Emotionsniveau“ stehend.
Diejenigen unter Langeweile dagegen sind als „auf niedrigem Emotionsniveau“ lebende Menscheneinzustufen.
Während eine Person im hohen Gefühlsbereich vernünftig handelt, reagiert jemand im niedrigen unvernünftig. Je tiefer das Emotionsniveau ist, desto häufiger werden Entschlüsse von Gefühlen geleitet ganz gleich, wie die Erziehung des Menschen beschaffen war und wessen Geistes Kind er ist.
Verdrängte Emotionen
Wenn wir von einem höchst ehrenwerten Bankdirektor hören, der ein makelloses Familienleben führt, plötzlich jedoch 100.000 Dollar unterschlägt und mit einer Schönheitstänzerin nach Südamerika davongeht, dann fragen wir uns sicher: „Was mag sich der Mann oder Frau bloß dabei gedacht haben?“
Genau dies ist das Problem: Er hat sich nämlich gar nichts dabei gedacht: Er ist lediglich seinen Gefühlen erlegen.
Die Emotionen haben ihn überwältigt.
Was uns überrascht, ist eigentlich nur die Tatsache, dass sein bis jetzt verdrängt gewesenes Emotionsniveau plötzlich an den Tag tritt.
Nun merkt man, wie er wirklich ist - war..
Einige Emotionen sind offensichtlich, denn sie liegen sozusagen auf der Hand.
Wir beobachtete jedoch, dass jede „sichtbare“ Emotion von einer Schicht verdrängter Gefühle begleitet wird:
ENTHUSIASMUS: (Frohsinn). Beschwingt und aufgeschlossen. Flexibilität. Ein Mensch auf der Siegerstraße. INTERESSE (Vergnügen). Aktiv interessiert an allem Positiven.
KONSERVATISMUS: (Zufriedenheit). Geht konform. Meidet das Außergewöhnliche. Abhold jeder Änderung. Kein allzu problematischer Mensch.
LANGEWEILE: Der Zuschauer. Die ganze Welt ist seine Bühne. Weder zufrieden noch unzufrieden. Er nimmt die Dinge, wie sie sind. Ziellos und sorglos. Weder gefährlich noch hilfreich.
Die Trennlinie auf der Emotionsskala liegt bei Langeweile.
ANTAGONISMUS: Einer, der unbedingt debattieren muss. Unverblümt. Ehrlich, aber taktlos. Ein schlechter Verlierer.
SCHMERZ: Empfindlich. Reizbar. Unkonzentriert. Wütet gegen Objekte, durch die Schmerz verursacht wurde.
ZORN/WUT: Chronisch aggressiv und aufbrausend. Beschuldigt alle Welt. Ewig nachtragend. Bedroht andere. Besteht auf unbedingtem Gehorsam.
GEFÜHLLOSIGKEIT: Ein „Eisberg“. Unterdrückt heftigen Zorn. Grausam. Still. Findig. Von frostiger Höflichkeit. Apathie
VERSTECKTE FEINDSELIGKEIT: Der „freundliche“ Heuchler. Schwätzer. Schauspieler. Witzelt gern und macht Scherze auf Kosten anderer. Bemüht sich, andere zu verstören. Einer, der nervös lacht oder in einem fort grinst.
FURCHT: Feige. Ängstlich. Sorgenvoll. Argwöhnisch. In seiner Unentschlossenheit gefangen, der er gleichzeitig zu entrinnen sucht.
MITLEID: Hat das zwanghafte Bedürfnis der Übereinstimmung mit andern. Fürchtet sich, den Leuten weh zu tun. Bekümmert sich um jene, denen es „dreckig geht“.
Mitunter hin und hergerissen zwischen selbstgefälliger Fürsorglichkeit und Tränenfluten.
SICH UM GUNST BEMÜHEN: Beschwichtigt gern. Einer, der es jedem recht machen möchte. Verteilt Gunstbeweise, um sich selbst vor schädlichen Folgen zu bewahren. Seine Neigung: die Leute zu „dämpfen“.
GRAM TRAURIGKEIT: Der Jammerer. Klammert sich an alte Erinnerungen und sammelt gewissermaßen Kümmernisse. Fühlt sich betrogen. Alles verursacht ihm Pein.
WIEDERGUTMACHEN: Der ständige JaSager. Er wird alles tun, um Mitgefühl oder Hilfe zu erlangen. Einer, der andern blindlings ergeben ist.
APATHIE: Einer, der aufgegeben und „abgeschaltet“ hat. Selbstmordkandidat. Rauschgiftsüchtiger. Schwerer Alkoholiker. Spieler.
Fatalist. Mag tun, als habe er seinen „Frieden“ gefunden.
Nachdem wir diese eindeutig verdrängten Emotionen, die sich in Schichten unter den offen zur Schau gestellten Gefühlen ablagern, klassifiziert haben, sind wir jetzt auch in der Lage, jede Haltung zu definieren, die der Mensch dem Leben gegenüber einnimmt.
Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass er für immer auf ein und derselben Stufe fixiert bleibt.
Wie oft können sich die Menschen ändern! Manchmal kann jemand stark abfallen, und zwar ganz plötzlich und unerwartet.
Wenn jedoch sein Emotionsniveau normalerweise am oberen Rand der Skala gelegen ist, wird es ihm wohl rasch wieder gelingen, von neuem diese Höhe zu erreichen.
Die Theorie in der Praxis
Wenn wir die Grundeigenschaften jeder Emotion kennen, vermögen wir die derzeitige Gemütsverfassung eines Menschen zu verstehen, auch wenn er uns erst vor wenigen Minuten begegnet ist. Eine längere Beobachtung wird uns zeigen, wie seine normale, gewohnte, „chronische“ Emotion ist. Daraus dürfen wir dann schließen, wie gut die Chancen seines Fortkommens sind und ob er für unsere Beziehungen einen “Aktiv oder Passivposten“ darstellen wird.
Wir können vorausahnen, wie er seine Arbeit ausführt, ob er ehrlich ist, ob er eine Nachricht exakt wiederzugeben und Aufträge zuverlässig zu erledigen vermag.
Vielleicht kommen wir sogar dahinter, ob er ein Mensch ist, mit dem wir notfalls getrost auf eine einsame Insel verschlagen werden möchten.
Das ist viel besser, als sich auf wunderliche Vorurteilte aus Großmutters Zeiten zu verlassen.
Eigentlich ist es die einzige mögliche Art, seinen Umgang zu wählen.