Autor Thema: DIE EMOTIONSSKALA - Tonskala - Keine Lust am Untergang  (Gelesen 13494 mal)

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Online ★ Ronald Johannes deClaire Schwab

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DIE EMOTIONSSKALA - Tonskala - Keine Lust am Untergang
« am: 12. August 2021, 11:30:32 »
Zur Beachtung!
Der Versuch, über ein missverstandenes Wort hinwegzulesen, verursacht geistige Abwesenheit oder Irritiertheit. Sollten Sie diese Erfahrung machen, so gehen Sie zurück bis zu der Stelle, bei der das Lesen noch flüssig vonstatten ging. Dann lesen Sie den Abschnitt noch einmal durch. Halten Sie dabei Ausschau nach dem missverstandenen Wort und definieren Sie es an Hand eines guten Wörterbuches.
Wortklären: https://bodhie.eu/simple/index.php/topic,357.0.html
DIE EMOTIONSSKALA - Tonskala - Keine Lust am Untergang
4,0 Enthusiasmus (Frohsinn)
3,5 Interesse (Vergnügen)
3,0 Konservatismus (Zufriedenheit)
2,0 Antagonismus (Offen gezeigter Angriff)
1,8 Schmerz
1,5 Zorn
1,2 Gefühllosigkeit
1,1 Versteckte Feindseligkeit
1,0 Furcht
0,9 Mitleid
0,8 Sich um Gunst bemühen (Beschwichtigung)
0,5 Gram -Traurigkeit
0,375 Wiedergutmachen
0,05 Apathie
0,0 Tod

Tonskala
INHALT
Vorwort
Im Lebenskampf
Erstes Kapitel
Das Grundsätzliche
Die unveränderlichen Verhaltensweisen
Die Reihenfolge der Emotionen
Verdrängte Emotionen
Die Theorie in der Praxis
Zweites Kapitel
Die Emotionsskala
Das Auf und Ab des Lebens
Geistig normal?
Nach aussen hin
Nicht genannte Emotionen
Zusammenfassung
Drittes Kapitel
Apathie (0,05)
Im Abgrund der Depressionen
Rauschgift und Alkohol
Jenseits von Richtig und Falsch
Verantwortung
Ursache und Wirkung
Eigentum
Ich bin machtlos
Die unwirkliche Wirklichkeit
Der Mensch ändert sich nie
Zusammenfassung
Viertes Kapitel
Wiedergutmachen (0,375)
Hilfe für den Alkoholiker
Die anonymen Spieler
Im Berufsleben
Zusammenfassung
Fünftes Kapitel
Gram-Traurigkeit (0,5)
Nur die Vergangenheit zählt
Aufrichtigkeit
Gemeinsam geht's besser
Besitztümer
Das Äussere eines Menschen
Freundschaft
Falsche Ratschläge
Zusammenfassung
Sechstes Kapitel
Sich um Gunst bemühen (0,8)
Dämpfen oder Stoppen
Das Verhalten der Eltern
Der Weg zum Glück
Geben und Nehmen
Im Geschäftsleben
Gunstbemühung
Das Beschwichtigen
Zusammenfassung
Siebtes Kapitel
Mitleid (0,9)
Übereinstimmung?
Eine unglückliche Geschichte
Die Lebensuntüchtigen
Die Sünde des Mitleids
Der tödliche Kreislauf
Im Geschäftsleben
Im Familienleben
Zusammenfassung
Achtes Kapitel
Furcht - Angst (1,0)
Die chronische Furcht
Zerstreutheit
Furchtsame Kinder
Die Zeit ist zu gefährlich
Die drei Stufen der Furcht
Hoffnung
Neuntes Kapitel
Versteckte Feindseligkeit (1,1)
Unter der Tarnkappe
Hüte dich vor falschen Freunden
Besorgte Fragen
Ein guter Spion
Die Schwätzer Vorsicht bei der Arbeit
Die Last der Verantwortung
Die eigene Person
Der grosse Mann
Die Kriminellen
Gute und schlechte Nachrichten
Sinn für Humor
Sex
Der Umgang mit Kindern
Zusammenfassung
Zehntes Kapitel
Gefühllosigkeit (1,2)
Das Liebesspiel
Ich bin ein bedeutender Mensch
Das ist mein
Im täglichen Umgang
Der Zorn auf Abwesende
Fragwürdige Freundschaften
Der Drang zum Zerstören
Leben nach der Routine
Der Kriminelle
Zusammenfassung
Elftes Kapitel
Zorn (1,5)
Ich habe immer Recht
Verdrehte Tatsachen
Ich bin wer
Unbedingter Gehorsam
Schwierige Geschäfte
Die Lust am Zerstören
Sinn für Humor
Ich besitze Menschen
Informationen
Die eigene Habe
Die unerbittlichen Eltern
Liebe und Zärtlichkeit
Zusammenfassung
Zwölftes Kapitel
Schmerz (1,8)
Die verlorene Kontrolle
Das Ertragen von Schmerzen
Zusammenfassung
Dreizehntes Kapitel
Antagonismus (2,0)
Spielen und Gewinnen
Schwieriges Familienleben
Unangenehmer Mitarbeiter
Freude am Negativen
Humor
Zusammenfassung
Vierzehntes Kapitel
Langeweile (2,5)
Langeweile, die keine ist
Ausgeglichenheit
Beim Gespräch
Wenn es gefährlich wird
Sinn für Humor
Liebe und Leidenschaft
Im Geschäftsleben
Zusammenfassung
Fünfzehntes Kapitel
Konservatismus (3,0)
Offen und ehrlich
Verständnis für Jeden
Als Gesprächspartner
Wir haben keine Probleme
Bei der Arbeit
In der Familie
Zusammenfassung
Sechzehntes Kapitel
Interesse und Enthusiasmus (3,5-4,0)
Interesse
Enthusiasmus
Angenehm im Umgang
Unter Freunden
Im beruflichen Alltag
Liebe und Ehe
Zusammenfassung
Siebzehntes Kapitel
Tipps zum Orientieren
Begegnung mit Fremden
Das Überleben
Verständigung
Themenwahl
Reden und Schweigen
Probleme
Frage und Antwort
Unfälle
Bei der Arbeit
Flexibilität
Der Spielraum
Erfolg
Verallgemeinerungen
Faires Spiel
Besitz
Was ist Glück?
Wann kommt der Mensch zu sich?
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Können Sie andern helfen?
Zusammenfassung
Achtzehntes Kapitel
Leben nach einem Klischee
Das Körnchen Wahrheit
Apathie
Wiedergutmachung
Gram und Traurigkeit
Gunstbemühung
Mitleid
Furcht
Versteckte Feindseligkeit
Gefühllosigkeit
Zorn
Antagonismus
Wie wird man reif?
Zusammenfassung
Neunzehntes Kapitel
Der Kampf der Geschlechter
Was ist Liebe?
Wie fängt man sich einen Mann?
Die Abwechslung
Für den andern da sein
Wer passt zu wem?
Der rhythmische Wechsel
Eifersucht
Der Unterschied zwischen Mann und Frau
Im falschen Augenblick
Das gebrochene Vertrauen
Tisch und Bett
Zwanzigstes Kapitel
Und wie läuft es im Büro?
Die Berufswahl
Der Chef vom Ganzen
Die Unruhestifter
Freude an der Arbeit
Das Gefühl für Verantwortung
Viel Geld ohne Risiko
Die verdrehten Tatsachen
Am grünen Tisch
Verkäufer und Kunde
Arbeit ist kein Schimpfwort
Zusammenfassung
Einundzwanzigstes Kapitel
Gruppenbildung
Das Ziel
Die Wege zum Ziel
Führereigenschaften
Wirksamkeit
Was wurde erreicht?
Die ideale Gemeinschaft
Wohltätigkeitsvereine
Drogenentzug
Zusammenfassung
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Die Emotionen und die Künste
Müssen Künstler neurotisch sein?
Im Rampenlicht
Der Schriftsteller
Jeder spielt seine Rolle
Bekannte Figuren der Literatur
Die Intensität
Realistik und Romantik
Der Wendepunkt
Selbsterkenntnisse
Das Milieu des Künstlers
Die Kritiker
Zusammenfassung
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Der Umgang mit Menschen
Sich bewusst auf andere einstellen
Wie ist der Mensch wirklich?
Apathie
Traurigkeit
Gunstbemühung
Mitleid
Angst - Furcht
Gefühllosigkeit
Antagonismus
Der Verkäufer
Die Argumente der andern
Methoden des Angriffs
Kurzer Prozess
Vierundzwanzigstes Kapitel
Emotions-Steigerung
Die gegenwärtige Umwelt
Die Vergangenheit
Abstammung und Mängel
Gegenwärtige Aktivitäten
Frühere Erlebnisse von Schmerz und Bewusstlosigkeit
Zusammenfassung
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Du und ich
Die Falle
Positiver Egoismus
Das Geheimnis der Stärke
Suchen Sie sich den richtigen Umgang
Wie trifft man seine Wahl?
Ziele
Der Weg nach oben
Schlechte Nachrichten
Geben und Nehmen
Zusammenfassung KURZE BESCHREIBUNG DER EMOTIONSNIVEAUS

Vorwort
Im Lebenskampf Ich kann natürlich nicht wissen, was in Ihrem Kopf vorgegangen ist, als Sie noch ein Backfisch - oder ein Halbstarker - waren. Mich jedenfalls hat nichts mehr beschäftigt als der Versuch, meine älteren Brüder bei ihrem wüsten Gefluche zu übertrumpfen. Wenn ich wirklich einmal darüber nachgrübelte, wie man die bösen Buben von den guten unterscheide, sagte ich mir, irgendwann später würde ich wohl dahinterkommen, die Leute richtig einzuschätzen. Voller Zuversicht glaubte ich, dass meine Eltern und Lehrer alles über die Menschen wüssten und mir ihre Geheimnisse eines Tages anvertrauen würden. Doch das fiel ihnen gar nicht ein. Allmählich wurde ich älter und schlitterte in den so genannten Lebenskampf hinein. Freilich wusste ich immer noch nicht, worin der Unterschied zwischen den Wölfen und den Lämmern bestand. Wahrscheinlich gibt es im AIItagsleben überhaupt keine Wölfe, tröstete ich mich hin und wieder. Und dann verliebte ich mich. Ich war hingerissen. Ich war ausser mir vor Wonne. .Acht Tage später erzählten mir wohlmeinende Freunde, dass mein Angebeteter, der so gut aussah und doppelt imponierend in seiner schmucken Uniform als Küstenwächter wirkte, ja längst verlobt sei. Ich löste mich beinahe in Tränen auf. Wie hatte er nur so hinterhältig sein können! Warum hatte er mir das angetan! Und das Allerschlimmste war, dass ich mich selbst betrogen hatte: Wieso hatte ich nicht sogleich erkannt, dass er ein solcher Schuft war? Doch, das Leben war ein Kampf. Und ich war noch nicht auf ihn vorbereitet. Dann besuchte ich die Hochschule, lernte ein paar grossartig tönende Redensarten, liess mir erklären, wie man eine Rede hält und dabei sein Lampenfieber überspielt, hörte auch etwas Bedeutsames über eine Angelegenheit namens Pi. Aber selbst hier, inmitten Wohlgesonnener und Gelehrter, vermochte mir niemand zu sagen, wie man sich seine Mitmenschen auswählt - Menschen zum Lieben, zum freundschaftlichen Umgang, zum beruflichen Kontakt, zum Meiden oder zum Vertrauen. Schliesslich wurde ich in die Welt der Arbeit hinausgestossen, und immer noch war keiner da, der mir eine auf meine vielen Fragen hätte geben können: War dieser Mann meine Liebe wert? Sollte ich eine bestimmt Wohlfahrtsaktion unterstützen? War X oder Y ein echter Freund? Wie animierte ich Verbraucher zum Einkaufen? Würde mich Z am Ende vielleicht übers Ohr hauen? Rentierte sich dieses Unterfangen? War es gut, einen gewissen Rat zu befolgen? Meinen Freunden ging es auch nicht viel besser. Da gab es zum Beispiel Mark, der Katja kennen gelernt hatte. Er verliebte sich in sie. Sie war süss, schlau, sie schminkte sich nie zu auffällig. Sie mochte die Musik, die auch ihm gefiel. Beiden schmeckten diese und jene Zutaten bei der Pizza. Einfach alles schien bei ihnen zu klappen. Sollten sie nun heiraten und gemeinsam kleine Pizzas backen? Mir schien, dass Mark keine Antwort bekommen würde, wenn er jemals auf den Gedanken käme, sicher Fragen dieser Art zu stellen: Wie wird sie sich bei Ehekrisen verhalten? Wird sie versagen oder sich in der Not bewähren? Wird sie ihm tränenreiche Szenen machen, wenn er einmal Überstunden absolvieren muss? Fürchtet sie sich vor dem Umzug in eine andere Stadt, wenn er dort eine bessere Arbeit finden kann? Wird sie sich als keifender Hausdrachen entpuppen, wenn er nicht genug Geld mit nach Hause bringt? Wird sie womöglich ihre Kinder schlecht (oder gar nicht) erziehen? Auch Marks Vater war nicht imstande, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Er hatte in seinem eigenen Büro genügend Sorgen am Hals. Auch er fragte sich nämlich mitunter: Soll ich diesen Bewerber da engagieren? Na ja, gut angezogen ist er. Seine Koteletten sind nicht länger, als die des Direktors. Obendrein ist er der Neffe eines Verbindungsbruders. Auf dem Papier sieht alles tadellos aus. Aber wird er seine Arbeit auch bewältigen? Besitzt er Eigeninitiative? Hat er Ideen, oder ist er schwer von Begriff? Kann er andere mitreissen, oder trampelt er auf ihren Nerven herum? Ist er in der Lage, eine Sache bis zum Ende zu verfolgen? Erledigt er Aufträge korrekt, oder unterlaufen ihm Schnitzer, die teuer zu stehen kommen? Wird er führen oder sich mitschleppen lassen? Ich war nicht die Einzige, die sich fragte: Wie schätzt man die Menschen richtig ein? Anfangs fand ich zum ersten Mal eine Antwort. In dieser Studie untersucht der Verfasser die Hauptursachen des menschlichen Elends und Möglichkeiten der Therapie. Ausserdem legte LRH seine erste Untersuchung über ein neues Wissenschaftsgebiet vor: die Voraussage und Einstufung menschlichen Verhaltens. Im selben Jahr noch erschien Science of Survival, worin er ausführlicher von diesen neuartigen Erkenntnissen berichtet. Als ich das Buch las, war ich verblüfft darüber, wie dieser Mann den Leuten gewissermassen die Masken herunterriss und vorauszusagen vermochte, was man von ihnen erwarten dürfe. Er entlarvte alle nur denkbaren Typen der menschlichen Gesellschaft so scharf, dass ich gleichermassen erschüttert wie erfreut war. Nachdem ich mich nun mehr als zwanzig Jahre lang mit der praktischen Anwendung dieser Methode befasst habe, kann ich nur feststellen, dass sie stets funktioniert. Schwierigkeiten traten lediglich dann auf, wenn ich es unterliess, mein Wissen anzuwenden.
Dieses Buch beruht auf den Erfahrungen, die ich mit den Forschungsergebnissen gemacht habe. Nach seiner Lektüre werden auch Sie wissen, wie man den Menschen richtig beurteilt und was man von ihm zu erhoffen hat. Gewiss werden auch Sie bisher schon Ihre Mitmenschen mehr oder weniger erfolgreich eingeschätzt haben. Was Sie dabei richtig oder falsch gemacht haben, werden Sie bald erfahren. Manche Thesen weichen jedoch so stark von den hergebrachten Ansichten ab, dass Sie sie sicher längst unterdrückt haben -falls Sie jemals auf ähnliche Überlegungen gekommen sind. Diese Thesen sind völlig anders als alles, was Sie auf Mutters Schoss und im Konfirmandenunterricht hörten. Sie räumen auf mit einigen unserer zwar bequemen, doch abgedroschenen Phrasen. Ich fand heraus -und auch Sie werden herausfinden -, dass der ewig lächelnde Mensch, der nie seine Haltung verliert, schlechter dran ist als derjenige, der ab und zu aus der Haut fährt. Dass jener, der es jedem recht machen will, im Grunde destruktiver ist als einer, der sich nur um sein eigenes Wohl kümmert. Dass ein Mensch, der niemals Tränen vergiesst (aber jeden Verlust als unabänderlich hinnimmt), dem Untergang näher ist als andere, die sich gelegentlich ausweinen können. Glauben Sie nicht unbesehen, was ich sage. Studieren Sie die Materie gründlich, und urteilen Sie erst dann. Wenn Sie sich schliesslich das nötige Rüstzeug zum überstehen im Lebenskampf angeeignet haben, werden Sie - so hoffe ich wenigstens - an der Erkundung der menschlichen Irrwege sogar Ihr Vergnügen finden.
Erstes Kapitel

Das Grundsätzliche
Der Mensch ist im Grunde gut. Aber zwischen ihm und diesem Guten liegen Ängste, Manien und Verdrängungen. LRH: The Free Man Ein weiser Mann hat einmal gesagt, dass es nicht zwei Menschen gebe, die einander genau gleichen. Darüber sollten wir froh sein. Es gibt grosse Menschen, kleine Menschen und Menschen verschiedener Hautfarbe. Jeder hat seine Vergangenheit, seine Erfahrungen, seine Marotten. Obwohl die menschliche Fauna derart reichhaltig ist, stiess LRH auf etwas Grundsätzliches, das allen gemeinsam ist: auf die Emotionen.
Emotionen?
Gefühle?
Nun, damit kann er doch wohl nur jene hysterischen Frauen meinen, die beim Anblick einer Maus aus dem Häuschen geraten. Oder jene Kinder, die in Wutanfälle ausbrechen, wenn sie nicht sogleich ihr Bonbon kriegen. Oder jene entsetzten Soldaten, die meutern und um keinen Preis in die Schlacht zurückkehren wollen. Oder jene übersensiblen Ehefrauen, die laut aufschluchzen, weil ihr Mann sie angeblich nicht mehr liebt.
Aber was hat das mit dir und mir zu tun und mit dem braven Buchhalter, der um die Ecke wohnt? Wir sind doch nicht emotionell! Wir lassen uns doch nicht von unseren Gefühlen treiben! Emotion, Gefühl. klingt das nicht irgendwie geradezu abfällig?
Als ich die Schriften las, begann ich jedoch, alle meine Bekannten heimlich zu beobachten. (Ich schrak auch nicht davor zurück, mich selber zu beobachten.) Seine Behauptungen schienen zu stimmen. Jeder Mensch nimmt eine bestimmte Haltung zum Leben ein. Der eine findet das Dasein grässlich, der zweite furchtbar, der dritte kläglich, während wiederum andere alles ganz einfach närrisch oder wunderbar finden.
All diese Standpunkte werden nicht etwa von der Vernunft oder dem Intellekt diktiert: Es sind die Emotionen, die den Menschen zu seiner Einstellung veranlassen. die Entdeckung führte zu drei wichtigen Erkenntnissen über die Gefühlswelt:
1. Jede Emotion hat ihre eigenen unveränderlichen Verhaltensweisen.
2. Emotionen sind ihrer Reihenfolge nach klassifizierbar - von abscheulich bis zu grossartig.
3. Es gibt Emotionen, die nicht so leicht zu erkennen sind. Sie werden verdrängt.
Die unveränderlichen Verhaltensweisen Zu jeder Emotion gehört eine ganz bestimmte Einstellung, die sich kaum verändern lässt. Wenn ein Mensch von einem vorübergehenden oder ständigen Kummer geplagt wird, können wir damit rechnen, dass er klagt: Ich bin betrogen worden! Keiner kann mich ausstehen! Früher war eben alles viel besser. Wir wissen auch, wie er sich in den meisten Situationen verhalten wird. Die schöne und reiche Schauspielerin etwa, die zuviel Schlaftabletten nimmt, empfindet die gleiche ausweglose Hoffnungslosigkeit wie der Bahnhofspenner, der am Bordstein hockt und seine leere Flasche im Arm hält. Beide fühlen ähnlich, obwohl sie in unterschiedlichem Milieu und anderem Gewand auftreten. Wer die Welt durch die gefärbte Brille der Apathie betrachtet, ist dem Verderben nahe - wie immer seine Vergangenheit oder seine gegenwärtige Umgebung auch sein mögen. Jede Äusserung, jede Entscheidung, jede Handlung ist von der Apathie gekennzeichnet.
Die Reihenfolge der Emotionen
Als LRH nach Methoden suchte, welche imstande sein würden, die zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern, beobachtete er, dass die Leute verschiedene aufeinander folgende Stufen emotionellen Verhaltens durchliefen. So oft er sich bemühte, die Nachwehen schmerzlicher Erlebnisse auszulöschen, erkannte er, dass die Menschen zunächst apathisch reagierten. Während der Therapie durchlebten sie dann gewisse gefühlsmässige Stadien, die bei jedem in dieser unveränderlichen Reihenfolge auftraten: Gram (Traurigkeit), Furcht, versteckte Feindseligkeit, Zorn (Streitsucht), Langeweile, Zufriedenheit und Wohlbefinden. Dieser Wechsel von schmerzlichen zu angenehmen Empfindungen war ein solch zuverlässiger Erfolgsanzeiger, dass LRH ihn als Massstab zur Beurteilung des Fortschritts bei seinen Verfahren anwandte. Bald danach kam er auf den Einfall, diese Stimmungen auf einer Skala einzuordnen. Die positiven Verhaltensweisen vermerkte er an der Spitze, die negativen am Fusse. Es dauerte nicht lange, bis er bemerkte, dass sich die Personen Innerhalb dieser Skala einreihen lassen, auch wenn ihr Stimmungsbarometer steigt oder fällt (je nachdem, ob es ihnen gut geht oder schlecht). Gleichzeitig wurde deutlich: Je höher sich ein Mensch auf dieser Emotionsskala befindet, desto besser sind seine Zukunftschancen. Er kann sich sein Leben leichter einrichten. Er ist glücklicher, lebhafter, vertrauensvoller und I handlungsfähiger. Andererseits: Je tiefer jemand auf der Skala herabsinkt, desto näher ist er dem Untergang. Er tappt auf der Verliererstrasse dahin. Ihm ist erbärmlich zumute. Er resigniert mehr und mehr.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Wer eine Reise durch, ein wildes unwirtliches Land plant, wird sich natürlich keinen Gefährten wählen, der in einem fort Trübsal bläst, und der unablässig Gefahren wittert. Der gesunde Menschenverstand sagt ihm viel mehr, dass er einen Begleiter braucht, der sich auf diese Reise ebenso freut wie er selber. Menschen auf den unteren Stufen der Skala können sich auf rein gar nichts mehr freuen. Je weniger ein Mensch willens ist, über seine Zukunft nachzudenken, desto geringer sind seine Aussichten. Bei der Einordnung in die Skala versah LRH die verschiedenen Emotionen mit einem Namen und zur Kenntlichmachung ihrer Rangfolge mit einer Nummer. Das Ganze nannte er schliesslich Emotionsskala. Jeder gefühlsmässige Abschnitt wird als Emotionsniveau bezeichnet. (Ebenso gut können wir auch Emotionsstufe oder Gefühlsebene sagen.) So wie jeder Ton in der Musik durch Höhe und Schwingung definiert wird, hat auch jedes Emotionsniveau auf der Skala seine erkennbaren Eigenschaften. Das Klavierspielen fiele schwer, wären die Tasten nicht in einer Reihenfolge, sondern kunterbunt angeordnet. Es ist kaum möglich, Menschen zu verstehen und ihnen zu helfen, wenn man nicht eine Skala zur Verfügung hat, die gen au anzeigt, auf welcher hohen oder niedrigen emotionellen Tastatur der Mensch eingependelt ist. Die Trennlinie auf der Emotionsskala liegt bei 2,0. Oberhalb dieser Linie sind die Chancen eines Menschen gut. Unterhalb von ihr ist die Lebenserwartung geringer. Wenn wir uns dieser Trennlinie bedienen, dann bezeichnen wir Personen, die sich oberhalb befinden, als auf hohem Emotionsniveau stehend. Diejenigen unter 2,0 dagegen sind als auf niedrigem Emotionsniveau lebende Menscheneinzustufen. Während eine Person im hohen Gefühlsbereich vernünftig handelt, reagiert jemand im niedrigen unvernünftig. Je tiefer das Emotionsniveau ist, desto häufiger werden Entschlüsse von Gefühlen geleitet -ganz gleich, wie die Erziehung des Menschen beschaffen war und wes Geistes Kind er ist. Verdrängte Emotionen Wenn wir von einem höchst ehrenwerten Bankdirektor hören, der ein makelloses Familienleben führt, plötzlich jedoch 100.000 Dollar unterschlägt und mit einer Schönheitstänzerin nach Südamerika davongeht, dann fragen wir uns sicher: Was mag sich der Mann bloss dabei gedacht haben? Genau dies ist das Problem: Er hat sich nämlich gar nichts dabei gedacht: Er ist lediglich seinen Gefühlen erlegen. Die Emotionen haben ihn überwältigt. Was uns überrascht, ist eigentlich nur die Tatsache, dass sein bis jetzt verdrängt gewesenes Emotionsniveau plötzlich an den Tag tritt. Nun merkt man, wie er wirklich ist.
Einige Emotionen sind offensichtlich, denn sie liegen sozusagen auf der Hand. LRH beobachtete jedoch, dass jede sichtbare Emotion von einer Schicht verdrängter Gefühle begleitet wird:
4,0 ENTHUSIASMUS Enthusiasmus bezeichnet heute allgemein eine Begeisterung oder Schwärmerei für etwas, eine gesteigerte Freude an bestimmten Themen oder Handlungen, ein extremes Engagement für eine Sache oder ein ungewöhnlich intensives Interesse auf einem speziellen Gebiet

Enthusiasmus

Interesse
Konservatismus
Langeweile
3,5
3,0
2,5
Antagonismus
Schmerz
Zorn - Wut
2,0
1,8
1,5
FEINDSELIGKEIT offen gezeigt
Gefühllosigkeit
Versteckte Feindseligkeit
1,2
1,1
FEINDSELIGKEIT Verdrängt
1,0 FURCHT, offen gezeigt Mitleid
Sich um Gunst bemühen
0,9
0,8
FURCHT, verdrängt
0,5 GRAM; TRAURIGKEIT offen gezeigt
Wiedergutmachen
Apathie
0,375
0,05
GRAM, TRAURIGKEIT verdrängt
Nachdem wir diese eindeutig verdrängten Emotionen, die sich in Schichten unter den offen zur Schau gestellten Gefühlen ablagern, klassifiziert haben, sind wir jetzt auch in der Lage, jede Haltung zu definieren, die der Mensch dem Leben gegenüber einnimmt.
Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass er für immer auf ein und derselben Stufe fixiert bleibt. Wie oft können sich die Menschen ändern! Manchmal kann jemand stark abfallen, und zwar ganz plötzlich und unerwartet. Wenn jedoch sein Emotionsniveau normalerweise am oberen Rand der Skala gelegen ist, wird es ihm wohl rasch wieder gelingen, von neuem diese Höhe zu erreichen.

Die Theorie in der Praxis
Wenn wir die Grundeigenschaften jeder Emotion kennen, vermögen wir die derzeitige Gemütsverfassung eines Menschen zu verstehen, auch wenn er uns erst vor wenigen Minuten begegnet ist. Eine längere Beobachtung wird uns zeigen, wie seine normale, gewohnte, chronische Emotion ist. Daraus dürfen wir dann schliessen, wie gut die Chancen seines Fortkommens sind und ob er für unsere Beziehungen einen Aktiv- oder Passivposten darstellen wird. Wir können vorausahnen, wie er seine Arbeit ausführt, ob er ehrlich ist, ob er eine Nachricht exakt wiederzugeben und Aufträge zuverlässig zu erledigen vermag. Vielleicht kommen wir sogar dahinter, ob er ein Mensch ist, mit dem wir notfalls getrost auf eine einsame Insel verschlagen werden möchten. Das ist viel besser, als sich auf wunderliche Vorurteilte aus Grossmutters Zeiten zu verlassen. Eigentlich ist es die einzige mögliche Art, seinen Umgang zu wählen.
Zweites Kapitel

Die Emotionsskala
Wenn Sie schon glauben, einen Mitmenschen verachten zu müssen, dann brauchen Sie nicht erst die Skala zu studieren, um zu erfahren, dass da irgendetwas nicht ganz mit rechten Dingen zugeht (bei ihm natürlich). Aber Sie können an hand der Skala Ihre Gefühle besser verstehen und brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Sie ihn zu Ihrer nächsten Gesellschaft nicht einladen. Es gibt gewisse Leute, die wir zu lieben glauben - ungeachtet der ständigen Enttäuschungen, die sie uns bereiten. Wenn das liebevoll gekochte Essen auf dem Herd erkaltet, sind wir niedergeschlagen und fragen uns: Wie, um alles in der Welt, konnten wir uns eigentlich mit einem Menschen einlassen, der noch nicht einmal anruft, wenn er nicht kommen kann? Selten begreifen wir, dass wir einfach zuviel von den Leuten erwarten, denen wir unsere Zuneigung geschenkt haben. Wir alle kennen auch jene etwas eigenartigen Zeitgenossen, die sich auf nicht recht erkennbare Weise in unser Leben eingeschlichen haben. Sie scheinen ganz nett zu sein: Immer denken sie daran, zum Geburtstag eine Karte zu schicken, und sie vergessen auch nie, vor der Haustür ihre Schuhe gründlich zu säubern. Doch irgendwie macht es keinen Spass, einen ganzen Abend mit ihnen zu verbringen.

Das Auf und Ab des Lebens
Jeder Mensch hat seine gefühlsmässige Kurve. Das heisst: Jeder bewegt sich sozusagen wie ein Wetterfrosch auf der Skala hinauf und hinab. Und das geht so von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Gewinnt einer beim Skat, dann schnellt er in die Höhe. Ein anderer plumpst in die Tiefe, wenn er einen wichtigen Kunden verliert. Der Dritte verliebt sich bis über beide Ohren und glaubt in den siebten Himmel empor zu schweben. Lässt ihn jedoch sein Mädchen wegen eines andern sitzen, dann stürzt er augenblicklich in tiefe Melancholie. Kleine Kinder hüpfen oft wie mit Lichtgeschwindigkeit auf und ab. Wenn sie älter werden, pegeln sie sich allmählich auf einem Emotionsniveau (oder auf einem schmalen Abschnitt der Skala) ein und verharren dort längere Zeit. Eines Tages fallen oder steigen sie wieder - ganz so, wie das Leben mit ihnen spielt. Ein Mensch auf hohem Gefühlsbereich wird sich nicht auf einem bestimmten Punkt der Skala einpendeln. Er interessiert sich für alles (oder wenigstens für vieles) und kann sich für die verschiedensten Dinge begeistern. Auch wenn er einmal ausser Fassung gerät und auf einen tieferen Punkt der Skala rutscht (bedingt meist durch eine Umgebung mit niedrigerem Emotionsniveau), verliert er doch seine Spannkraft nicht. Er wird sich bald wieder erholen, nachdem er die fremden Einflüsse hat abgleiten lassen. Ein derartiger Mensch zeigt in einer bestimmten Situation die jeweils entsprechende Emotion. Erleidet er einen Verlust, dann empfindet er Trauer. Wird er das Opfer eines hinterhältigen Betrugs, dann erwacht der Zorn in ihm. Mit andern Worten: Seine Reaktion ist der Lage durchaus angepasst. Also: Jemand, der mit den Dingen fertig wird, schwankt ständig auf der Skala; er ist beweglich. Je besser seine Verfassung, desto flexibler ist er. Wenn er sich einmal ärgert, dann aber richtig. Er kommt indessen über die Misslichkeit hinweg. Falls ihm bange wird, braucht ihn dies nicht weiter zu beunruhigen, denn über kurz oder lang wird er wieder Herr seiner Stimmung. Hin und wieder mag er ohne ersichtlichen Grund deprimiert sein, doch geht auch dieses Stimmungstief schnell vorbei. Wenn man versucht, einen Menschen zu bessern, darf man natürlich nicht den Fehler machen, ihn auf der Skala herabzuziehen. Wir können einen Menschen nur dadurch läutern, indem wir es ihm möglich machen, Kontrolle, Beweglichkeit, Aufgeschlossenheit in allen Gefühlsbereichen zu gewinnen. Fällt der Ausdruck Kontrolle über die eigenen Gefühle, dann wird es automatisch Leute geben, die behaupten: Gefühle sind bloss dann echt, wenn sie spontan geäussert werden. Wer seine Gefühle beherrscht, ist einfach nicht aufrichtig! Es ist jedoch gerade der Mensch mit niedrigem Emotionsniveau, der sich unaufrichtig verhält - er erlebt noch nicht einmal das seiner Situation gemässe Gefühl. Er ist der Typ, der wahrscheinlich bei einer Hochzeit vor lauter Rührung in Tränen ausbricht -und der vermutlich hämisch kichert, wenn einer die Treppe hinabstürzt und sich ein Bein bricht. Nun, ist dies etwa eine aufrichtige Regung? Wenn wir davon sprechen, dass ein Mensch auf niedriger Gefühlsebene lebe, meinen wir nicht den Chef, dem neulich der Kragen platzte, als er die unausgefüllten Lieferaufträge für die Kunden im Papierkorb entdeckte. Das allein rangiert ihn noch lange nicht in die Zorn -Stufe ein (1,5). Die Stufe 1 ,5 bezeichnet vielmehr jemanden, der nahezu ununterbrochen ausser sich ist vor Wut. Reden wir hingegen von Furcht, dann meinen wir nicht den Grosswildjäger, der vor einem Bären davon hetzt, weil seine Büchse Ladehemmung hat. Wir meinen damit einen Dauerzustand: die Unfähigkeit, seine eigene Einstellung und seine eigene Umgebung zu ändern. Der tatkräftige Mensch kann handeln und auf die Handlungen anderer angemessen reagieren. Der Mensch mit niedrigem Emotionsniveau dagegen bedient sich immerzu derselben Sätze für alle Szenen des Schauspiels. Er handelt also der Vernunft zuwider. Was bei Leuten mit niedrigem Emotionsniveau im Grunde nicht stimmt, ist ihre Unbeweglichkeit, ihre Starrheit. Wenn einer Angst bekommt, ist er dann imstande, diese Angst auch zu überwinden? Wenn er im Zorn jemanden beschimpft hat, kann er seinen Groll dann auch wieder vergessen? Menschen, die im hohen Gefühlsbereich zu Hause sind, kommen auf der Skala immer wieder nach oben. Menschen auf tieferen Stufen jedoch verweilen dort dauernd. Sicher mögen auch sie sich manchmal ein wenig nach oben oder noch weiter nach unten verändern, doch werden sie für längere Zeit ihr Stadium wohl kaum verlassen können.
Geistig normal?
Es ist leicht gesagt, ein Mann sei verrückt, wenn er behauptet, Napoleon zu sein oder wenn er bei einem Amoklauf Menschen tötet. Es besteht indessen kaum ein Zweifel daran, dass sich heutzutage eine weitaus gefährlichere Verrücktheit der gesamten Menschheit bemächtigt: Wir haben eine Gesellschaft, die rücksichtslose Zerstörung von Menschenleben und ganzen Städten erlaubt (durch Kriege und Umweltverschmutzung): eine Gesellschaft, die Millionen in die Erforschung der Psychohygienie steckt, während die Nervenheilanstalten zum Bersten gefüllt sind, die Kriminalität ansteigt und der Selbstmord immer häufiger vorkommt. Wir verfügen über staatliche Einrichtungen, die dafür sorgen, dass falsch etikettierter Honig von den Regalen der Reformhäuser konfisziert wird, während sie andererseits die Aufschrift angereichertes Brot auf einem Produkt gutheissen, das zumeist aus undefinierbaren Chemikalien besteht. Das Gesetz betrachtet einen Menschen dann als verrückt, wenn er richtig von falsch nicht unterscheiden kann. Dies aber ist kaum eine geeignete Grundlage für Urteile die wir alltäglich treffen müssen. Gemeinsam mit andern Vorteilen gibt uns die Emotionsskala einen verlässlichen Massstab zur Beurteilung der geistigen Norm. Je weiter sich ein Mensch unten auf der Skala befindet, desto weniger ist er geistig normal. Eine scharfe Trennlinie zwischen geistig normal und geistig anomal gibt es freilich nicht. Jeder Mensch ist mehr oder weniger geistig normal. Er kann in einem Lebensbereich durchaus vernünftig und in einem andern völlig unvernünftig sein. Meist ist es die Intensität einer Emotion, welche die Gesellschaft veranlasst, jemanden einzusperren. Das bedeutet, dass ein Mensch auf niedriger Emotionsstufe gemeinhin für verrückt erklärt wird, wenn er alles lauthals von sich gibt, was in seinem Oberstübchen vor sich geht. Ein tobender Mann walkt zum Beispiel seine Frau mit einem Teppichklopfer durch. Ein anderer (der gleichfalls tobt) macht seine Eheliebste hingegen lediglich mit üblen Worten zuschanden. Beide verhalten sich nicht normal, aber die Gesellschaft sieht nur in dem ersteren eine Bedrohung. Nach aussen hin Die meisten Menschen verbergen ihr übliches Emotionsniveau hinter einem liebenswürdigen, nach den gesellschaftlichen Regeln bestimmten Wohlverhalten, um im täglichen Leben besser zurechtzukommen. Der Verkäufer lächelt (wenn auch nicht immer) selbst dann noch höflich, wenn er dem Kunden seine Meinung am liebsten ins Gesicht brüllen würde. Treffen wir einen Bekannten auf der Strasse, dann versichern wir normalerweise, es gehe uns ganz ausgezeichnet - auch wenn wir uns elend fühlen. Mit ein wenig Übung werden Sie jedoch bald in der Lage sein, den Kern - also das konstante Gefühlsniveau - trotz der schützenden Hülle zu erkennen.

Nicht genannte Emotionen
Vielleicht fällt Ihnen auf, dass einige Emotionen nicht auf der Skala angeführt sind. Die meisten von ihnen tauchen indessen als verschlüsselte Nuancierungen auf. Beklemmung, Verlegenheit, Besorgnis, Schrecken und Schüchternheit stellen mehr oder weniger starke Formen des Furcht-Komplexes dar. Gefühle wie Liebe, Hass oder Eifersucht äussern sich jeweils durch das individuelle Emotionsniveau in vielfacher Klangfarbe und Schattierung. Ein Mensch, der chronisch zum Mitleid neigt, liebt ganz anders als einer, der gewohnheitsmässig aufbraust. Ein eifersüchtiger Ehemann kann auf einen Rivalen schiessen, sich aber ebenso gut auch in aller Stille vollaufen lassen. Ein Psychiater an einem Universitätskrankenhaus der Vereinigten Staaten nahm eine fünf Jahre dauernde Untersuchung vor, bei der mehr als vierhundert todkranke Patienten befragt wurden. Zweck war es, herauszufinden, wie man den Sterbenden am besten helfen könne, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten dieser Menschen fünf Stadien durchmachten, bevor sie starben: Trotz, Zorn, Feilschen um Zeit, Trauer und schliesslich Ergebung. Innerhalb der ersten vier Stufen - so der Psychiater -hatten die Patienten immer noch einen Hoffnungsschimmer. Im Endstadium sei der Mensch meist bereit, sich mit seinem Los abzufinden.
Zusammenfassung
Menschen auf niedrigem Emotionsniveau werden stets viele Gründe für ihr Verhalten nennen: Sie werden dank ihrer Intelligenz alles tun, um ihre Überzeugungen zu verteidigen. In Wahrheit trachten sie jedoch danach, ihr emotionelles Verhalten zu erklären, über das sie gar keine Kontrolle haben. Der chronisch zornige Mensch wird Sie mit den Worten warnen: Nimm dich bloss in acht! Der ständig Apathische wird - wenn überhaupt ein Wort über i seine Lippen kommt lediglich murmeln: Man kann ja sowieso nichts ändern. Und jeder glaubt, was er sagt. Wenn er lange auf einer derartigen Stimmungsebene lebt, fühlt er sich dort vertraut und ist davon überzeugt, es sei sein Recht, diese Haltung einzunehmen. Menschen mit niedrigem Emotionsniveau sollte man beileibe nicht verachten. Es wäre andererseits jedoch eine Selbsttäuschung, nur das Beste von ihnen zu denken, wenn die Tatsachen ihnen offensichtlich Unrecht geben. Das Vernünftigste für sie und uns ist, sie richtig einzuschätzen. Nur so bleibt uns die Möglichkeit, sie auf der Skala anzuheben. Wenn Kinder vier oder fünf Jahre alt sind, kann man beginnen, mit ihnen über die Einstufungen zu reden. Gewöhnlich sind sie sogleich begeistert bei der Sache, wenn sie die farbige Skala sehen. Das ist ein guter Start ins Leben. Ich habe meine Söhne mit ihr vertraut gemacht und weiss nun, dass sie nie für einen Menschen arbeiten werden, der in einer niederen Empfindungsregion daheim ist. Es wird ihnen später auch nicht einfallen, Leute dieser Wesensart einzustellen. Und ganz gewiss werden sie niemals auf den Gedanken verfallen, sich einen Ehepartner auszusuchen, der unentwegt in den Niederungen der Skala watet. Sagen Sie, um Himmelswillen, keinem Menschen jemals ins Gesicht hinein, wie Sie ihn einschätzen. Vielleicht irren Sie sich, und der Betreffende wird dann tief deprimiert sein. Stimmt Ihr Urteil dagegen, so hilft ihm das auch nicht weiter. (Sie haben sicher schon einmal jemanden getroffen, der Ihnen selbstgefällig grinsend bescheinigte: Ach, machen Sie doch keine vielen Worte. Sie durchschaue ich allemal. Waren Sie nach dieser liebenswürdigen Eröffnung etwa hocherfreut? Mitnichten: Sie werden diesen Burschen heftig verabscheut haben - was Ihnen niemand verübeln kann.) Studieren Sie die Skala, um jene Menschen auszuwählen, die Ihnen wahrscheinlich etwas zu geben haben. Fahnden Sie mit ihr als Hilfsmittel wie ein Detektiv in Ihrer Familie, in Ihrem Büro, in Ihrem Freundeskreis nach faulen Stellen. Lernen Sie, wie man Leute erkennt, und Sie werden dann nicht mehr von ihnen erwarten, als sie Ihnen ihrer Anlage nach zu offerieren haben. Es liegt bei Ihnen, andern Menschen bei dem Erklettern der Skala behilflich zu sein. Versuchen Sie nicht, sich allzu viel mit Ihrer eigenen Person und deren Einordnung zu beschäftigen. Naturgemäss werden Sie bei der Lektüre gelegentlich das Gefühl bekommen, man halte Ihnen einen Spiegel vors Gesicht. Zucken Sie dann nicht zurück. Und lassen Sie sich vor allem nicht entmutigen.
Drittes Kapitel

Apathie (0,05)
Apathie: Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit, Abstumpfung.
Ich begreife jetzt manches besser, sagte mein junger Freund. Mich stört eigentlich gar nichts mehr. Ich nehme das Leben, wie's halt kommt. In den letzten Monaten bin ich viel reifer geworden. Ich hab all die Verrücktheiten aus meinem System rausgeschmissen und bin jetzt dabei, ernsthaft zu studieren. Das ist doch wirklich das einzige, was zählt. Wäre mir seine Emotionsebene nicht bekannt gewesen, dann hätte mich diese Beteuerung (gereift zu sein) vielleicht überzeugt. Aber ich musste an einen überschäumenden Ausbruch seiner Gefühle denken, der ihn vier Monate zuvor hingerissen hatte. Damals war er nach New York abgereist - voller Vertrauen in sein Talent, voller Hoffnungen auf den grossen Erfolg. Schon bald danach hatte er einen Knacks bekommen. Und zwar in aller Stille. Irgendetwas hatte ihn, so schien es, zerbrochen. Ein Mensch oder ein Erlebnis hatte seine Träume zerstört. Die philosophische Erkenntnis, von der er mir soeben gesprochen hatte, war nichts als ein Schlag ins Wasser. In Wirklichkeit hatte er nämlich aufgegeben. Ein typischer Fall von Apathie ... Wenn ein Mensch einen schweren Verlust erleiden muss und seine Trauer nicht ausdrücken kann, dann bleibt ihm - so glaubt er zumeist -gar keine andere Wahl, als seinen Gram zu unterdrücken. Die Folge: Der Mann verliert sich in Depressionen. In dieser Phase kann er nun behaupten, ihm sei alles gleichgültig geworden. Apathie bedeutet: abschalten von allem - vom Lieben, Hoffen, Weinen, Lachen und Träumen. Jeder Mensch kann nach einem tiefen Schmerz auf eine Empfindungsebene abgleiten, die unter seinem üblichen Niveau gelegen ist. Auf der Stufe der Apathie hat er jedoch nicht nur etwas verloren, sondern er weiss dann auch, dass er nie wieder fähig sein wird, zu siegen. Apathie ist der allergefährlichste Zustand. Er bringt viele Menschen an den Rand des Abgrunds, und nicht wenige stürzen sich über die letzte Barriere ins Nichts. Was hat das leben ihnen denn noch zu bieten? Gibt es überhaupt auf Erden noch einen Schimmer von Hoffnung und Hilfe Oft ist der Selbstmord der einzige Ausweg.

Im Abgrund der Depressionen
Wenn alle apathischen Menschen in einer Nervenklinik lägen, wären sie leicht zu identifizieren. Seien Sie aber nicht überrascht, selbst einen brillanten Intellektuellen auf dieser Stufe anzutreffen. Die Apathie lässt sich in zwei Stufen unterteilen. Die tiefste (zuweilen vorgetäuschter Tod genannt) ist bloss noch durch eine kaum wahrnehmbare Schwelle vom körperlichen Sterben entfernt. Ein Mensch liegt im Bett, hat sich von der Welt und den Menschen zurückgezogen, ist nicht mehr imstande, für sich selbst zu sorgen, und wird von Halluzinationen gepeinigt. In dieses Stadium geraten häufig Menschen nach einer schweren Operation oder einem gefährlichen Unfall. Sie lassen sich verhältnismässig leicht identifizieren. Der unter Apathie leidende Mensch von höherem Niveau, welcher dem Treiben der andern noch nicht ganz entsagt hat, vermag uns hingegen zu täuschen. Denken Sie an einen, der barfüssig, mit wild wucherndem Bart und im Drogen rausch durch die Gegend taumelt. Stellen Sie sich aber auch einen Geschäftsmann vor, der tagsüber durchaus seriös wirkt in seinem eleganten Anzug - ihm werden Sie auf den ersten Blick wohl kaum ansehen, dass er sich jeden Abend bis zur Besinnungslosigkeit besäuft. Wieder ein anderer greift zur Pistole und macht kurzerhand Schluss, weil er die Nase voll hat. Nicht selten passiert es auch, dass ein Mensch entschlossen die Fahrbahn betritt, wenn die Ampel auf Rot steht: Er hofft, ein anderer werde ihn so oder so aus der Welt schaffen.
Neulich traf ich einen gesprächigen Menschen, der chronisch niedergeschlagen ist, auf einer Gesellschaft. Fast jede seiner Bemerkungen zeigte, auf welcher Stimmungsebene er behaust war. Wir sprachen über Autos. Er tat das Thema mit den Worten ab: Das Autogeschäft ist kaputt. Da ist nichts mehr zu holen. Als die Unterhaltung auf die Probleme des Baugewerbes kam, meinte er lapidar: Der kleine Unternehmer ist erledigt. Er hat keine Chance mehr. Später diskutierten wir über ein politisches Problem: Versuchen Sie bloss mal, so etwas zu bereinigen, und schon sind Sie ruiniert. Dieser Mensch war leicht in seiner Kategorie unterzubringen. Nicht nur sein absoluter Pessimismus, sondern auch der ständige Gebrauch der Worte kaputt, erledigt, tot verrieten alles über ihn. Selbstverständlich vermag der apathische Mensch wie jeder andere seinem Beruf nachzugehen. Doch meist versucht er, sich auf irgendeine Art und Weise selbst zu zerstören.

Rauschgift und Alkohol
Drogensüchtige und schwere Alkoholiker sind apathische Menschen. Lassen Sie sich nicht durch den äusseren Schein trügen: durch rührselige Liebenswürdigkeit und überschwängliches Gehabe. Wie verhält sich ein derartiger Mensch, wenn er aus seinem Rausch erwacht? Meist sieht das Leben und die Welt für ihn dann so erschreckend aus, dass er sogleich wieder nach dem chemischen Ausweg sucht:
Er begeht also langsam Selbstmord. Er wartet auf den Zusammenbruch, trinkt jedoch immer weiter, damit er ihn nicht zu fühlen braucht. Bis das Fiasko eintritt, bereitet er seiner Umgebung Höllenqualen: Wer ihn liebt oder schätzt, bemüht sich verzweifelt, ihn zurückzuhalten. Doch nur selten ist diesen erschöpfenden Hilfeleistungen Erfolg beschieden.

Jenseits von Richtig und Falsch
Gelegentlich begegnen wir einem Menschen, der in apathischem Zustand dahindämmert, jedoch glaubt, er habe das Stadium des Erhabenseins erreicht. Da er sich ausserstande sieht, sein Gefühl der Hoffnungslosigkeit einzugestehen, versucht er, es durch tiefsinnige Reden zu rechtfertigen. Ich nenne dies intellektuelle Apathie. Alfred, ein Student, erzählte mir von seinem Freund, der Theologie und Philosophie studiert hatte, bis er zu einer ganz persönlichen Lebensanschauung fand. Weitschweifig beschrieb er seine Erkenntnisse vom endgültigen Bewusstsein, Tief beeindruckt meinte Alfred: Wenn du jetzt selber in diesem Stadium bist, wundert es mich, dass du nicht auch andern zu dieser Erkenntnis verhilfst. - Warum sollte ich? versetzte der Freund. Die andern sind sowieso alle wie ich. Derartige Erkenntnisse scheinen mir jenseits von richtig und Falsch zu sein. Solche Leute sind ganz einfach apathisch, halten sich indessen für Apostel.

Verantwortung
Es gibt gewisse Philosophien (zum Beispiel die östlichen Religionen), die auf den höchsten Emotionsniveaus der Skala basieren. Leute auf niedrigeren Gefühlsebenen können deren Bedeutung (das heisst: ihren Sinn) derartig verdrehen, dass das Resultat zur völligen Apathie führt. Wer weniger Aktivität, geringeren Kontakt zu den Mitmenschen, schwächeren Einsatz befürwortet, darf kein Anrecht geltend machen, Gehör zu finden. All seine geIehrsamen Redereien enden ja doch bloss in der

Apathie
Manche Doktrinen scheinen geradezu einer apathischen Grundhaltung Vorschub zu leisten. Der Fatalist klammert sich an den Glauben, alle Geschehnisse seien vorbestimmt und die Menschen nicht imstande, etwas am Verlauf der Dinge zu ändern. (Ich bin noch nicht mal für mich selber verantwortlich.) Die Anhänger vieler sektiererischer Vereinigungen starren unentwegt in die Sterne, rätseln über Zahlen, grübeln über Farben, beobachten Kristallkugeln (in denen sich Ihrer Meinung nach das eigene Schicksal offenbart). Apathische Menschen verfallen nur allzu leicht derartigen Lehren.

Ursache und Wirkung
Wer glaubt, er würde allein von äusseren Einflüssen beherrscht, befindet sich bereits auf dem besten Weg zur Apathie. Gelassen wird er Verluste hinnehmen und seufzend murmeln: Es ist Gottes Wille. Da kann man nichts machen. Es hat halt so kommen sollen. (Das ist kein echter religiöser Standpunkt, denn jede Religion, die diese Bezeichnung verdient, bietet dem Menschen einen Ausweg: die Erlösung.) Der ganz in der Apathie befangene Mensch hält sich für geringer als die Sterne und Planeten, als die erzielten Fussballtore oder die Fliege auf seinem Bein. Wer dagegen hoch oben auf der Skala angesiedelt ist, sieht sich eher als Gefahr für seine Umwelt. Er möchte sie gern nach seinem Gusto verändern. Doch je stärker der Glaube eines Menschen ist, er sei lediglich Objekt, desto näher befindet er sich der Apathie -und über kurz oder lang vielleicht seinem eigenen Untergang.

Eigentum
Menschen mit niedrigem Emotionsniveau haben häufig seltsame Vorstellungen von Eigentum. In apathischem Zustand jedoch glauben viele Leute, ihnen gehöre rein gar nichts. Das kann zutreffen. Sie können freilich auch viel besitzen und dennoch jammernd behaupten: es hat ja überhaupt keinen Sinn, irgendetwas anzuhäufen. Wer so veranlagt ist, meint auch, dass andere Leute sich gleichfalls nicht mit Habe belasten sollten. Er vergeudet Ihre Zeit, lässt Ihre laufenden Rechnungen in die Höhe schnellen, das Licht brennen und den Motor laufen, und ab und zu bittet er Sie auch kaltblütig, doch einmal ganz rasch auf Ihrem Apparat einen Bekannten in Australien anrufen zu dürfen. Sollten Sie daran Anstoss nehmen, wird er obendrein noch verblüfft sein und Ihnen den Vorschlag machen, sich doch endlich von dem ganzen Kram zu trennen.
Ein neureicher Filmschauspieler sagte: Eigentlich sollte ich ja Geld für meine alten Tage zurücklegen. Aber das schaffe ich einfach nicht. Alles, was ich verdient habe, rinnt mir unter den Fingern weg, als ob es gar nicht mein wäre. Ich habe keine Lust, mich abzusichern. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen.

Ich bin machtlos
Zuweilen erklären Leute kühn und herausfordernd: Mich .kann gar nichts erschüttern. Das sind die Verwendungsunfähigen Sie leiden unter der extremsten Form der Apathie. Emil, auch ein Student, hatte das Gefühl, sein Leben verliere allen Glanz. Nichts machte ihm mehr Spass. Seinem Freund Georg teilte er mit, dass er es jetzt einmal mit einem LSD-Trip versuchen wolle. Beide wussten, dass die Droge lang anhaltende Geistesstörungen verursachen kann, und bis zu diesem Tage hatten sie auf dieses Experiment verzichtet. Georg jedoch war gerade auch ziemlich melancholisch und entgegnete: Ich stimme zwar dem, was du vorhast, nicht zu, aber ich weiss, dass ich dich nicht davon abhalten kann. Wäre er in einem höheren Gefühlsbereich gewesen, dann hätte es Georg durchaus vermocht, seinem Freund das Vorhaben auszureden. Zumindest hätte er einen ernsthaften Versuch unternommen.
Der abgeklärte Apathie-Mensch wird beteuern, er sei gelangweilt: Ich habe das Leben satt. Mich amüsiert einfach nichts mehr. Was kann man schon tun, um diese oberflächliche Menschheit ein bisschen aufzuregen?

Die unwirkliche Wirklichkeit
Ein Jahr nach der ersten Landung amerikanischer Astronauten auf dem Mond machten Reporter siebenhundert Interviews zu dem Thema: Was denken Sie über dieses Ereignis? Es stellte sich heraus, dass eine aussergewöhnlich grosse Zahl von Leuten an der Realität der Apollo - Mission zweifelte. Besonders bei alten und armen Menschen war dies der Fall. Eine ältere Frau aus Philadelphia glaubte, die Mondlandung wäre in der Wüste von Arizona inszeniert worden. Ein stellungsloser Bauarbeiter aus Miami erklärte: Ich hab das im Fernsehen betrachtet, aber ich glaub kein Wort davon. Kein Mensch war jemals auf dem Mond. Mehr als die Hälfte aller Bewohner eines Gettos von Washington hatte Zweifel an der Richtigkeit des Spazierganges auf dem Mond. Ein Mann, der bemüht war, seinen Gefühlsbereich nicht deutlich werden zu lassen, meinte: Die versuchen doch nur, uns von unseren Problemen abzulenken. Die Menschen sind unglücklich, und so' ne Show lässt sie für einen Moment ihr eigenes Elend vergessen. Die Wirklichkeit erscheint einem apathischen Menschen nur selten glaubwürdig. Der Spieler Auch der wie unter einem Zwang stehende Spieler ist apathisch. Wenn jemand ständig gewinnt, befindet er sich naturgemäss auf einem höheren Emotionsniveau, da er in diesem Falle eher Ursache als Wirkung des Spiels ist. Niemand kann jedoch immer gewinnen. Ein Mann, der am Zahltag das Geld für die Miete und den Lebensunterhalt am Spieltisch verpulvert, enthüllt durch sein Verhalten seine abgestumpfte Einstellung gegenüber dem Eigentum: Besser wär's, ich hätte überhaupt nichts. Vor einiger Zeit unternahm ein Schiff eine Kreuzfahrt nach Südamerika. Plötzlich erhielt der Funker die Nachricht dass unweit ein Dampfer in Seenot und in Brand geraten sei. Der Kapitän änderte den Kurs. Achthundert Passagiere und die Besatzung des brennenden Schiffes rangen in den Wellen um ihr Leben. Sie hatten ausser dem, was sie auf dem Leibe trugen, alles verloren. Sie konnten indessen gerettet werden. Die Passagiere des zur Hilfe herbeigeeilten Dampfers drängten sich an der Reeling, um das Schauspiel zu beobachten und - wenn möglich - mit Hand anzulegen. Einige stellten spontan Kleidung und Quartier für die Opfer bereit. Während der ganzen Aktion blieb das Spielkasino geöffnet. Ein paar Spieler von der harten Sorte, die gar nichts umwerfen kann, blieben auf ihren Stühlen kleben - die Augen wie hypnotisiert auf die Tische gerichtet. Das Drama, welches sich nur wenige Meter vor ihrer Tür abspielte, berührte sie in keiner Weise. Und dabei war dies ein wirkliches Drama, das mit dem Nervenkitzel im Kasino nicht im Geringsten zu vergleichen gewesen wäre. So etwas nennt man Apathie. Kein Mensch auf anderem Emotionsniveau hätte sich so teilnahmslos angesichts von Leben und Tod benehmen können.

Der Mensch ändert sich nie
Wer schon als junger Mensch die Skala zu verstehen gelernt hat, der weiss auch, ob er den Rat eines Älteren zu beherzigen hat oder nicht. Eines Tages schilderte mein damals siebzehnjähriger Sohn den Vortrag eines Lehrers, der verkündet hatte: Der Mensch ändert sich nie. Er macht immer wieder die gleichen Fehler. Niemals lernt er etwas dazu. Er wird sich sein Lebtag nicht wandeln. Auf welcher Stufe der Skala befindet er sich denn? fragte ich. Mein Sohn lachte und erwiderte: Apathie natürlich. Also wieder einer, der seine Bildung und Erfahrung dazu verwendete, eine Verhaltensweise zu stützen, über die er letztlich selber keine Kontrolle hat. Durch die Geschichte und anhand von Dokumentarberichten können Sie freilich jedes Tun auf der Skala rechtfertigen. Wollten wir jedoch alles, was vor uns geschehen ist, voll und ganz als Beweis für die Richtigkeit akzeptieren, dann brauchte sich kein Lehrer mehr mit dem Unterricht abzuplacken, kein Wissenschaftler müsste mehr mit Reagenzgläsern hantieren, und auch ich wäre heute im Bett geblieben.
Zusammenfassung Gleichgültig, wie begabt er sein mag: kein apathischer Mensch vermag mehr zu sein als ein Imitator jener lebenssprühenden Menschen, die auf den höheren Stufen anzutreffen sind.
Viertes Kapitel

Wiedergutmachen (0,375)
Wiedergutmachen: (Schaden, Böses) ersetzen, erstatten (Verlust).
Lisa entschliesst sich, nicht mehr mit Oskar zu gehen. Er ist vernichtet. Schluchzend und voller Selbstmitleid schwört er: Ich werde alles tun, damit du mich wieder liebst. Er ruft sie an. Er schickt ihr Geschenke. Er schreibt ihr glühende Briefe. Er wartet an der Ecke, damit er sie zufällig trifft, wenn sie das Haus verlässt. Bitte, Lisa, fleht er, sag mir doch bloss, warum du mich nicht mehr liebst. Ich mach ja alles, was du willst. Sag mir, dass du mir noch eine Chance gibst. Oskar, kapierst du denn nicht, dass es aus ist zwischen uns? Ich will dich einfach nicht mehr sehen. Er lässt den Kopf hängen wie eine Primel, die man nicht mehr gegossen hat. Mein Gott! Was hat das Leben dann noch für einen Sinn! Am liebsten wäre ich tot. Da kann ich mir ja gleich eine Kugel durch den Kopf jagen. Ein Mensch, der wiedergutmachen, also sühnen will, lebt in einem Zustand der ständigen Entschuldigung. Dass er dabei schmeichlerisch, kriecherisch, schmarotzerisch wirkt, merkt er gar nicht. Er will unbedingt für ein wirkliches oder eingebildetes Unrecht Busse tun. Seine Demut und Unterwürfigkeit ist so lästig, dass wir von Glück reden können, wenn nur wenige Leute für längere Zeit auf einem solchen Niveau verharren. Im Allgemeinen handelt es sich um ein Durchgangsstadium, denn falls Gesten wie Wiedergutmachung nicht zum Erfolg führen, bemitleidet sich der Betreffende mehr und mehr und verliert sich ganz (wie unser Oskar). Der Mensch auf 0,375 will sich versöhnen. Ihn hungert nach Gunstbeweisen. Auf dieser Ebene finden wir blinde Loyalität, Selbstaufopferung, Märtyrertum. Eine stehende Redensart dieser Menschen lautet: Nie im Leben werde ich Sie ganz entschädigen können. Sie schmieren den Leuten den Brei ums Maul, schmeicheln und erniedrigen sich, um Mitleid oder Hilfe einzuheimsen. Auf dieser Ebene begegnet uns auch der Säufer, der bettelnd durch die Strassen zieht, und die Heroinsüchtige, die der Prostitution verfällt, um sich den nächsten Schuss leisten zu können.

Hilfe für den Alkoholiker?
Der Säufer begibt sich auf 0,375, wenn er sich noch ein Glas erbettelt (das natürlich das allerletzte sein wird). Aber auch der Trinker, der seinem Laster entsagen möchte, muss diese Region durchwandern, damit er geheilt werden kann. Der stets zum Trübsinn geneigte Mensch fühlt, dass schlechterdings alles schmerzlich ist. Rutscht er auf 0,375 ab, dann versichert er: Ich werde alles tun, um davon loszukommen. Wenn sich ihm jedoch keine echte Hilfe anbietet, wird er seinen Schmerz durch ein Betäubungsmittel los: durch den Alkohol (natürlich immer nur für kurze Zeit, versteht sich). Hat er Glück, dann begreift er in einem nüchternen Moment, dass seine Enthaltung sich zu einem Problem entwickelt, das grösser ist als jenes, dem er ursprünglich hatte entfliehen wollen. Seine Reue treibt ihn eine Stufe höher: Er will wiedergutmachen. Er will sühnen. Und eben dies ist die Ursache dafür, dass die meisten Drogen- und Alkoholentziehungskuren keinen Erfolg haben. Jemanden von Drogen abzuhalten, ist nur eine Zwischenlösung. Will er hingegen wirklich geheilt werden, dann muss er den festen Willen haben, selber etwas zu unternehmen, um seiner Apathie zu entrinnen. Gelingt ihm dies, muss er sich an der Skala weiter hinaufbewegen. Bleibt er auf den unteren Stufen, dann wird er beim nächsten Anlass wiederum seine alten Gewohnheiten annehmen. Zuweilen fassen Trinker von sich aus den Entschluss, dem Alkohol zu entsagen. Fast immer aber werden sie binnen kurzem wieder rückfällig. In solchen Fällen kann das Wissen um die Emotionsskala von Nutzen sein. Das eigentliche Problem stellt nämlich gar nicht der Alkohol dar, sondern die Gefühlslage des Trinkers: Viele können das Leben einfach nicht ertragen, solange sie nüchtern sind. Sie brauchen den Rausch wie die Luft zum Atmen. Die Kur besteht darin, diese Leute auf eine höhere Stimmungsebene zu heben. Unter allen Umständen müssen sie unter Menschen kommen, die imstande sind, sie geistig und seelisch zu unterstützen. Bleiben derart gefährdete Personen jedoch unter ihresgleichen - das heisst: unter Menschen von niedrigem Emotionsniveau -, dann werden sie wohl nie geheilt. Ich kannte einen gewissen Herbert, der den falschen Beruf gewählt hatte, um seine Eltern zufrieden zu stellen. Er dachte, es fiele ihm nicht besonders schwer, sein persönliches Ziel - nämlich Fotograf zu werden - aufzugeben. Zwanzig Jahre später war er ein Alkoholiker und befand sich zu seiner sechsten Entziehungskur im Krankenhaus. Der Arzt warnte ihn: Wenn Sie jetzt nicht endlich Schluss machen, werden Sie in einem Jahr tot sein, denn ihre Leber lässt sich diese Sauferei nicht länger gefallen. Er schaffte den Aufstieg zu 0,375 und sah sich nach einer wirklichen Hilfe um. Als er den Grund seiner Apathie begriffen hatte, gab er seinen ungeliebten Beruf auf und wurde freier Fotograf. Seit fünf Jahren nun hat er keinen Alkohol mehr angerührt. Er ist guter Dinge, und die Arbeit macht ihm Spass.

Die anonymen Spieler
Während einer Pokerpartie setzte ein Spieler sein ganzes Vermögen auf eine Karte. Gleichmütig wartete er auf den Ausgang. Nachdem er gewonnen hatte, nickte er nur kurz. Ein Zuschauer, den die Apathie dieses Mannes bestürzte, erkundigte sich: Wie können Sie denn einfach bloss nicken, wenn Sie gerade 250.000 Euros eingestrichen haben? Der Spieler zuckte mit den Achseln und entgegnete: Wissen Sie, was mir am meisten gefiel? Der Moment, als wir auf das Ausspielen der letzten Karte gewartet haben. Da habe ich Leben in mir gefühlt. Nur in solchen Sekunden spüre ich, dass ich wer bin. Aufs Geld, aufs Gewinnen oder Verlieren, kommt's mir nicht an. Das lässt mich ziemlich kalt.
Diese Auffassung ich bin niemand ist bezeichnend für apathische Menschen. Finden sie irgendetwas, von dem sie glauben, es biete ihnen einen Ausweg (wenn auch nur für kurze Zeit), dann werden sie süchtig. Wer seiner Sucht entfliehen will, muss also unbedingt auf der Skala klettern. Es gibt Organisationen, die sich Anonyme Spieler oder ähnlich nennen. Sie haben sich die Aufgabe gesetzt, Ehen, Familien, sogar -in besonders krassen Fällen - Menschenleben zu retten. Das System funktioniert allerdings nur dann, wenn der Spieler offen zugibt, dass er keine Macht über seine Spielleidenschaft hat, und dass er, der Hilfe anderer bedarf, um seiner Schwierigkeiten Herr j zu werden. Ausserdem muss er begreifen lernen, dass er auch dann wer ist, wenn er nicht mehr spielt. Und dies erfordert natürlich ein Anheben seines Emotionsniveaus. Folglich muss er zunächst das Stadium der Wiedergutmachung erreichen, bevor er etwas für sich selber tun kann.

Im Berufsleben
Wenn jemand für einen schroffen Chef arbeitet, kann er sein Selbstvertrauen verlieren. Dann ist der Weg nicht mehr weit bis zur Apathie: Er traut seinem eigenen Urteil nicht mehr und glaubt auch nicht mehr an seine Leistungsfähigkeit. Gibt es jedoch einen Hoffnungsschimmer, den Job behalten zu können, dann wird er vermutlich nur allzu leicht ein schwächlicher Ja -Sager. In einem fort verteidigt er seine entwürdigende Existenz in diesem Unternehmen und übernimmt willig selbst die beschämendsten Handlangerdienste, um ja nicht hinausgeworfen oder bestraft zu werden. Wahrscheinlich wird er trotzdem scheitern. Bei seinen verkrampften Bemühungen, um jeden Preis zu gefallen und nicht anzuecken, verhält er sich wie ein Stiefelputzer, dem der Stiefel dennoch dauernd wieder in den Schmutz fällt.
Zusammenfassung
Ein Mensch, der tief enttäuscht, ungerecht behandelt oder betrogen wird, streicht oft die Segel und verfällt der Apathie. Solange er traurig und bekümmert ist, findet er auch nicht die Kraft, Missverständnisse oder Irrtümer aufzuklären (weder die seinen noch die der andern). Erst wenn er die Stufe der Wiedergutmachung erklommen hat, bietet sich ihm eine Chance. Eines Tages kam ein zwanzigjähriger Bekannter zu mir. Ich weiss nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist, klagte er. Mir ist, als ginge das Leben an mir vorbei, ohne dass ich's überhaupt merke. Was wird denn da eigentlich gespielt? Jeder andere Zustand wäre besser als der. Was soll ich bloss machen? Obwohl seine augenblickliche Verfassung ziemlich hoffnungslos schien, war er doch schon auf dem Weg der Besserung. Einige Wochen lang befand sich dieser junge Mann in einer apathischen Stimmung: Mir ist alles wurscht, schien jede seiner Gesten auszudrücken. Nun aber war er sich wenigstens seiner Lage bewusst geworden und gesonnen, etwas zu unternehmen. Wir plauderten eine Weile miteinander, und er erzählte mir von der grossen Enttäuschung, die ihn in diesen Zustand der Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit gestürzt hatte. Danach weinte er - und bald danach war seine Gefühlswelt wie umgewandelt. Voller Zuversicht ging er davon. Wer sich im Stadium der Sühne und Wiedergutmachung befindet, ist naturgemäss geschwächt. Kein Grund indessen, alle Hoffnung fahren zu lassen.
Fünftes Kapitel

Gram-Traurigkeit (0,5)
Gram: nagender Kummer, tiefe Traurigkeit.
Martha beklagte sich in einem fort über ihr Eheleben. Er liebt mich nicht! Er behandelt mich schlecht! Und wenn ich daran denke, dass ich meine Karriere seinetwegen aufgegeben habe! Es war alles besser, als ich noch ledig war. Nur um etwas zu sagen (damals war ich noch ziemlich naiv), fragte ich, weshalb sie denn noch bei ihm bleibe, wenn sie so übel dran sei. Als ich sie ein Jahr später wieder sah, erklärte sie mir: Weisst du, ich werde deinen Rat befolgen: Ich lasse mich jetzt scheiden. Das war ein Schock für mich, denn ich hatte ihr ja gar nicht geraten, sich scheiden zu lassen. Doch ein bekümmerter Mensch schluckt oft wie unter Suggestion begierig alles in sich hinein, was man ihm sagt, und macht sich dadurch das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Ein Jahr darauf jammerte Martha immer noch. Geschieden war sie mittlerweile, doch ihr Sohn weigerte sich, bei ihr zu wohnen. Obendrein löste sie ein von vielen Schauspielerinnen begehrtes Engagement in einem erfolgreichen Stück, weil ihr das ja auch nichts half. Und nun, nachdem sie diese ganze Misere angerichtet hatte, quengelte sie: Ich hatte mal einen Mann, einen Sohn, Geld und Beruf. Und jetzt? Jetzt hab ich gar nichts mehr. Gram schreit nach Hilfe, fleht um Mitleid. Der von ihm Befallene ist ein potentieller Selbstmörder. Immerzu klagt er und zerfleischt schier vor Selbstmitleid. Er hat versagt. Man hat ihn betrogen. Er hat alles verloren. Er ist am Ende. Gram und Apathie sind Stimmungsbereiche, die viel Gemeinsames haben und oft nicht voneinander zu unterscheiden sind. Die Stufe 0,5 bedeutet Apathie, die vom Kummer ausgelöst worden ist. In diesem Zustand ringt der Mensch gewissermassen ohne Unterlass die Hände. Er fühlt, dass er bald nicht mehr wissen wird, was er überhaupt noch anfangen soll, doch einen letzten Protestschrei behält er sich immerhin noch vor. Wer einen geliebten Menschen durch Tod oder Trennung verloren hat, kann für eine Zeitlang auf die Kummer - Ebene sinken. (Dasselbe gilt für Personen, denen es versagt geblieben ist, ein gestecktes Ziel zu erreichen.) Leute, die jedoch beharrlich auf dieser Stufe verweilen, verkörpern das Negative. Was habe ich denn bloss falsch gemacht? Warum straft mich der Herrgott auf diese Weise?
Eine vom Gram überwältigte Frau ist ständig den Tränen nahe. Das sieht man auf den ersten Blick. Wenn Sie ihr nähere Fragen stellen, wird sie sogleich zu weinen beginnen. Freilich reagieren nicht alle Menschen auf dieser Stufe der Skala so. Einige verbleiben kurz unterhalb der Tränengrenze (womit sie der Apathie einen weiteren Schritt entgegenkommen). Bei Männern kann man diese Beobachtung häufig machen, denn viele sind der Meinung, dass grosse Jungen niemals weinen( dergleichen hat man ihnen im Elternhaus oder in der Schule eingebläut). Sie können ihren Gemütszustand freilich an ihren Mienen ablesen: hängende Mundwinkel, melancholisch blickende Augen. Schon der Ton ihrer Stimme verrät sie und das mehr oder weniger oft zu hörende Seufzen. Wenngleich sie also nicht immer unbedingt zu weinen brauchen, sind sie doch ständig weinerlich gestimmt.

Nur die Vergangenheit zählt
Wer sein Gemütsleben auf der Stufe 0,5 führt, wandelt über einen schmalen Grat: Er kann weder hinauf noch hinunter. Sein Stimmungsniveau bleibt sich stets gleich. Er vermag weder Hilfe zu spenden, noch welche anzunehmen. Ihm bleibt nur eines übrig: sich fest anzuklammern. Vor allem klammert er sich an die Vergangenheit. Er sammelt Souvenirs aus besseren Zeiten: ein Theaterprogramm, einen Handschuh, den sie trug, als er sie zum ersten Male küsste, gepresste Blumen, den alten Sessel von Tante Melitta und so weiter und so fort. Ausser Gegenständen sammelt der chronisch traurige Mensch auch Erinnerungen. Sehr häufig spricht er von vergangenen Tagen. Er hängt der guten alten Zeit nach. Ein Mann trauert um seinen Hund, der an Altersschwäche starb. Er hebt die Leine auf und wirft auch den Fressnapf nicht fort. Er hängt Fotos von seinem Tier an die Wände und gedenkt wehmütig der schönen Tage, die beide gemeinsam verbracht haben. Mein Hund war der beste Freund, den ich jemals hatte. Immer war er bei mir. Nie hat er mich verlassen Schliesslich glaubt der Mann, er habe alles verloren. Wenn Sie ihm nun den vernünftigen Rat geben, sich doch einen andern Hund anzuschaffen, dann wird er abwehren: Nein, nein. Kein Hund kann meinen alten Bello ersetzen. Ich möchte mich nicht an einen neuen gewöhnen. Ausserdem wird der ja auch eines Tages sterben.
Einsamkeit und Sehnsucht nach dem Vergangenen sind Anzeichen von Gram. Wer seine ehemalige Schule wieder sieht, seine Heimatstadt oder sein früheres Bürohaus, findet alles verändert. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Er wird traurig. Wehmut überkommt ihn. Immer dann, wenn ein Mensch schweren Herzens etwas aufgeben muss, zeigt sein Widerstreben, sich von dem Vergangenen zu trennen, eine mehr oder weniger tiefe Traurigkeit.

Aufrichtigkeit
Die Mitteilungen von chronisch traurigen Menschen sollte man mit einer gewissen Vorsicht aufnehmen. Wer um Mitleid bettelt, ist imstande, die tollsten Geschichten zu erzählen, um seine missliche Lage zu rechtfertigen. Einmal hörte ich zwei Jungen zu, die sich mit einem Mädchen unterhielten, das dauernd die traurige spielte. Sie beklagte sich über ihre Mutter und jammerte: Sie schlägt mich. Betroffen und mitleidig fingen die Jungen an, sie auszufragen: Im Ernst? Wie oft hat sie dich denn schon verhauen? Na, einmal bisher. Ach. Und wie oft hat sie dich denn dabei geschlagen? Einmal. Hat sie dich mit der Faust oder mit der flachen Hand gehauen! Na ja, mit der flachen Hand, aber es hat ganz schön wehgetan. Also hat sie dich bloss einmal geschlagen. Stimmt das? Ja, schon, aber es hat wirklich furchtbar wehgetan. Das ist der Grad der Ehrlichkeit bei 0,5. Aus einer Ohrfeige werden Schläge. Der chronisch bekümmerte Mensch sucht immerfort Gründe, um seine Stimmung verständlich zu machen. Eine Witwe beispielsweise piesackte ihren Mann mit ihrem Gekeife so lange, bis er starb. Kaum war er unter der Erde, als sie ihn auch schon als Muster eines Ehemannes zu glorifizieren begann. Dadurch erschien ihr Verlust grösser, und das wiederum half ihr zur Rechtfertigung ihrer trübsinnigen Gemütslage. Das Leben hat mich schwer mitgenommen Heiratet jemand von hohem Emotionsniveau einen ewig traurigen Partner, dann wird er seinen Schritt bald bereuen, denn wie soll er ihn jemals aus seiner Misere befreien? Eine Ehefrau auf Stufe 0,5 erwartet viel Zuneigung und die ständig wiederholte Beteuerung der Liebe. Wird sie indessen diesen Versicherungen Glauben schenken? Wenn sie nur die geringste Zurückweisung und Ablehnung fühlt (ob mit Recht oder nicht), wird ihre Lebensspirale sinken. Fortan muss man sie als Schmarotzerin bezeichnen, die im Zustand der Abhängigkeit vegetiert. Gibt der Mann schliesslich auf und packt sein Bündel, dann gilt er als herzloser Schuft. Was hat dieser Mann ihr nicht alles angetan! So oder ähnlich wird sie nun unermüdlich jammern, um das Mitleid anderer zu erregen.

Gemeinsam geht's besser
Zuweilen schliessen sich Menschen dieser Art zu Gruppen zusammen und fordern Mitleid und Hilfe. Sie selbst jedoch denken gar nicht daran, ihrerseits etwas zu tun. Nichts genügt ihnen: Kein Entgegenkommen stellt sie zufrieden. Unisono geht das Gejammere weiter. Solche Personen sind introvertiert. Ihr Benehmen ist unverantwortlich. Barmherzigkeit, Mitgefühl und Zuneigung saugen sie geradezu wie ein Schwamm in sich auf. Ihr Hunger nach Nächstenliebe ist unersättlich. Bessern aber werden sie sich nie. (Die wahre Nächstenliebe äussert sich darin, einen anderen Menschen auf eine höhere Empfindungsstufe zu heben - nicht aber, ihm den Kopf zu streicheln und ihn mit Dauerlutschern zu versehen.)

Besitztümer
Ich kannte einige traurige Vögel, die ihr Nest tadellos in Schuss hielten, weil sie dazu erzogen worden waren, auf eine saubere Umgebung zu achten. Wäre ein derartiger Mensch freilich nicht dazu erzogen worden, dann würde es nicht lange dauern, bis sich sein Hang zum Abgleiten lassen offenbarte. Bald wären ihm zerschlissene Kleider ein willkommener Vorwand, um Mitleid zu wecken. Er möchte es sich nicht erlauben, Besseres zu besitzen.
Manchmal sieht man ein Elendsviertel, das wiederaufgebaut wurde, in Kürze jedoch abermals verkam. Die Ursache: Abgestumpfte Menschen, denen alles gleichgültig ist, hatten darin Wohnung genommen. Das Äussere eines Menschen In diesen niedrigen Emotionsbereichen finden wir das Mädchen, das eigentlich recht hübsch sein könnte, wenn sie nur etwas aus sich machen wollte. Das aber will sie gerade nicht: Sie lehnt es ab, sich zu schminken. Sie hat Probleme mit ihrer Frisur. Sie kauft sich die unvorteilhaftesten Kleider. Wenn Sie einer Frau begegnen, deren Kleider schon vor zwanzig Jahren unmodern waren, können Sie getrost wetten, dass sie ein chronisch trauriger Mensch ist. Sicher sind es jene Kleider, die gerade schick waren, bevor ihr Mann starb. Auch so kann man dem Verlorenen nachhängen. Einmal kannte ich zwei Schwestern, die sich in Grösse, Haarfarbe und Aussehen ziemlich glichen. Sie ähnelten sich so sehr, dass sie Zwillinge hätten sein können. Dennoch waren sie leicht zu unterscheiden: Die eine stand auf hohem Emotionsniveau und wirkte demnach elegant und gepflegt, während ihre Schwester sich sehr schlicht kleidete, an eine Maus erinnerte und viel älter erschien, als sie war. Als ich eine Bemerkung über die grosse Ähnlichkeit machte, antwortete mir die Ungepflegte: Das mag schon sein, aber bloss Maria hat die Schönheit geerbt. Diese Worte verrieten so gut wie alles über das Gefühlsleben des Mädchens. Sie hätte genauso grossartig aussehen können wie ihre Schwester. Sie hatte sich jedoch entschlossen, unattraktiv zu sein: Sie heischte um Mitleid, denn das Leben hatte ihr übel mitgespielt. Der chronisch traurige Mensch bevorzugt Anteilnahme in Form von Mitleid statt Bewunderung.

Freundschaft
Derartige Typen kennen wir wohl alle: Der so genannte Freund wirkt als Hemmschuh. Er hängt sich an Sie wie eine Klette. Er wünscht Ihren Rat, Ihre Leitung, Ihre Fürsorge. Da er abhängig ist wie ein Kind, lehnt er sich buchstäblich an Sie. Wenngleich er Demut vorschützt, ist er überzeugt davon, dass er ein ganz besonderer Mensch sei. Demnach ist es die Aufgabe der andern, sich seiner anzunehmen. Er verliert seine Arbeit, weil er sie nie richtig gemacht hat. Von Ihnen jedoch erwartet er, dass Sie ihn durchfüttern. Man kündigt ihm die Wohnung, weil er die Miete nicht bezahlt hat. Er hingegen erzählt in herzzerreissendem Ton, die Vermieterin sei grausam. Folglich liegt es nun natürlich bei Ihnen, diesen armen Tropf unterzubringen. Seine Freunde wollen nichts mehr von ihm wissen. Selbstverständlich ist es nun Ihre Pflicht, ihn in seiner Verlassenheit zu trösten. Er stiehlt Ihnen die Zeit, Güte, Kraft, Geld. Sie lassen mich ja nicht!
Der immerzu in seinem Gram befangene Mensch erweckt den Anschein, als gebe er sich selber stets die Schuld an allen Widrigkeiten seines Daseins. Wäre er jedoch imstande, wirklich die Verantwortung für sein destruktives Treiben zu tragen, dann könnte er auch auf der Skala steigen. ächte er es über sich, offen einzugestehen, dass er im Büro Geld unterschlagen hat und seine Entlassung demnach kein Wunder sei, dann ginge es ihm vermutlich besser. Doch eben dies will ihm nicht über die Lippen. Stattdessen meint er verdriesslich: Ich habe wirklich mein Bestes versucht. Aber sie lassen mich ja nie richtig zum Zuge! kommen! Ich weiss nicht, wieso ich versagt habe. Ich weiss es wirklich nicht. Ich weiss nur, dass sie mich gefeuert haben. Anscheinend mach ich nie was richtig. Und damit klebt er noch fester an seinem Gram.

Falsche Ratschläge
Der Mensch auf Stufe 0,5 geht sozusagen mit der Scham und der Angst hausieren. Er erregt sich über die Verhältnisse. Seine Unterhaltung dreht sich bis zum Steinerweichen um Krankheiten, Tod und Tragödien. Er selbst allerdings unternimmt gar nichts. Er bedient sich seiner Ängste, um Arglosen Fallen zu stellen. Ach, was soll ich bloss machen? jammert er. Schlagen Sie ihm jedoch eine Lösung vor oder wollen Sie ihm eine Arbeit verschaffen, dann vergiesst er heisse Tränen und beteuert Ihnen, dass sei ganz und gar unmöglich. Ich bekam einst einen Brief von einer Lehrerin in New York. Sie berichtete mir, dass sie an einer Privatschule für schwer erziehbare Kinder tätig sei. In bitteren Worten beklagte sie sich über die Rebellion ihrer Schüler, über ihre trotzigen Widerwillen, über das endlose Debattieren und über die leeren Gehirne ihrer Prüflinge. Dann schilderte sie die vergammelte Einrichtung der Schule: Die Fensterscheiben seien eingeschlagen, die Pulte demoliert, die Abwasserrohre verstopft, und all diese Schäden würden nie behoben. Die Unterrichtsstunden seien auf knappe dreissig Minuten beschränkt, in denen sie nichts Vernünftiges anfangen könne. Die Hälfte aller vorgeschriebenen Lehrbücher sei überhaupt nicht vorhanden. Ich bin entsetzlich nervös und entmutigt.
Was soll ich nur tun?
Hier unternahm offenbar irgendein Anonymus alles nur Denkbare, um den Unterricht zu stören. Nur eine resolute Person mit hohem Emotionsniveau würde in der Lage sein, dieses heillose Durcheinander zu beseitigen. Die Briefschreiberin schaffte es offensichtlich jedoch bloss bis zur Stufe des Mitleids (weswegen sie wohl auch diesen Posten übernommen hatte). Höher kam sie gewiss nicht - und das war in diesem Fall zu wenig. Ich antwortete ihr: Wechseln Sie die Stellung. Um eine solche Situation zu meistern, müssten Sie besser ausgebildet sein. Suchen Sie sich einen Posten, auf dem Sie wirklich etwas ausrichten können. Ich wusste, dass sie meinen Rat angenommen hätte, wenn, sie flexibler gewesen wäre. Dies aber war sie nicht, und deshalb befolgte sie meine Empfehlung auch nicht. Ihre Antwort war typisch für jemanden, der sich in der Wirrnis von Gram und Mitleid verfangen hat. Diese Antwort lautete nämlich so: Ich kann meine Stellung nicht aufgeben, denn es ist schwierig, woanders etwas zu finden. Dann fügte sie hinzu, dass sie auf den Verdienst angewiesen sei. Und schliesslich meinte sie: Ich möchte diesen Kindern doch wirklich helfen. Wie jeder Mensch auf der Stufe des Grams vermochte sie sich nicht von ihrem Problem zu lösen. Sie genoss gerade zu die Kläglichkeit ihrer Lage. Sie hätte eine gewaltige Anstrengung auf sich nehmen müssen, um etwas zu erreichen. Mein Ratschlag war natürlich zu einfach gewesen: Keine Person auf niedriger Gefühlsebene akzeptiert eine einfache Lösung. Und ein traurig veranlagter Mensch akzeptiert überhaupt keine Lösung.
Zusammenfassung
Traurigkeit und Gram kann man - wenn überhaupt - nur dadurch beheben, indem man das Emotionsniveau zu steigern trachtet. Machen Sie sich weiter keine Sorgen über die Ursachen, die der Betroffene nennt, um seine Misere zu erklären. Was er erzählt, wird wahrscheinlich nicht stimmen: Menschen in derartigen Situationen neigen zum Erfinden interessanter Geschichten. Jede Person auf niedriger Stimmungsstufe versucht, die Probleme des Lebens durch Gefühle zu lösen. Der Mensch auf 0,5 tut es, wobei er durch die Welt trippelt und sich an seinen Gram klammert wie an eine Geliebte, die er zu verlieren fürchtet. Er sammelt Ungerechtigkeiten wie ein anderer Briefmarken oder Bierdeckel.
Sechstes Kapitel

Sich um Gunst bemühen (0,8)
Gunst: Wohlwollen, freundliche, gnädige Gesinnung, Gönnerschaft; Zeichen des Wohlwollens,
Gunstbezeigung, Gnade, Bevorzugung; Vorteil, Erlaubnis, Genehmigung.
Sich um Gunst bemühen: bewerben.
Vor einigen Jahren lud mich eine ältere Freundin nach meiner Arbeit häufig zum Abendessen ein. Sie war zuvorkommend, grosszügig und obendrein eine hervorragende Köchin. Ich wunderte mich, weshalb ich mich nach diesen Besuchen immer so deprimiert fühlte. Als ich wieder einmal zum Essen kam, bot ich ihr an, in der Küche zu helfen. Oh, das würde ich nie zulassen, wehrte sie ab, Du siehst müde aus. Warum legst du dich nicht auf die Couch und ruhst dich ein wenig aus? Im Allgemeinen widerstand ich ihrer besorgten Aufmerksamkeit. An diesem Abend jedoch beschloss ich, ihren Vorschlag anzunehmen und legte mich also brav auf die Couch. Bald erschien sie mit einer Decke. Kurz darauf brachte sie mir ein Kopfkissen. Sie flatterte nur so um mich herum, erkundigte sich besorgt nach meinem Befinden, und schliesslich wollte sie mir gar das Essen auf einem Tablett servieren, damit ich nur ja nicht aufzustehen brauchte. Jetzt begriff ich plötzlich: Wenn ich noch länger bei dieser Frau bliebe, würde ich mich tatsächlich krank fühlen. Und dabei war ich bei meinem Eintritt ins Haus ein recht glücklicher und gesunder Mensch von dreiundzwanzig Jahren gewesen.
Nun, durch Freundlichkeiten bringt man zwar niemanden um, ein sich immerzu um Gunst bemühender Mensch scheint Ähnliches jedoch im Sinn zu haben. Und dabei tut er noch so, als handle er selbstlos, indem er uns einfach alles anbietet: sich selbst, seine Dienstfertigkeit, seine Talente, seine Zeit, seine eigene Habe.
Was ist daran so schlimm?
Ist dies nicht jener Typ Mensch, den wir immer gesucht haben?
Sind diese grosszügigen Leute nicht letzten Endes die besten Kameraden?
Die verborgene Absicht Personen dieser Art wirken auf den ersten Blick bewundernswert. Am oberen Ende der Skala finden wir oft Menschen, die mehr geben als nehmen: Sie brauchen weniger. Hilfe und Grosszügigkeit auf hohem Emotionsniveau entspringen dem echten Wunsch, die Verhältnisse zu bessern. Es gibt hier jedoch einen Unterschied, und der liegt in der Absicht. Das zwanghafte sich um Gunst Bemühen der Stufe 0,8 wird von der Absicht motiviert, den andern zu dämpfen. Wir kennen die liebenswürdige Nachbarin, die selbstgemachte Marmelade oder Kuchen bringt, ohne je ein Gegengeschenk anzunehmen. Wir kennen die allzu nachsichtigen Eltern, die zu viel für ihr Kind tun und dadurch mit Sicherheit ein Muttersöhnchen grossziehen. Wir kennen den spendablen Gastgeber, der uns nötigt, doch noch einmal richtig zuzulangen. Und wir kennen die sich selbst aufopfernden Wohltäter. Allesamt befinden sie sich auf niedrigem Emotionsniveau. Das sich um Gunst Bemühen ist eigentlich ein Teil des Furcht-Bereichs (der auf der Skala zwischen 0,8 und 1,2 verläuft). Der Mensch auf diesem Niveau ist sich seiner Furcht allerdings nicht bewusst. Er kann seine Erinnerungen an traurige Erlebnisse nicht vergessen und strebt durch sein ganzes Verhalten danach, die Gunst anderer zu erkaufen, um nicht immer wieder von neuem Gramvolles durchmachen zu müssen. Instinktiv scheut er vor jedem Einfluss zurück. Ich hatte einmal eine Nachbarin, die zwar häufig meine Kinder beaufsichtigte, es jedoch stets ablehnte, eine Dienstleistung von mir oder gar Geld anzunehmen. Eines Tages klagte sie über die hohen Preise des Friseurs. Sofort erbot ich mich, ihren drei Jungen die Haare zu schneiden. Hier war nun endlich einmal eine Gelegenheit, mich zu revanchieren. Ich freute mich, dass sie meine Offerte nicht wiederum abschlug. Einige Tage danach überreichte sie mir freilich ein Geschenk, das mindestens das Doppelte gekostet hatte als dreimal Haarschnitt beim Friseur. Ich beschloss, mit der Friseurspielerei aufzuhören, damit sie nicht pleite ging.

Dämpfen oder Stoppen
Wenn man jemandem Sachen gibt, die er zwar nicht verdient hat, sich jedoch wünscht, vermag man ihn zu dämpfen oder zu stoppen. Das heisst: Je mehr man ihm schenkt, umso unglücklicher wird er. Wieso das? Weil er seine eigenen Fähigkeiten verkümmern lässt, dank derer er sich diese Sachen selber verdienen könnte. Hat man ihm genug gegeben, läuft er entweder davon (falls er noch genug Eigeninitiative aufbringen kann), oder er versinkt in Apathie, weil er sich seiner Gabe, selber zu schaffen, nicht mehr sicher ist.
Die Ehefrau auf der Ebene 0,8 wird sich bemühen, ihren Mann zu stoppen: Er soll sie nicht verlassen, er soll sie nicht bekritteln, er soll sie immer lieben. Diesen Wunsch drückt sie dadurch aus, dass sie seine Schuhe auf Hochglanz bringt, sein Leib- und Magengericht auf den Tisch l stellt und ihm untertänig dient. Dies führt dazu, dass er selbst in seinen mürrischsten Stunden zugeben muss, er habe halt doch eine Perle geheiratet. Der sich um Gunst bemühende Ehemann geht auf ähnliche Weise vor: Just in dem Augenblick, da sie sich zu dem Entschluss durchgerungen hat, ihn zu verlassen, beglückt er sie mit einem Nerz.

Das Verhalten der Eltern
Allzu wohlwollende Eltern ziehen unbewusst ein schwächliches Kind heran. Der Junior will von zu Hause weglaufen. Vielleicht phantasiert er gar von einer Weltreise. Der Herr Papa erklärt: Eigentlich habe ich mit dem Gedanken gespielt, dir ein Auto zu schenken.
Welche Marke möchtest du denn gern? Wenn der Sohn schwach genug ist, des Chromglanzes wegen seine Absicht aufzugeben, geht in die Falle. Später wird der Vater fragen: Willst du eigentlich nicht in mein Geschäft einsteigen? Denk mal darüber nach. Es gibt! Schlechteres auf dieser Welt. Wenn du mein Werk fortführst, wird es dir nie an etwas fehlen. Gibt der Sohn nach, weil ihm ja etwas sozusagen auf dem Servierteller präsentiert wird, um das er sich gar nicht erst zu bemühen braucht, dann wird er in seinem Ehrgeiz gestoppt. Und bald landet er apathisch am Fuss der Skala. Ich habe miterlebt, wie dergleichen einem jungen lebenslustigen Mädchen widerfuhr. Die Eltern schenkten ihr nach dem Abgang von der Schule einen kleinen Laden, der florierte. Dieses Geschenk gaben sie jedoch nicht aus der Hand: Immerzu umschwirrten sie das liebe Töchterlein, denn sie wollten ja helfen. Immerzu erinnerten sie das Mädchen an die Hausarbeiten, die zu kurz kamen. Wenn diese freundlichen Ermahnungen ihr zuviel wurden, antwortete sie eigensinnig: Ich habe euch ja schliesslich nicht um das Geschäft gebeten. Jetzt hat das Mädchen alle Lebenslust eingebüsst. Die meiste Zeit schleicht sie apathisch durchs Haus und hat beinahe schon vergessen, was sie mit ihrem Leben ursprünglich hatte anfangen wollen. Wenn ein Vater Überstunden macht, weil ihm dies Spass bereitet, dann sollte man dagegen nichts einzuwenden haben. Wenn er jedoch wie ein Galeerensklave schuftet, damit es seinen Kindern ja niemals an etwas fehle, dann muss von unangebrachtem Eifer gesprochen werden. Das Kind allzu nachsichtiger Eltern wird träge. Es faulenzt und meint, die Welt sei ihm alle Genüsse schuldig. Seine Versuche, selbst etwas beizutragen, werden abgewürgt. Weshalb denn arbeiten? Der Sprössling bastelt sich eine bequeme Lebensanschauung zurecht: Lass den Alten sich um Gunst bemühen doch abrackern. Wenn er mir partout Geld geben will, kann's mir nur recht sein. Anscheinend fühlt er sich dabei recht wohl in seiner Haut. Steht dieser Sprössling jedoch auf einem höheren Emotionsniveau, dann wird er eines Tages die Klinke putzen und weitere Hilfe ablehnen. Wenn das geschieht, versinken die Eltern freilich in tiefem Gram. Wie kann man bloss so undankbar sein! Wir haben doch wirklich alles für ihn getan!
Eltern auf höherer Stimmungsebene indessen lassen ihre Kinder arbeiten und lernen, damit sie für ihre eigenen Bedürfnisse sorgen können. Nur so fühlt sich ein junger Mensch wohl: Er spürt, dass er etwas wert ist.

Der Weg zum Glück
Die Stufe 0,8 ist durchaus in Ordnung, falls man sie als vorübergehendes Stadium ansieht. Wer über etwas Verlorenes klagt, sich nach einiger Zeit aber wieder fängt und von neuem Interesse für seine Mitmenschen aufbringt, ist auf dem Weg nach oben. Und wenn er Ihnen auch nur eine Tasse Kaffee anbietet oder sich nach Ihrem Befinden erkundigt - auf alle Fälle zeigt dies, dass er gesonnen ist, weiterzumachen.
Ich las einmal einen Artikel, in dem das Geheimnis des Glücklichseins verheissen wurde. Der Autor schrieb über Witwen, die sich grämten, dann aber doch ihr Glück fanden, weil sie sich für Leute interessierten, die noch schlimmer dran waren. Sie machten sich in Krankenhäusern nützlich, unterrichteten zurückgebliebene Kinder oder wirkten in Wohltätigkeitsvereinen. Fazit des Berichts: Der Leser sollte sich mehr für andere als für sich selber interessieren. Zweifellos ein guter Ratschlag für vergrämte Leute. Wer allerdings im Zustand des sich um Gunst Bemühens stehen bleibt und nicht weiter auf der Skala hoch klettert, wird nie das versprochene Glück finden.

Geben und Nehmen
Ein Mensch auf hoher Empfindungsstufe wird vor allem deshalb gedämpft und gedrückt, weil die Strömung der Gunstbemühung nur in einer Richtung fliesst. Am gesündesten und glücklichsten fühlen wir uns, wenn wir die ausgewogene Balance zwischen Geben und Nehmen erreichen.
Oft besuchte ich eine Freundin, die mich immer füttern wollte. Wenn ich bereits gegessen hatte, lehnte ich ab. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, dennoch zu kochen. Und wenn ich nichts ass, war sie sehr betrübt. Auch das ist eine Art, den Menschen zu stoppen: Man mästet ihn so, dass er sich kaum noch rühren kann.

Im Geschäftsleben
Wer seine Mitmenschen immer besänftigen will, scheint ein idealer Angestellter zu sein. Er arbeitet offenbar aus reiner Freude und gibt sein Bestes. Aber dem ist nicht so. Obwohl er ein ausgeprägtes Pflichtgefühl zur Schau trägt, ist er für seine Arbeit in den meisten Fällen untauglich.
Er macht Fehler, ist Krisen nicht gewachsen und kann - unter Umständen - den ganzen Laden an den Rand des Ruins bringen. Die meisten Menschen auf niedrigem Emotionsniveau neigen zur Verschwendung. Die sich um Gunst Bemühenden aber müssen geradezu so sein, denn dieses Verhalten ist sozusagen ihr Leitmotiv. Ein derartiger Mensch wird Werbematerial entwerfen, das keinen Groschen wert ist, und es tonnenweise unter die Leute bringen. Er wird teure Annoncen aufgeben und dabei den Namen oder die Adresse der Firma vergessen. (Ich kenne eine Frau aus Detroit, die in einem einzigen Jahr mit drei Läden baden ging, was sie nicht davon abhielt, kürzlich einen vierten zu eröffnen. Sie liess riesige Anzeigen in den Zeitungen placieren, die ihre Waren in den höchsten Tönen anpriesen. Die genauen Geschäftszeiten waren vermerkt. Allerdings kam sie nicht auf den Gedanken, ihren Namen und die Adresse des Ladens anzugeben.) Eine Person, die sich um Gunst bemüht, verteilt Gratisgaben, ehe der Verkauf getätigt ist. Just dann, wenn Sie es sich nicht leisten können. verschenkt sie ihre Dienstleistungen als Service. Sie verschickt Angebote, die aber erst zwei Tage nach Verkaufsschluss bei dem eventuellen Kunden eintreffen. Sie unterbreitet hervorragend ausgearbeitete Vorschläge, um Profite einzustreichen. Diese Empfehlungen kosten Sie jedoch ein Vermögen (wenn es ganz schlimm wird). Ein solcher Mensch muss eben alles von sich wegströmen lassen. Er verschenkt Ihr Geld so, wie er sich selber verschenkt.

Gunstbemühung
Viele Menschen sind in diesem Gefühlsbereich angesiedelt, vor allem Mitglieder von Wohltätigkeitsvereinen und staatlichen Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, sich um Gestrauchelte zu kümmern. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn sie dem Unglücklichen wirklich helfen, wieder auf die Beine zu kommen und sein Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Wohltätigkeitsvereine jedoch, die nur geben, ohne an Rehabilitation zu denken, tragen lediglich dazu bei, dass die Verlierer auch weiterhin Verlierer bleiben. Also gibt es zwei Parteien: jene, die geben müssen, und jene, die auf Gram und Apathie gewissermassen eingeschworen sind: die immerfort jammern, sie fänden keine Arbeit, sie bekämen nie eine Chance und sie kennten keinen Menschen, der sich ihrer annähme. Es scheint, als könnten sich diese beiden Parteien recht gut gegenseitig zufrieden stellen. Bis zu einem bestimmten Grund tun sie das auch tatsächlich, aber sie verschwenden dabei zuviel Zeit: Sie beschämen nämlich Leute mit höherem Emotionsniveau, die vielfach der Meinung sind, es bleibe ihnen gar nichts anderes übrig, als solchen weniger gesegneten Zeitgenossen unter die Arme zu greifen. überdies tragen die weiter auf der Skala Gestiegenen das Ihre dazu bei, Steuergelder und mildtätige Gaben in Hilfsaktionen, für Menschen zu verpulvern, die sie von Rechts wegen nicht verdienen. Je mehr wir Programme nach dem Giesskannenprinzip unterstützen, umso mehr schwindet das Selbstvertrauen des Einzelnen, und mit der Gesellschaft geht es bergab. Das heisst natürlich nicht, dass wir dem Gestrauchelten noch zusätzlich einen Tritt versetzen sollen. Andererseits jedoch dürfen wir ihn auch nicht in eine warme Decke hüllen, damit ihm ja kein Wehwehchen widerfährt. Wir müssen ihn vielmehr auf seine eigenen Füsse stellen.
Barmherzigkeit, die für körperliche Bedürfnisse sorgt, es indessen unterlässt, Unabhängigkeit und Selbstachtung des Einzelnen wieder herzustellen, ist die grausamste Form menschlicher Anteilnahme überhaupt. Sie hält den Betroffenen am Boden der Skala fest, wo er weiter nach Almosen begehrt. Deshalb ist den meisten Wohlfahrtsaktionen gegen Armut und Arbeitslosigkeit auch kein Erfolg beschieden. In Wirklichkeit fördern sie ungewollt diese beklagenswerten Verhältnisse. Eine Gesellschaft, die lediglich an leiblichen Hunger denkt, muss allmählich verfallen. Der Mensch bedarf auch der Würde: Er muss das Gefühl haben, jemand zu sein.

Das Beschwichtigen
0,8 - eigentlich eine Stufe der Beschwichtigung, ein Emotionsniveau, das zum Stoppen benutzt wird - ist die am häufigsten anzutreffende Ebene, um Zorn und Trauer zu mindern (sogar von Menschen auf höherem Niveau). Wenn ich nett zu ihm bin, schlägt er mich vielleicht nicht. Oder: Na, komm schon. Hör doch auf zu weinen. Ich geb dir auch was zum Naschen. In diesen Bereich gehört der Verkäufer, der den lauten und aufgebrachten Kunden als ersten bedient. Das Verhalten von Universitätsprofessoren, die sich den Forderungen einer aufsässigen Studenten-Minderheit unterwerfen, um ihre Ruhe zu haben, ist hier einzuordnen. Aber auch der Manager, der gewalttätigen Drohungen von Gewerkschaften nachgibt, zählt zu dieser Kategorie. Nicht anders ist es um eine Regierung bestellt, welche vor jenen kapituliert, die am schrillsten jammern, auf der andern Seite aber ruhige und anständige Bürger schröpft. Wer in einem fort Leute beschwichtigt, die lautstark auf ihre eigenen Nöte hinweisen, fixiert beide Parteien auf ein niedriges Emotionsniveau.
Zusammenfassung
In banger Sorge ist ein Mensch der Klasse 0,8 mit Worten der Entschuldigung und mit Geschenken rasch bei der Hand. Es sieht beinahe so aus, als bäte er die andern um die Erlaubnis, überhaupt weiterleben zu dürfen. Sein Grundmotiv bei allem ist jedoch sein Bestreben, die Mitmenschen zu stoppen. Lassen Sie sich nicht durch seine scheinbare Güte täuschen. Er tut andern Leuten lediglich dann einen Gefallen, wenn er von seiner eigenen Haut Gefährdungen abwehren will. Er hastet durchs Leben und gibt sich dem sanftmütigen Glauben hin, ihm werde schon nichts passieren, wenn er einmal andern etwas Gutes tue. Er wird Sie in Ihrem Eifer, ein höheres Emotionsniveau zu erreichen, allemal behindern. Er möchte ja nichts anderes, als Sie bei sich ganz unten auf der Skala zu sehen, wo Sie ihm nichts mehr anhaben können. Und eben dies ist das übel bei den ewig nach Gunst strebenden Menschen: Immerzu suchen sie Leute, die noch unter ihnen selber stehen und die sie umsorgen können. Gehen wir ihnen nicht in die Falle.
Siebtes Kapitel

Mitleid (0,9)
Mitleid: Teilnahme an fremdem Leid; Mitgefühl.
Michael war ein fröhlicher Mensch, der Tag für Tag zu seiner Arbeitsstätte trottete und abends Kurzgeschichten schrieb, die er bekannten Zeitschriften schickte. Ganze zwei wurden ihm abgenommen. Alle andern kamen postwendend zurück. Dennoch liess er sich nicht entmutigen und schrieb beharrlich weiter. Er gelobte sich, eines Tages seinen langweiligen Job aufzugeben und nur noch der Literatur zu leben. Dann heiratete er ein nettes, gutes und verständnisvolles Mädchen. Er wusste, sie würde ihm immer zur Seite stehen, was auch kommen mochte. Und dies tat sie wirklich. Sooft er eine Absage erhielt, tröstete sie ihn: Armer Schatz! Sie wissen halt dein Talent nicht zu würdigen. Eines Tages kam er heim und sah, dass man vier seiner besten Geschichten zurückgewiesen hatte. Völlig niedergeschlagen warf er sich auf einen Stuhl und seufzte: Ich glaube, dass ich einfach nicht das Zeug dazu habe. Seine zärtliche Frau setzte sich zu ihm. Weisst du, mir scheint, du hast dich überarbeitet. Du brauchst eine Entspannung. Warum nimmst du nicht Urlaub? Also nahm er Urlaub - vom Schreiben. Michael verbringt nun seine Abende missmutig vor dem Fernsehapparat und trinkt Bier. Die liebevolle Frau begreift, warum er seinen Ehrgeiz an den Nagel gehängt hat. Du hast dir soviel Mühe gemacht, und du bist ganz bestimmt ein guter Schriftsteller. Ich bin sicher, dass die Leute, die heutzutage veröffentlichen, die Verleger persönlich kennen.
Sie hat echtes Mitgefühl. Sie ist in der Tat ein Schatz. Und sie übt einen verheerenden Einfluss aus. Es ist nicht einfach, die Worte Mitgefühl und Übereinstimmung klar zu definieren. Oft, wenn wir uns höchst harmonisch mit jemandem unterhalten haben, sagen wir: Ich verstehe mich ausgezeichnet mit ihm. Oder: Er sympathisiert mit unserer Sache. Doch sehr leicht kann sich der Gesprächspartner bloss deshalb so aufgeschlossen zeigen, weil er sich davon einen Vorteil für sich selbst verspricht. Und wer von uns wäre schon so stoisch veranlagt, dass es ihn nicht freuen würde, ein Wort des Mitgefühls zu hören, wenn ihm etwas abhanden gekommen ist, das er geschätzt hat?
Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Übereinstimmung sind ungemein liebenswerte Empfindungen, die unser Herz erwärmen. Doch Mitleid ist etwas anderes. Der Mensch auf Stufe 0,9 ist ein Fälscher. Er ist nicht auf spontane Weise freundlich: Er empfindet unentwegt Mitleid. Er kann überhaupt nur bedauern.

Übereinstimmung?
Das besondere Merkmal dieser Emotion ist der besessene Wunsch zur Zustimmung und Übereinstimmung um jeden Preis. Wir haben es hier mit dem Furcht-Bereich der Skala zu tun, und der Mensch auf Stufe 0,9 wird von der Furcht beherrscht. Auf dieser Ebene bedeutet Mitleid nicht etwa Mut sondern eher Feigheit, die der Angst entstammt. Man will dem andern nicht wehtun. Personen, die sich auf dieser Stufe bewegen, leiden unter dem zwanghaften Wunsch, verständnisvoll und einsichtig gegenüber allen Leuten zu sein, deren Gefühlslage wir dem unteren Skalenbereich zurechnen. Solche Personen drängt es, auch Verständnis für brutalste Mörder aufzubringen.
Mitgefühl bedeutet, gemeinsam mit einem andern Menschen empfinden zu können. Wer demnach imstande ist, sich in die Mentalität eines Menschen mit hohem Emotionsniveau einzufühlen, ist gut dran: Das gemeinsame Empfinden hebt auch ihn.
Doch jemand auf Mitleid (0,9) kann die Leute auf hoher Stimmungsebene nur gerade eben noch tolerieren. Am wohlsten ist ihm zumute, wenn er bekümmerte und apathische Mitmenschen bedauern kann. Natürlich bewirkt diese wechselseitige Art des gemeinsamen Fühlens, dass er wie ein Betrunkener durch die niedrigen Emotionsbereiche taumelt - hin und hergerissen zwischen selbstgefälliger Zärtlichkeit und plötzlichen Tränenausbrüchen.
Er wirkt harmlos. Und genau dies will er. Verzweifelt möchte er verhindern, dass man ihn irgendwie beschuldigt. Siehst du, wie gut ich dich verstehe? Siehst du, dass ich niemanden verletzen kann? Seine Sucht nach Lob und seine Furcht vor Schelte machen ihn notgedrungen verständnisvoll. Wir unterhielten uns auf einer netten und ruhigen Gesellschaft über die Zukunft der Religionen, als unser Bekannter Carl verächtlich das Gespräch unterbrach: Ihr habt doch sicher Schermerhorns Theorie über Strafen und Missstände gelesen? Keiner war im Bilde, aber Carl redete auch schon verworren weiter. Als er einmal Atem schöpfen musste, nahmen wir unsere Unterhaltung wieder auf. Einer sagte: Ich finde, die meisten Menschen müssen an etwas glauben, ob man es nun Religion nennt oder nicht. Wenn also... Spöttisch fiel Carl dem Sprecher ins Wort: Das ist doch kindisch! Meiner Meinung nach gibt es nur einen vernünftigen Standpunkt. Vosgartens Abhandlung über die grosse Besessenheit sagt alles... Nachdem er zwei Stunden lang Carls unverschämte Arroganz und seine unverständlichen Reden ertragen hatte, fuhr ihm ein anderer Gast scharf in die Parade: Menschenskind, warum sagen Sie nicht endlich, was Sie eigentlich wollen? Wir verstehen Sie nicht. Wissen Sie denn überhaupt, was Sie da von sich geben? Es ist genau so, wie Wumvoogen sagt ... Fangen Sie nur nicht von neuem an! Ich versuche gerade, Ihnen klarzumachen, dass wir Sie nicht verstehen können. Ihr Geschwätz ist sinnlos. Sie haben zwar die Unterhaltung an sich gerissen, aber nicht das Geringste gesagt. Ausserdem hören Sie ja gar nicht zu, wenn die andern Ihnen etwas sagen.
Was ist denn mit Ihnen los?
Zu unserer grössten Verwunderung fielen Carls Rechtfertigungsversuche wie ein Kartenhaus zusammen, und in seine Augen traten Tränen. Obwohl nun jeder ein wenig Mitleid für ihn empfand und sich bemühte, das Gespräch wieder in allgemeine Bahnen zu lenken, fand sich nur ein zwanghaft mitleidiger Mensch. Eine hübsche junge Frau namens Judith, die sich bis jetzt sehr still verhalten hatte, beugte sich zu ihm. Carl, sagte sie, ich sehe in Ihnen grosse Qualitäten. Meinen Sie das etwa im Ernst? Ja, natürlich. Ach, viele Leute behaupten das, aber letzten Endes ist es doch bloss Gerede. Es bedarf mehr als nur schöner Worte, um mich zu überzeugen. Ich möchte aber wirklich, dass Sie mir glauben. Ich meine es nämlich ehrlich. Hier erlebte ich den Beginn einer Verbindung, die zweifellos komplizierte Folgen haben würde. Judith hatte in Carls grober Anmassung nichts Grosses sehen können. Erst seine hilflose Traurigkeit hatte sie aufgerüttelt. Reizvoll würde dieses Verhältnis gewiss sein. Allerdings würden diese Reize sehr zu Lasten von Judiths (und auch Carls) Seelenleben gehen.

Eine unglückliche Geschichte
Mitleid wirkt destruktiv, weil es dem Menschen auf niedrigem Emotionsniveau suggeriert: Die Hilflosigkeit, die du dir selber gegenüber fühlst, ist so gerechtfertigt, dass auch ich sie empfinde.
Eine derartige Hilfe braucht niemand, denn sie hilft ihm nicht weiter. Sie verstärkt vielmehr die Probleme, nicht aber die Fähigkeit zu deren Lösung. Sie entzieht ihm die Verantwortung. Ach, du Armer. Die Welt behandelt dich so schlecht. Der Mensch in höherem Empfindungsbereich sagt: Na gut. Das ist eine unglückliche Geschichte. Aber sehen wir doch mal nach, was eigentlich bei der ganzen Sache falsch gelaufen ist. Dann können Sie es ja noch einmal versuchen. Doch der chronisch mitleidige Mensch liebt die Gesellschaft. Deshalb gestattet er keinem, sich von einem Fehlschlag zu erholen und nochmals neu zu beginnen. Täte er dies, dann hätte er ja niemanden mehr, dem er sein Mitleid angedeihen lassen könnte. Wer auf hoher Stimmungsebene lebt, wirft dem Ertrinkenden ein Rettungsseil zu. Der stets Mitleidige jedoch springt ins Wasser und ertrinkt gleichfalls.

Die Lebensuntüchtigen
Es kommt vor, dass uns mitleidige Leute lieber sind als die aggressiven zwischen 1,1 und 2,0 auf der Skala. Sie machen uns weniger Schwierigkeiten. Sie verlangen nicht, dass wir uns ändern. Sie sind nicht übertrieben kritisch. Wenn wir meinen, den Kopf betten zu müssen, um uns einmal richtig auszuweinen, ist der mitleidige Freund schon da. Es ist ja so bequem, jemanden zu haben, der uns kritiklos akzeptiert, wenn es uns schlecht geht. Doch ein derartiger Mensch ist mehr oder weniger lebensuntüchtig. Er unternimmt nichts, um die Zustände zu verbessern. Eine Person mit hohem Emotionsniveau sagt: Sie sind angeschlagen, aber wir werden das schon wieder hinkriegen. Der Mann auf Stufe 0,9 hingegen nähert sich auf derselben Wellenlänge und meint: Ach, du bist ja ganz erschöpft. Wir müssen uns um dich kümmern. Wohlweislich sagt er nicht in Ordnung bringen, sondern kümmern. Dadurch drückt er eine deprimierende Unbestimmtheit aus. Mitleidige und sich um die Gunst anderer Bemühende findet man vor allem unter kranken Menschen. Und wenn die Leute noch nicht krank sind, dann hilft ein solcher Mensch ihnen, es zu werden. Wird der Empfänger all dieser Freundlichkeiten davon überzeugt, dass er diese Fürsorge braucht, dann bleibt er unten auf der Skala.
Der 0,9er ist zu ängstlich, andern weh zu tun, so dass er nichts Wirkungsvolles zustande bringt. Er stimmt nur immer sogleich zu, wenn jemand behauptet, alles sei doch schrecklich. Leute auf hohen Stimmungsebenen scheuen sich nicht, einem andern Menschen einer guten Sache zu liebe einmal Schmerz zu bereiten. Sie vermögen die notwendigen Schritte zu unternehmen. Der Mitleidige dagegen setzt sich zum Alkoholiker und betrinkt sich mit ihm, anstatt ihm zu helfen. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, um herauszufinden, ob ein Mensch aus Mitleid (0,9) handelt oder sich Wohlwollen erkaufen möchte. Zwar weisen beide Stufen einige Unterschiede auf, aber sie liegen dicht beieinander. Eine Mutter sagt beispielsweise.
Es ist heute zu kalt. Du kannst nicht zu Fuss fortgehen. (Das ist Mitleid.) Dann aber fährt sie fort: Ich werde dich in die Schule fahren. (Diese Äusserung fällt in die Kategorie des Wohlwollens.)
Ein Student meint: Es ist zu dumm, dass du während der Vorlesungen immer einschläfst. Na ja, nimm meine Notizen. Du kannst sie ruhig abschreiben.. Die Sünde des Mitleids
Mitleid kann zu einer Sünde werden, nämlich zur Sünde der Unterlassung.
Wer nicht handelt, nicht kontrolliert, nicht zur Ordnung ruft, keine Widerstandskraft aufbringt, der begeht eine Sünde. Die Barmherzigkeit und die Nachsicht des chronisch mitleidigen Menschen bestärken den auf niedrigen Gefühlsebenen Stehenden in seiner Haltung.
Der Mitleidige wirkt destruktiv, wenn er mit Leuten zusammen ist, die ihm emotionell überlegen sind. Denn im Geheimen möchte er sie so beeinflussen, dass sie sein Mitleid benötigen. Geduldig wartet er, bis andere einen Rückschlag erleiden - dann wird nämlich er lebendig: Er dämpft sie, indem er sie bemitleidet. Das Mitleid kennt viele Mittel, um Menschen auf höherer Stufe zu verstümmeln. Der Chef wird böse, wenn er hört, dass der pichelnde Verkäufer einen Kunden unsanft behandelt. Er möchte ein für allemal reinen Tisch machen. Doch schon naht der Mitleidige und schnurrt besänftigend: Aber, aber, Chef. Natürlich ist die Sache ärgerlich, aber lassen Sie das mich mal in die Hand nehmen. Ich habe mehr Geduld als Sie.
An der Spitze der Skala mag Geduld eine Tugend sein, aber bei 0,9 ist sie nur ein beschönigender Ausdruck für, Schwäche.
Der tödliche Kreislauf
Jeder Mensch, auch jener, der sich oben auf der Skala befindet, verfällt zuweilen in Niedergeschlagenheit. Der Mitleidige jedoch neigt stärker als jeder anders Gestimmte dazu, sich in einem ständigen Kreislauf von Glück und Melancholie zu drehen. Sein Glücklichsein ist nicht besonders wünschenswert: Es ist meist Selbstgerechtigkeit. Ach, wie bin ich doch so barmherzig und mitleidig! Keinem, der mich brauchte, habe ich jemals den Rücken gekehrt.
Magisch zieht er die Aussenseiter der Gesellschaft an. Er schenkt sein Interesse den Kriminellen, den Invaliden, den Pennern, den Süchtigen, den Trinkern und allen traurigen und apathischen Typen überhaupt, die er nur auftreiben kann. Ihren Lügen geht er sogleich auf den Leim. Ein vom Gram Verzehrter klagt: Ich habe kein Geld, keine Arbeit, keine Freunde. Der Mitleidige erwidert umgehend: Armer Teufel. Das Leben hat Ihnen bös mitgespielt. Aber ich werde Ihnen selbstverständlich helfen. Dann besorgt er eine Bleibe, schafft Essen herbei, steckt dem Gestrandeten Geld in die Tasche - vielleicht sein ganzes Leben lang. Bald fällt auch er dem grossen Jammer anheim, und wir hören ihn beteuern: Ich habe alles nur Mögliche getan, aber nichts scheint zu helfen.
Wenn der mitleidige Mensch nicht gerade die Armen in der Tiefe umsorgt, verteidigt er doch rücksichtslos die destruktiven Typen auf 1,0 bis 2,0 der Skala. Er besteht darauf, dass niemand durch und durch schlecht sei. In Zweifelsfällen gibt er ihnen Recht.
Dieser Mensch ist das leichtgläubigste Opfer der im Gefühlsbereich 1,1 operierenden Schwindler. Da er im Handumdrehen zu beeinflussen ist, lässt er sich rasch bestechen. Der redegewandte 1,1 er kann ihn zu allerlei Perversionen und Verbrechen verführen. Derartige Taten bringen den Mitleidigen naturgemäss in Schwierigkeiten. Und schon hören wir ihn wieder klagen. Da er zu schwach ist, mit den Leuten auf niedrigem Niveau (die er anzieht) richtig umzugehen, bleibt er wie in einem Aufzug eingeschlossen, der vom obersten Stockwerk Mitleid in den Keller Apathie auf- und abfährt. Seine zwanghafte Verständnisbereitschaft gestattet ihm keinen Rückzieher. Man vermag ihn an seiner schwankenden Haltung zu erkennen. Selbst wenn Sie ihm klarmachen, dass er sich mit Leuten auf niedrigem Gefühlsbereich abgibt, sieht er sich doch ausserstande, sich von ihnen zu lösen. (Er ist dazu auch nicht gewillt, denn dadurch könnte er seine Partner ja kränken.)
Aus diesem Grunde wird ein solch netter Mensch auch so oft an der Nase herumgeführt. Aber er ist ja so edel. Bald kriecht er wieder auf die Stufe des Mitleids zurück und fängt das alte Spiel von neuem an. Im Geschäftsleben
Wenn Sie ein Unternehmen leiten und zahlungsfähig bleiben wollen, dann setzen Sie nie einen Mitleid - Menschen als Abteilungsleiter ein. Seine übergrosse Angst, andern wehzutun, kann gefährlich werden. Er wird auf seinem Posten nicht viel ausrichten können. Vermutlich wird er Ihre Gewinne verschleudern und Verlierer- Typen einstellen, denn er sympathisiert ja so sehr mit ihnen. Er wird nicht eher Ruhe geben, bis Sie das jammernde Mädchen engagiert haben, das im Leben schon so viel Pech gehabt hat. Schützend wird er sich vor einen Mitarbeiter stellen, der seine Zeit vertrödelt, denn er hat eine kranke Frau und eine ganze Kinderschar. Im Familienleben
Mitleidige Menschen machen häufig schlechte Partien. Ein reizendes Mädchen heiratet einen Mann, der auf den Hund gekommen ist, weil sie es einfach nicht ertragen kann, seine Gefühle zu verletzen. Die 0,9er gehören zu den denkbar schlechtesten Eltern. Ihre Neigung, schlechthin alles zu erlauben, züchtet ein unbeherrschtes Kind heran, das später seinerseits destruktiv handeln wird. Liebevolle Eltern sind rasch mit dem Mitleid bei der Hand. Wer von uns bleibt schon unbeteiligt, wenn wir ein kläglich schluchzendes Kind sehen, dessen Eistüte in den Schmutz gefallen ist? Automatisch tröstet man: Na, komm. Hör doch auf zu weinen. Ich kauf dir ein neues Eis. Damit tun wir dem Kind freilich keinen wirklichen Gefallen: Zwar besänftigen wir es für den Augenblick, aber wir vergessen dabei, dass das Kind aus unserer spontanen Reaktion einen falschen Schluss ziehen kann, der ihm in der Zukunft schaden wird. In den meisten Fällen sagt sich das Kind nämlich im Stillen: Aha. Es ist also egal, ob ich nachlässig oder vorsichtig bin. Wenn ich bloss laut genug schreie, kommt schon einer an, der mich bedauert und mir hilft. Grausam wäre es allerdings, wollten wir lediglich mit den Achseln zucken und brummen: Da hast du aber Pech gehabt. Du musst künftig besser acht geben. Wie verhält sich ein Mensch auf hohem Emotionsniveau in einer solchen Situation? Nun, er gibt dem Kind Gelegenheit, die Situation mit Würde zu meistern und ihn nicht zum Bettler werden zu lassen. Er wird vielleicht fragen, ob der Kleine nicht rasch eine Besorgung machen möchte, um sich dadurch ein neues Eis zu verdienen. Kinder, die immerzu quengeln, verraten dadurch ungewollt, dass sich ihre Eltern in den Regionen des Mitleids und des Gunstbemühens festgefahren haben. Offenbar haben sie dem Begehren ihres Sprösslings bereits wiederholt nachgegeben. Deshalb benimmt sich das Kind weiterhin so. Seine Eltern belohnen es demnach gewissermassen für seine Schwäche. Woher soll es später einmal eigene Kraft beziehen? Mitleidige Eltern fragen oft verwundert: Was haben wir denn nur falsch gemacht? Das Kind entwickelt sich zu einem unreifen Erwachsenen, der sich jammernd durchs Leben schlägt und Ausschau hält nach einer Aufsichtsperson, die natürlich gleichfalls der Meinung sein muss, dass dieses Dasein einfach schauderhaft sei. Als Kind kannte ich einen Jungen, der immer wieder von den Buben der Nachbarschaft durchgeprügelt wurde. Als er eines Tages wieder heulend nach Hause kam, entschloss sich seine Mutter, diesmal kein Mitleid zu haben. Du gehst jetzt sofort zurück und verhaust einen dieser Burschen. Wenn du das nicht tust, dann lege ich dich übers Knie.
Diese Reaktion erschreckte den Jungen: Sie erschreckte ihn mehr als die Wut seiner Widersacher. Also ging er tatsächlich davon und verprügelte einen der kleinen Rowdies nach allen Regeln der Kunst. Es war das erste Mal, dass er sich zu einer solchen Heldentat aufgerafft hatte. Die Wirkung zeigte sich sogleich: Er selber gewann eine ihm bislang fremde Zuversicht, und die Jungen der Nachbarschaft respektierten ihn bald als den besten Kämpfer. Wenn ich mich recht entsinne, wusste er es mit jedem Raufbold aufzunehmen. Dennoch wurde er ein friedfertiger Mensch der sich freilich in allen Lagen verteidigen konnte.
Eine Mutter, die von ihrem chronischen Mitleid nicht loskommt, zieht in ihrer Verständnisinnigkeit einen Jungen gross, der im Existenzkampf versagen wird. Selbstverständlich empfehle ich keineswegs, unsere Kinder zu Rowdies zu machen. Wir sollten jedoch erkennen, dass Kämpfen anständiger ist als Kapitulieren. Wer nicht kämpfen kann, vermag auch nicht auf der Skala nach oben zu steigen.
Zusammenfassung
Wir halten den für einen netten Jungen, der das hilflose Mauerblümchen heiratet, weil es ihn braucht. Doch nicht jeder, der blinden Kindern Märchen vorliest, ist ein chronisch mitleidiger Mensch. Auch Leute auf hoher Gefühlsebene kümmern sich um ihre Mitmenschen. Wahrscheinlich werden sie die ersten sein, die Kindern das Lesen der Blindenschrift beibringen. Falls Sie jemandem begegnen, der sich nur schwer auf der Skala einordnen lässt (ein Mensch, der zu edlen Taten und löblichen Zielen neigt, aber körperlich und geistig Mitgenommene aufliest), dann irren Sie sich vermutlich nicht, wenn Sie auf einen Mitleid-Menschen tippen. Bevor ich mich intensiver mit diesem Gefühlsbereich befasste, war ich der Meinung, hier seien wohl nur wenige Leute anzutreffen. Ich dachte an jene Sorte von Menschen, die Gefallen daran finden, an Beerdigungen teilzunehmen und Kränze auf Gräber zu legen. Schlimmer hätte ich mich gar nicht täuschen können. Ich kam zu der einigermassen schockierenden Erkenntnis, dass diese Stufe eine der am dichtesten bevölkerten der Skala ist. Wer nicht schon dort angesiedelt ist, wird häufig durch die Hilfsaktionen der Öffentlichkeit zum Mitleid geradezu gezwungen. Beim näheren Studium bemerkte ich, dass sehr viele Leute, die ich besonders gern mochte, bei 0,9 einzustufen waren. Ich hatte sie für höherstehend gehalten. Das Mitleid überzeugt einen Menschen davon, dass er verloren hat. Und glaubt er erst einmal, dass er verlieren kann, dann wird er zum Siegen nicht mehr imstande sein. Wenn ein Mensch die wohlige Wärme des Mitleids entdeckt hat, beginnt er alsbald, sich nach ihr zu sehnen. Er kann derart abhängig von ihr werden, dass er sich einen Unfall oder eine Krankheit herbeiwünscht, damit er ja noch mehr von dieser anheimelnden Wärme bekommt.
Achtes Kapitel

Furcht - Angst (1,0)
Furcht: Gefühl des Bedrohtseins durch etwas Bestimmtes, im Unterschied zur unbestimmten Angst, verbunden mit dem Wunsch, es abzuwehren oder zu fliehen.
Angst: Grosse Sorge, unbestimmtes, oft grundloses Gefühl des Bedrohtseins, im Unterschied zur
Furcht
Achtung, Fred! Fahr langsamer! Pass auf! Das Auto da drüben! Es wäre besser, wenn du die linke Spur nehmen würdest. Nach dem achten Häuserblock müssen wir ab biegen. Siehst du den Hund da? Vielleicht will er über die Strasse laufen. Pass doch auf, Fred! Der Fahrer gerät in Panik - nicht etwa durch die Gefahren des Strassenverkehrs - und tritt scharf auf die Bremse. Fast wäre der Wagen hinter ihnen aufgefahren. Beide Insassen des Autos sind mittlerweile zu Nervenbündeln geworden. Die Furcht zeigt sich in vielen Verkleidungen auf den unteren Stufen der Skala, wo sie den Mitleid- Menschen (der sich scheut, andere zu verletzen) und den um die Gunst seiner Bekannten Buhlenden beeinflusst. Der Letztere versucht sich durch versöhnliche Gesten von einer eingebildeten Gefahr loszukaufen. Aber auch auf den höheren Ebenen ist die Furcht zu finden. Dort verbirgt sie sich auf den Stufen versteckte Feindseligkeiten und Gefühlslosigkeit.
Die meisten Menschen sind mit vorübergehenden Ängsten vertraut. Da gibt es den rauen, prahlerischen Studenten, der wie ein aufgescheuchter Schmetterling in seinem Sessel herumrutscht, wenn das Flugzeug startet. Hier treffen wir die robuste Hausfrau an, die einer Gruppe junger Wanderer Quartier gibt, jedoch das grosse Zittern kriegt, wenn sie eine harmlose Schlange sieht. Wir haben auch schon erlebt, wie die Bullenstärke des sicheren Managers wegschmilzt gleich Schnee im Frühling, sobald er eine Rede halten muss.
Derartige Ängste sind natürlich unvernünftig, und sie währen zum Glück ja auch nur kurze Zeit. Keine Sorge also: Wer darunter leidet, braucht nicht gleich auf der Stufe 1,0 rubriziert zu werden. Neben Stunden der Freude und der Trauer gibt es natürlich auch Stunden der Angst. Es ist vernünftig, eine echte Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Wenn Sie in einem brennenden Haus eingesperrt sind, ist es selbstverständlich von grösstem Nutzen, dass Sie die Situation sogleich richtig einschätzen und danach handeln. Schliesslich geht's hier um Ihr Leben. Akute Angst - ob begründet oder unbegründet - verursacht Herzklopfen, Schweissausbrüche und Schüttelfröste. Man ängstigt sich vor dem nahenden Tod, vor einer Verletzung, vor einer Bedrohung (die sich hinterher als harmlos heraus stellen mag).
Panik ist der stärkste Ausdruck von Angst. Weniger grosse Angst äussert sich durch extreme Bescheidenheit, übertriebene Schüchternheit oder ungerechtfertigte Verdächtigungen. Dergleichen erlebt man bei Menschen, die leicht sprachlos werden, die sich vor andern Leuten zurückziehen, die beim Zuknallen einer Tür zusammenzucken.

Die chronische Furcht
Der chronisch furchtsame Mensch zeigt diese Erscheinungsform der Angst ohne Unterlass. Ständig lebt er im Schatten des Schreckens. Ihm erscheint schlechthin alles gefährlich. Er hat Angst vor dem Leben. Er hat Angst, etwas zu besitzen (er könnte es ja verlieren). Seine Philosophie lautet: Vorsichtig sein - bei allem. Deshalb steckt er bis zum Hals im Furcht- Bereich, ob er nun Entsetzen empfindet, leichte Besorgnis oder Unsicherheit. Er redet über furchterregende Geschehnisse -ganz gleich, ob sie wirklich passiert sind oder ob er sie sich bloss einbildet. Auf der Stufe Traurigkeit nimmt die Angst eine demütige Ausdrucksform an. (Mein Gott, wie soll ich das nur anstellen? Ich weiss einfach nicht, was ich tun soll.) Der Mensch im oberen Furcht-Bereich hingegen versucht, seiner Ängste Herr zu werden. Das gelingt ihm nicht, aber er versucht es ständig.

Zerstreutheit
Ein zerstreuter Mensch ist niemals ganz da. Wo er auch gerade ist, er möchte lieber woanders sein. In dieser Minute schenkt er seine Aufmerksamkeit einer bestimmten Angelegenheit. In der nächsten hat er sie aber auch schon vergessen und widmet sich einer andern Sache, die ihn nun gleichfalls aufs äusserste interessiert. Bei der Unterhaltung springt er wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast (das heisst: von einem Thema zum nächsten). Manchmal (wenn auch nicht immer) können Sie die Zerstreutheit an den Blicken erkennen. Wenn er mit Ihnen plaudert, wandern sie ruhelos von rechts nach links, von unten nach oben - nur nicht geradeaus: Er kann Ihnen nicht in die Augen sehen. Das Leben ist bedrohlich Der furchtsame Mensch verhält sich vorsichtig, weil er glaubt, dass nahezu alles Gefahren für ihn mit sich bringt.
Ich kannte einen Mann, der darauf bestand, alle Fenster und Türen bei Tag und bei Nacht verschlossen zu halten. Ein dutzend mal am Tag rief er seine Frau an, um zu erfahren, ob auch wirklich alles in Ordnung sei. Wenn sie einmal ausserplanmässig eine Freundin besuchte, rief er solange bei allen Bekannten an, bis er sie endlich an der Strippe hatte. Aus seinem Mund flossen nur Phrasen: Man kann nie vorsichtig genug sein. -Man kann nie wissen, was passiert. -Es lohnt sich nicht, ein Risiko einzugehen. Wenn am andern Ende der Stadt ein Raubüberfall stattgefunden hat, dann schraubt ein solcher Mensch Zusatzschlösser an seine Türen.
Wenn er von tödlichen Moskitostichen in den Tropen hört, befällt ihn das bleiche Entsetzen. Das ganze Universum bezieht er in seine Aufmerksamkeit ein und tut alles, um jede nur denkbare Gefahr rechtzeitig zu erkennen.
Wenn Sie glauben, es gäbe gar nicht so viele furchtsame Menschen, dann erinnern Sie sich doch an die berühmte Radiosendung von Orson Welles The War of the Worlds, aus dem Jahre 1938. Dies war ein realistisch dargestellter, doch frei erfundener Bericht über eine Invasion von Marsmenschen. Etwa eine Million Zuhörer gerieten in Panik, weil sie die dreimaligen Ansagen, dass alles Fiktion sei, verpasst hatte. Leute dieser Art fallen auf vieles herein. Sie hören selektiv - also nur das, was ihrer Emotionsstufe entspricht.
Ein gerissener Versicherungsvertreter reibt sich genüsslich die Hände, wenn er auf einen derartigen Zeitgenossen trifft, denn an diesem Tag heimst er Prämien ein: Der arme Teufel, den er in die Mangel nimmt, schliesst nämlich jede erdenkliche Versicherung ab.
Der ewig furchtsame Mensch hat Angst, seiner Habe verlustig zu gehen. Also fürchtet er, schlechte Nachrichten zu bekommen. Er fürchtet selbst die Mitteilung, sein Haus sei abgebrannt. Er hat Angst vor der Entlassung. Er fürchtet, ein Bekannter könne jeden Augenblick sterben. Er fürchtet, seine Frau werde ihn sitzen lassen. Ich wohnte einmal einem Ehepaar gegenüber, das von der Furcht geradezu besessen war. Das Gesicht des Mannes war von tiefen Sorgenfalten durchzogen. Mit neunundzwanzig Jahren war er bereits völlig kahl. Er und seine Frau machten sich ständig Sorgen über alles Mögliche: über Bazillen, Krankheiten, Einbrüche, Unfälle, Katastrophen jeder Art. Man brauchte bloss etwas Unangenehmes zu erwähnen, und schon fürchteten sie sich davor. Ihre Kinder durften erst dann im Freien spielen, wenn sie eingemummt worden waren wie Eskimos - es bestand ja schliesslich die Gefahr, dass sie sich eine Erkältung holten. Interessant war freilich, dass ihre beiden Kinder weitaus öfter an Erkältungen und andern Krankheiten litten als alle übrigen Kinder in der Nachbarschaft.
An einem stillen Sonntagmorgen beobachtete ich, wie mein Nachbar vorsichtig das Haus verliess. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Haustür auch richtig verschlossen war, ging er zur Garage und schloss sie auf. Dann schloss er seinen Wagen auf, fuhr bis zum Gartentor und schloss es auf. Er fuhr das Auto auf die Strasse und kehrte zur Garage zurück, um sie abzuschliessen. Dann legte er die Sicherheitskette ans Gartentor und fuhr davon. Tief beeindruckt dachte ich: Wahrscheinlich verreist er für ein paar Wochen. (Ich muss hinzufügen, dass wir nicht gerade in einem Verbrecherviertel lebten. Das schlimmste Vergehen während der vergangenen sechs Monate war von einem Dreijährigen verübt worden: Er hatte sich das Dreirad eines andern Dreijährigen angeeignet und war damit davon gezockelt.
Unser verschlafenes Städtchen hatte einen ergiebigen Gesprächsstoff gefunden.) Zu meiner grössten Verwunderung kam der Nachbar jedoch nach wenigen Minuten mit der Sonntagszeitung zurück. Nun veranstaltete er den ganzen Zirkus mit dem Aufund Zuschliessen von neuern. Er war nicht zum Mitansehen. Eines Abends kam ein Vertreter und wollte uns ein Feueralarmgerät aufschwatzen. Wir mussten ihn enttäuschen, aber ich entliess ihn mit der geheimen Hoffnung: Vielleicht klingelt er gegenüber - die kaufen bestimmt! Nun, er klingelte, und sie kauften tatsächlich.

Furchtsame Kinder
Menschen auf 1,0 der Skala reagieren auf Zeichen der Zuneigung oft mit Misstrauen.
Paul will Monika einen Freundschaftsring schenken. Anstatt ihn freudig entgegenzunehmen, erkundigt sie sich argwöhnisch: Was soll denn das bedeuten? Er sagt ihr, dass er sie gern habe, und sie wundert sich, was dies wohl heissen soll. Ich möchte nicht sagen, dass ich dich gern habe. Es könnte ja sein, dass es gar nicht stimmt.
Von einem derart furchtsamen Partner kann man nicht erwarten, dass er seine Liebe offenbart. Er ist viel zu vorsichtig, um spontan sein zu können. Eltern, die in der Furcht-Region behaust sind, beeinflussen ihre Kinder in negativem Sinne. Ich kannte einst eine Frau, die sich im Kleiderschrank versteckte, wenn ein Gewitter tobte. Ihre ängstliche Mutter hatte ihr nämlich beigebracht, sich so zu verhalten. Und ich kannte eine andere Frau, die vor Katzen Angst hatte, denn ihre Mutter hatte ihr stets eingebläut, Katzen seien gefährlich, weil sie alle möglichen Krankheitserreger mit sich herumschleppten. Furcht steckt an. Wenn sich ein Kind nicht die Mühe macht, alles Neue und Unbekannte selbst zu untersuchen, wird es mit der Überzeugung aufwachsen, alles sei gefährlich.

Die Zeit ist zu gefährlich
Ein furchtsamer Mensch ist ein schlechter Arbeiter. Er ist immerzu damit beschäftigt, sich selber zu schützen. Er hat Angst vor Entscheidungen. Er macht sich Sorgen bei neuen Projekten. Er lässt sich die erstaunlichsten Dinge einfallen, um jeden Plan im Keim zu ersticken. Die Zeit ist zu gefährlich, um diesen Markt zu erschliessen. Wir könnten bankrott machen. - Ich fürchte, wenn wir das versuchen, wird man uns wegen eines Verstosses gegen das Patentgesetz verklagen. -Die Idee ist ja ganz gut, wenn sie bloss nicht so riskant wäre. Da er in der Gewissheit lebt, es bedürfe grosser Anstrengungen, seine Schranken zu überwinden, schiebt er das Problem auf die lange Bank, anstatt es bei den Hörnern zu packen. Er sucht nach Ausflüchten, weshalb er einen Auftrag nicht ausführen kann. Um jeden Preis bemüht er sich, Verantwortung abzulehnen, denn dabei könnte er ja am Ende zu Schaden kommen. Oh, nein, mich bringen Sie nicht dazu, diese Sache zu übernehmen. Alle würden mir die Verantwortung aufhalsen. Und wenn etwas schief geht, muss ich die Suppe auslöffeln. Wenngleich er positiver ist als die Leute auf niedrigeren Emotionsniveaus, stellt er ein Risiko für Ihr Geschäft dar.

Die drei Stufen der Furcht
Die Furcht ist ein Übergangsstadium zu jener Stufe, wo man sich entscheiden muss.
Im tiefsten Bereich fürchtet sich der Mensch, überhaupt etwas zu unternehmen. Meisterlich versteht er es, den Ereignissen aus dem Wege zu gehen. Am oberen Ende dieser Emotionsregion hingegen bangt er, etwas zu unterlassen. Er wappnet sich gegen jede Eventualität. Etwa in der Mitte der Furcht-Zone finden wir den Menschen, der stets das Vielleicht auf der Zunge hat. In dieser Phase erstarrt er in Unentschlossenheit: Er bringt es einfach nicht über sich, eine Entscheidung zu fällen.
Es geht dabei jedoch nicht um die apathische Unentschlossenheit des chronisch bekümmerten Menschen, der in einem fort die Redensart Ich weiss nicht, was ich machen soll im Munde führt. Der von der Furcht Befallene ist zwar aktiv, schwankt aber zwischen Soll ich? und Soll ich nicht?
Wenn ein emotionell höher stehender Mensch auf diese Stufe sinkt, empfindet er Unbehagen. In dieser Landschaft begegnet man dem jungen Mädchen, das die Wahl zwischen zwei guten Partien hat. Sie liebt beide (das glaubt sie wenigstens), kann sich jedoch für keinen entscheiden. Schliesslich wird die Situation so brenzlig, dass sie sich entscheiden muss: Also nimmt sie den, der gerade in der Nähe ist. Eine impulsive Handlung demnach, die keiner rationalen Überlegung entspringt. Es kann aber auch passieren, dass sie mit einem Dritten davonläuft, der ganz und gar nicht zu ihr passt. Fazit: Sie tut alles, um sich von diesem nervenzermürbenden Vielleicht zu lösen.
Andere furchtsame Menschen jedoch leben jahrelang in Unentschlossenheit und warten auf das grosse Ereignis. Sie fürchten sich davor, das Rechte zu machen, wagen andererseits aber auch nicht, etwas zu unternehmen, was sie ins Unrecht setzen könnte. Sie haben Angst vor Taten und zur nämlichen Zeit Angst vor dem Nichtstun. Es gelingt ihnen einfach nicht, sich festzulegen. Sie können auch nicht für die Zukunft planen. Ebenso wenig vermögen sie sich den Anforderungen des Alltags zu stellen. Wenn Sie einen solchen Menschen ein paar Tage im Voraus um einen Termin bitten, sieht er sich dazu ausserstande. Rufen Sie mich später noch einmal an. Bis dahin sehe ich klarer. (Je höher das Emotionsniveau ist, desto bereitwilliger legt sich der Mensch auf Dinge fest, die das Morgen betreffen.)
In diesen Emotionsbereich gehört auch das Paar, das schon seit siebzehn Jahren intim befreundet ist, aber noch immer nicht ans Heiraten zu denken wagt. Hier finden wir den Mann, der seine Stellung wechseln will, doch den Mut dazu nicht aufbringt. Er wird so lange warten, bis er zu alt geworden ist, um sich noch einer andern Umgebung anpassen zu können. Auch jene unglücklichen Ehen wären anzuführen, die trotz aller Misslichkeiten nicht getrennt werden, weil keiner der Partner es über sich bringt, Klarheit zu schaffen.

Hoffnung
Die Hoffnung ist eine wunderbare Sache, falls sie sich sogleich in Taten äussert. Jeder grosse Macher fängt mit einem Traum an. Auf der Stufe der Furcht jedoch finden wir lediglich blinde Hoffnung. Sie tötet jedwede Initiative. Der Mensch kommt nicht voran. Er gibt indessen auch nicht auf. Er verschiebt sein Leben anstatt es wirklich mit Leben zu erfüllen. Was auch immer geschehen mag: Für ihn ist es zu beängstigend.
Er wartet, doch worauf wartet er?
Auf irgendein Ereignis.
Doch auf welches Ereignis?
Ich habe Menschen Jahr um Jahr warten sehen, aber das grosse Ereignis blieb aus. Sie verbringen ihre Tage, indem sie - was ihren Geist betrifft - sozusagen aus dem Koffer leben. Niemals packen sie ihn aus. Sie werden auch nirgendwo sesshaft, um etwas Handfestes in den Griff zu bekommen. Ebenso wenig jagen sie einem Ziel nach. Sie warten einfach. Sie träumen in den Tag hinein. Sie schmachten sehnsüchtig:
Die nächste Minute, die nächste Stunde, der nächste Tag werden ganz gewiss das grosse Ereignis bringen, das ihre Zweifel aus der Welt schaffen muss. Das verstehen wir unter blinder Hoffnung: Warten und Unentschlossenheit. Wer dort angelangt ist, befindet sich am toten Punkt der Furcht.
Neuntes Kapitel

Versteckte Feindseligkeit (1,1)
versteckt: verborgen, ungesehen, schwer erkennbar; heimlich, nicht offen ausgesprochen, angedeutet.
Feindseligkeit: Feindliche Gesinnung, Haltung, Bosheit, Gehässigkeit.
Das Ärgerlichste an einem Menschen auf Stufe 1,1 ist, dass er keine Plakette am Revers trägt, auf der geschrieben steht: Ich bin ein 1,1er. Sein Stimmungsbarometer ist am schwierigsten auszumachen. Stossen Sie jemals auf jemanden aus dieser Gruppe, dann glauben Sie ja nicht, alles über ihn zu wissen: Der nächste 1,1er, der Ihnen über den Weg läuft, kann sich ganz anders verhalten. Unter der Tarnkappe
Er kann ein Possenreisser sein, der eine Gesellschaft auf Touren bringt. Eine ältliche Jungfer indessen, die ein paar Häuser neben Ihnen wohnt und niemals Ihren Geburtstag vergisst, kann freilich ebenfalls in dieser Gefühlsregion zu Hause sein. Wenn ein Verkäufer hinter der Theke überaus lustig und freundlich ist, dann lassen Sie sich nicht täuschen: Auch er kann ein 1,1 er sein. Desgleichen ein Schwindler, der Sie mit schmeichlerischen Worten zu umgarnen versucht, oder ein Zeitungsmann, der regelmässig seine Klatschspalte schreibt. Nicht zu vergessen ist der Casanova des kleinen Büros, der sich für unwiderstehlich hält. Die Dame von nebenan, die immerzu lächelt und recht zweideutige Geschichten über die Nachbarn zu erzählen weiss, muss gleichfalls auf dieser Ebene eingestuft werden. Und dann die gewissen Liebhaber: Einmal sind sie ausgelassen, zärtlich, leidenschaftlich, im nächsten Augenblick jedoch schroff und abweisend. Denken wir auch an den raffinierten Betrüger, der sich immerhin fünfzehn Jahre lang als routinierter Arzt ausgeben konnte, ohne dass ein einziger Patient etwas merkte.
Auf der Liste figurieren weiter der wohlerzogene Homosexuelle, der nette Reporter, der gefällige junge Mann - alle spielen mehr oder weniger gut Theater, bis man eines Tages dahinter kommt, dass der Homosexuelle so harmlos doch nicht war, dass der Reporter in seinen Berichten schmutzige Andeutungen machte, dass der gefällige junge Mann so nebenbei ein scheussliches Sexualverbrechen verübte. Und hier treffen wir unter vielen andern auch den honetten Bankdirektor, der 100.000 Euros unterschlug, um sich mit ihnen und seiner Schönheitstänzerin nach Brasilien abzusetzen. Sie müssen auch damit rechnen, dass ein empfindsamer Poet, ein überaus höflicher Millionär oder ein charmanter Schnorrer dem Bereich 1,1 angehören.
Wo immer dieser Typ auftaucht, er wird eine Tarnkappe tragen. Falls Sie grosszügig sind, werden Sie versucht sein, ihn schonend zu behandeln. Lassen Sie das aber besser bleiben. Denn diese Stufe darf man wohl als die gefährlichste und gemeinste bezeichnen.
Solche Menschen schwanken zwischen Furcht (der Ursache ihrer Gefühlsebene) und Zorn (den sie verbergen müssen). Ihre Veranlagung nötigt sie, immerfort zu lächeln und ein liebenswürdiges Gesicht zu machen. Sie lügen schamlos, um jeden wirklichen Kontakt von vornherein auszuschalten. Diese Lügen können zustimmend klingen (natürlich nur zum Schein). Etwa: Eine prima Idee., 1,1er verstehen es auch vortrefflich zu schmeicheln. (Welch ein schönes Kleid Sie heute tragen, meine Liebe.) Ausserdem beherrschen sie die ganze Klaviatur der Beschwichtigung. (Machen Sie sich deswegen bloss keine Gedanken. Ich bringe die Sache wieder in Ordnung.)
Der Mensch auf dieser Stufe errichtet eine trügerische Fassade. Er baut sich eine künstliche Persönlichkeit auf. Er ist der stets fröhliche Heuchler. Hüte dich vor falschen Freunden Vertrauen Sie dem 1,1er weder Ihr Geld, Ihr Ansehen und erst recht nicht Ihre Frau an. Er ist ein Mensch, der hasst, aber unfähig ist, dies zuzugeben. Er macht mit dem Verrat Geschäfte und hält es für selbstverständlich, dass Sie ihm das nicht übel nehmen. Er wird Ihnen die Ohren voll blasen:
Ach, was hat er sich doch für Sie eingesetzt! In Wirklichkeit hat er alles getan, um Ihrem Ruf zu schaden. Mit schmeichelnden Redensarten umschwänzelt er Sie und wartet gleichzeitig auf den Moment, Sie in die Pfanne zu hauen. Und er wird immer Mittel und Wege finden, Sie in die Pfanne zu hauen. Der 1,1er nimmt Privilegien als gegeben hin. Dabei stört es ihn nicht im Geringsten, alle Regeln des Anstands zu brechen. Die ungeschriebenen Gesetze der Ehe, der Partnerschaft, der Gesellschaft sind ihm schnuppe.
Auf den ersten Blick gefällt uns der Mensch der Gruppe 1,1 recht gut, denn er gibt vor, auf hohem Emotionsniveau zu stehen. Doch schliesslich müssen wir ihn verachten (falls wir kein ausgesprochener Mitleidsmensch sind). Zuweilen fällt es uns allerdings schwer, unsere Abneigung zu definieren, weil wir nur selten sagen können, worin das Verächtliche eigentlich besteht, das dieser so reizend erscheinende Mensch tut.
Obwohl er arrogant ist, weiss er verblüffend gut zu schauspielern. Kein Wunder also, dass wir uns leicht von seiner geheuchelten Demut täuschen lassen. Er ist allen Leuten mit tieferen Gefühlslagen überlegen und nutzt sie gewissenlos aus, um sie davon zu überzeugen, dass er selber ja ganz harmlos sei und es gut mit ihnen meine. Auf diese Weise lässt er die Puppen tanzen. Er manipuliert die Menschen nach Lust und Laune. Sein heimliches Bestreben gilt der Kontrolle über sie. Er kann je nach Bedarf weinen, flehen, um Wohlwollen buhlen oder Mitgefühl an den Tag legen. Er vermag Empörung und Verachtung so echt zu äussern, dass es schwer fällt, in ihm einen Schwindler zu sehen. All seine Künste haben indessen nur den einzigen Zweck, die Leute auf das Niveau zu zerren, wo er sich ihrer bedienen kann.
Falls Sie wütend werden, greift er zu den Mitteln des 1,1er Gunstbemühens. Dann scheut er keine Mühe, Ihnen gefällig zu sein. Vielleicht bringt er Ihnen gar ein Präsent ins Haus. Möglich, dass er auch zur Stufe Gram Zuflucht nimmt. Dann hören Sie ihn beteuern: Ich wollte wirklich nichts Böses anrichten. Es geht ihm darum, sich von neuem in Ihr Vertrauen einzuschmeicheln. Sie können sicher sein, dass er Ihre Schwächen kennt und mit Ihnen sein gewieftes Spiel treibt.

Besorgte Fragen
Es gibt eine simple Methode, einen 1,1er zu demaskieren, der es plötzlich auf Sie abgesehen hat. Da er danach trachtet, Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre eigene Person zu lenken, wird er sich erkundigen, ob Sie nicht etwa zugenommen haben. Vielleicht fragt er auch: Ich kann mir gar nicht erklären, wie du dich so verändern konntest. Am Telefon beginnt er das Gespräch mit den Worten: Deine Stimme hört sich heute aber so komisch an. Bist du etwa erkältet?
Unter dem Deckmäntelchen der freundlichen Anteilnahme kaschiert er sehr geschickt, dass es ihm lediglich darum geht, Sie einzulullen: Sie sollen sich um sich selber kümmern und nicht um ihn. Fallen Sie auf seine Tricks herein, dann werden Sie sich bald selbst fragen, ob etwas mit Ihnen nicht mehr stimme. Sie werden besorgt. Ein 1,1er reisst meist die Unterhaltung sogleich an sich: Er will das grosse Wort führen. Hat er seine Pfeile abgeschossen, ist er weniger der Gefahr ausgesetzt, seinerseits beschossen zu werden. Ich habe einmal zwei Menschen dieser Emotionsstufe miteinander bekannt gemacht. Im Stillen fragte ich mich, welcher von beiden wohl den unvermeidlichen Kampf um das erste Wort gewinnen werde. Nun, sie fingen wie auf Kommando gleichzeitig zu parlieren an. Eine Weile plapperten sie unermüdlich, obwohl keiner auch nur ein einziges Wort des Partners verstehen konnte.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Ein Mensch im Bereich der versteckten Feindseligkeit verziert seine Geschichten mit getarnten Komplimenten. Dieser Kuchen ist vorzüglich - mindestens so gut wie einer, den man in der Konditorei kauft. Ein 1,1er hat das geradezu klassische Bonmot von sich gegeben: Du hast wirklich ein entzückendes Kleid an. Ich bewundere es schon seit Jahren.
Der auf dieser Stufe stehende Mensch verspürt das Bedürfnis, in nervöser Weise nahezu jede Bemerkung zu konterkarieren. Wenn Sie versuchen, etwas zu sagen, das Hand und Fuss hat, wird er entgegnen, er verstehe durchaus, was Sie meinen, aber ... Er wird auch hilfreich Ihre Aussprache zu verbessern suchen, desgleichen Ihre Wortwahl (er ist ein fanatischer Anhänger der Semantik). Er ist förmlich von der Idee besessen, Sie ständig zu korrigieren. Er liebt Wortspiele und erzählt gern Witze, die (natürlich) auf Ihre Kosten gehen. Er unternimmt alles, um Ihnen jede Verständnismöglichkeit mit andern Personen zu nehmen. Selbstverständlich hat er dabei absolut nichts Böses im Sinn: Er will ja bloss ein bisschen nett sein... Dieser Mensch lügt, obwohl es dazu nicht den geringsten Grund gibt. Er verdreht und verheimlicht. Tatsachen serviert er ungeniert zusammen mit Geschichten, die er sich aus den Fingern gesogen hat. Gleichzeitig jedoch versichert er aller Welt seiner Ehrlichkeit, seiner Ethik, seiner Tugend. Er zögert auch nicht lange, Ihnen sein Ehrenwort zu geben, während er sich schon den Kopf darüber zerbricht, wie er Ihnen am besten in den Rücken fallen könnte. Stellen Sie ihn wegen seiner Lügenhaftigkeit zur Rede, dann überschüttet er Sie wiederum mit einem Wortschwall: Er habe sich doch nur ein Spässchen erlaubt.

Ein guter Spion
Ein Mensch auf hohem Emotionsniveau kann als Spion agieren. Hat er sich dazu einmal entschlossen, dann spielt er seine Rolle gut (wenngleich ihm dieses Metier durchaus nicht gefällt). Der 1,1er jedoch ist von Natur aus für das Spionieren anfällig. Wenn Sie einen derartigen Menschen glücklich machen wollen, brauchen Sie ihm bloss eine Aufgabe zu stellen, die List, Verschlagenheit und Tücke erfordert. Lassen Sie ihn in die Fenster anderer Leute gucken, lassen Sie ihn schnüffeln und lauern - er wird mit ganzem Herzen bei der Sache sein und Ihre kühnsten Erwartungen übertreffen.
Wenn es einen geraden Weg zu einem Ziel gibt, dann wird ihn der 1,1er gewiss nicht einschlagen. Das fällt ihm gar nicht ein. Stattdessen tüftelt er eine möglichst verzwickte Methode aus. Ich arbeitete einmal in einem Büro, dessen Vorsteher ein Mann auf der Stufe 1,1 war. Er hatte allen Angestellten streng untersagt, ihre Aschenbecher in die Papierkörbe zu entleeren. Zunächst dachte ich, diese Vorschrift sei darauf zurückzuführen, dass sich jemand über diese Unsitte beschwert habe.
Vielleicht wollte der gute Mann auch den Ausbruch einer Feuersbrunst verhüten. Endlich kam ich dahinter, dass der Bürovorsteher jeden Abend alle Papierkörbe auf Herz und Nieren prüfte:
Er wollte erfahren, was wirklich in seinem Büro geschah. (Dieser sonderbare Mensch setzte sogar zerrissene Papierfetzen zusammen, um sie zu lesen.) Es war ein \Hochgenuss für ihn, ein schönes Geheimnis zu entdecken. Natürlich sprach sich diese abwegige Marotte rasch herum, was zur Folge hatte, dass alle Angestellten sich einen Heidenspass daraus machten, die verrücktesten Beweise auf Papierschnitzel zu kritzeln und sie danach wegzuwerfen.
Wenn gleich der 1,1er seine Motive und Handlungen verbirgt, sieht er sich genötigt, die Geheimnisse anderer zu lüften. Keine Frage: Dieses Emotionsniveau ist das der Verräter und Umstürzler. Da er keine Rücksicht auf das Privatleben seiner Mitmenschen nimmt, freut er sich stets auf eine Gelegenheit, sie blossstellen zu können. Wenn einer von dieser Sorte eine heimliche Liebesaffäre hat, wird er immer Indizien herumliegen lassen, damit die Leute auch ja herausfinden, was los ist. Dies tut er mit besonderem Vergnügen dann, wenn eine solche Entdeckung seinem Partner Schwierigkeiten macht.
Der 1,1er ist fast ein Genie, wenn es darum geht, den Leuten Informationen aus der Nase zu ziehen. Vor einigen Jahren arbeitete ich in einer Firma, die sich mit einem geheimen Forschungsprojekt befasste. Nur zwei meiner Kollegen waren wirklich eingeweiht. Keiner von uns Dreien war ein Klatschmaul. Umso grösser war meine Überraschung, als mir eines Tages beim Mittagessen die Telefonistin beiläufig sagte:
Na, ich habe gehört, dass Sie jetzt endlich hinter die Sache gekommen sind. Und während sie eifrig quasselte, musste ich zu meinem Schrecken erkennen, dass sie dem Sachverhalt ziemlich nahe kam. Sie konnte nicht einfach geraten haben. Ich leugnete jedes Wissen, worauf sie erwiderte: Sie brauchen mir doch nichts vorzumachen. In diesem Laden weiss doch jeder, was gespielt wird. Erst später dämmerte es mir: Sie musste die Telefongespräche abgehört haben. Was sie sonst noch geäussert hatte, war Vermutung gewesen.
Ein Mensch auf Stufe 1,1 der Skala stellt seine Vermutungen so dreist auf, dass man glauben muss, er sei über alles im Bilde. Auf diese Weise verführt er sein argloses Opfer häufig dazu, mehr zu erzählen, als gut tut. Wie man ein Gerücht in die Welt setzt Den 1,1er kitzelt es nicht nur, Gerüchten nachzugehen: Er setzt auch gern welche in die Welt. Ich war einmal zugegen, als ein Mensch dieser Emotionsstufe das Manuskript eines meiner Freunde las, der begierig auf seinen Kommentar wartete. Als er zu Ende gelesen hatte, lächelte der 1,1er wissend und erklärte: Eine endgültige Beurteilung behalte ich mir vor. Ich muss mir das Ganze noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Natürlich war dies ein schwerer Schlag für den Schriftsteller. Aber er gewann seine Fassung wieder, als ich ihm den Empfindungsbereich dieses so genannten Kritikers andeutete. Auf diese raffinierte und boshafte Art kann man einen schöpferischen Menschen gewissermassen aus dem Verkehr ziehen: Man lässt ihn in der Ungewissheit schmoren.
Klatschbasen lassen durchblicken, dass sie allerhand wissen. Ein Mensch auf höherem Emotionsniveau wird wahrheitsgemäss von gemeinsamen Freunden berichten. Der 1,1er indessen schmückt die Tatsachen aus, und zwar so geschickt, dass die Leute meist darauf hereinfallen. Ein Exempel: Hast du eigentlich gewusst, dass Hans und Mathilde Schluss machen? Dies kann wahr sein. Doch die Klatschbase auf 1,1 wird hinzufügen: Also mal ganz unter uns: Es würde mich nicht erstaunen, wenn sie sich heimlich mit Willy getroffen hätte. Ihr Gehabe soll andeuten, dass sie mehr weiss, als sie sagt.

Die Schwätzer
Die chronische Klatschbase, der es Spass macht, den guten Ruf eines Menschen durch halbe Wahrheiten und Verdächtigungen zu ruinieren, befindet sich auf Stufe 1,1. Oft begegnet man ihr, wenn sie sich gerade über den Gartenzaun beugt, um zu sehen, ob es im Nachbargarten etwas zu sehen gibt. Man trifft sie auch im Büro bei einem Schwätzchen, das besonders munter von den Lippen geht, wenn Kaffee getrunken wird. Viele Reporter und Quizmaster sind in dieser Region beheimatet.
Sie lassen ihren Charme spielen, bevor sie die Leute auseinander nehmen.
Man muss geradezu stoisch veranlagt sein, um der Ausfragerei eines 1,1ers zu widerstehen. Vor Jahren zog ich in eine neue Wohnung und kaufte die Möbel des Vormieters. Es dauerte nicht lange, bis meine Nachbarin mir eine Visite abstattete. Wie ich sehe, haben Sie ihre Möbel gekauft, stellte sie fest. Ich nickte und wechselte das Thema. Einige Minuten später kam sie jedoch wiederum auf die Möbel zu sprechen. Ich habe gehört, dass sie 1.500 Euros dafür verlangt haben. Da ich diesen Typ kannte, beschloss ich, sie mundtot zu machen. Ich entgegnete in aller Gemütsruhe: So? und sprach dann von etwas anderem.

Vorsicht bei der Arbeit
Ein 1,1er kann ein ganzes Unternehmen auf den Kopf stellen. Zuerst infiziert er die Leute in seinem Büro, indem er den einen gegen den andern ausspielt. Danach macht er sich daran, alle Angestellten gegen die Geschäftsleitung aufzubringen. Er selber freilich hält sich im Hintergrund, denn ihm soll ja nichts passieren. Obwohl er seine Arbeit verrichtet und im Allgemeinen den Eindruck eines Schwerarbeiters zu erwecken versucht, ist das alles doch Bluff. Geben Sie ihm einen Auftrag, und er wird Ihnen antworten: In Ordnung. Das mache ich gern für Sie. Aber er wird nie etwas machen. Er lässt die Zügel schleifen. Er tut so, als übernähme er willig Aufträge, denkt jedoch gar nicht daran, sie zu erledigen.

Die Last der Verantwortung
Ein Mensch, der auf versteckte Art feindselig ist, empfindet kein Verantwortungsgefühl, obwohl er diesen Anschein erweckt. Ich nahm an einer Hochzeit teil, wo niemand die Plätze zuwies. Eine Verwandte des Bräutigams hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Leute an der Tür zu begrüssen. Da man anscheinend darauf verzichtet hat, eine Platzanweiserin kommen zu lassen, müssen Sie sich schon selber einen Stuhl suchen.
Ich schätzte diese Person auf 1,1 ein. Ihre Stimme hatte eine gewisse Schärfe. Sie tat, als fühle sie sich verantwortlich, doch ihr Unterfangen war destruktiv. Sie wollte den Gästen zu verstehen geben, dass diese Hochzeit falsch organisiert sei.
Hätte ein Mensch auf hohem Emotionsniveau bemerkt, dass die Leute ein wenig verwirrt waren (und ich glaube nicht, dass dies hier der Fall war), dann wäre seine Reaktion eine andere gewesen. Er hätte etwa gesagt: Nehmen Sie doch bitte irgendwo Platz. Boshafte Anspielungen waren nicht angebracht. Die eigene Person
Der 1,1er ist so sehr damit beschäftigt, andere Leute zu beeindrucken, dass ihn sein Geltungsbedürfnis regelrecht auf die Bühne stellt. Nie ruht er sich aus. Ständig beobachtet er sein Publikum, um sich von seiner Wirkung zu überzeugen. Es kommt ihn hart an, lediglich Zuhörer zu sein. In der Schule bereits ist er meist jener, der die erste Frage stellt: Herr Lehrer, meinen Sie nicht ... Die Antwort interessiert ihn gar nicht: Er will nur zeigen, welch ein helles Köpfchen er ist. Erfragt um des Effektes willen.
Viele 1,1er drängt es, möglichst grosse Aufmerksamkeit zu erregen. Ich kannte einen, der sich die komischsten Kleider anzog. Er scharwenzelte durch die Gegend und prahlte dann: Alle haben mich angestarrt. Solche Typen schockieren gern durch Bemerkungen. Freilich gibt es auch 1,1er, die sich konservativ kleiden und wie normale Menschen reden. Wenn derartige Leute nicht selbst im Rampenlicht stehen, heften sie sich an die Fersen schöpferischer und erfolgreicher Menschen und bearbeiten sie solange, bis sie auf der Skala abrutschen. Im Showgeschäft findet man viele 1,1er. Häufig zählen Kritiker zu dieser Kategorie: Sie verstehen nicht allzu viel vom Metier, bemühen sich indessen eifrig, einen bestimmten künstlerischen Bereich unter ihre Kontrolle zu bekommen. Hämisch sagen sie dann talentierten Personen abfällige Dinge - natürlich nur zu Ihrem Besten.
Gelingt es ihnen jedoch nicht, sich an Erfolgreiche heranzumachen, dann rühmen sie sich trotzdem deren Gunst. Sie gehen - laut eigener Behauptung - bei ihnen ein und aus. Sie stehen auf vertrautem Fuss mit berühmten Filmstars. Der Präsident bittet sie um ihren Rat. Und selbstverständlich haben sie Affären mit den schönsten Frauen.

Der grosse Mann
Weil er unter dem Zwang steht, den grossen Mann spielen zu müssen, boxt sich der 1,1er oft den Weg in die Grossindustrie frei. Nicht anders verhält es sich mit der Politik oder gewissen Gesellschaftsschichten. Er weiss, wie man die Dinge drehen muss, um ans Ziel zu gelangen. Da er aber nur über wenig Ausdauer verfügt, ist er selten auf einem Gebiet gründlich bewandert. Er giert nach Beifall, obwohl er niemals tanzen gelernt hat. In diesem Bereich treffen wir Leute, die sich als Dilettanten mit der Musik befassen, ihr Studium jedoch bald wieder aufgeben. Ein anderer beschäftigt sich vier Wochen lang mit der Malerei und verliert dann das Interesse daran. Er ist zu flatterhaft, um sich für längere Zeit konzentrieren zu können. Er zieht ein oberflächliches Studium vor, das keines ist. Allerdings hindert ihn diese Tatsache nicht daran, sich als Fachmann auszugeben -Tricks und allerlei geschickte Manöver helfen ihm bei seinen Hochstapeleien.

Die Kriminellen
Alle Kriminellen lassen sich unter 2,0 auf der Skala einordnen (sofern sie sich noch aktiv betätigen). Viele von ihnen sind 1,1er. Selbst wenn eine Person der Stufe Versteckte Feindseligkeit die Gesetze nicht bricht, muss sie als unethisch und unaufrichtig bezeichnet werden.
Diese Menschen neigen zu selbstmörderischen Handlungen, wobei sie darauf bedacht sind, ihre Umgebung mit in den Abgrund zu reissen. (Ich glaube, ich werde unterliegen, aber vielleicht nehme ich dich mit.) Hier finden wir den Mörder, der nach und nach Menschen und Kulturen zerstört. Er tarnt jedes Vergehen durch langatmige Erklärungen. Hierher gehören auch jene Zeitgenossen, die am lautesten die Pornographie befürworten (und sich an ihr ergötzen). Vergessen wir nicht den Kuppler, der junge Mädchen solange beschwatzt, bis sie auf die Strasse gehen. Schliesslich muss der gerissene Dealer genannt werden, der neugierige Teenager zum Rauschgiftgenuss verführt: So etwas sei nun einmal in und obendrein doch harmlos. Gute und schlechte Nachrichten
Der Mensch auf Stufe 1,1 gibt am liebsten die schlechtesten Nachrichten weiter. Gute dagegen vergisst er rasch oder verschweigt er absichtlich. Wenn Sie einer Firma ein Sonderangebot schicken und es fällt dort einem 1,1er in die Hände, dann wird er wahrscheinlich dafür sorgen, dass der eigentliche Empfänger es nie zur rechten Zeit erhält.
Feindselige Menschen halten sich mit Vorliebe an Orten auf, wo sie eingehende Nachrichten kontrollieren können. Das befriedigt nicht nur ihren Instinkt zum Schnüffeln, sondern auch ihre Lust an heimlicher Überwachung. Eines Morgens beobachtete ich eine 1,1erin, die allein einen kleinen Laden führte. Es war ein geschäftiger Tag. Die Kunden gaben einander die Klinke in die Hand. Ständig gingen Bestellungen ein. Ein wütender Arbeiter rief an, weil er seinen Vorarbeiter nicht auftreiben konnte. Einige Minuten später meldete sich der Besitzer des Geschäfts. Junge, Junge, berichtete das Fräulein mit sichtlichem Wohlbehagen, heute geht's hier aber ganz schön rund ... Sie liess sich des Langen und Breiten über den lästigen Telefonanruf aus, vergass jedoch völlig, ihrem Chef vom guten Gang der Geschäfte zu berichten.

Sinn für Humor
Der 1,1er besitzt keinen echten Sinn für Humor. Doch just auf seinem Emotionsniveau hören wir jenes zwanghafte Gelächter, das immer dann herausplatzt, wenn es eigentlich gar nichts zum Lachen gibt. Vielleicht unterhalten wir uns gerade über das Wetter oder über die Fussballergebnisse, und mit einemmal fängt der 1,1er zu kichern an, ohne dass es dazu einen Grund gäbe. Er lacht oft länger als andere über einen Witz. In Wahrheit aber findet er gar nichts komisch.
Ich kenne viele Leute des Gefühlsbereichs 1,1, die nicht darauf aus sind, andern einen Streich zu spielen. Hingegen habe ich noch nie einen getroffen, der andern Streiche spielte und nicht auf 1,1 gewesen wäre. Diese Leute finden ihr stilles Vergnügen daran, möglichst ausgeklügelte AIbernheiten zu ersinnen, um ihre Opfer zum Narren zu halten, in Verlegenheit zu bringen, blosszustellen oder zu demütigen.
Natürlich geschieht dies alles nur zum Spass, wie sie beteuern. Der Leiter einer Versicherungsgesellschaft erzählte mir einmal, wie er zu Beginn seiner Laufbahn in einer Zweigstelle tätig war. Offensichtlich veranlasste eine allgemeine Abneigung die Leute jener Gegend dazu, keine Lebensversicherungen abzuschliessen, obwohl sie fleissig Rentenversicherungen erwarben. Mein Gewährsmann hatte von diesen Gebräuchen keine Ahnung und tat zwei Wochen lang alles, um Lebensversicherungen an den Mann zu bringen. Aber seine Bemühungen schlugen allesamt fehl. Bestürzt und niedergeschlagen erzählte er im Büro seinen Kollegen von diesen Misslichkeiten. Endlich lüfteten sie das Verkaufsgeheimnis dieser Stadt. Es gehörte zur Routine, einen neuen Mann eine Zeitlang zappeln zu lassen. Wenngleich mein Bekannter durchaus nicht einzusehen vermochte, was denn bei dieser Sache so lustig sei, kugelten sich seine Kollegen - Menschen der Stufe 1,1 - geradezu vor Lachen.
Der 1,1er spielt den Erstaunten, wenn man über seine tückischen Dummheiten nicht lacht. Wenn Sie sich ärgern, rechnet er noch damit, dass Sie ihm sein blödes Verhalten nachsehen.

Sex
Man könnte Bücher über die sexuellen Eigenheiten des 1,1er schreiben, und viele haben dies auch schon getan. Manche Leute dieses Gefühlsbereichs geben sich äusserst prüde und machen den dreisten Anspruch geltend, die Moralprediger für andere zu sein. Doch auf diesem Niveau gibt es auch viele, die einen Hang zu abwegigen Praktiken haben. Beim eigentlichen Geschlechtsakt empfindet der 1,1er keine Lust. Dennoch ist er immerzu darauf versessen. Er plädiert für die so genannte freie Liebe.
Wer wahllos dem Geschlechtsverkehr frönt, befindet sich meist auf der Ebene 1,1. Sein Mangel an Beständigkeit zeigt sich deutlich darin, dass er unfähig ist, sich auf längere Zeit innig mit einem andern Menschen zu verbinden. Er fiebert ständig nach sexuellen Lüsten, die neu und anders sein müssen. Solche Leute können die Gesellschaft gefährden, denn ihr abartiges Benehmen wirkt ansteckend. Freie Liebe und häufig wechselnder Geschlechtsverkehr sind Signale, die beachtet werden sollten, denn sie stellen den Sinn der Liebe und der Ehe auf den Kopf. Heutzutage wird soviel über die Promiskuität geschrieben, dass ein Mensch auf höherem Emotionsniveau sich allein schon von der Vielzahl dieser Publikationen abgestossen fühlt. Das sich ausleben wird verherrlicht, propagiert, gefordert. Wer sich bislang noch nicht hat infizieren lassen, sieht plötzlich seinen natürlichen Instinkt für Treue und Beständigkeit in Frage gestellt. Ist er selber am Ende altmodisch?
Die offene Erörterung von Problemen wie Abtreibung, Geburtenkontrolle und frühzeitiger sexueller Aufklärung ist weitaus gesünder als das heimliche Getue, das vor hundert Jahren für angebracht gehalten wurde. Die Vorboten des liberalen Zeitalters jedoch (meist sind es Journalisten der Stufe 1,1) wollen uns glauben machen, dass jetzt alles möglich sei. Ebenso wortgewandt wie unverantwortlich berichten sie über die schändlichsten Begebenheiten und lassen dabei ausser Acht, dass ihr Geschwätz mitunter einen verheerenden Einflusshaben kann. Niemand vermag soviel honigsüssen Schmus zu verzapfen wie der Mensch auf Ebene 1,1. Als Partner ist er für längere Zeit sehr schädlich. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er seine Frau betrügen oder ihr Vertrauen auf heimtückische Art missbrauchen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht. Er wird erst dann zufrieden sein, wenn all ihre Träume zerstört sind und sie apathisch geworden ist.

Der Umgang mit Kindern
Obwohl der Mensch der Gefühlsregion 1,1 Kinder nicht leiden kann, gelingt es ihm doch zuweilen, die Rolle des Vaters (oder der Mutter) überzeugend zu spielen. Freilich darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Neigung zum Destruktiven dennoch nicht aufhört (so gut der Betreffende sie auch zu kaschieren vermag). Um die Zukunft solcher Kinder sieht es trübe aus. Innerhalb der Familie von 1,1ern kommt es immer wieder zu Vorfällen, die den Kindern ihre Sicherheit nehmen, von der ihr künftiges Verhalten schliesslich abhängt (Ehebruch, Streitereien). Manchmal kümmert sich der 1,1er sehr um das körperliche Wohlbefinden seines Kindes. Gleichzeitig jedoch ist er schuld an der emotionellen und ethischen Vernachlässigung. Solche Menschen bemühen sich, aufsteigenden Zorn bei ihren Kindern zu unterdrücken, wodurch die Kleinen unter 1,5 der Skala hinabgepresst werden. Der 1,1er sorgt sich auf übertriebene Weise um das Äussere der Kinder: Aussehen und Manieren sind ihm wichtig. Letztlich jedoch versucht er, seinen Nachwuchs apathisch und unterwürfig zu machen. Bestenfalls stossen derartige Eltern ihre Kinder auf das Niveau der versteckten Feindseligkeit hinab.
Da es nun einmal unschicklich ist, Kinder nicht zu mögen, verbirgt der 1,1er seine Grausamkeit hinter neckischen Spässchen. Er ärgert, kritisiert und quält ein Kind solange, bis es zu weinen anfängt. Eines Tages kam eine Vertreterin zu uns und sagte spasseshalber zu meinem jüngsten Sohn: Ich nehm dich jetzt mit zu mir heim. Der Junge blickte sie an, als glaube er, sie habe nicht mehr alle Tassen im Schrank, und ging dann fort zum Spielen. Diese Frau erzählte mir, dass sie am selben Tag einem Mädchen gedroht habe, dessen kleinen Bruder mitzunehmen. Daraufhin sei die Kleine in Tränen ausgebrochen. Es war typisch für diese Person auf 1,1, dass sie jetzt, nachdem sie bereits ein Kind erschreckt hatte, auch noch versuchte, dieselbe Methode bei meinem Jungen anzuwenden. Unter der Maske scherzhafter Freundlichkeit wollte sie die Kleinen verstören.
Zusammenfassung
In einer geborgenen, auf höherem Emotionsniveau liegenden Umgebung vermag ein 1,1er bis zur Stufe 1,5 zu steigen. Im Allgemeinen ist er zu Zornesausbrüchen nicht imstande. Irgendwann einmal in der Vergangenheit ist sein Temperament mit ihm durchgegangen, und dieses Ereignis war ihm eine schlimme Lehre. Nun fürchtet er, dergleichen könne ihm noch einmal passieren. Die Feindseligkeit jedoch bleibt stets gewärtig - sie liegt gewissermassen auf der Lauer, wenngleich der Mensch sie dadurch zu meiden trachtet, dass er den guten Kumpel spielen will. Wenn es ihm gelänge, auch nur ein einziges mal richtig aus der Haut zu fahren, könnte er vielleicht auf der Skala steigen und ein recht netter Mensch werden. Doch solange er sich nicht in direkter Konfrontation aussprechen kann, sorgt sein Wesen dafür, dass andere gekränkt (und in schlimmen Fällen kaputtgemacht) werden.
Wenn Sie sich im Unklaren darüber sind, ob Sie es mit einer Person der Stufe 1,1 zu tun haben, dann beobachten Sie sich selber: Wie ist Ihnen in Gegenwart dieses Menschen zumute? Bringt er Sie gar aus dem Gleichgewicht? Fühlen Sie sich befangen? Sind Sie auch witzig, gelassen, spitzfindig genug? Auf Leute dieses Emotionsniveaus stösst man häufig. Wer auf einer höheren oder niedrigeren Ebene angesiedelt ist, gibt sich bei oberflächlichen Kontakten oft auf eine unaufrichtige Weise sehr höflich. Solche guten Manieren wirken indessen nicht so destruktiv wie die bewusste Schädigung durch den chronischen 1,1er.
Die darunter liegenden Stimmungsebenen sind gefährlicher, denn von ihnen gehen zerstörerische Einflüsse aus vor allem für jene bedauernswerten Leute, die auf ihnen zu Hause sind. Aber sie sind trotzdem nicht von so nachhaltiger Kraft. Wenn Sie nicht gerade persönliche Beziehungen zu Menschen dieser Art unterhalten, werden Sie wohl kaum negativ beeinflusst werden. Der Mensch auf 1,1 hingegen kann selten ignoriert werden: Er drängt sich nämlich auf. Je widerstandsfähiger Sie sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass er sich in Ihrer Umgebung einnisten kann. Sind Sie jedoch nicht auf Ihrer Hut, dann stiehlt er Ihnen Ihre Zeit. Gleich einem gefährlichen Virus dringt er in Ihr Blut ein. Der vermutlich beste Rat lautet: Schaffen Sie sich diesen Menschen vom Hals. Machen Sie sich nicht die Mühe, sanft mit ihm umzugehen. Einem Wink gegenüber spielt er den Verständnislosen, und die Verlegenheit kennt er überhaupt nicht. Er kehrt immer wieder zu Ihnen zurück, bis Sie ihm unverblümt erklären, dass
Sie seine Gesellschaft nicht wünschen. Finden Sie den Mut zu dieser Offenheit, dann wird er selbstverständlich hinter Ihrem Rücken über Sie stänkern. Doch lassen Sie sich dadurch ja nicht stören: Er stänkert schon lange über Sie.
Denken Sie stets daran: Das liebenswürdige Augenzwinkern darf Sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Herz kalt ist wie Stein.
Zehntes Kapitel

Gefühllosigkeit (1,2)
Gefühllosigkeit: gefühllose Beschaffenheit; gefühlloses Wesen, Verhalten,
Grausamkeit, Rohheit.
Ich weiss nicht, was ich machen soll. Welches von den beiden Mädchen soll ich denn nun eigentlich heiraten? Mein ziemlich konservativer Freund wurde durch dieses unerwartete Vertrauen seines Arbeitskollegen verwirrt und fragte zurück: Na, welche liebst du denn? Ach, du meine Güte! Wer spricht hier von Liebe? Ich frage mich doch nur, welche mir von grösserem Nutzen sein kann.
Dieser junge Karrieremacher heiratete später ein schönes Mädchen aus einer reichen und angesehenen Familie. Nicht lange danach war er ein bekannter Mann im Unterhaltungsgewerbe. Er scheute sich nicht davor, seine Wohltäter mit Füssen zu treten. Hüten Sie sich vor einem Zusammentreffen mit Leuten dieser Gattung. Sie sind kalt, gleichgültig und bar jeglichen Gefühls. Sie haben weder Gewissen noch Gemüt.
Auf dieser Stufe finden wir eine interessante Mischung der Eigenschaften von 1,5 und 1.1 Ein derartiger Mensch legt mehr Feindseligkeit an den Tag als ein 1, 1er, aber er platzt auch nicht vor Wut. Er bewegt sich vielmehr auf einem schmalen Grat und ist an seiner kühlen Selbstbeherrschung zu erkennen. (Ihre Sorgen interessieren mich nicht.) Er errichtet eine Mauer zwischen sich und den andern, die er verletzt hat, damit er ja kein Mitleid empfindet und er wird seine Mitmenschen ganz gewiss verletzen.
Wenn sich die Leute über seine Handlungen erregen (und viele tun dies), dann zeigt sich der 1,2er keineswegs erstaunt. Solche Gefühle erscheinen ihm irrationell. Seine undurchdringliche Starrheit ist auf sein ständiges Bemühen zurückzuführen, einen gewaltigen Zorn zu unterdrücken. Dieses Bemühen verlangt ein so hohes Mass an Anstrengung, dass er gleichzeitig alle Gefühle unterdrückt - sowohl die positiven als auch die negativen. Daraus ergibt sich natürlich ein Widerspruch: Wir haben also einen Menschen vor uns, der gefühllos wirkt, weil seine Gefühle eigentlich überstark sind. Er verdrängt alle Gewissensbisse wegen seiner früheren Taten. Er wagt einfach nicht, sich einmal zu entspannen, weil Gefühl für ihn gleichbedeutend ist mit heftigem und unkontrollierbarem Zorn.
Ich war einmal auf einer Gesellschaft, wo alle Anwesenden eine kurze Schilderung ihrer eigenen Person gaben. Einer der Gäste wies auf sein Emotionsniveau mit dieser Bemerkung hin: Die meisten Leute meinen, ich sei ein Snob, aber ich bin ganz einfach nicht zur Geselligkeit geschaffen. Später sagte derselbe Mann zu mir: Gewöhnlich verhalte ich mich gleichgültig und gefühllos, obwohl ich manchmal auch aus der Haut fahre. Hinterher muss ich dann immer dafür büssen. Es ist wirklich schlimm.

Das Liebesspiel
Einige Leute auf Stufe 1,2 der Skala lässt so ziemlich alles kalt, was mit der Liebe zu tun hat. Andere wiederum sind zwanghaft promiskuös. Wenn ein Gefühlloser sich entschliesst, den Liebhaber zu spielen, dann wird er meist zum Herzensbrecher, denn er hat genug Charme zu verströmen, der im allgemeinen nur dem 1,1er zu Gebote steht. Er versteht es demnach, sein Opfer zu ködern. Doch seine bald darauf einsetzende Gleichgültigkeit muss den Partner schockieren. Gibt sich ein solcher Mann gleichzeitig mit mehreren Mädchen ab, dann erzählt er der einen unbekümmert von den Intimitäten, die er mit der andern austauscht. Aus ihrer gegenseitigen Eifersucht macht er sich ein boshaftes Vergnügen. Manche Frauen auf 1,2 der Skala sind in ihrem Verhalten schroff und erscheinen maskulin. Finden wir indessen eine Frau, bei der die dem 1,2er eigene Unnahbarkeit mit Weiblichkeit und Schönheit gepaart ist, dann wird diese Mixtur zu einem wahren Unheil für Männer.
Ein junger Mann spielte einst erfolgreich die Rolle des 1,1ers (Liebe sie, und vergiss sie wieder). Schliesslich begegnete er einem Mädchen, das der Stufe 1,2 zuzuordnen war. Ihre kalte Schönheit und eisige Zurückhaltung wirkten auf ihn wie eine Herausforderung. Er war überzeugt davon, hinter diesem verschlossenen Panzer müsse sich ein warmes Herz verbergen. Auch zweifelte er nicht daran, sie herumzukriegen.
Aber er hatte seine Meisterin gefunden: Sie verstand das Spiel noch besser als er. Eine Weile nahm sie seine Aufmerksamkeiten hin. Dann jedoch liess sie ihn kurzerhand sitzen. Sogleich sackte er auf der Skala ab. Zwar erholte er sich wieder, behielt aber die wehmütige Erinnerung an den Verlust seiner einzigen wahren Liebe. Jahre später erst lernte er die Emotionsskala kennen.
Ich bin ein bedeutender Mensch Leute dieser Sorte legen ihre Ansichten in knappen Worten dar. Falls Sie nicht mit ihnen übereinstimmen, dann haben Sie eben Pech gehabt. Wahrscheinlich werden Sie fortan ignoriert. Solche Menschen machen den Eindruck, starke Persönlichkeiten zu sein. Sind sie ehrgeizig, dann haben sie oft Erfolg, denn sie überrennen gnadenlos jeden, der sich ihnen in den Weg stellt: Sie wollen an ihr Ziel gelangen, und zwar um jeden Preis. Da sie so überaus vertrauenerweckend auftreten, ziehen sie häufig Leute mit niedrigerem Emotionsniveau an. Sie denken: Hier ist endlich einmal ein Mann, der genau weiss, was er will. Nach kurzer Zeit aber sind sie verwirrt, verärgert und fragen sich: Wie kann man nur so herzlos sein? Die starken Persönlichkeiten jedoch verhalten sich weiterhin frostig und unfreundlich gegenüber den weniger Glücklichen. Sie beziehen Stellung zwischen dem Menschen, der offen zugibt, er sei zu gut für andere (also Typ 1,5), und jenem, der ganz ich-bezogen ist (also dem 1,1er).
Manchmal können diese Typen auch Exhibitionisten sein. Dann bringen sie ihre ganze Umgebung in Verlegenheit. Doch ist ihnen auch das egal. Ihre Gefühllosigkeit macht es ihnen beinahe unmöglich, selbst einmal verlegen zu werden. Deshalb können sie die Verlegenheit anderer gar nicht nachempfinden.

Das ist mein
Ein solcher Mensch mag viel oder wenig besitzen - immer wird er sich wie ein 1,5er verhalten: Das ist mein - egal, wem die Sache wirklich gehört. Wenn es darum geht, sich die Habe, das Geld oder die Zeit anderer Leute anzueignen, kann er sehr skrupellos sein. Im täglichen Umgang
Der 1,2er ist immun gegen Regungen wie Mitleid oder gar Verständnis. Er lebt in einer verschlossenen abseitigen Welt und schwankt zwischen gezwungener Freundlichkeit und vernichtendem Hass. Erzählen Sie ihm von irgendwelchen Schwierigkeiten, dann wird er Ihnen lediglich antworten: Nun ja, das haben Sie sich schliesslich selber eingebrockt. Er weigert sich, andere zu unterstützen. Sie haben sich Ihr Bett selber gemacht. Jetzt legen Sie sich auch gefälligst hinein. Gewöhnlich meidet er den Umgang mit seinen Mitmenschen -es sei denn, sie kommen seinem eigenen Gefühlsbereich nahe. Wenn er zuhören muss, dann wippt er ungeduldig mit dem Fuss und drängt zur Eile. Ist das Thema indessen skandalös oder aufregend, dann hat er schon eher Geduld. (Berichte über Gewalttätigkeiten faszinieren ihn.)

Der Zorn auf Abwesende
Oft erleben wir, dass sich ein derartiger Mensch über fern liegende Geschehnisse aufregt. Da er unfähig ist, jemandem seinen Zorn offen zu sagen, äussert er ihn indirekt. Beispielsweise sagt er: Von mir aus können die eingehen. Bezeichnenderweise erzählt er dies jedoch andern Leuten, also nicht jenen, die eingehen können.
Ich war einmal Zeuge, wie ein Mann auf diesem Gefühlsniveau Unverschämtheiten über einen Dritten vom Stapel liess, der noch in der Nähe stand.
Vor einiger Zeit sah ich einen solchen 1,2er in einer Schlange vor dem Kassenschalter einer Bank warten. Plötzlich begann er, lauthals über den Schlendrian zu schimpfen, wobei er sich an die Umstehenden wandte. Anscheinend arbeiten hier lauter Idioten. Was soll diese blöde Warterei? Die haben wohl bloss darauf gewartet, bis der ganze Saal voll ist, um dann ihren Kaffee zu trinken.
Diese indirekte Form von Zorn ist charakteristisch für die Stufe 1,2. Ein Tobender auf 1,5 würde seine Wut dem Kassierer ins Gesicht hineinschreien. Ein 1,1er würde seine kritischen Bemerkungen erst nach Verlassen der Bank von sich geben. Gefühllosigkeit, die zwischen Prahlerei und Feigheit schwankt, drückt sich auch negativ aus - aber nicht in direkter Konfrontation.

Fragwürdige Freundschaften
Eine echte Freundschaft werden Sie mit einem 1,2er niemals schliessen können.
Er vermag Ihre Freuden nicht zu teilen und Sie auch nicht über Ihre Sorgen hinwegzutrösten. Kann er eine Verabredung nicht einhalten, dann denkt er gar nicht daran, Sie rechtzeitig anzurufen. Er reist urplötzlich nach Hongkong, ohne sich von Ihnen auch nur zu verabschieden. Er verschwendet keinen Gedanken an kleine Aufmerksamkeiten. Er ist im höchsten Grade rücksichtslos. Wie ein Pferd, das Scheuklappen trägt, betrachtet er alle Dinge dieser Welt allein aus seinem Blickwinkel. Verstört oder bestürzt er andere durch sein Benehmen, dann merkt er dies überhaupt nicht. Wenn er sich einmal dazu herablässt, eine Freundschaft mit Ihnen zu pflegen, dann wahrscheinlich nur deshalb, um Sie auszunutzen.

Der Drang zum Zerstören
Auf jedem Emotionsniveau gibt es einen Punkt, den man das eigentliche Erwachen nennen könnte: Auf dieser Basis erst kann der Mensch seine Eigenschaften richtig ausspielen. Ergreift er einen Beruf, der seinem Gefühlsbereich voll entspricht, dann wird sein Benehmen wegen seiner grossen Aktivität sozusagen offiziell sanktioniert: In diesem Fall ist er meist fleissig.
Findet ein 1 ,2er den Weg zum Journalismus, dann kann er ein ausgezeichneter Verfasser von Enthüllungsberichten werden. Eine solche Arbeit erfordert die List des 1,1ers und die Abscheu eines 1,5ers. Sein Wahlspruch lautet: Ich möchte nur soviel wissen, damit ich zerstören kann. Derartige Revolver-Journalisten arbeiten mit entwaffnender Freundlichkeit, um das Vertrauen ihrer Opfer zu gewinnen. Sie rühmen sich auch, die Wahrheit an den Tag zu bringen. Indem sie ihre Begabung zum Schnüffeln (1,1) einsetzen, beginnen sie zunächst behutsam: Sie lüften fürs erste lediglich einen Zipfel. Dann freilich knallen sie ihren Lesern Schlag auf Schlag die unwahrscheinlichsten Dinge auf den Schädel: Gerüchte, Klatsch, Halbwahrheiten - alles Nachrichten, die sie ihren Informanten aus der Nase gezogen haben. Dreist bestehen sie darauf, sie wachten über der Moral der Allgemeinheit. Ihr destruktives Treiben entschuldigen sie (wenn überhaupt) mit der Phrase: Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.
Solche Schmieranten erklären, sie griffen bloss deshalb zu schamlosen Mitteln, um die richtigen Leute und die richtigen Dokumente in ihren Besitz zu bringen. Sie reden sich und andern ein, dass das Resultat jedes Mittel rechtfertige, denn Demokratie berechtigt die Leute, informiert zu werden. Alles geschieht nur, um der Öffentlichkeit einen Dienst zu erweisen. Wird durch solche Darstellungen Schaden angerichtet, lehnen die Autoren jedwede Verantwortung ab. Ein guter Berichterstatter - so kann man dann hören - brauche sich nicht um die Folgen seiner Arbeit zu kümmern. Wenn es nicht anders geht, arbeitet er auch mit faulen Tricks. Man müsse so listig wie möglich sein, belehren solche Aufklärer ihre Mitmenschen. Vor allem müssen Sie an die Fakten kommen.
Dieser Standpunkt ist der Wahrheit immerhin so nahe, dass er von vielen intelligenten Menschen geglaubt und akzeptiert wird. Wir sollten jedoch wissen, dass Journalisten auf niedrigem Emotionsniveau immer nur Nachrichten wiedergeben, die sich auf ihrer eigenen Gefühlsebene abspielen: also möglichst schmutzige und sensationelle Meldungen. In Wirklichkeit gibt es nämlich für sie gar keine Ereignisse auf hohem Niveau.
Machen Sie doch einmal abends einen Rundgang durch ein kleines Städtchen. Dabei werden Sie wohl kaum jemanden treffen, der einen Mord, eine Vergewaltigung oder einen Diebstahl begeht. (Selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen.) Stattdessen werden Sie erfahren, dass manche Mutter an einer Elternbeiratssitzung teilnimmt, dass mancher brave Familienvater über seiner Zeitung eingenickt ist, dass mancher Filius vor dem Fernsehapparat hockt und ein Pfund Plätzchen verdrückt. Aber das sind doch keine Nachrichten, wird uns ein Journalist der genannten Art entgegenhalten. Es ist bezeichnend für unsere Gesellschaftsordnung, dass das Wort Nachricht meist nur noch Sensationsmache übelster Sorte bedeutet. Leben nach der Routine
Ich dachte stets, Betty beobachte andere Leute nur deshalb so aufmerksam, um herauszufinden, wie sie selbst sich zu benehmen habe. Sie erinnerte an ein junges Mädchen, das zum ersten Mal ganz gross ausgeht und jedermann im Auge behält, um festzustellen, welche Gabel man zu benutzen habe. Am Tag ihrer Hochzeit sagte sie zu mir: Unter einer Hochzeit habe ich mir eigentlich nie etwas Richtiges vorstellen können. Geht es dabei so feierlich zu wie beim Gottesdienst in der Kirche oder so ausgelassen wie auf einer Gesellschaft? Ich glaube, es kommt darauf an, wie du selbst dich fühlst, erwiderte ich. Aber das ist es ja gerade: Ich fühle gar nichts. Ich weiss einfach nicht, wie ich mich benehmen soll. Als sie reifer wurde, erlernte sie allmählich die gesellschaftlichen Regeln, aber nie vermochte sie sich spontan zu geben. Auch ging ihr die natürliche Anmut völlig ab. Einmal erzählte sie mir: Mein Mann behauptet, ich sei nicht feinfühlig genug. Ich würde nie merken, wenn die Leute sich über etwas ärgern. Wahrscheinlich hat er damit sogar Recht, aber wie soll ich denn wissen, was in den Köpfen anderer Leute vorgeht?
Ihre sonderbare Teilnahmslosigkeit den Menschen gegenüber erschien mir rätselhaft - bis ich die Emotionsskala kennen lernte. Diese junge Frau war derart eng vom Wall der 1,2-Stufe umgeben, dass sie keine natürlichen Reaktionen empfinden konnte. Sie musste sich ihre Reaktionen mechanisch durch andere aneignen. Sie führte ein Leben der fremden Routine.

Der Kriminelle
Der gut aussehende junge Mann sass still da. Während der Gerichtsverhandlung zeigte er keinerlei Gefühl. Als die Geschworenen ihn aufgrund von Indizien schuldig sprachen, einen Sexualmord an einem Mädchen verübt zu haben, sass er immer noch ungerührt auf seinem Stuhl. Viele fragten sich, ob er denn wirklich schuldig sein mochte. Ehemalige Nachbarn von ihm erklärten, sie könnten sich einfach nicht vorstellen, dass er etwas so Grausiges getan haben sollte. Er machte immer so einen netten, ruhigen Eindruck.
Auch ich wusste natürlich nicht, ob der Mann ein Mörder war, aber ich war mir über eines klar: Seinem Emotionsniveau nach hätte er ein solches Verbrechen durchaus begehen können. Natürlich sind nicht alle 1,2er Sexualmörder (auf dieser Gefühlsstufe treffen wir auch die mürrische Matrone an, die von Sex überhaupt nichts wissen will), aber im Allgemeinen sind derartige Verbrecher in dieser Gefühlsregion einzustufen.
Hier sind Sadisten heimisch: Menschen, denen es Spass macht, andere Leute zu verletzen und zum Krüppel zu schlagen. Kinder, die Freude daran haben, Fliegen die Beine auszureissen. Wer ohnehin hilflos ist, reizt abwegig Veranlagte (1,2er) erst recht auf: Sie tun immer noch weher. Sie sind der aggressiven Brutalität des 1,5ers unfähig, machen sich jedoch hinter den Kulissen zu schaffen. (Die Kriegsverbrechen und die grausame Behandlung von Kriegsgefangenen sind Beispiele für die Natur des Menschen auf Stufe 1,2). Heimliche Verbrechen, bei denen das Risiko der Entdeckung gering ist, zeigen, dass sich das Wesen solcher Kreaturen aus Verschwiegenheit und Brutalität zusammensetzt.
Zusammenfassung
Sollten Sie versuchen, einen 1,2er seiner herzlosen Taten wegen zu stellen, dann lässt ihn dies kalt. Ich tue das, was mir gefällt. Wenn Ihnen das nicht passt, dann ist das Ihre Sache. Er will nicht wissen, was andere empfinden, denn er will für den von ihm angerichteten Schaden nicht verantwortlich gemacht werden. Seine jähen Exzesse mögen die Mitmenschen aus der Fassung bringen - ihm ist das gleichgültig. Der 1,1er gibt oft vor, Mitleid zu haben, verständnisvoll oder gar traurig zu sein (um verborgene Ziele zu erreichen). Der 1,2er hingegen befasst sich höchst selten mit derartigen Vortäuschungen. Den Schwächen und Sorgen anderer kehrt er gleichmütig den Rücken zu. Merkwürdig ist freilich, dass er bei seinen destruktiven Handlungen auf Verständnis hofft.
Leute auf dieser Gefühlsebene sind oft schweigsam. Sie weigern sich hartnäckig, den Mund aufzumachen. Trotzig schweigen sie vor sich hin. Sie können auch nicht zuhören. Für den gefühllosen Menschen gibt es überhaupt bloss einen Standpunkt: den eigenen.
Elftes Kapitel

Zorn (1,5)
Zorn: Heftiger Unwille. aufwallender Ärger.
Der Mensch auf dem chronischen Emotionsniveau Zorn ist ständig schlechter Laune. Unentwegt wütet, tobt, rast, tadelt und klagt er. Wer kennt nicht den schrulligen Nachbarn, der Kinder beim Ballspiel stört und sie von einer verlassenen Baustelle jagt. Oder den ungeduldigen Autofahrer, der sofort nach dem Wechsel der Verkehrsampel von Rot auf Grün wie ein Irrer zu hupen anfängt und ordinäre Worte aus dem Fenster brüllt. Oder den tyrannischen Vater, der sein Kind ausschimpft und demütigt. Oder den Chef, der die ganze Belegschaft in Angst und Schrecken versetzt. Oder den Ehemann, der seine Frau verprügelt.
Dem ewig Zornigen kommt es darauf an, die Dinge zu stoppen. Wenn er nicht gerade überkocht in seiner Raserei, dann brodelt er doch. Sein Gefühlsbereich dehnt sich vom aufwallenden Ärger über offen gezeigten Zorn bis zum tobsüchtigen Wüten aus.

Ich habe immer Recht.
Ein solcher Mensch setzt Ihnen klipp und klar auseinander, was anderswo nicht in Ordnung sei. Das ist aber auch alles, was er Ihnen mitzuteilen hat. Sie sind im Unrecht, alle sind im Unrecht, nichts ist im Schuss. Das einzige, was er niemals sagt, ist: Ich bin im Unrecht. Denn er hat immer recht, selbst dann, wenn er unrecht hat. Versuchen Sie gar nicht, ihn durch Tatsachen zu verwirren. Ihn beeindruckt nämlich gar nichts.
Nicht nur die Leute auf dieser Stufe bemühen sich, das Unrecht bei andern zu suchen (alle Personen auf den Emotionsniveaus unter 2,0 tun dies auf die eine oder andere Weise), aber die 1,5er gehen dabei sehr direkt vor. Bei derartigen Leuten wissen Sie wenigstens gleich, woran Sie sind. Sie haben grundsätzlich und ein für allemal Unrecht. Allein schon Ihr Vorhandensein wirkt auf den 1,5er wie das rote Tuch auf den Stier.

Verdrehte Tatsachen
Haben Sie jemals einen zornigen Mann die Wahrheit sagen hören? Ich habe mir einmal ausgedacht, wie wohl ein Disput zwischen Mann und Frau entstehen könnte, wenn beide bei der Wahrheit blieben. Gewöhnlich geht ein häuslicher Streit etwa folgendermassen vor sich: Er: Wann wirst du endlich lernen, anständig zu kochen? Dieser Frass ist ja wieder einmal entsetzlich. Sie: Immer hast du etwas an meiner Kocherei auszusetzen. Du lobst mich nie für all die Arbeit, die ich mir deinetwegen mache.
Er: Sicher tue ich das. Ich sage dir so oft, dass du eine gute Hausfrau bist. Sie: Nein, das tust du eben nicht. Du liebst mich ja noch nicht einmal. (Sie verlässt den Raum und knallt die Tür hinter sich zu.) Er: Mein Gott, diese Frauen! Sie sind einfach unmöglich!
Wollte man die Verallgemeinerungen durch Tatsachen ersetzen, dann hörte sich das Ganze anders an:
Er: Die Sosse ist aber ein bisschen dünn heute Abend. Sie: Das ist das fünfzigste Mal, dass du mein Kochen kritisierst. Zum hundertachtundsiebzigsten Mal während unserer Ehe hast du mir bewiesen, wie wenig du meine Bemühungen zu würdigen weisst. Er: Das stimmt. Aber ich habe dir dreihundertachtundsiebzig Mal Komplimente gemacht. Sie: Nach meiner Rechnung waren davon aber bloss dreihundertvierzehn echte Komplimente und siebenundfünfzig eine Art stillschweigender Billigung. Die restlichen sieben Komplimente waren keine Schmeicheleien für mich.
Daraus schliesse ich, dass du mich nicht liebst. (Sie geht ab.) Er: Diese Frau! Dreiundvierzigtausendzweihundertund- siebenundachtzig Mal war es mir nicht möglich, sie zu begreifen und mich vernünftig mit ihr zu unterhalten. Ein Streit, bei dem nicht ein wenig geschwindelt wird, ist kein richtiger Streit: Ihm fehlt die Würze.

Ich bin wer
Sein allzu stark ausgeprägter Egoismus und seine Aggressivität verschaffen dem 1,5er häufig einen Chefposten. Er macht den Eindruck, ein Mann der Tat zu sein. Tatsächlich aber wirbelt er lediglich Staub auf - viel Lärm um nichts also. Wenn sich der Staub wieder gelegt hat, stellt man fest, wie wenig der Mann doch im Grunde zustande gebracht hat.
Da sein aufbrausendes Temperament sich erst in brenzligen Situationen so recht austoben kann, führt er nicht selten solche Zustände herbei. Er weiss übrigens genau, wie man mit seinen Mitmenschen umzugehen hat: Schnauzt sie an! Ich sage euch: Schiesst sie alle einfach ab! Man muss hart sein, wenn man in dieser Welt vorankommen will.

Unbedingter Gehorsam
Der zornige Mensch besteht auf Gehorsam. Ich habe einmal in einer Firma gearbeitet, deren Besitzer sich auf der Stufe 1,5 befand. Er war ein fanatischer Saubermacher und Ordnungshüter. Wenn er in unserer Zweigstelle erwartet wurde, sauste das Personal atemlos herum, damit der Laden ja auf Hochglanz poliert war. Bei einem dieser Kontrollbesuche marschierte der grosse Boss durch die Flure. blickte in alle Büros hinein und kam zuletzt in das Zimmer des Verkaufsleiters. Auf dessen Schreibtisch lag ein Hut. Sofort bekam der Chef einen Tobsuchtsanfall und schrie: Was ist denn mit diesen Idioten eigentlich los? Was glauben die, wofür wir Garderoben haben? Und immer noch brüllend nahm er den Hut, riss das Fenster auf und schleuderte die ihn störende Kopfbedeckung aus dem einundzwanzigsten Stockwerk ins Freie. Just in dem Moment, als der Verkaufsleiter mit einem der wichtigsten Kunden des Unternehmens zurückkehrte, wurde der Hut eben dieses Kunden vom Wind erwischt und segelte nun wie ein Drachen über die Dächer von Detroit. Natürlich war dieser Kunde zum letzten Mal da gewesen.

Schwierige Geschäfte
Schöpferische Menschen auf hohem Emotionsniveau wollen nicht für einen 1,5er arbeiten. Denn Zorn drückt sie auf der Skala nach unten und beraubt sie ihrer besten geistigen Kräfte. Ausser seiner Forderung nach Gehorsam bedient sich der 1,5er allerlei Drohungen, Bestrafungen, Lügen, um unangefochten herrschen zu können. Er gibt unklare und unvollständige Anweisungen. Ist der Auftrag schliesslich erledigt, kritisiert und nörgelt er: Ich habe nicht gesagt, dass Sie das so machen sollen.
Ein Freund berichtete mir, wie er seinem Chef etwas vorführte, worauf dieser Mensch -gleichfalls einer auf der Stufe 1,5 - lediglich zu meckern wusste: Das ist falsch von vorn bis hinten. Ändern Sie es gefälligst. Nachdem mein Freund die Änderungen vorgenommen hatte, legte er die Unterlagen abermals zur Genehmigung vor.
Diesmal schrie sein Chef: Woher, zum Teufel, haben Sie denn diese verrückten Ideen?
Der 1,5er wird im Geschäftsleben nie Verantwortung auf Untergebene übertragen.
Er will die Kontrolle über alles in eigenen Händen halten, was ihn freilich nicht daran hindert, in einem fort zu jammern, keiner in der ganzen Bude bringe etwas zustande und er müsse alles allein machen.
Durch diese ständigen Drohungen und den Mangel an klaren Anweisungen werden Menschen, die einem 1 ,5er ausgeliefert sind, über kurz oder lang konfus. Sie verlieren ihr Selbstvertrauen, und damit sinkt natürlich auch ihre Leistung. Man setzt sie so oft ins Unrecht, dass die meisten von ihnen mit der Zeit auf die Gefühlsstufen Furcht, Gram oder Apathie abrutschen. Sie können von Glück reden, wenn sie noch bei 1,1 landen. :
Der immer zornige Mensch ist geradezu von dem Verlangen besessen, andere am Vorwärtskommen zu hindern. Eltern dieses Gefühlsbereichs fahren ihre Kinder beispielsweise an: Hör auf zu rennen! Lass das sein. Der 1,5er will seine Mitmenschen auf die Stufe der Apathie herunterdrücken. Ist ihm dies gelungen, dann bringt er die Dinge dadurch in Ordnung, indem er blinden Gehorsam fordert. Ich kannte einen Chef, der seine Angestellten immerzu auf Trab brachte. (Los! Los! Mehr Bewegung!) Die Folge dieser Schinderei war, dass die Leute nervös und geschäftig wurden, letzten Endes aber weniger arbeiteten, was ganz natürlich war, denn der Chef hatte ihnen die Ruhe zur inneren Sammlung genommen. Als dieser Antreiber einmal vier Wochen nicht im Betrieb war, änderte sich das Klima schlagartig. Die Angestellten waren pünktlich, liebenswürdig, entspannt und leisteten das Doppelte.

Die Lust am Zerstören
Wer Mord und Totschlag plant und Revolutionen schürt, gehört dem Gefühlsbereich 1,5er an. Er wird das Land retten (indem er es zerstört). Er ist ausserstande, sich einen konstruktiven Plan anzuhören -es sei denn, er sieht darin eine Chance, ihn ins Gegenteil umzukehren, wodurch er destruktiv wird. Auf dieser Ebene finden wir die Kriegshetzer und die Diktatoren. Der 1,5er verbreitet Schreckensnachrichten und unterschlägt im Allgemeinen erfreuliche Neuigkeiten. Er zieht es vor, Unruhe zu stiften. Er behauptete, man stehe vor dem Chaos und nur das Chaos könne vor dem Chaos retten. Sie werden sagen, dies sei Wahnsinn, und das ist es auch. Ich habe einmal in einer Underground-Zeitung einen Artikel über den Frieden gelesen. Darin hiess es: Wir werden den Krieg beenden, selbst wenn wir dafür kämpfen müssen. Der 1,5er wird jede Ethik zu vernichten suchen (was übrigens jeder Mensch möchte, der auf niedrigen Emotionsebenen behaust ist). Er ist durch und durch unehrlich. In einer andern Underground-Zeitung, die von so genannten Anarchisten herausgegeben wurde, las ich: Schon viel zu lange werden die Brüder und Schwestern dieser Gemeinde beklaut. Die kriminellen Elemente sind zu einer Horde tollwütiger Hunde geworden. Nach Belieben lochen sie unsere Leute ein und quälen sie. Es wird Zeit, dass wir uns zusammentun, damit unsere Kultur ein wenig Polizeischutz bekommt. Mit andern Worten: Wir brauchen Schutz vor der Polizei (diesen Schweinen). Der LSD-Trip bietet eine Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen. Zunächst müssen wir jede uns nahe stehende Gruppe bewaffnen und ausbilden. Der Karabiner M-1 ist die ideale Waffe für Situationen, in denen wir uns bald befinden werden. Weiter wurden regelmässige Schiessübungen und Unterricht im Gewehrreinigen vorgeschlagen.
Der Artikel schloss mit einem Marktbericht über Drogen. Darin wurden die Preise und die Qualität der verschiedenen Rauschgifte genannt, welche gegenwärtig auf dem lokalen Markt zu haben waren.
Unter einer typischen 1,5-Führung würde diese Gruppe den Feind (also die reguläre Polizei) mit Waffen vernichten und ihre eigenen Anhänger durch Drogen allmählich aus dem Verkehr ziehen. Die Menschen lassen sich nun einmal stets von solchen führen (und verführen), die auf der Skala eine Stufe höher stehen. Gutgläubige Seelen des Furcht-Bereichs können nur allzu leicht von einem 1 ,5er beeinflusst und zu Aktionen überredet werden.

Sinn für Humor
Sein Sinn für Humor (falls man diese Bezeichnung überhaupt verwenden darf) erschöpft sich in einem boshaften Lachen über das Missgeschick anderer. Wenn einer stürzt und sich dabei das Genick bricht, wird der Mensch auf 1,5 dies so ergötzlich finden, dass er sich fast totlacht. Sein eigentliches Vergnügen hat er dann, wenn er seinem Zorn freien Lauf lassen kann. Er liebt es, den gefährlichen Mann zu spielen. Genüsslich schildert er, wie diesen oder jenen einmal so richtig zusammengestaucht oder ihm die Fresse poliert hat.
Auf dieser Stufe treffen wir absolut vernunftwidrige Tapferkeit an. Es macht derartigen Leuten Spass, hohe Risiken einzugehen, vor allem dann, wenn sie dabei andere Leute oder Gegenstände zerstören können. Viele Kriegshelden (nicht alle) haben nichts anderes eingesetzt als die trotzige Herausforderung des 1,5ers. Mit wahrer Tapferkeit hat das nichts zu tun. Tollkühnheit erweckt indessen Ehrfurcht bei Leuten mit niedrigerem Emotionsniveau.
Falls Sie in einem Wutanfall jemals einen Teller auf den Fussboden geknallt oder eine Tür ins Schloss geworfen und dabei grosse Befriedigung gefunden haben, dann werden Sie diese Gefühlsregion verstehen. Wut ist am oberen Ende der Skala bei 1,5 angesiedelt. Wenn ein Mensch hier für immer verharrt, findet er sein helles Vergnügen am Zertrümmern von heilen Dingen.

Ich besitze Menschen
Da ihn die Ansichten anderer Leute wenig interessieren (falls sie ihn nicht in den seinen bestärken), beendet er Gespräche abrupt oder hört einfach nicht länger zu. Hat er sich einmal entschieden, dass Sie nicht der sein sollten, der Sie sind, oder nicht das tun dürften, was Sie tun, dann wehrt er jede Entschuldigung oder Erklärung barsch ab.
Als ich noch für die Firma arbeitete, die ich schon erwähnt habe (deren Besitzer ein 1,5er war), erfuhr ich diese Geschichte über einen unserer jungen Ingenieure: Er hatte sich Urlaub genommen, war jedoch noch einmal ins Büro gekommen, um sein Gehalt abzuholen. Da er nicht wusste, dass sich der Chef gerade bei uns aufhielt, trug er eine legere Hose und ein buntes Hemd. Beim Verlassen des Fahrstuhls lief er dem Boss in die Arme. Mit einem finsteren Blick auf die lässige Kleidung knurrte er: Sagen Sie mal, junger Mann, arbeiten Sie für mich? Geistesgegenwärtig antwortete der Ingenieur wie aus der Pistole geschossen: Nein. Ich glaube, ich habe mich in der Etage geirrt. Und damit wandte er sich rasch um und verschwand im Treppenhaus. Ein typischer Fall: Der 1,5er glaubt nur allzu gern, er besässe die Menschen zum Eigentum.

Informationen
Wenn Sie einen solchen Menschen bitten, eine Bestellung auszurichten, dann sollten Sie wissen, dass er mitnichten das ausrichtet, was Sie ihm gesagt haben.
Ersuchen Sie etwa einen 1 ,5er, er möchte doch den Hausmeister auffordern, die Fenster zu putzen, wird er dies sogleich als Drohung weitergeben: Lieber Mann, da sitzen Sie ja ganz schön in der Tinte. Wenn Sie nicht sofort die Fenster im vorderen Büro saubermachen, fliegen Sie raus!

Die eigene Habe
Da derartige Typen scharf darauf sind, Menschen oder Gegenstände zu besitzen, werden sie notfalls sogar ihre eigene Habe zerstören, wenn sie bedroht wird. Versucht man, einem Kind sein Spielzeug abzunehmen, dann schreit es: das gehört mir! Ein zorniges Kind wird oft eher seine Spielsachen kaputtmachen, als sie mit andern teilen. Keine Drohung nützt dann etwas. Die Devise solcher Menschen lautet: Entweder gehört alles mir, oder ich lasse es vor die Hunde gehen. Jedenfalls soll kein anderer Hand an meinen Kram legen.

Die unerbittlichen Eltern
Zu diesem Emotionsniveau zählt der Vater, dessen Erziehungsmethoden noch aus den Tagen unserer seligen Urgrossväter stammen: Er herrscht mit eiserner Hand. Lärm, Unordnung, Spielen verärgern ihn so, dass er sein Kind brutal behandelt. Er schreckt auch vor schwerer körperlicher Züchtigung nicht zurück. Selbstverständlich tut er dies zum Besten seines Kindes: Er will ja schliesslich einen Musterknaben vorzeigen können. (Wenn Eltern auf der Stufe des Zorns es nicht wagen, andern ihre Gefühle zu offenbaren, lassen sie ihre Wut häufig an ihren Kindern aus, denn ein Ventil müssen sie ja haben.)
Ich habe miterlebt, wie eine ganze Familie durch die Herrschsucht eines 1,5ers zur Heimtücke getrieben wurde. Der Vater war davon überzeugt, dass jedes Kind den Tag mit einer grossen Schüssel Haferflocken zu beginnen habe. Wenngleich seine vier Jungen das Zeug bald nicht mehr sehen konnten, blieb er doch unerbittlich.
Das Resultat: Jahrelang wurde Morgen für Morgen dieses Ritual zelebriert: Der Vater überwachte seine Frau beim Zubereiten und wartete, bis sie den Kindern die Haferflocken servierte. Dann machte er sich befriedigt auf den Weg in sein Büro. Kaum war sein Wagen jedoch verschwunden, da wurden die vier unberührten Schüsseln mit Flocken in den Napf des Hundes geleert, und die Mutter schlug Spiegeleier mit Schinken in die Pfanne. Freilich ist mir nicht bekannt geworden, wie dem bejammernswerten Hund diese eigenartige Diät bekommen ist.

Liebe und Zärtlichkeit
Zeigt sich bei einem 1,5er mit einemmal menschliche Wärme oder gar Zuneigung zu einem andern Wesen, dann darf man sicher sein, dass sich sein Emotionsniveau geändert hat.
In siegreichen Armeen ist es schon beinahe zu einer traurigen Tradition geworden, dass manche ihrer Angehörigen vor Vergewaltigungen nicht zurückschrecken. Oft hören wir auch von geisteskranken Verbrechern, die über Frauen herfallen.
Der 1,5er von heute ist allerdings viel zu zivilisiert, um sich derart roher Mittel zu bedienen.
Er äussert seine weichen Gefühle anders: Indem er seine Frau nämlich ohne jede Zärtlichkeit nimmt. Rücksichtnahme kennt er nicht. Die Frau auf Stufe 1,5 hingegen straft mit Sex: Sie verweigert sich ihrem Mann. Männer dieses Gefühlsbereichs können auf geradezu unverschämte Weise treulos sein. Obwohl sie meist recht klägliche Liebhaber sind, halten sie sich für unwiderstehlich und streichen ruhelos gleich dem Don Juan durchs Land. Sie leben in der heiligen Überzeugung, ein wahres Göttergeschenk für alle Frauen zu sein. (Männer der Stufen 1,1 und 1,2 verhalten sich ähnlich.)
Zusammenfassung
Halt! schrie der Filmregisseur die Schauspieler an. Verdammt noch mal! Spielt die Szene endlich richtig! In einer psychologischen Abhandlung wurde das Benehmen dieses Regisseurs als eine Mischung von Wut, Abscheu und Ungeduld bezeichnet. In Wirklichkeit setzt sich diese Mischung jedoch aus verschiedenen charakteristischen Merkmalen zusammen, die allesamt zum Zorn - Niveau gehören. Sie sind demnach keine selbständigen Emotionen, sondern zählen zur Stufe 1,5. Schlagen Sie einem 1,5er einen Spass vor, dann wird er Sie anzischen: Für so was hab ich keine Zeit. Er beschwert sich viel lieber. Was immer er auch erreicht haben mag, er empfindet keine rechte Freude daran. Er ist stattdessen der Ansicht, dass er von Rechts wegen viel mehr verdient habe. Wo er einen Fehlschlag einstecken muss, schiebt er andern die Schuld in die Schuhe. Er staut unentwegt Groll auf. Entschuldigen Sie sich bei ihm mit den Worten: Es tut mir leid. Ich nehme alles zurück, dann gestattet er Ihnen gar nicht, etwas von Ihren Äusserungen zurückzunehmen.
Er braucht seinen Groll nämlich wie das tägliche Brot. Wenn jemand zu Ihnen sagt: Sie sind im Unrecht, dann ist dieser Mensch auf 1,5 oder 2,0 einzuschätzen. Niemand, der auf einem anderen Emotionsniveau heimisch ist, würde eine solche Bemerkung so unverblümt aussprechen.
Der Mensch auf hoher Stufe sinkt auf Zorn, sobald er gestoppt wird. Aber er fasst sich bald wieder und vergisst die Angelegenheit. In Schwierigkeiten gerät er bloss dann, wenn er eine wichtige Entscheidung trifft oder Differenzen beizulegen versucht, solange er sich noch auf diesem tieferen Niveau befindet. Als ich einer Schulklasse die Emotionsskala erklärte, bat ich die Kinder zugleich, mir einige ihnen bekannte Verhaltensweisen auf niedriger Ebene zu nennen.
Ein Schüler erzählte von seinem Nachbarn, den er eines Morgens beim Anlassen seines Automotors beobachtet hatte. Der Mann drehte den Zündschlüssel, trat ein paar Mal aufs Gaspedal, aber der Motor sprang nicht an. Nun öffnete er die Motorhaube, fummelte eine Zeitlang im Innern herum und versuchte danach sein Glück aufs Neue. Vergeblich. Nachdem er eine Weile hin und herhantiert hatte, bekam er einen Wutanfall. Er machte den Kofferraum auf, riss einen schweren Hammer heraus, rannte um den Wagen und schlug wie ein Tobsüchtiger unter wildem Gebrüll auf die Motorhaube ein. Und das solange, bis seine Arme erschlafften. Das ist freilich auch eine Methode, verfahrene Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Und zwar eine höchst gründliche.
Zwölftes Kapitel

Schmerz (1,8)
Schmerz: unangenehme, peinigende körperliche, Empfindung.
Wenn Sie sich jemals eines Menschen angenommen haben, der Schmerzen erdulden musste, dann werden Sie auch wissen, wie fordernd, launisch und gereizt ein sonst gutmütiger Mensch sein kann. Der Schmerz an sich ist keine Emotion, sondern eine Wahrnehmung, die den Menschen warnt: Sein Leben ist bedroht. Der Schmerz löst jedoch eine besondere gefühlsmässige Reaktion aus, die zwischen den Bereichen Zorn und Antagonismus eingeordnet werden kann.

Die verlorene Kontrolle
Wer Schmerzen hat, vermag nicht auf hohem Emotionsniveau zu bleiben: Unweigerlich muss er die Stufe Schmerz tiefer sinken. Er ist nicht mehr so aufmerksam wie bisher. Er möchte woanders sein (ganz gleich, wo auch immer). Er wird verdriesslich, ruhelos, ungeduldig. Er kämpft gegen den Schmerz an, aber er ist dermassen zerstreut, dass all seine Bemühungen erfolglos sind. Hans schafft gerade in der Garage Ordnung, da sticht ihn eine Biene. Er holt nach ihr aus, verfehlt sie jedoch und wirft dabei eine Ölkanne um. Er stellt die Kanne wieder auf, aber sie rutscht ihm aus der Hand. Fluchend stürzt er sich auf die schon halbtote Biene und rennt mit dem Kopf an die offen stehende Schranktür. Natürlich tobt er nun wie ein Irrer.
Der Schmerz lähmt die Kontrollkraft, die der Mensch gegenüber seiner Umwelt hat. Also sieht er sich zu irgendwelchen Verteidigungsmassnahmen gezwungen. Da er indessen nicht auf der Höhe ist, bestehen diese Massnahmen lediglich aus ziemlich hilflosen, wenn auch heftigen und böswilligen Schlägen, die er wahllos austeilt. Extreme Wärme etwa (eine Form des Schmerzes) verändert das übliche Verhalten. Denken wir nur an jemanden, der an einem Sommertag in seinen Wagen steigt, in dem die Hitze wie in einem Backofen glüht: Der Mann wird sogleich mürrisch und nervös. An solchen heissen Tagen geschehen auch sehr oft jene Kurzschlusshandlungen, die man Verbrechen aus Leidenschaft nennt.

Das Ertragen von Schmerzen
Ein Mensch mit hohem Gefühlsniveau kann mehr Unbehagen in Form von grosser Hitze, ungewöhnlicher Kälte, grellem Licht und polterndem Lärm ertragen als andere, die auf tieferen Gefühlsstufen beheimatet sind. Ein bekümmerter Mensch empfindet nahezu alles als schmerzlich. Er hadert mit Gott und der Welt. Sie dürfen ihn also nicht mit dem 1,8er verwechseln, dessen Schmerz echt und tief und dessen Empfindungswelt viel lebhafter ist. Der vergrämte Mensch wird sich über Schmerzen beklagen, wenn ihn der Schuh ein wenig drückt. Wer auf einer höheren Stufe steht, kümmert sich vielleicht gar nicht darum.
Zusammenfassung
Es ist ziemlich einfach, Personen auf dem Niveau 1,8 zu Identifizieren: Werfen Sie - bildlich gesprochen - Leute der Stufen Furcht und Antagonismus in einen Topf, und streuen Sie ein wenig Salz in ihre offenen Wunden. Das tut dann wirklich weh.
Dreizehntes Kapitel

Antagonismus (2,0)
Antagonismus: Widerstreit, Gegensätzlichkeit, Gegenwirkung; Antagonist: Gegner, Widersacher.
Als einer meiner Freunde von einer Party aufbrach, hörte er, wie sich ein anderer Gast überschwänglich bei der Frau des Hauses verabschiedete: Das Diner war köstlich. Ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken. Darauf versetzte die Gastgeberin trocken: Wirklich nicht?
Nachdem ich diesen kleinen Vorfall gehört hatte, erklärte ich meinem Freund, dass sich diese Frau auf der Stufe des Antagonismus befände. Meine rasche Einschätzung überraschte ihn, doch er bestätigte meine Ansicht. Der Schlüssel zu ihrer Beurteilung war nicht allein die Entgegnung, sondern auch der Anlass.
Das charakteristische Merkmal der Antagonismus-Ebene ist die Zurückweisung, die Widerlegung, die offen gezeigte Feindseligkeit. Ein derartiger Mensch nimmt nicht etwa den Ball auf und wirft ihn dem Partner wieder zu: Er schlägt ihn mit voller Wucht zurück. Er modelt die Realität so um, dass sie in sein antagonistisches Konzept passt. Stets äussert er in Worten seine Zweifel. Während er seine eigene Meinung verteidigt, stellt er die der anderen in Frage.
Alle diese Eigenschaften waren bei der Gastgeberin vorhanden. Sie war nicht gesonnen, den freundlichen Dank entgegenzunehmen. Ihre herausfordernde Erwiderung drückte verbalen Zweifel aus. Dadurch versuchte sie, die liebenswürdige Bemerkung des Gastes herabzusetzen. Sie verdrehte die Tatsachen, indem sie es kurzerhand ablehnte, den Mann zu verstehen. Sie lehnte damit zugleich auch jeden echten Kontakt ab. So kann man sich mit zwei Worten äusserst beliebt machen.
Was meinen Sie eigentlich?
Der Antagonismus ist jene Region, wohin sich der Zornige in seinen besseren Stunden begibt und der Langweiler, wenn er sich provoziert glaubt. Diese Emotion ist viel lebhafter als alle andern, die wir bis jetzt behandelt haben. Zuweilen finden wir Leute auf 2,0 recht amüsant, doch nur selten angenehm. Dieses Emotionsniveau ist sozusagen mit Fussangeln und Widerhaken reich bestückt.
Hier prasseln sarkastische Wortspiele auf den Verdutzten herab. Der 2,0er zahlt Ihnen alles heim. An diesem Symptom können Sie ihn allerdings auch leicht erkennen. Befindet er sich ganz unten, dann zeigt er seinen Ärger ungeniert jedermann. Ist er dagegen am oberen Ende eingependelt, benimmt er sich geradezu unverschämt. Während er die niedrigeren Emotionsniveaus noch unterscheiden kann, meint er, jede Verständigung auf höherer Ebene müsse genau so sein wie die unter seinesgleichen. Versuchen Sie, ein paar nette Worte zu sagen, dann missversteht er Sie und glaubt gar, beleidigt worden zu sein. Was meinen Sie eigentlich mit Ihrer Bemerkung? werden Sie zu hören bekommen. Er nörgelt, droht und kritisiert in einem fort. Immer muss er debattieren. Er gehört zu jenem Typ, der die Leute gern ins Kreuzverhör nimmt.

Spielen und Gewinnen
Zwei Jungen treffen sich auf einem Schulhof. Wie heisst du denn? fragt der eine. Was geht das dich an? entgegnet der andere. Ich bin aber stärker als du.
So?
Na, dann komm doch her, du Grossmaul.
Ein Mensch auf der Stufe Antagonismus vermag keiner Herausforderung zu widerstehen. Wenn Sie wollen, dass er etwas Bestimmtes unternimmt, dann schlagen Sie ihm am besten das Gegenteil vor. Wenn Sie ihm eine Ware verkaufen wollen, lassen Sie klugerweise durchblicken, dass Sie sie ihm nicht beschaffen können. Geben Sie ihm einen Grund, sich herausgefordert zu fühlen, und er wird auf Touren kommen. Nichts feuert ihn so an wie ein Wettkampf, den er gewinnen kann. Ich wette, dass Sie das nicht bis um zwei Uhr schaffen werden oder Ludwig wird vermutlich mehr erreichen als du.
Sein grosses Spiel heisst Wettbewerb. Er wird nicht nachgeben, wenn es sich darum handelt, besser als sein Gegner zu sein. Der 2,0er ist einer, der grundsätzlich Nein sagt, wenn alle übrigen für Ja stimmen.
Er ist jener Menschentyp, der ausgerechnet dann eine Hundeausstellung besuchen muss, wenn alle andern sich ein Konzert anhören wollen. Immer muss er widersprechen und aufbegehren. Seine Existenz - so meint man - hänge davon ab, einen Widerpart aufzuspüren. Wo ein Mensch auf der Stufe Zorn Sie kaltschnäuzig mundtot zu machen versucht, zieht es der 2,0er vor, mit Ihnen zu diskutieren. (Die dem Emotionsbereich Zorn verhafteten Menschen argumentieren nicht, denn sie wähnen sich ohnehin im Recht.) Die Antagonisten dagegen lieben das lange Streitgespräch, um sich selbst zu beweisen.
Personen auf höherem Niveau folgen niemals jemandem blindlings. Oft opponieren sie gegen die gemeinsamen Vorurteile einer Gruppe. Sie handeln jedoch aus Oberzeugung so, und zwar zu einem bestimmten Zweck. Menschen auf der Stufe des Antagonismus indessen gehen gegen andere vor, weil ihnen nun einmal nichts grösseres Vergnügen bereitet, als dagegen zu sein. Der 2,0er spielt niemals aus Freude am Spiel, sondern lediglich, um zu gewinnen. Das Spiel ist für ihn eine ernste Angelegenheit. Er möchte immer bestimmen. Wo dies nicht geht, fängt er erst gar nicht an. Er zählt zu jenen liebenswerten Zeitgenossen, die andern jeden Spass verderben. Er ist ein miserabler Verlierer. Wenn er beim Kartenspiel bloss miese Blätter bekommt, stöhnt er gepeinigt auf. Wenn er einen Stich verliert, wird er sauer.
Hat er einmal Pech, schiebt er flugs die Schuld daran 'I andern zu. Gewinnt er jedoch, dann freut er sich hämisch und prahlt mit seiner Geschicklichkeit. Notfalls betrügt er auch. In ihm steckt der Zwang, stets und überall gewinnen zu müssen, koste es, was es wolle. Nur das Gewinnen zählt für ihn, nicht das Spiel. Jemand auf höherem Emotionsniveau freut sich auch, wenn er gewinnt. Er nimmt die Sache aber nicht tragisch, falls er einmal verliert.
Auf der Stufe 2,0 ist der Mensch derart überzeugt davon, entweder Besiegter oder Sieger zu sein, dass Sie ihn kaum vom rüden Vorgehen gegen seine nächsten Familienangehörigen oder Freunde abhalten können. Stets muss er jemanden haben, gegen den er sich wenden kann. Schwieriges Familienleben
Ein verheirateter 2,0er traut der Liebe nicht so recht. Oft stellt er zärtliche Gefühle ernsthaft in Frage. (Woher soll ich wissen, dass du mich wirklich liebst?) Er reagiert auf weiche Empfindungen sogar manchmal mit Abneigung oder einem gänzlichen Umschwang seines bisherigen Verhaltens. Wenn Sie ihm die Wange streicheln wollen, stösst er schroff Ihre Hand von sich. An kleinen Kindern hat er ständig etwas auszusetzen. Sie bringen ihn leicht in Aufregung und machen ihm das Leben noch schwerer.
Falls Sie so jemanden heiraten, dürfen Sie kein friedliches Beisammensein erwarten. Der 2,0er kommt erst dann richtig zu sich, wenn er die Gelegenheit zu einem schönen Streit sieht. Weigern Sie sich jedoch, mit ihm zu streiten, dann fängt er zu meckern an und hackt auf Ihnen herum, bis Sie zu einer Reaktion gezwungen sind. Er bearbeitet Menschen auf höherem Emotionsniveau solange, bis er sie hinabgezogen hat. Er sucht einen Gegner, keinen Partner.

Unangenehmer Mitarbeiter
Seine Aggressivität und sein Wettbewerbsdenken bringen ihm häufig Beförderungen ein, aber gern arbeitet niemand mit ihm zusammen. Anweisungen kleidet er in Drohungen: Sie erledigen diese Aufgabe bis Ende der Woche, oder Sie können sich Ihre Gehaltserhöhung in den Schornstein schreiben.
Wenn Sie ihm einen Auftrag geben, wird er sogleich ein Argument parat haben: Warum warten wir damit nicht bis zum nächsten Monat? Jetzt wird uns die Sache bloss noch mehr Kopfschmerzen machen. Er ist ein Meister im Erfinden von Ausreden, um sich vor der Arbeit zu drücken.

Freude am Negativen
Wie gibt ein 2,0er Weisungen weiter?
Können Sie sich auf seine Berichte verlassen?
Nun, in dieser Hinsicht ist er verlässlicher als alle Leute auf niedrigeren Emotionsniveaus, denn er leitet wenigstens einen gewissen Teil der Information weiter. Freilich verbringt er die meiste Zeit mit feindseligen und drohenden Gesprächen. Während er destruktive Nachrichten mit Freude dem Empfänger zukommen lässt, behält er die konstruktiven für sich. Er wird Ihnen beispielsweise nicht mitteilen, dass die Forschungsabteilung endlich ein schwieriges Problem gelöst hat. Statt dessen bringt er Ihnen mit flüchtigen Worten bei, die Forschungsabteilung habe irgendetwas entdeckt, aber diese Leute lägen noch immer im Streit mit der Produktionsabteilung, denn niemand wisse, wie alles weitergehen solle.

Humor
Auf dieser Gefühlsebene lacht der Mensch auch über das Unglück anderer. Er schätzt brutale und beissende Äusserungen, aber er hat weder den Sinn noch das Ohr für feineren und geistreichen Humor.
Als mein ältester Junge etwa vier Jahre alt war, spielte er mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft. Die Kleine schloss ihn eines Tages in einen Schrank ein und hielt ihn solange gefangen, bis er einen hysterischen Anfall bekam. Ich erzählte diesen Vorfall später einer Nachbarin. Ihre einzige Reaktion: Sie lachte hell auf.
Zusammenfassung
Der 2,0er ist geradeheraus, aber auch taktlos. Er lauert auf den geringsten Anlass, um einen Disput vom Zaun zu brechen. Den Antagonismus dürfen wir als eine Art Trennlinie bezeichnen. Wer sie überschritten hat, verhält sich meist vernünftig. Wer jedoch unterhalb der Stufe 2,0 verharrt, wird wohl weitaus häufiger unvernünftig handeln.
Die Unvernunft des Menschen auf niedrigem Emotionsniveau ist daran zu erkennen, dass er nur über einen engen Horizont verfügt. Er mag leichtgläubig, störrisch oder stets unentschlossen sein. Nur selten ist er flexibel. Wer diese Trennlinie hinter sich gelassen hat, sieht die Dinge aus vielen Gesichtswinkeln.
Vierzehntes Kapitel

Langeweile (2,5)
Langeweile: Mangel an Abwechslung, Überdruss, nicht wissen, womit man sich die Zeit vertreiben soll.
Man fährt für zwei Wochen ans Meer. Manchmal hört man erst bei der Ankunft auf, sich Gedanken darüber zu machen, ob man auch ja den Gashahn zugedreht hat. Meist dauert es noch einige Tage, bis man beim Erwachen nicht mehr von dem erschreckenden Gedanken geplagt wird, zu spät ins Büro zu kommen. Schliesslich entspannt man sich und erfreut sich an der Tatsache, dass man jetzt endlich einmal abgeschaltet hat und nicht mehr unter Druck steht. Man schläft lange, geht zum Schwimmen oder Angeln oder bummelt ziellos durch die Landschaft. Wenn Sie so ruhig geworden sind, dass der Besuch im Krämerladen ein grosses Ereignis bedeutet, dann haben Sie den Zustand der Langeweile erreicht. Nun interessieren Sie sich nicht einmal mehr für die wichtigsten Probleme der Menschheit. Viele Leute gelangen auf diesem Emotionsniveau zu einem gewissen Sättigungsgrad: Sie wollen bald wieder aktiver werden.
Anders reagiert eine Person, die chronisch auf der Stufe der Langeweile lebt. Sie kennt eigentlich nur ein Lebensziel: nämlich die Zeit totschlagen. Und das verstehen solche Leute meist ganz vortrefflich.

Langeweile, die keine ist
Allerdings wäre es ein Fehler, wollten Sie Menschen diesem Emotionsniveau zuordnen, die gar nicht dorthin gehören. Zuweilen erweckt jemand den Anschein, er sei ein Langweiler, während er sich in Wirklichkeit auf seiner normalen Stimmungsebene befindet und nur die Intensität seiner Empfindungen ein wenig gedrosselt hat. Es geschieht halt im Moment nichts, das imstande wäre, sein chronisches Niveau blosszulegen.
Ein stets apathischer Mensch wird Ihnen berichten, dass nahezu alles auf Erden langweilig sei, weil es eines starken Anstosses bedarf, um bei ihm eine Reaktion auszulösen. Ein immerzu trauriger Mensch wird sich darüber beklagen, dass ein komischer Film langweilig sei, denn er hatte ja keinen Grund zum Weinen. Wenn man dem 1,1er nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt, so dass er
Feuer fängt, dann täuscht er eine weltkluge, übertrieben kritische Langeweile vor.
Was suchen wir eigentlich noch hier?
Wollen wir nicht woanders hingehen, um etwas zu erleben?
Derartige Leute sind gelangweilt (wie es in den meisten Definitionen heisst), weil nichts passiert, das sie anzuregen vermag. Aber sie befinden sich keineswegs auf 2,5 der Skala. Der wirklich gelangweilte Mensch beklagt sich nicht und ist auch nicht ungeduldig. Er fühlt sich ganz wohl.
Werfen wir doch einmal einen Blick in ein Klassenzimmer. Gerda, ich hab mich noch nie im Leben so gelangweilt wie jetzt. Wenn der Kerl da vorn nicht bald seine Klappe hält, krieg ich einen Schreikrampf. Quasselt dieser Mensch doch tatsächlich über die Beine der Heuschrecken! Du liebe Güte! Und ich hab mir immer eingebildet, in der Biologie würde man was über Sex zu hören kriegen! Drei Reihen hinter dieser jungen Dame, die ihre Empfindungen so drastisch auf einem Zettelchen ihrer Freundin mitteilt, macht ein langer Lulatsch ein Nickerchen. In einer andern Reihe wippt ein finster dreinblickender Jüngling ungeduldig mit dem Fuss.
Jeder dieser Drei wird beteuern, wie gelangweilt er sich fühle. Dennoch befinden sie sich nicht auf der Stufe der Langweile. Der wirkliche 2,5er sitzt hinten an der Wand und malt Männchen in sein Heft. Dann schaut er interessiert einer Fliege zu, die über den Tisch summt. Er fragt sich, ob der Lehrer wohl eine Perücke trägt und kommt zu dem Schluss dass das eigentlich völlig egal sei. Er untersucht Staubkörnchen, die in einem Sonnenstrahl tanzen. Er denkt kurz über Heuschrecken nach und sagt sich dann, dass er wohl irgendwann einmal die Lektion durchlesen sollte. Erfinden wir einen denkbaren Vorfall, um das wahre Emotionsniveau kennen zu lernen:
Plötzlich zerschmettert ein Stein die Fensterscheibe und landet auf dem Tisch des Lehrers. Papiere flattern durch die Luft. Eine Blumenvase zerschellt am Boden. Der Lehrer springt entgeistert zurück. Ein frostiger Wind peitscht durch den Raum. Ein Mädchen fängt an zu schreien. Andere brechen in Tränen aus. Ein paar Schüler lachen. Einer läuft nach vorn, um nachzusehen, ob der Lehrer verletzt ist. Der 1,1er indessen heuchelt bloss Besorgnis. Er überlegt schon, wie er die Geschichte später schön ausschmücken kann. Nach dieser Begebenheit geht jeder gewissermassen aus seinem Emotionsbereich heraus: Er zeigt sein wahres Gesicht. In der letzten Reihe sitzt unser 2,5er und betrachtet sich gelassen die ganze Bescherung. Er weiss natürlich, dass die Angelegenheit auch gefährlich hätte enden können. Doch stürzt er bei diesem Gedanken keineswegs in Panik. Er blickt aus dem Fenster und fragt sich, woher der Stein wohl geflogen kam, aber er gelangt zu der Folgerung, dass das eigentlich völlig egal sei. Für ihn war dies eine interessante Stunde.

Ausgeglichenheit
Er ist ein ausgeglichener Mensch. Er schenkt allem seine Aufmerksamkeit. Er möchte unterhalten werden. Ihm gefällt ein gewisses Mass an Aktivität in seiner Umgebung. Sich selber kann er stunden-, tage- oder gar jahrelang mit ganz unbedeutenden Dingen beschäftigen. In aller Gemütsruhe wäscht er sein Auto, schneidet die Hecken, spielt eine Partie Bridge und betrachtet sich im Fernsehen ein Fussballspiel. Hin und wieder gehen ihm zwar prächtige Ideen durch den Kopf, aber er wird vermutlich kaum einen neuen Treibstoff erfinden, der das Benzin ersetzt. Er wird auch keiner revolutionären Bewegung beitreten.
Menschen auf dieser Stimmungsstufe führen im Allgemeinen ein recht zielloses Leben. Sie sind sorglos, gleichgültig und wirken nicht unangenehm. Wahrscheinlich werden sie Ihnen gefallen. Sie brauchen keinen Angriff von ihnen zu befürchten. Ebenso wenig werden sie versuchen, Sie ummodeln zu wollen. Andererseits werden solche Leute Sie aber auch in einer Gefahr nicht warnen. Vielmehr bleiben Sie von ihnen gänzlich ungeschoren. Keine Bange - Aufdringlichkeit ist die Sache derartiger Menschen nicht. Sie geben sich auch gar keine Mühe, Sie in ihren Kreis einzubeziehen. Sie haben nämlich keinen Kreis, und sie geben sich keinem Spiel hin: Sie schauen lediglich den andern (und dem Leben).

Beim Gespräch
Mit Tatsachen geht ein Mensch der Stufe Langeweile ziemlich nachlässig um. Sie werden ihn jedoch trotz dieser Nachlässigkeit für liebenswürdig halten. Er wird niemals mit Ihnen streiten, weil es ihm gleichgültig ist, ob Sie einer Meinung sind oder nicht. Wenn Sie auf Ihrer Ansicht beharren, wird er lediglich erwidern: Geraten wir uns doch wegen dieser Lappalie nicht in die Haare. Seine Unterhaltung kreist meistens um unwichtige Themen. Wenngleich Ihnen dieser friedfertige Mensch vielleicht alles über die Nachbarn brühwarm auftischen könnte, ist sein Klatsch doch nie bösartig. Ihm ist es auch egal, ob er sich mit Ihnen verständigen kann oder nicht. Wenn Sie sich in irgendeiner Angelegenheit um Klarheit bemühen, wird er Ihre Versuche mit den Worten abtun: Ach, kommen Sie, das ist doch alles nicht so wichtig.
Er nimmt die Menschen, wie sie sind - nicht etwa, weil er sich für sie interessiert, sondern weil es gar zu beschwerlich wäre, sich anders zu verhalten. Fragen Sie ihn, ob er es für ratsam hält, diesen oder jenen Mann für eine bestimmte Tätigkeit zu engagieren, und er wird Ihnen gleichmütig antworten: Ich glaube, der Bursche ist schon in Ordnung.

Wenn es gefährlich wird
Der 2,5er unterschätzt das Ausmass gefährlicher Situationen. Wenn einer zu ihm gestürzt kommt und keucht: Ihr Haus steht in Flammen! Beeilen Sie sich! Unternehmen Sie etwas!, dann wird er entgegnen: Sachte, sachte. Immer mit der Ruhe. Ihm steht eine Auswahl von Plattitüden zur Verfügung, die er in ernsten Lagen zitiert, damit er in nichts hineingezogen wird und folglich auch keine Verantwortung zu übernehmen braucht. Wenn Sie ihm erzählen, dass Sie gerade dabei sind, ein Tätigkeitsfeld zu suchen, wo Sie mehr verdienen können, dann wird er lediglich mit den Achseln zucken und das Thema von sich weisen: Wo nichts ist, gedeiht auch nichts.
Er verspürt kein Bedürfnis, sich anzustrengen. Fragen Sie ihn, was er in der letzten Zeit gemacht habe, so wird er Ihnen antworten: Ach, nichts besonderes. Es ist halt immer noch dasselbe. Er trödelt und bummelt. Er hascht nach unnützen Informationen und beschäftigt sich mit Nebensächlichkeiten. Vielleicht erinnert er sich an jedes Fussballtor, das irgendwann und irgendwo einmal gefallen ist, aber es gelingt ihm nicht, sich einer Aufgabe zu widmen, die seine Existenz auf eine solidere Grundlage stellen könnte.
Er wird niemals etwas Grosses zustande bringen - es sei denn, man zwingt ihn dazu.

Sinn für Humor
Es gibt einen uralten Witz über die Unterhaltung zweier Engländer. Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihre Frau gestern beerdigt haben, murmelt der eine. Nun, was sollte ich machen? versetzt der andere. Schliesslich war sie ja tot.
Der 2,5er wird sich köstlich über diesen Witz amüsieren (und ihn vermutlich auch weitererzählen). Sein Sinn für Humor zeigt sich in seiner Vorliebe für Kalauer. Wenn er selbst witzig sein will, kommen zwar ganz lustige, aber zumeist abgedroschene Wortspiele heraus. Mehr als Plattitüden hat er selten zu bieten. Und obwohl seine Witzchen kaum originell sind, bringt er sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an den Mann. Wirklich originelle Wortspiele gelingen im Allgemeinen nur Personen auf der Stufe 1,1.
Eines Tages stand ich vor einem Bauernhaus und wählte ein paar Maiskolben, die auf einem Schubkarren zum Verkauf angeboten wurden. Plötzlich trat der Bauer zu mir. Dieser Mais sieht aber gut aus, bemerkte ich. Richtig. Er ist auch ganz frisch. Erst vor einer knappen Stunde geschnitten. Das weiss ich zufälligerweise ganz genau. Dann beugte er sich wie ein Verschwörer zu mir und gab mir sein grosses Geheimnis preis: Ich hab ihn nämlich selber geschnitten. Deshalb weiss ich so gut Bescheid. Während er den Mais einpackte und mir das Wechselgeld reichte, freute er sich noch immer über den guten Witz, den er da gemacht hatte. Mit diesen liebenswürdigen Worten hatte der Mann den Gipfel seines Humors erreicht.
Noch witziger kann ein 2,5er nicht werden. Nun, dieser Mann war nicht gerade ein Witzbold, aber doch ein ganz netter Kerl.

Liebe und Leidenschaft
In seiner Eigenschaft als Vater ist an dem 2,5er wenig auszusetzen. Er ist freundlich und liebenswürdig zu Kindern, mischt sich jedoch nicht weiter in ihre Angelegenheiten. Sollten Sie indessen eine leidenschaftliche Verbindung vorziehen, Schlagfertigkeit, Esprit und übermut erhoffen, dann angeln Sie sich lieber keinen Menschen aus dem Gefühlsbereich Langeweile. Er ist nämlich viel zu bequem, um Sie mit glühender Leidenschaft zu verfolgen. Er wird sich auch nie darüber Gedanken machen, ob Sie ihn lieben oder nicht: Er hat einen gesunden Schlaf, der durch Sorgen dieser Art in keiner Weise beeinträchtigt wird.
Will der 2,5er im Fernsehen eine langweilige Unterhaltungssendung so recht von Herzen geniessen, dann stellt er den Kasten eben an - was Sie darüber denken, ist ihm schnuppe. Nein, ein grossartiger Kavalier ist er wahrlich nicht. Immerhin hält er jedoch den Rasen in Ordnung.

Im Geschäftsleben
Er wirkt zwar nicht so aktiv wie Leute auf niedrigeren Emotionsebenen, macht seine Sache in einem Routinejob aber ganz gut. Seine Mitarbeiter verstehen sich mit ihm. Als Chef ist er weniger geeignet, denn er vermag andere nicht mitzureissen, und er ist auch zu gleichgültig, um sich für ein Unternehmen begeistern zu können. Wenn Sie jemanden mit Ideen suchen, dann zählen Sie besser nicht auf ihn. Es fällt ihm schwer, Entscheidungen zu treffen.
Falls Sie ihn fragen: Was halten Sie von einer grossen Verkaufskampagne?, dann wird er Ihnen wahrscheinlich antworten: Meinetwegen. Er ist nicht sehr beständig, ziemlich träge und kann sich auch nicht recht konzentrieren. Dennoch ist er bemüht, seine Arbeit anständig zu erledigen. Aber nur das - mehr nicht.
Zusammenfassung
Die Langeweile ist eine Art Apathie auf höherer Stufe. Der langweilige Mensch legt jedoch auch eine gewisse Leichtfertigkeit an den Tag. Seine Aufmerksamkeit wendet sich andern zu. Er ist viel lebhafter und sorgloser als ein in Apathie Versunkener.
Dieser Typ ist eigentlich der netteste, dem wir bisher bei unserer Kletterpartie auf der Skala begegnet sind. Wenn es Ihnen schwer fällt, sich an Langweiler zu erinnern, die Sie einmal getroffen haben, dann hat dies einen einleuchtenden Grund: Solche Leute sagen oder tun nur seIten etwas, das im Gedächtnis haften bleibt.
Der 2,5er ist ein Mensch, der seinen Ehrgeiz ruhen lässt. Er ist freundlich und müssig. Er wird die Welt ganz sicher nicht aus den Angeln heben. Er ist weder zufrieden noch unzufrieden. Er möchte vor allem unterhalten werden.
Mit einem Wort: Er ist ein Zuschauer.
Fünfzehntes Kapitel

Konservatismus (3,0)
Konservatismus: Geistige oder politische Haltung, die die bestehende Ordnung bejaht und zu erhalten sucht.
Er ist nicht der Welteroberer.
Vermutlich gefällt er Ihnen, wenn Sie nicht gerade an drastische Reformen denken. Da ihm nichts ferner liegt, als den Kahn zum Schwanken zu bringen, hält er auch nichts von Begeisterung und Erfindungsgabe.
Wenn gleich er lebhafter ist als die Menschen auf niedrigeren Empfindungsstufen, ist sein Standort doch noch nicht der beste auf der Skala. Versuchen Sie, ihm etwas zu verkaufen, ihn zu einem Unternehmen anzuregen, ihn zu einer impulsiven Tat anzufeuern - er wird Ihnen gelassen erwidern: Das muss ich mir erst genau überlegen. Wir sprechen später noch einmal darüber.
Er ist vorsichtig, zurückhaltend, tolerant und anpassungsfähig. Nie wird er sich in ein Abenteuer stürzen, dessen Eventualitäten er nicht im Voraus bis ins kleinste durchdacht hat.
Vermutlich wird er kein Vermögen zusammenraffen, ebenso wenig aber wird er finanziell vor die Hunde gehen. Er investiert sein Geld in dreiprozentigen Kommunalobligationen, während andere mit neuen, noch unsicheren Ölaktien spekulieren. Wie die vielzitierte Schnecke legt er ein Stückchen des Weges ums andere zurück.
Sein Dasein verläuft in vorgeschriebenen Bahnen auf schablonenhafte Weise.
Die Phantasie ist ihm fremd.
Ein nach der neuesten Mode gekleideter Mensch, der sich obendrein das Haupthaar so verrückt wie möglich hat stutzen lassen, ist ganz gewiss keiner auf Stufe 3,0. Er zählt nicht zu jenen, welche die Richtung bestimmen. Und er trägt eine neue Mode erst dann, wenn sie allgemein anerkannt worden ist. Er tut nichts, um aufzufallen. Im Gegenteil: Er verabscheut es geradezu, Aufmerksamkeit zu erregen. Viel lieber ist er einer der vielen, von denen man keine Notiz nimmt.

Offen und ehrlich
Er ist ein Mensch von guten Sitten und handelt stets nach den Grundsätzen, die ihm anerzogen wurden. Um welche Geschäfte es auch gehen mag - Sie können sich auf seine Ehrlichkeit verlassen. Doch rechnen Sie nicht damit, dass er Ihnen auch sagt, Ihre neue Frisur sei grauenhaft. Dergleichen liegt ihm einfach nicht. Er gibt höchstens ein paar gesellschaftliche Lügen weiter und behält alles für sich, was die Gefühle eines andern verletzen könnte.
Kürzlich traf ich einen typischen Konservativen, der mir berichtete, seine Frau habe sich einen neuen Kleiderstoff gekauft, den er persönlich allerdings zu auffällig fände. Das Dumme an der Geschichte ist, dass ich ihn einfach nicht so elegant finden kann wie sie, und jetzt nimmt sie natürlich an, der Stoff gefalle mir überhaupt nicht. Aber um nichts in der Welt möchte ich sie kränken. Mit Problemen dieser Art müssen Menschen der Stufe 3,0 fertig werden. Verständnis für Jeden
Im Allgemeinen vermeidet der 3,0er Debatten. Stattdessen hört er sich die Bemerkungen eines jeden an und verkündet danach, dass eben jeder mehr oder weniger recht hat. Obwohl er zu seiner Meinung steht, vermag er doch viel leichter beide Seiten der Medaille zu betrachten, als dies Leuten auf tieferen Stimmungsebenen möglich ist.
Wenn seine Mitarbeiter über das Betriebsklima diskutieren, wird er lediglich zu bedenken geben: Schon gut. Andererseits kann ich aber auch die Schwierigkeiten der Direktion verstehen. Diese Leute haben ebenfalls ihre Probleme.

Als Gesprächspartner
Der 3,0er spricht in ruhigem, reserviertem Ton und bevorzugt Plaudereien über das Wetter und die Strassenverhältnisse. Handfestere Themen vermeidet er nach Möglichkeit
Wenn Sie ihm mitteilen, dass Sie Ihre Stellung kündigen, Ihr Haus verkaufen oder in einem Boot über alle Meere segeln, dann wird er zwar höflich zuhören. Wenig später jedoch setzt er seinen ganzen Charme ein, um Ihnen Ihr Vorhaben auszureden. (Selbstverständlich wendet er keinerlei Druck an und macht Sie auch nicht lächerlich.) Er argumentiert zugunsten von Sicherheit, Schutz und andern Faktoren, die es Ihnen gestatten, ungeschoren davonzukommen.
Wir haben keine Probleme
Die Dinge entwickeln sich gut. Wir haben keine Probleme. Auf dieser Ebene unterhält sich der 3,0er mit Vorliebe. Wenn Sie ihn bitten, Nachrichten weiterzuleiten, wird er dies zuverlässig tun. Schlechte oder sensationelle Nachrichten hingegen bagatellisiert er gern, und wirklich grossen, schöpferischen Ideen gegenüber verhält er sich misstrauisch.
Ich hörte einmal ein paar Männern zu, die darüber Klage führten, dass Indianer angeblich zu oft Lachs aus den Grossen Seen fischten. Einer von ihnen (Stufe 1,5) meinte: Wenn wir die Indianer nicht endlich daran hindern, werden bald überhaupt keine Lachse mehr in den Seen leben.
Der 3,0er lehnte es indessen ab, Partei zu ergreifen. Vielmehr erklärte er: Ich glaube, es ist schwierig, in dieser Angelegenheit ein gerechtes Urteil zu fällen. Ich bin mit der Sache nicht vertraut genug, um mitreden zu können. Aber ich bin sicher, dass beide Seiten ihre ernsthaften Argumente haben.

Bei der Arbeit
Falls Sie einen Menschen suchen, der eine kühne Werbeaktion für Sie aushecken soll, dann wählen Sie keinen 3,0er, denn ihm fehlt der rechte Mumm für diesen Job. Brauchen Sie hingegen jemanden für die Buchhaltung, der alle Extravaganzen auf ein Minimum beschränken soll, dann wird der Konservative der richtige Mann sein. Ist nämlich das Endresultat vorausschaubar, dann wird er tüchtig arbeiten. Falls er nicht allzu viele Hindernisse vor sich sieht, wird er sich mit Ausdauer ans Werk machen. Er gibt sich auch mit seiner Arbeit zufrieden. Sie können sicher sein, dass er zu einem guten Teil Verantwortung tragen wird.
Das Verhalten eines Menschen der Stufe 3,0 wird in wissenschaftlichen Kreisen sehr geschätzt: Auf umsichtig durchdachte Weise wird er dem Fortschritt dienen. Stellen Sie sich vor, Sie seien der Chef und beabsichtigten, einem Ihrer Angestellten zu kündigen. Der konservative Mensch zieht es vor, etwas derartiges nicht selbst zu tun: Er möchte niemandem zu nahe treten. (Verwechseln Sie ihn nicht mit dem Menschen auf der Mitleid-Ebene 0,9, der sich bemühen wird, Ihnen die Sache auszureden:
Na, so schlecht ist der Mann wiederum auch nicht. Wir sollten ihm doch noch eine Chance geben. Er gibt sich alle Mühe.) Der Konservative sieht ein, dass der Angestellte im Interesse des Ganzen gehen muss. Sobald er aber Ernst machen soll, wird er über diesen wahren Sachverhalt hinweggehen, damit kein Streit und Ärger entsteht. Statt kurzerhand zu sagen: Sie sehen doch, dass Sie nichts Vernünftiges zustande bringen, wird er ein paar trostreiche Worte über die leider notwendig gewordenen Einschränkungen murmeln und dem Entlassenen alles Gute für die Zukunft wünschen.
Verlangen Sie von dem 3,0er auch nicht, dass er im Geheimen Nachforschungen anstellen möge: Er schätzt das Detektiv-Spiel durchaus nicht. Da er überhaupt nicht neugierig ist, glaubt er fest daran, dass man die Rechte anderer zu respektieren habe.

In der Familie
Die Kinder von konservativen Eltern wachsen meist zu recht tüchtigen Erwachsenen heran. Der 3,0er interessiert sich nämlich für seinen Nachwuchs. Er zwingt den Kindern seinen Willen nicht auf: Vielmehr ermuntert er sie dazu, ihre eigene Meinung zu äussern. Er wird schockiert sein, wenn sein Sohn in Lumpen herumläuft und seine Tochter keinen Büstenhalter trägt. Doch wird er (wenn überhaupt) nur milde Vorwürfe machen. Zwar steht er seinen Kindern mit Rat und Tat zur Seite (konservativem Rat und Tat selbstverständlich). Andererseits jedoch gestattet er ihnen, sich ihre Freunde nach Belieben auszuwählen. Er mischt sich auch höchst selten in ihre Lebensführung und ihre Beschäftigungen ein.
Sie könnten etwas weitaus Schlimmeres anstellen, als einen Menschen der Stufe 3,0 zu heiraten. Er wird Ihre Zuneigung ebenso warm beantworten, wenngleich es ihm vielleicht ein wenig schwer fällt, seine Empfindungen zu zeigen. In der Öffentlichkeit wird er Ihnen wohl kaum je ein Ständchen bringen. Handelt es sich bei der konservativen Person um eine Frau, dann wird sie vermutlich auch keine modischen Albernheiten mitmachen. (Sie brauchen also nicht zu befürchten, dass sie eines Tages oben, unten, vorne oder hinten ohne angetanzt kommt.)
Ihre Liebe indessen wird beständig sein und sich bewähren. Zwei Menschen auf diesem Emotionsniveau werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Treue halten. Sie sind schlicht gesagt zufrieden.
Zusammenfassung
Sollten Sie je auf den Gedanken verfallen, einem Menschen der Stufe 3,0 weiszumachen, es gäbe auf dem Saturn Leben, dann wird er Ihnen entgegnen: Natürlich haben Sie ein Recht auf Ihre Meinung. Aber ich möchte nicht behaupten, dass auf dem Saturn Menschen leben. Dazu müsste ich zunächst Beweise haben. Der Konservative ist der Auffassung, man solle nie den ersten Schritt tun. Er ist ein Mitläufer, kein Entdecker.
Sechzehntes Kapitel

Interesse und Enthusiasmus (3,5-4,0)
Interesse: Aufmerksamkeit, Beachtung, Anteilnahme, Wissbegierde, Neigung.
Enthusiasmus: Begeisterung, Entzücken.
Unser neuer Mathematiklehrer sprach bedächtig. Dies ist angeblich eine wahre Geschichte. Ein Mann sass mit seiner Frau in der Kirche und schlief bei der Predigt ein. Er träumte, dass er während der Französischen Revolution lebte. Man sperrte ihn ein und schleifte ihn sodann zur Guillotine. Der Tod schien also unvermeidlich zu sein. Just in diesem Augenblick bemerkte seine Frau, dass er die Augen geschlossen und den Kopf vorgeneigt hatte. Sie hob seinen herabgefallenen Strohhut auf und gab ihm einen leichten Klaps in den Nacken. In seinem Traum hielt der Mann diese Berührung für die Schneide der Guillotine, die herabsauste und ihn tötete. Der Lehrer lächelte und fuhr fort: Der Mann war auf der Stelle gestorben. Nun, woran erkennen Sie, dass es sich dabei nicht tatsächlich um eine wahre Geschichte handelt? Der Lehrer lachte und beobachtete die Wirkung dieser Erzählung in unserem Mienenspiel. Wenn der Mann wirklich im Schlaf gestorben wäre, hätte ja niemand wissen können, was er geträumt hatte. Unsere erste Begegnung mit diesem jungen Lehrer war recht ungewöhnlich. Die Mädchen waren natürlich begeistert und freuten sich, in seiner Klasse zu sein. Allerdings graute es uns doch ein wenig vor dem grässlich aussehenden Lehrbuch der Geometrie.
Zu unserer Überraschung beachtete er dieses Buch jedoch länger als acht Tage überhaupt nicht. Stattdessen erzählte er uns Geschichten, deren Pointe wir herausfinden sollten. Wir waren allesamt verdutzt: War das etwa Schulunterricht? Bald warteten wir begierig auf seine erste richtige Lektion. Nachdem er uns also eine Woche lang mit Rätseln amüsiert hatte, waren wir davon überzeugt, dass das Lösen von Problemen geradezu Spass mache. Und als er schliesslich zum ersten Mal das Lehrbuch aufklappte, hatten wir ein echtes Interesse am Unterricht. So geht ein Mensch auf hohem Emotionsniveau mit andern um: Er führt sie auf eine Stufe, wo sie sich für ein Thema interessieren. Er bedient sich lieber der Beweisführung als der emotionellen Überredung. (Entweder machst du jetzt diese Arbeit, oder ich lasse dich durchfallen - das ist die Taktik der Leute mit niedrigem Niveau.)
Am oberen Ende der Skala finden wir eine Region, die sowohl das Interesse (Vergnügen) als auch den Enthusiasmus (Frohsinn) umschliesst. Ich fasse diese Begriffe in einem Kapitel
zusammen, weil sie in ihren charakteristischen Eigenschaften miteinander verwandt sind. Der Mensch auf 4,0 steht noch ein wenig höher. Treffen wir mit einem Menschen zusammen, der in diesem Empfindungsbereich heimisch ist, dann sollten wir uns freuen und unsere Zeit nicht dadurch verschwenden, dass wir nun bis aufs i -Tüpfelchen genau herauszufinden trachten, ob er sich auf der Ebene des Interesses oder des Enthusiasmus befindet.

Interesse
Selbstverständlich kann man sich auf jeder Stufe der Skala für die mannigfachsten Dinge interessieren. Der eine möchte gern Näheres über die Suahelisprache erfahren, der andere ist scharf auf pornographische Bilder. Doch wer es dabei belässt, hat noch lange nicht 3,5 erreicht. Wer wirklich auf hohem Emotionsniveau lebt, zeigt ein tätiges Interesse für alles, was von Wert ist. Auf dieser Ebene ist der Mensch aktiver, teilnahmsvoller, schöpferischer. Er vermag weitreichende Pläne und Ideen zu entwickeln, die seine eigene Zukunft (und möglicherweise die der gesamten Menschheit) bessern. Seine Interessen sind vielleicht ungewöhnlicher und umfassender als die der Leute auf niedrigeren Stimmungsstufen. Er gibt sich nicht mit der passiven Rolle des Zuschauers zufrieden: Er greift in das Geschehen ein. Der 3,5er ist imstande, sich lange Zeit mit gleich bleibendem Interesse einer Angelegenheit zu widmen. Er beschäftigt sich nicht heute mit einer Sache, die er morgen oder übermorgen wieder in die Ecke wirft (wie dies bei Menschen mit tieferen Empfindungslagen der Fall ist).
Ich kannte einmal einen jungen Mann, der plötzlich an der Ornithologie Interesse nahm. Er studierte das Verhalten der Vögel mit einem solchen Eifer, dass er schon bald jeden einzelnen Vogel ruf zu unterscheiden wusste. Binnen weniger Monate war er zu einem Fachmann geworden. Später erlernte derselbe junge Mann Karate und errang den begehrten Schwarzen Gürtel. Er war noch keine zwanzig und beherrschte zwei Fähigkeiten, die ihm gewiss sein Leben lang Vergnügen bereiten und Selbstsicherheit geben würden. Mir ist eine ganze Reihe von Leuten bekannt, die doppelt so alt sind wie er und sich auf dilettantische Weise mit Dutzenden von Liebhabereien befasst haben, ohne auch nur auf einem einzigen Gebiet ein vergleichbares Wissen zu erwerben.
Wie ist es zu erklären, dass der 3,5er auf ein angestrebtes Ziel mehr Aufmerksamkeit verwendet? Nun, zu einem gewissen Teil ist dieser Elan darauf zurückzuführen, dass er sich nicht so sehr um die eigene Person kümmert: Er ist nicht introvertiert. Ihm liegt mehr daran, selber interessiert zu sein, als interessant zu erscheinen.

Enthusiasmus
Auf diesem Emotionsniveau begegnen wir dem Mann, der gerade sechs Richtige im Lotto hatte (bevor er einen Steuerbescheid ins Haus geschickt bekommt). Er ist eifrig, begeistert, heiter und lebhaft. Stellen Sie sich jetzt unter einem enthusiastischen Menschen nur ja keinen ständig grinsenden Burschen vor. Dazu neigt eher der 1,1 er mit seiner vorgetäuschten Freundlichkeit. (Das unechte Gelächter und verlegene Grinsen gehört zu allen tieferen Stufen.)
In der Regel beginnt der 4,0er den Tag gut gelaunt und freut sich auf seine Arbeit. Er ist flexibel und vermag alle Empfindungen zu gegebener Zeit zu erleben. Meist ist er jedoch an der Spitze der Skala behaust und hat seine Intensität auf eine wohltuende Heiterkeit gedämpft.
Er ist ein Mensch, der andere durch seinen Tatendrang anfeuert. Falls er noch keinen leitenden Posten hat, wird er über kurz oder lang einen solchen haben. Er arbeitet gern und übernimmt auch willig die Verantwortung für einen grossen Wirkungskreis.
Den 4,0er werden Sie nicht in einer schäbigen Wohnung antreffen, denn er weiss die leiblichen Genüsse des Lebens durchaus zu würdigen. Auch geistig ist er absolut gesund. Er braucht nicht Partei zu ergreifen. Er empfindet kein Bedürfnis zum Kämpfen. Freilich wird er eher kämpfen, als Ungerechtigkeiten dulden. Da er den Beifall seiner Mitmenschen nicht braucht, ist er dank seiner Überzeugung imstande, alles in den Griff zu bekommen was der Tag ihm bietet. Hat er es einmal notgedrungen mit Leuten auf niedrigerem Emotionsbereich zu tun, wird er dadurch weder deprimiert, zwanghaft mitleidig oder grausam.
In San Francisco gab es einst einen Club der Geld und Lebensmittel für notleidende Familien sammelte. Eines Tages meinte ein Mitglied (ein Mensch auf hoher Empfindungsstufe): Wisst ihr, ich habe natürlich nichts dagegen, wenn wir diesem Mann da helfen. Aber ich würde es viel lieber sehen, wenn er sich sein Geld selber verdienen wollte.
Der Mann untersuchte den Fall und erfuhr, dass der Verarmte von seiner Firma entlassen worden war, aber wirklich arbeiten wollte. Mit Unterstützung der übrigen Clubmitglieder wurde er bewogen, ein Rasenpflege-Unternehmen zu eröffnen. Rasch stieg er auf der Skala nach oben, und sein Kundenkreis vergrösserte sich. Nach zwei Jahren besass er zwei Lastwagen, gab mehreren Hilfskräften Arbeit, und sein florierendes Geschäft kam der ganzen Gemeinde zugute. So etwa sieht Hilfe auf höherem Emotionsniveau aus.
Da er nicht daran denkt, andere unter seine Fuchtel zu bringen (um seiner Eigenliebe zu schmeicheln), feuert der Mensch auf Stufe 4,0 die Leute seiner Umgebung an: Er möchte, dass auch sie auf höhere Ebenen gelangen und sich selber helfen können. Er übt einen beruhigenden Einfluss auf besorgte Mitmenschen aus. Da er schnell reagiert, wird er nur selten das Opfer von Unfällen. Er ist nicht nur ein hervorragender Sportler, sondern zeichnet sich bei allem aus, was er einmal in Angriff genommen hat. Im Allgemeinen ist er gesund, denn er pflegt seinen Körper.

Angenehm im Umgang
Ein Mensch auf hoher Stimmungsebene kann sich leicht verständigen. Ihm ist kein Thema zu ernst. Allerdings wahrt er in der Unterhaltung dennoch einen gewissen Abstand. Er beschäftigt sich am liebsten mit konstruktiven Dingen. Alles Negative empfindet er als störend. Während ein auf niedrigem Emotionsniveau lebender Schwarzseher sich über alle möglichen schlechten Neuigkeiten des Langen und Breiten auslässt, betont der 4,0er Aktivitäten, die dem Positiven förderlich sind. Er weist zum Beispiel auf ein Buch hin, das wertvolle Ratschläge zur beruflichen Weiterbildung enthält. Er beschreibt eine neue Erfindung zur Fabrikation stabilerer Autos.
Er diskutiert lieber über Lösungen, anstatt immer nur über die übel dieser Welt zu lamentieren.
Er kann auch andern Leuten zuhören und ihre Probleme verstehen. Selbst wenn deren Niveau weit unter dem seinen liegt, wird er nicht ungeduldig oder ärgerlich:
Er ist ausgeglichen und lauscht, um zu helfen, wo es etwas zu helfen gibt. Mein Sohn erzählte mir einmal von einem Lehrer, der seinen Schülern regelmässig die Gelegenheit verschaffte, .frei mit ihm zu debattieren. Eines Tages beklagte sich ein Mädchen in mürrischem Ton: Ich glaube nicht, dass Sie uns richtig zu Wort kommen lassen. Der Lehrer hielt es nicht für nötig, sich zu verteidigen, sondern versetzte ruhig: Ja, du hast ganz recht. Ich spreche oft zu viel.
Ein Mann, der auf hohem Emotionsniveau zu Hause war. Wie ist die Lage? Wenn ein so veranlagter Mensch jemanden beauftragt, ihm einen umfassenden Bericht über eine Situation zu geben, erwartet er Fakten und - falls dies möglich ist - auch Vorschläge, um Missstände abzustellen. Von einem I Bericht, der lediglich auf Verallgemeinerungen, Vermutungen und Andeutungen beruht, will er nichts wissen.
Der 3,5er wird die Urheber solcher Elaborate ermahnen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Unnütze Mitteilungen über schlechte Neuigkeiten interessieren ihn nicht.
Auf Stufe 4,0 lehnt es der Mensch kategorisch ab, sich mit verleumderischem Geschwafel zu befassen. Er macht einfach nicht mit. Er weigert sich, Geschwätz dieser Art auch nur anzuhören. Vielleicht bemüht er sich, das Niveau des andern zu heben. Ist dies nicht möglich, dann verkehrt er nicht mehr mit der betreffenden Person. Liest der 3,5er einen subjektiv gefärbten Zeitungsartikel, der alle Welt negativ beeinflussen muss, dann setzt er sich entweder kurz entschlossen hin und schreibt dem Chefredakteur einen geharnischten Brief. Der 4,0er kündigt sein Abonnement auf der Stelle und sieht sich nach einer andern Zeitung um, die seinen Wünschen und Bedürfnissen eher entspricht.

Unter Freunden
Ein Mensch auf dieser Ebene findet rasch Freunde, denn seine Persönlichkeit zieht andere an. Manche Typen Interessen (solche auf niedrigeren Emotionsniveaus) werden sich in seiner Gegenwart nicht wohlfühlen, denn sie können ihn ja nicht zu sich hinabziehen. Wer ohne grosse Schwierigkeiten auf der Skala leicht beweglich ist, wird den 4,0er als einen anregenden Zeitgenossen schätzen: Er sucht seine Gesellschaft, um von ihm zu profitieren.
Befreunden Sie sich mit ihm. Engagieren Sie ihn. Wählen Sie ihn. Befördern Sie ihn. Arbeiten Sie für ihn. Wenn er die Zügel in der Hand hat, wird so leicht nichts schief gehen.
Wenn Sie mit ihm Karten spielen und aus Versehen Ihr, Blatt sehen lassen, wird er ihm keinen Blick gönnen, denn er ist ehrlich. Nimm, was du kriegen kannst - dieser Leitspruch so vieler Leute - ist ihm fremd.
Der 4,0er ist aufrichtig. Und zwar ist er aufrichtig auch dort, wo keine Gesetzestafeln und Verbotsschilder angebracht sind. Sie können ihm vertrauen. Im beruflichen Alltag
Wenn ein Mensch auf der Stufe des Enthusiasmus nicht schon Ausschussvorsitzender ist, dann sollte er es bald werden. Seine Arbeit macht ihm Spass, und er trägt gern Verantwortung. Bereitwillig übernimmt er die Leitung. Andererseits lässt er sich jedoch auch ohne weiteres anleiten. Anordnungen, die gegen das Erhaltenswerte gerichtet sind, lehnt er freilich entschieden ab.
Mit Ausdauer verfolgt der 3,5er konstruktive Ziele. Wenn ihm jemand erzählt, eine Sache sei unmöglich und sinnlos, wird er diesen hinderlichen Menschen links liegen lassen und einen andern Weg suchen, um seine Pläne zu verwirklichen. Neulich beobachtete ich einen solchen Mann, der gerade einen Lieferanten anrief: Er bestellte Ersatzteile für eine seiner Maschinen. Im Auftragsbüro der Lieferfirma sass offenbar ein Mensch der Stufen Gram und Apathie. Jedenfalls wusste er dies mitzuteilen: Nun, ich weiss nicht, ob Sie diese Ersatzteile jemals kriegen werden.
Wir haben sie schon vor einer halben Ewigkeit nachbestellt. Sie müssen nämlich wissen, dass diese Maschinen längst veraltet sind. Wollen Sie mir etwa erzählen, dass diese Firma keine Ersatzteile mehr für Maschinen herstellt, die noch überall in Betrieb sind? Ja, darauf kommt's letzten Endes raus. Wir kriegen unsere Lieferungen nicht mehr so wie früher. Und was soll ich jetzt machen? Das weiss ich auch nicht. Am besten wär's, Sie kauften sich eine neue Maschine. Kann ich meine jetzige dabei eintauschen? Na, viel werden Sie dafür wohl kaum kriegen. Ich sag's Ihnen doch: Diese Dinger sind veraltet. Das ist ja lächerlich! Meine Maschine ist noch tadellos in Ordnung. Na ja. Also mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Da lässt sich leider nichts machen. Der Auftraggeber legte entrüstet den Telefonhörer auf die Gabel, aber er liess es dabei nicht bewenden. Er war keineswegs gesonnen, eine derartige Schlamperei hinzunehmen und rief sogleich bei einem anderen Lieferanten an, der seinen Auftrag auch prompt erledigte. Ein tiefer auf der Skala angesiedelter Mensch hätte sich mit dem negativen Bescheid wohl abgefunden. Nicht so der emotionell reicher Begabte. Er wirft die Flinte nicht so rasch ins Korn.
Denn der 3,5er und der 4,0er streben nach höheren Zielen als alle andern, deren Gefühlsbereich weiter unten liegt. Stellen Sie einen solchen Menschen ein, dann dürfen Sie in den meisten Fällen damit rechnen, dass Sie ihn bald befördern können: Mittelmässigkeit ist seine Sache nicht.
Wenn gleich weder geizig noch habgierig, ist er weit eher imstande, Besitz zu erlangen als die Menschen auf den tieferen Rängen der Skala. Er erfreut sich nämlich seines Eigentums. Er verdient meist viel Geld und nimmt seine Chancen wahr. Auf den tieferen Stufen treffen wir Leute an, die sich sagen: Wenn ich nur ein bisschen mehr Geld oder grössere Besitztümer hätte! Der eine oder andere schafft es früher oder später tatsächlich und wird ein gemachter Mann. Die meisten jedoch meinen, sie könnten es sich gar nicht erlauben, viel zu besitzen.
Dies ist für 3,5er und 4,0er kein Problem. Sie haben längst erkannt, dass es nicht damit getan ist, nur das Allernotwendigste ihr Eigen zu nennen: Dieser Zustand ist ihnen zu unsicher. Also arbeiten sie härter, um mehr zu bekommen. Ein solcher Mensch kann unerfreuliche Geschehnisse leichter verdauen als andere. Sollte er gar ein Vermögen verlieren, dann springt er im Nu wieder auf die Beine und ruht nicht eher, als bis er abermals ein wohlhabender Mann geworden ist.
Nicht selten ist er die Zielscheibe von Angriffen: Leute, die emotionell niedriger eingestuft sind, missgönnen ihm Rang und Stellung. In solchen Fällen setzt er sich, wenn nötig, zur Wehr und macht sich im Übrigen nicht allzu viel aus derartigen Attacken.

Liebe und Ehe
Wenn Sie einen solchen Partner finden können, nehmen Sie ihn (oder sie) und bauen Sie sich gemeinsam eine Zukunft. Sie werden vermutlich keinen Irrtum begehen. Hier, auf der höchsten Stufe der Skala, begegnen wir der Standfestigkeit und dem natürlichen Instinkt, sich ausschliesslich einer Frau (oder einem Mann) zu widmen.
Der 4,0er geniesst die sexuellen Freuden. Er reagiert auf alle geschlechtlichen Dinge gesund. Seine Liebe ist spontan und überschwänglich. Sie hat nichts zu tun mit den ausschweifenden Bedürfnissen des Wüstlings. Denn der Mensch auf Stufe 4,0 ist auch imstande, seinen sexuellen Drang auf schöpferische Weise zu sublimieren.
Sein Interesse für Kinder ist gross. Er kümmert sich nicht bloss um ihr körperliches und seelisches Wohlergehen: Er sorgt sich auch um die Gesellschaft, in der sie einmal leben werden. Demnach beschäftigt er sich mit Reformen, denn er möchte, dass sein Nachwuchs es besser haben wird als er selber.
Zusammenfassung
Er steckt voller Tatkraft und freut sich des Lebens. Er täuscht keine falsche Bescheidenheit vor und spielt sich auch nicht auf (weil er dies gar nicht nötig hat). Er weiss genau, wozu er fähig ist, und schätzt sich richtig ein. Er gibt sich so, wie er ist.
Er ist ein flexibler Mensch. Muss er einen Verlust hinnehmen oder eine Niederlage einstecken, dann trifft ihn dies nicht in seinem Lebensnerv: Rasch fängt er sich wieder. Wird er von andern Leuten absichtlich gestoppt oder gebremst, setzt er sich zur Wehr, ohne nachtragend zu sein.
Dieser Mensch ist kein willenloses Werkzeug, aber erführt vernünftige Weisungen aus, ohne lange darüber zu diskutieren. Voraussetzung ist allerdings, dass sie nicht gegen seine Moral verstossen. Er ist unabhängig und hilfsbereit. Er steht auf gutem Fuss mit andern, ohne seine Prinzipien über Bord zu werfen. Entschliesst er sich eines Tages, weniger zu essen, damit er abnimmt, dann isst er auch in der Tat weniger. Ebenso verhält es sich mit andern Vorsätzen: Ob er nun sparen oder nicht mehr um Geld spielen will - stets wird er bei seinem einmal gefassten Entschluss bleiben.
Er ist ein fröhlicher, unvoreingenommener Mensch, der auch hin und wieder durchaus bereit ist, seine Ansichten zu ändern und neue Gesichtspunkte zu erwägen. Er handelt intuitiv. Er darf sich auf sein Gefühl verlassen und wird am Ende meist Recht behalten.
Können Sie sich noch an Ihren letzten Schultag erinnern? Endlich lag der düstere Bau hinter ihnen. Vergessen waren die langweiligen Themen, die lästigen Hausaufgaben, die quälenden Konjugationen der Verben, die gleichgültigen Vorträge. Sie empfanden eine Erleichterung wie nie zuvor. Sie fühlten sich so beschwingt, als könnten Sie durch die Lüfte davon schweben. Nichts bedrückte Sie mehr. Die Zukunft strahlte hell auf vor Ihnen in rosigem Licht. Ein Gefühl der Grossmut überkam Sie: Die ganze Welt schien Ihnen zu gehören. Eine Welt, die Sie erforschen würden.
Eine Welt, in der Sie lieben, spielen und lachen würden.
Das ist die Spitze der Skala.
Siebzehntes Kapitel

Tipps zum Orientieren
Die Emotionsskala nutzt Ihnen am meisten, wenn Sie sich ihrer bei jedem Menschen bedienen, der Ihnen begegnet: also bei Geschäftskollegen, Nachbarn, Verkäufern, Clubmitgliedern, Verwandten und Freunden. Stellen Sie zunächst einmal fest, ob die Person in emotioneller Hinsicht als hoch oder tief einzustufen ist. Danach ist es schon viel leichter (und, häufig nicht einmal nötig), das genaue Emotionsniveau herauszufinden.

Begegnung mit Fremden
War man mit einem Menschen zusammen, dessen Gefühlsbereich tiefgestimmt ist, dann sieht die Welt - wenn auch nur vorübergehend -ziemlich trüb aus, und die Zukunft erscheint in einem nicht allzu erfreulichen Licht. Die gute Laune einer Person auf hohem Emotionsniveau stimmt Sie dagegen heiterer und optimistischer.
Hinzu kommt, dass sich ja auch Ihr Instinkt meldet, wenn Sie zum ersten Mal einem bislang Fremden gegenübertreten. Wie manche jungen Leute sagen, hat man gute oder schlechte Schwingungen. Kommen Sie dahinter, dass Ihr erster Eindruck der richtige war, dann vertrauen Sie Ihrem Instinkt auch künftig. Versagt Ihr Einschätzungsvermögen, so haben Sie es vermutlich mit Leuten zu tun, die sich auf den Stufen Traurigkeit, Mitleid oder Versteckte Feindseligkeit verbergen. Seien Sie in einem derartigen Fall wachsam.

Das Überleben
Das Überleben oder Vorankommen betrifft sowohl das körperliche als auch das geistige Wohlbefinden. Wenn es mit einem Menschen bergab geht - wenn er sich nachlässig kleidet, schlecht ernährt, schäbig haust -, dann bewegt er sich in den tieferen Regionen der Skala. Wer sich weiter oben befindet, besitzt meist das zum Leben Notwendige (oder mehr). Er ist ein sieghafter Mensch und hegt grosse Pläne für die Zukunft. Reichtum allein ist nicht immer ein Hinweis auf die Chancen einer Person. Zuweilen treffen wir Leute, die eigentlich in den unteren Bereichen angesiedelt sind, doch viel Geld besitzen. Freilich vermögen sie nicht das zu erreichen, was jenen durchaus nicht schwer fällt, die in oberen Rängen heimisch sind und weniger Geld haben.

Verständigung
Ein tiefgestimmter Mensch jammert oft darüber, dass ihn keiner verstehe.
Wenn Sie seinen Klagen Gehör schenken, ~ werden Sie bald erfahren, weshalb er sich in dieser miesen Verfassung befindet. Vielleicht spricht er zu wenig mit andern Leuten. Vielleicht aber plappert er auch in wirren Monologen vor sich hin. Vielleicht bricht er jäh ab, wechselt sprunghaft das Thema, will alles auf einmal sagen. Ist er ein Super-Intellektueller, dann wird er mit grossen Worten nur so um sich schmeissen, was zur Folge hat, dass selbst intelligente Menschen ihn nicht verstehen können. Hochgestimmte Menschen können sich immer verständlich ausdrücken. Sie reden klar und deutlich. Wenn Sie also jemanden rasch einordnen wollen, scheren Sie sich am besten nicht darum, wie viel er von sich gibt oder welche hochgestochenen Äusserungen er im Munde führt. Es kommt einzig und allein darauf an, ob das, was er sagen möchte, auch wirklich beim Gesprächspartner ankommt.

Themenwahl
Leute auf hoher Stimmungsebene erfahren gern günstige Neuigkeiten. Sie sind an Konzeptionen interessiert, die anregend auf sie wirken. Lösungsmöglichkeiten fesseln Ihre Aufmerksamkeit. Diese Menschen sind auch mit Freuden bereit, solche positiven Nachrichten andern mitzuteilen.
Der emotionell tiefer Stehende dagegen zieht es vor, seinem Gesprächspartner die fürchterlichsten Geschichten unter die Nase zu reiben. Er weiss von plötzlichen Todesfällen, wüsten Skandalen, entsetzlichen Zerstörungen zu berichten. Er hascht dabei nach Effekten. Und wer ihm begierig lauscht - der tiefer Stehende eben - geniesst voller Behagen diese schaurigen Nachrichten.
Heutzutage besteht viel Interesse an der Umweltverschmutzung. Doch während die Typen ganz unten immer nur schwarzsehen und das an sich schon Schlimme noch schlimmer darstellen, suchen die Menschen auf höheren Emotionsstufen nach Lösungen.

Reden und Schweigen
Hochgestimmte Menschen unterhalten sich gern, sind aber ebenso gern bereit, andern zuzuhören. Begegnen wir einem, der wie ein Wasserfall sprudelt oder stumm wie eine Maus in der Ecke sitzt, dann dürfen wir als sicher annehmen, dass er unweit der unteren Skalaschwelle beheimatet ist.

Probleme
Unterhalb der Stufe 2,0 ist der Mensch geradezu stolz darauf, wenn er andere davon überzeugen kann, dass seine Probleme einfach unlösbar sind. Vielleicht behauptet er, sofort in die Stadt fahren zu müssen, doch sei ihm dies unmöglich, weil sein Auto gerade in der Reparaturwerkstätte überholt werde. Schlagen Sie ihm nun vor, doch ein Taxi zu nehmen (was das Naheliegendste ist), wird er Ihnen zur Antwort geben: Ach, um diese Tageszeit kriegt man doch kein Taxi. Sie fahren fort: Vielleicht nimmt Ihr Nachbar Sie mit? Er wird wiederum abwehren: Ich kenne niemanden so gut, um ihn darum bitten zu können. Sie verlieren noch immer nicht die Geduld und raten ihm, es per Anhalter zu versuchen. Schon wimmelt er auch diesen Vorschlag ab: Wer nimmt denn heute noch Anhalter mit? Jetzt verspüren Sie wohl keine Lust mehr, ihm aus der Klemme zu helfen. Das eigentliche Problem liegt nämlich gar nicht in der Frage der Beförderungsart, sondern in seinem niedrigen Emotionsniveaubegründet.

Frage und Antwort
Sehr wichtig bei der Beurteilung eines Menschen ist die Zeit, die er benötigt, um auf eine klare Frage eine ebenso klare Antwort zu geben. Fragen Sie beispielsweise einen Menschen der höheren Gefühlsregionen, wie viele Türen das Zimmer habe, in dem Sie sich gerade aufhalten, dann wird er sich rasch umsehen und Ihnen augenblicklich antworten. Der tiefer gestimmte Mensch indessen wird keine direkte Antwort geben. Er wird zögern. Vielleicht fragt er sich nun seinerseits, worauf Sie hinauswollen, oder er versucht zu erfahren, ob Ihre Frage etwa eine Falle sei. Unter Umständen lässt er eine wahre Dissertation über die Definition von Türen vom Stapel.
Möglich, dass er auch zu bedenken gibt, man könne schliesslich Fenster ebenfalls als eine Art Tür ansehen. Es kann obendrein passieren, dass er sich danach erkundigt, ob nicht am Ende unter dem Teppich eine Falltür vorborgen sei.
Ihre Frage aber beantwortet er nicht.
Dieses lange Zögern, dieses umständliche Tasten und unsichere Tappen, verrät jenes verworrene Denken, das die natürliche Verständigung - Antwort auf Fragen - unmöglich macht.
Wer auf den Stufen Apathie oder Gram ansässig ist, wird eine Frage mitunter überhaupt nicht beantworten, es sei denn, sie stellen sie mehrere Male. Eines Tages besuchten mich einige Hochschüler. Sie brachten einen Freund mit, den sie mit mir bekannt machen wollten. Er hatte jedoch vor Wochen einen gar zu ausgedehnten LSD-Trip unternommen und noch nicht wieder in die Gegenwart zurückgefunden. Er war völlig apathisch. Als ich ihm eine Tasse Kaffee anbot, folgte er mir in die Küche. Ich fragte ihn, ob er Milch und Zucker haben wolle. Einige Minuten lang starrte er mich stumpfsinnig an. Schliesslich fragte ich ihn ein zweites Mal. Da blickte er mich so an, als sei ich ein Mensch, den er noch niemals gesehen habe, und murmelte endlich: Ich weiss nicht ...
Je tiefer ein Mensch auf der Skala herabrutscht, umso unwirklicher wird für ihn die Umwelt. Alles, was er hört, sieht, riecht, schmeckt oder fühlt, erscheint ihm in den unteren Stimmungsbereichen irreal. Für diesen jungen Mann war eine Tasse Kaffee etwas Unwirkliches, desgleichen Milch und Zucker.
Die Kenntnis der Kommunikations-Verzögerung ist ein ideales Hilfsmittel für die Leiter von Personalabteilungen. Wenn Sie jemanden nach Namen, Adresse oder Telefonnummer fragen, erhalten Sie wahrscheinlich schnell eine Antwort, denn derartige Fragen beantwortet man aus Gewohnheit fast automatisch. Fragen Sie ihn dagegen etwas ziemlich Albernes (beispielsweise: Wie viele Füsse haben die meisten Menschen?), dann werden Sie feststellen, dass er eine lange Leitung hat: dass er zu jenen Leuten zählt, mit denen eine Verständigung nur schwer möglich ist. Manche jungen Leute auf niedrigen Emotionsstufen werden eine Menge pseudophilosophisches Geschwätz plappern, Ihre Frage jedoch partout nicht beantworten.
Der 1,1er wird die Verständigung bewusst verzögern, denn er sucht sogleich einen geheimen Sinn hinter ihr. (Er möchte zuerst wissen, was Sie eigentlich erfahren wollen.) Andere wiederum quasseln in einem fort, ohne wirklich etwas zu sagen.
Es gibt auch Typen, die Ihre Frage kurzerhand wiederholen und sie zum Gegenstand einer Erörterung zu machen suchen. Eine dritte Gruppe antwortet ausweichend, äussert Vermutungen, drückt Unentschlossenheit aus.
Die Zeitspanne zwischen Ihrer Frage und der korrekten Antwort stellt die Kommunikations-Verzögerung dar. Die Fähigkeit, komplizierte Denkprozesse zu Ende zu führen, sagt nichts Schlüssiges über das Emotionsniveau eines Menschen aus. Die Einschätzung können Sie erst vornehmen, wenn Sie dahinter gekommen sind, ob der Mensch ganz da ist, ob er beobachten kann, ob er sich seiner Umwelt in vollem Masse bewusst wird. Die Verzögerung der Kommunikation zeigt Ihnen also an, wieweit er vom hier und heute entfernt ist.
Jeder Mensch (und jede Firma) braucht eine bestimmte Zeitspanne, um einen Auftrag zu erledigen. Auch dies ist eine Kommunikations-Verzögerung. Benötigt eine Sekretärin allerdings drei Stunden, um in ihren Ordnern einen Brief aufzustöbern, dann ist sie bereits ziemlich weit weg. Bestellen Sie Einrichtungsgegenstände für Ihr Büro und müssen sechs Monate auf die Lieferung warten, dann haben Sie es mit einem Unternehmen zu tun, dessen leitende Leute sich tief unten auf der Skala befinden.
Es fällt Ihnen dann nicht allzu schwer, zu dem Schluss zu kommen, dass dieses Unternehmen wohl bald bankrott machen wird.

Unfälle
Es gibt Menschen, die sich sozusagen in einer Tour in die Finger schneiden, mit den Schienbeinen anstossen, Knochenbrüche davontragen, die Stossstange ihres Wagens demolieren und unentwegt Strafzettel verpasst bekommen. Derartige Typen leben auf niedrigen Gefühlsstufen. Es spielt dabei gar keine Rolle, wie der Unglücksrabe seine Leiden zu motivieren trachtet. Je tiefer er steht, umso öfter wird ihm ein Malheur widerfahren. Der auf höherem Emotionsniveau Lebende hingegen geht mit weit weniger Unfällen und Verletzungen durchs Leben.
Er hat nicht etwa bloss Glück: Er reagiert eben rascher.

Bei der Arbeit
Während der Mensch auf den höheren Rängen eine ganze Menge Arbeit in kurzer Zeit bewältigen kann, braucht der auf den unteren Stufen zur Erledigung einer Kleinigkeit sehr lange. Freilich gibt es auch die emotionell tiefstehenden Schnellarbeiter, die jedoch ihre Sache nur flüchtig hinhauen und dabei pfuschen.
Ein weiterer Hinweis auf das Emotionsniveau zeigt sich in der Bereitwilligkeit, mit der jemand zupackt. Der Mensch auf den oberen Stufen übernimmt einen Auftrag gern (ob er nun einfach oder schwierig ist), sofern er in seine eigene allgemeine Ziel Richtung passt. Wer indessen in den tieferen Bereichen lebt, sucht alle nur denkbaren Möglichkeiten, um sich seiner Verpflichtung zu entziehen. Viele Arbeiten hält er für unter seiner Würde. (Allerdings gibt es auch Regionen, in denen der Begriff
Würde unbekannt ist - auf den allertiefsten Stimmungsebenen nämlich.) Unterhalb von 2,0 ist jener Typ anzutreffen, der sein Leben sinnlos vergeudet, weil er sich für jedwede Arbeit zu schade glaubt. Das weiss ich schon lange.
In den unteren Regionen stossen wir auf Leute, die es entschieden ablehnen, sich jemals überraschen zu lassen. Das geschieht besonders häufig zwischen den Stufen 1,1 und 2,0. Wenn Sie diesen Menschen etwas Verblüffendes erzählen, werden Sie eine dieser drei Standard-Antworten zu hören bekommen: Das weiss ich schon lange, Das überrascht mich nicht im geringsten oder So was Ähnliches hab ich längst erwartet.
Solche Leute pflichten einem nur sehr widerwillig bei. Da sie Überrumpelungen scheuen und ständig um ihr inneres Gleichgewicht bangen, tun sie so, als seien sie über alles informiert. Sie sind die Vettern zweiten Grades jener Zeit - genossen, deren stehende Redensart lautet: Das hab ich dir ja gleich gesagt, und die Zwillingsbrüder derjenigen, die nach einem begangenen Fehler halsstarrig behaupten, sie hätten ihn vorsätzlich begangen.
Der Mensch auf hohem Emotionsniveau ist gewillt, sich überraschen zu lassen. Er ist gleichfalls gewillt, die gemachten Fehler dann auch einzugestehen.

Flexibilität
Das Wichtigste bei der Beschäftigung mit der Skala ist die Berücksichtigung der Tatsache, dass die Menschen ständig fallen und steigen, sofern sie geistig gesund sind.
Der geistig Gesunde wird wütend, wenn er eine Sendung nicht pünktlich erhält, aber er verwindet seine Wut bald wieder. Ihn befällt Angst, wenn ein betrunkener Autofahrer seinen Wagen plötzlich schneidet. Ist die Gefahr jedoch vorüber, dann beruhigt er sich wieder. Er empfindet also die jeweils der Situation angemessene Emotion. Und je höher er auf der Skala steht, umso rascher erholt er sich von Rückschlägen und gewinnt seine alte Fröhlichkeit und Zuversicht zurück.
Der emotionell tiefstehende Mensch hingegen ist leichter aus der Fassung zu bringen und braucht auch länger, um seine Balance wieder zu finden. Zuweilen ärgert er sich vielleicht tage- und wochenlang unablässig. Es kann freilich auch geschehen, dass er sich überhaupt nicht mehr erholt. In einem derartigen Fall wird er seinen ständigen Wohnsitz auf einem niedrigen Emotionsniveau nehmen.

Der Spielraum
Wie bereits erwähnt, gleitet der Mensch auf der Skala auf und ab. Das kann verwirren, wenn Sie gerade dabei sind, das Emotionsniveau einer Person einzuschätzen, die sich momentan in tieferen Regionen bewegt, denn ihr Höhepunkt liegt ja stets unterhalb von 2,0. Ist das eigentliche Emotionsniveau Apathie, dann wird sich dieser Mensch, sobald er auf die Stufe Furcht klettert, aufgekratzt fühlen. Daniel, ein erfolgloser Schriftsteller und halbwegs erfolgreicher Gigolo, verbrachte den grössten Teil seiner Zeit auf der Schwelle Furcht, obwohl er flexibel genug war, sich den unechten Charme eines 1,1ers zunutze zu machen. Andererseits gelang es ihm auch, eine betrübte Miene je nach Belieben aufzusetzen. Dies tat er immer dann wenn er Gefahr lief, von seiner Hände Arbeit leben zu müssen. Bei solchen Gelegenheiten spielte er also den sich um die Gunst seiner Mitmenschen Bemühenden.
Während derartiger Phasen liess er sich von gutmütigen und vertrauensseligen Frauen aushalten, die gleichzeitig viel Mitleid aufbrachten und selber auf der Stufe der um Gunst Buhlenden daheim waren. Mit vollem Magen und ein paar Euros schnellte er sodann im Nu zu seinem emotionellen Höhepunkt empor - der Mitleidlosigkeit -, von wo aus er seine Wohltäter gehässig anknurrte. Wenn die andern ihn schrecklich fanden, kam er sich grossartig vor. Peter lebte fast immer auf der Zorn-Ebene. Mehr oder weniger lautstark kletterte er vom mürrischen Verdruss (am unteren Ende von 1,2) zur erbosten Streitsucht hinauf, doch für die rechte Wut reichte es nicht. Wer ihn nicht näher kannte, hielt ihn für am sympathischsten, wenn er auf 1,1 absackte, wo er sich höflich und nett benahm.
Die hübsche Schauspielerin Helga, die sehr gern Männer um sich sah, war im Grunde ein Mitleid-Mensch. Sie rutschte oft auf Apathie hinunter und betrank sich dann. In ihren besten (und nüchternen) Stunden entwickelte sie sich zu einem 1,1er- Püppchen und verkündete aller Welt bei strahlender Laune, das Leben sei doch einfach wunderbar.
Die unvernünftigsten Leute sind jene, die immerzu auf ein und demselben Emotionsniveau verharren. Dann folgen diejenigen Typen, die sich zwar auf der Skala hin- und herbewegen können, deren Höchstleistung aber noch unterhalb 2,0 liegt. Und dann gibt es den Menschenschlag, der - falls die Verhältnisse zufriedenstellend sind - imstande ist, zu den höheren Regionen hinaufzusteigen. Die Vernünftigsten halten sich grundsätzlich an der Spitze auf und gleiten - der jeweiligen Situation entsprechend - mühelos und frei auf der Skala.

Erfolg
Wer am unteren Ende angelangt ist, verspürt das Bedürfnis, sein Versagen zu erklären. Er wird Ihnen mit unverhohlenem Vergnügen erzählen, dass ja auch die andern versagen. Hin und wieder tut er so, als sei er durchaus imstande, etwas Handfestes zu schaffen. In Wirklichkeit jedoch ist all sein Beginnen nicht der Rede wert. Der Mensch an der Spitze dagegen liebt den echten Erfolg - und zwar sowohl für sich selber als auch für andere.

Verallgemeinerungen
Der tiefgestimmte Zeitgenosse bedient sich mit Vorliebe Verallgemeinerungen, um seine Einstellung zu einem Sachverhalt zu rechtfertigen. Keiner geht mehr dorthin, Jeder meint., Die Leute sagen immer ...
Wer auf den oberen Rängen der Skala angelangt ist, drückt sich unmissverständlich aus. Greift er der Bequemlichkeit halber doch einmal zu vagen Redensarten, dann ist das seiner momentanen Trägheit zuzuschreiben: Er weiss nämlich durchaus, was er eigentlich sagen will. Er hat Argumente.

Faires Spiel
Sie laden einen Freund zum Mittagessen ein. Anstatt diese Einladung anzunehmen, schlägt er nun seinerseits vor, man könne doch gemeinsam auf Geschäftskosten tafeln, denn hinter diesen kleinen Schwindel werde ja keiner kommen. Auf welcher Ebene befindet sich dieser Mann? Natürlich unter 2,0. Auf der Stufe Langeweile wird ein Mensch immer wieder mit Tricks zu operieren suchen. Noch weiter unten umfasst seine Ethik alle möglichen Mogeleien und macht auch vor kriminellen Handlungen nicht Halt. Wer in gesetzeswidrige und unmoralische Taten verwickelt ist, befindet sich stets unterhalb der 2,0er Grenze.
Der emotionell hochgestimmte Mensch hingegen treibt ein faires Spiel - auch wenn niemand zuschaut.

Besitz
Achten Sie auf das Äussere Ihrer Bekannten und Freunde.
Sehen sie sauber und ordentlich oder schmutzig und ungepflegt aus? Wer sich selber pflegt, der legt auch Wert darauf, dass seine Umgebung reinlich ist. Auf den höheren Rängen wünscht der Mensch Ordnung um sich. Sein Besitz ist in gutem Zustand. Leute auf niedrigeren Emotionsniveaus richten meist ein heilloses Durcheinander an. Sie lassen ihren Kram verkommen. Es macht ihnen nichts aus, zwischen demolierten Möbeln zu hausen. Es stört sie nicht weiter, wenn sie einen bestimmten Gegenstand nicht finden können, weil sie ihn irgendwohin gelegt haben. (Höchstwahrscheinlich fällt er ihnen erst dann wieder in die Hände, wenn sie ihn nicht mehr brauchen.)
Solche Leute begnügen sich mit den primitivsten Dingen. Sie tragen schlampige Kleider und Anzüge. Ob das Hotel, in dem sie absteigen, anrüchig oder erstklassig ist, kümmert sie keine Spur. Sie geben sich auch mit einem uralten Auto zufrieden - Hauptsache, es fährt noch. Aus all diesen Indizien lässt sich wohl der Schluss ziehen, dass ihnen ein schönes und reinliches Milieu nicht behagt.
Wenn ein Mann einem netten und glücklichen Mädchen den Laufpass gibt, um mit einer Prostituierten abzuhauen, dann ist sein Niveau weit niedriger als das der Verlassenen: Er stellt geringere Ansprüche. Schlägt er einen adretten Anzug aus, um weiterhin in alten Klamotten herumzulaufen, dann ist dies der Beweis dafür, dass er keine höheren Bedürfnisse hat. Nicht anders verhält es sich mit seinem Arbeitsplatz: Gibt er sich mit einer schlecht bezahlten Stellung zufrieden, obwohl er Besseres haben könnte, dann sind seine Ansprüche in der Tat sehr gering.
Manche Menschen auf niedrigen Gefühlsebenen werden dazu erzogen, sich reinlich zu halten und nur in sauberen Sachen unter die Leute zu gehen. Wenn dies der Fall ist, sorgen sie sich auch in übertriebener Weise um ihren Besitz. Wer auf den höheren Stufen der Skala anzutreffen ist, pflegt seine Habe zwar auch mit aller Sorgfalt, aber er wird nicht von ihr abhängig.
Was ist Glück?
Allzu oft müssen wir erleben, dass ein lebhaftes Kind bestraft wird, weil es irgendetwas angeblich nicht ernst genug genommen hat. Wer aus diesem Grunde straft, gibt zu erkennen, dass er emotionell ziemlich tief angesiedelt ist. Er ist streng und möchte, dass alle andern Leute alles ebenso ernst nehmen wie er selbst. Der Mensch auf hohem Emotionsniveau wird im Gegensatz zu ihm immer seinen Sinn für Humor bewahren (desgleichen seine Vitalität). Glücklichsein und Heiterkeit sind Merkmale des gefühlsmässig Hochstehenden.
Allerdings dürfen wir die Wirklichkeit nicht mit Trugschlüssen verwechseln. Glücklichsein bedeutet nicht:
1. die melancholisch exaltierte Zufriedenheit des Apathie-Menschen, der monoton von seiner inneren Ruhe spricht;
2. den falschen 1,1er-Enthusiasmus, der immerzu von Grinsen und gezwungenem Lachen begleitet wird;
3. die Beteuerung des um die Gunst anderer Bemühten, es sei ja so befriedigend, etwas für die armen Leute tun zu können;
4. die geradezu manische Heiterkeit eines ewig feixenden Witzboldes, der im Grunde seines Wesens verlegen ist und sich meist auf der Apathie-Stufe befindet.
Nein, Glücklichsein bedeutet vielmehr ein stilles Wohlbehagen, das sich manchmal in einem plötzlichen Trällern oder einem herzlichen Lachen ausdrückt.
Dieses Wohlbehagen ist nicht gewollt: Es ist einfach da. Und schon glaubt man, die Sonne scheine ein wenig heller.
Wann kommt der Mensch zu sich?
Was macht einem Menschen am meisten Spass?
Wann geht er ganz aus sich heraus?
Was fesselt sein Interesse?
Wann kommt er wirklich zu sich?
Wenn Sie diese Fragen beantworten können, dann sind Sie auch in der Lage, sein Emotionsniveau zu bestimmen.
Auf den Stufen 1,1 und 2,0 bereitet es den Leuten Vergnügen, ihre Mitmenschen zu beunruhigen, zu versichern, zu ängstigen, zu verwirren, nervös oder verlegen zu machen und sie ins Unrecht zu setzen. Hochgestimmte Personen werden nie Gefallen am Unbehagen anderer finden.
Kürzlich las ich einen Artikel über eine Jahrmarktsveranstaltung. Darin wurde berichtet, dass ein Artist mit Hilfe von Spiegeln und Lichteffekten sein Publikum glauben machte, ein wildes Tier stürme in die Menschenmenge. Der Urheber dieses zweifelhaften Spektakels erzählte, es sei ein herrliches Gefühl für ihn, wenn er sähe, wie die Leute in panischem Entsetzen zu den Ausgängen stürzten. Eine Schau, bei der keiner davonrennt, enttäuscht mich, verkündete dieser Biedermann.
Ohne Freude vermag weder der Mensch noch die Gesellschaft auf die Dauer auszukommen. Der Begriff Freude hat jedoch auf der Skala vielerlei Bedeutungen. Der reiche Playboy beispielsweise versteht darunter lediglich die Befriedigung seiner Sinne. In diesem Falle dient die Freude also keinem konstruktiven Zweck. Der Mensch auf hohem Gefühlsniveau indessen wird durch die Freude entspannt: Sie stärkt ihn. Ihm bereitet müssiger Genuss kein Vergnügen.
Auf den unteren Schwellen der Skala ist das Vergnügen ausschliesslich auf Destruktives gerichtet. Der Antagonismus-Mensch freut sich hämisch, wenn er einen Streit vom Zaun brechen kann oder wenn er die Chance wittert, einen Widersacher krankenhausreif zu schlagen. Der 1,5er wird mit Genugtuung erzählen, wie er jemandem den Hahn zugedreht hat. Er gehört zu jener Sorte, die auch aus ganzem Herzen für Mord und Totschlag plädiert. Ein 1,1er kommt auf Touren, wenn er die Möglichkeit sieht, einmal so schön niederträchtig und infam mit ahnungslosen Opfern umgehen zu können: Welch eine Lust, einen andern Menschen durch eine gemeine Lüge hinters Licht zu führen! Mit lüsternem Grinsen wird er seinen Spiessgesellen in allen Einzelheiten mitteilen, wie er seine Frau betrogen hat. Wer sich haarklein über Todesfälle, Krankheiten, Tragödien aller Art und die vielen Formen des Elends auslässt, ist ganz gewiss in den unteren Bereichen der Skala ansässig. Leute, die mit Wonne die Gelegenheit wahrnehmen, etwas für Unglückliche und Bejammernswerte zu tun, gehören fraglos in die Kategorien Mitleid oder Gunstbemühung. Menschen auf den Ebenen Gram und Apathie bringen es fertig, sich schauerliche Selbstmorde und grauenhaftes Sterben unter ihren nächsten Verwandten genussvoll auszumalen.
Sie zerbrechen sich den Kopf über der Frage, wie sie selbst und die andern reagieren würden, falls solche fürchterlichen Heimsuchungen tatsächlich passierten.
So kann man sich halt auch amüsieren.

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Welchem Zeitraum schenkt der Mensch seine besondere Aufmerksamkeit?
Wer zwischen den Ebenen 0 und 1,0 empfindet, weilt meist in der Vergangenheit. Wenn Sie zu ihm sagen: Sehen Sie mal, wie herrlich die Sonne untergeht, dann fallen ihm sogleich alle andern Sonnenuntergänge ein, die er je erlebt (oder versäumt) hat, und er wird sie Ihnen ausführlich beschreiben. Zwischen 1,1 und 2,0 hält sich der Mensch kaum jemals in der Gegenwart auf.
Ständig redet er davon, dass er nun mit etwas beginnen wolle. Er lebt ganz impulsiv und schert sich keinen Deut um die daraus entstehenden Konsequenzen. Auf den Stufen 2,0 bis 3,0 hingegen sind die Leute fast stets da: Sie leben in der Gegenwart und für die Gegenwart. Sie werfen keinen sehnsüchtigen Blick zurück, planen freilich auch nicht allzu weit in die Zukunft.
Wer die Spitze der Skala erobert hat, gedenkt mit Freude der vergangenen Zeiten, richtet sein Augenmerk jedoch auf das Heute und beschäftigt sich auch mit Zukunftsplänen.
Können Sie anderen helfen?
Ob Sie nun Lehrer, Geistlicher, Direktor, Heiratsvermittler, Arzt oder einfach der Mann von nebenan sind, der mit andern Menschen zu tun hat: Eines Tages werden Sie sich mit einem Verzweifelten zu befassen haben. Dann sollten Sie an die Reihenfolge der Emotionen denken. Nur so können Sie hinterher feststellen, ob Sie dem in Not geratenen Mitmenschen geholfen oder ihn noch tiefer in seinen Jammer gestossen haben.
Wenn jemand weinend an Ihrer Haustür klingelt und Sie nach einiger Zeit beruhigt wieder verlässt, sollten Sie wissen, ob er seine wiedergewonnene Ruhe einer Hochstimmung verdankt oder ob er auf die Stufe der Apathie gesunken ist. Ein Mensch, der seine Tränen trocknet, tief aufseufzt und dann murmelt: Ich glaube, das Leben ist nun mal so. Ich kann es nicht ändern. Ich muss alles runterschlucken, wie's halt kommt -ein solcher Mensch sollte Sie beunruhigen und warnen: Er ist ganz sicher auf der Skala abgesackt, und Sie müssen damit rechnen, dass Sie demnächst seine Todesanzeige In der Zeitung lesen werden. Andererseits geschieht es aber auch, dass ein Traurigkeits-Mensch das Weinen vergisst und sich plötzlich für Sie oder einen andern zu interessieren anfängt: Er möchte unbedingt etwas tun. Das heisst: Er bettelt um die Gunst seiner Mitmenschen, und das ist immerhin schon eine Besserung.
Ich erinnere mich des Anrufs einer Bekannten, die mir unter Tränen erzählte, sie könne nicht mehr, denn alles habe keinen Sinn. Ich hörte mir ihre Geschichte gar nicht erst an, sondern erwiderte: Stell Kaffeewasser auf. Ich bin gleich drüben. Ihre Ehe machte dieser Frau zu schaffen. Das Problem bestand darin, dass sie glaubte, ihr Mann bleibe nur noch aus purer Höflichkeit bei ihr, liebe sie jedoch keineswegs mehr. Sie hatte alle Hoffnungen begraben. Als ich sie nach vielen Tassen Kaffee verliess, befand sie sich im Stadium des Zorns - nicht gerade die beste Emotionsstufe, doch zweifellos eine günstigere als ihre bisherige. Noch ehe ihr Mann nach Hause kam, hatte sie sich wieder um ihren früheren Arbeitsplatz bemüht und für sich und ihre Kinder ein Obdach ausfindig gemacht. Sie war entschlossen, ihre Ehe zu zerstören, was typisch ist für einen Zorn-Menschen. Aber sie war auch gewillt, ihrem Mann einmal eine ordentliche Szene zu machen. Das tat sie denn umgehend.
Es wurde ein heisses Gefecht. Anscheinend hatte auch der Ehemann in den Jahren ihres Beisammenlebens allerhand in sich hineingefressen, und jetzt endlich bot ihm seine Frau die ersehnte Chance, einmal aus sich herauszugehen. Ihr Zorn entkorkte sozusagen seine Reserve. Sie brüllten sich solange gegenseitig an, bis sie ihren Ärger und Verdruss los waren. Auf beiden Seiten wurden einige Geständnisse und Zugeständnisse gemacht. Schliesslich langweilte das ganze Gezeter die Kontrahenten jedoch, und sie vertrugen sich wieder.
Nachdem jeder eingesehen hatte, dass er teils Recht, teils Unrecht hatte, entdeckten sie ein neues Interesse für einander. Die Folge war eine Neuauflage ihrer Flitterwochen, die - ihren Angaben nach - schöner waren als die ersten.
Ihre Ehe klappte nun auf höherem Niveau. Hin und wieder verwickelten sie sich noch in einen heilsamen Streit, aber sie machten sich fortan nichts mehr vor.
Wenn sie jetzt lieb und freundlich zueinander sind, dann ist das kein Theater.
Während ein Mensch verschiedene Gefühlsbereiche durchlebt, kann er die Stufen der Skala so schnell wechseln, dass dies andern gar nicht bewusst wird. Diese Reise lässt sich mit einer Fahrt in einem Aufzug vergleichen, der nicht auf jeder Etage hält. Sie sollten jedoch imstande sein, die einzelnen Emotionen zu definieren, damit Sie wissen, ob die Fahrt nach oben oder nach unten geht.
Zusammenfassung
Lernen Sie zunächst einmal, wie man zwischen hohen und tiefen Emotionsniveaus zu unterscheiden hat. Danach ist die genauere Einordnung viel leichter. Ein Mensch muss nicht unbedingt jede seiner charakteristischen Eigenschaften zum Ausdruck bringen. Vielleicht ist Ihnen jemand bekannt, der sich offenbar ständig auf der Furcht-Schwelle befindet, seinen Zorn jedoch an dem harmlosen Zeitungsjungen austobt, der sich nicht wehren kann. Vielleicht kennen Sie auch einen 1,1 er, der niemals Witze reisst oder ohne Grund nervös auflacht. Forschen Sie nach jenem Gefühlsbereich, der den meisten seiner Verhaltensweisen entspricht, und lassen Sie sich dabei nicht durch andere Äusserungen beirren.
Die meisten Leute pendeln innerhalb ihres Emotionsbezirks auf und ab. Sie müssen demnach nicht selten lange Beobachtungen anstellen, um das chronische Niveau herauszufinden.
Wenn Sie einem Menschen begegnen, den Sie nicht auf der Skala einstufen können (von dem Sie jedoch aus irgendwelchem Anlass wissen, dass er nicht gerade ganz oben ist), dann handelt es sich wahrscheinlich um einen 1,1er. Häufig wird unsere Fähigkeit, die Skala richtig zu benutzen, durch gesellschaftliche Vorurteile beeinträchtigt.
Ein Mann bewundert beispielsweise ein schönes Mädchen so über alle Massen, dass er ausserstande gerät, ihr wirkliches Emotionsniveau zu erkennen. Ein vierzigjähriger Mensch kann (was heutzutage gar nicht so selten passiert) eine sofortige Abneigung gegen einen Jugendlichen empfinden, der barfüssig und mit langem Haar herumläuft und dem offenbar alles wurscht ist. Gelingt es ihm indessen, seine Vorurteile über Bord zu werfen, dann entdeckt er vielleicht, dass dieser struppige junge Kerl ein sehr liebenswürdiger Mensch ist, der ja - O Wunder! - von Rechts wegen an die Spitze der Skala gehört. Bedienen wir uns hingegen altüberlieferter (und altmodischer) Regeln bei der Einstufung einer Person, wird es immer wieder geschehen, dass wir an die Falschen geraten und dadurch die Gesellschaft eines fröhlichen Menschen entbehren müssen.
Ein anderer schwerer Fehler bei der Einordnung beruht auf unseren eigenen Schwächen. Vielleicht verhalten wir uns im Zweifelsfall einem andern gegenüber zu grosszügig, wenngleich wir es eigentlich besser wissen sollten.
Diese Grosszügigkeit ist fehl am Platze, denn wir helfen dem Betreffenden dadurch nicht. Helfen können wir ihm bloss, wenn wir ihn richtig einschätzen. (Und uns selbst ersparen wir möglicherweise manche Enttäuschung.
Achtzehntes Kapitel

Leben nach einem Klischee
Der gütige Pfarrer rät uns: Schlägt dir einer auf die rechte Wange, dann halte ihm auch die andere hin. Die Mutter meint: Lach doch. Wenn du lachst, müssen auch die andern lachen. Der Lehrer gibt uns die Mahnung mit auf den Weg: Zähle zunächst einmal bis zehn, ehe du die Geduld verlierst.
Mit derlei wohlgemeinten Empfehlungen wird den meisten von uns in der Kindheit das Hirn gefüttert. Natürlich sind das alles Plattheiten: Ebenso gut könnte man für jeden Ratschlag den Entgegengesetzten anführen. Bei der ersten passenden Gelegenheit holen wir eine dieser Plattitüden aus der Schachtel, um sie an den Mann zu bringen. Nur selten zerbrechen wir uns den Kopf darüber, ob an diesen Sprüchen denn überhaupt etwas dran sei. Schliesslich macht es ja Mühe, das Wahre vom Unwahren zu trennen.

Das Körnchen Wahrheit
Auf jeder Stufe der Emotionsskala gibt es ein Körnchen Wahrheit, und ihrer bedient sich der Mensch, um sein Gefühlsleben zu rechtfertigen. Der in der Furcht Befangene erklärt: Ist es denn schlimm, wenn man ein bisschen Vorsicht walten lässt? Wer sich um die Gunst anderer bemüht, fragt: Warum sollte man nicht etwas für seine Mitmenschen tun? Sind wir nicht eigentlich zu diesem Zweck auf der Welt? Selbstverständlich haben beide recht. Jeder spricht die Wahrheit aus, um seine Emotionen zu motivieren. Dennoch handelt es sich dabei nur um einen Teil der Wahrheit.
Da haben wir zum Beispiel einen Metzger, der beide Beine verloren und trotzdem seinen Laden fünfzehn Jahre lang vom Rollstuhl aus geleitet hat. Eines Tages spielt seine Enkelin im Hof des Nachbarhauses mit einer Freundin. Plötzlich tritt ein fremder Mann aus der Tür. Die Enkelin will wissen, wer das sei. Mein Grossvater, erwidert die Freundin. Ach was!, entgegnet die Enkelin. Aber klar ist das mein Grossvater. Blödsinn! Grossväter haben keine Beine. So also dachte dieses kleine Mädchen über Grossväter - zweifellos ein Körnchen Wahrheit. Aus ihrer Sicht hatte sie nicht einmal unrecht. Und ähnlich ist es bei den Emotionsniveaus.
Jede Stufe ist mit Klischees, Phrasen, Redensarten oder gar Philosophien gewissermassen untermauert, und sie alle sollen die Einstellung des betreffenden Menschen begründen. Mit Hilfe der Skala können wir zwischen einer vernünftigen Haltung und einer unvernünftigen (auf tieferer Stufe) unterscheiden.

Apathie
Wenn ich doch bloss so gelassen wäre, dass ich über den Dingen stehen könnte, die nun mal nicht zu ändern sind! So spricht ein emotionell hochstehender Mensch, weil er realistisch genug ist, um seine Bestrebungen richtig einzuschätzen. Leute im Gefühlsbereich der Apathie hingegen meinen, man könne sowieso nichts am Verlauf der Ereignisse ändern: Sie lassen sich treiben. Ihre scheinbare Gelassenheit ist die Schwäche des vom Leben überrannten.

Wiedergutmachung
Einen nicht gerade positiven Einfluss hat der Bibelspruch Selig sind die Sanftmütigen ... ausgeübt. Ein logisch denkender Mensch muss sich unweigerlich fragen, ob dies denn vernünftig sei. Sanftmütig kann nämlich als gänzlich apathisch verstanden werden. Offenbar haben wir es hier mit einer fälschlichen Auslegung zu tun, denn dieser Satz drückt ein Paradoxon aus.

Gram und Traurigkeit
Wer weint, kann seinen Kummer leichter überwinden. Er vermag dann auf der Skala wieder hochzukommen. Leute, die auf der Gram-Stufe chronisch verweilen, trachten im Gegensatz zu den positiven Naturen nach jeder Gelegenheit zum Jammern. Hochgestimmte Menschen denken gern an erfreuliche Geschehnisse der Vergangenheit. Sie erzählen auch andern davon. Traurige Leute berichten natürlich gleichfalls von früheren Erlebnissen. Für sie gibt es eigentlich nur die Vergangenheit: Sie sehnen sich nach ihr zurück. Wie oft hört man sie klagen: Es hätte alles ganz anders kommen können.

Gunstbemühung
Ist das Geben wirklich besser als das Nehmen? Allerdings. Menschen an der Skalaspitze bereitet es Vergnügen und Genugtuung, andere teilnehmen zu lassen an ihren Gütern. Sie wollen, dass ihre Mitmenschen ein Stückchen vorankommen. Wer sich indessen dauernd um das Wohlwollen und die Gunst Fremder bemüht, schenkt nur zum Schein: Er will sich von möglichen Gefahren loskaufen. Im Geheimen möchte er den Empfänger dämpfen oder ganz ausschalten.

Mitleid
Es gibt immer einen, der noch schlimmer dran ist als ich. Auch das hat seine Richtigkeit. Ein auf der Stufe Mitleid lebender Mensch macht sich geradezu ein Vergnügen daraus, arme Schlucker aufzuspüren.
An der Spitze der Skala begegnen uns Leute mit natürlichem Einfühlungsvermögen. Wer diese Gabe besitzt, findet kein Behagen daran, jemanden in Schwierigkeiten zu sehen. Er wird sein Bestes tun, um dem Unglücklichen aus seiner Misere zu helfen. Der Typ der Mitleidigen hingegen tätschelt ihm lediglich die Wange und murmelt dabei: Ach, du armer Kerl. Also hilft er ihm so, dass er ihn immer weiter bemitleiden kann.

Furcht
Der auf den oberen Rängen der Skala angesiedelte Mensch hat eine gesunde Furcht vor der Gefahr, wenn er tatsächlich bedroht ist. Diese Furcht findet jedoch ihren Ausgleich in seinem Mut und seinem guten Urteilsvermögen. Personen der Stufe 1,0 jedoch fürchten schlechthin alles und jedes.

Versteckte Feindseligkeit
Dass man zunächst einmal bis zehn zählen soll, ehe man die Geduld verliert, mag ein brauchbarer Rat für Leute sein. welche sich oberhalb des Zorn-Bereichs befinden. Falls jemand diese Ebene jedoch nicht erreicht, dann kann eine solche Empfehlung höchst nachteilig wirken: Sie wird den Betroffenen nämlich auf einem niedrigeren Niveau festnageln.
Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.
Menschen, die ganz oben ander Skala heimisch sind, machen gern einen Spass.
Der 1,1er dagegen nimmt alles derart ernst, dass sein Humor verkrampft wird.
Er macht sich lieber über andere lustig und zieht Dinge in den Staub, zu denen er selber nicht imstande ist. Häufig neigen Menschen dieser Sorte zu zynischen Kommentaren. Sag nicht allen Leuten, was du weisst. Der emotionell Hocheingestufte ist diskret. Er hat keine Veranlagung zum Kriechen, Schnüffeln, Heimlichtun. Der 1,1 er brüstet sich mit seinem angeblichen Scharfsinn, seiner vorgetäuschten Schlauheit. In Wahrheit ist er jedoch hinterlistig, heimtückisch, haarspalterisch. Er sucht ständig nach Vorwänden, um seine destruktiven Handlungen zu bemänteln.

Gefühllosigkeit
Rudyard Kipling schrieb einmal: Bewahren Sie Haltung, wenn alle andern den Kopf verlieren. Die Leute auf der Ebene Gefühllosigkeit sind stolz darauf, niemals ihre Gefühle zu zeigen: Sie haben sich stets in der Gewalt. Wer die Stufenleiter der Skala zu den höheren Regionen erklommen hat, gerät bei einer Krise nicht in Panik. Er braucht seine Seele nicht erst stumm zu machen, um einen klaren Kopf zu behalten. Er ist warmherzig und gütig und aller Empfindungen durchaus mächtig.

Zorn - Wut
Wer ein Omelett braten will, muss die Eier zerschlagen. Menschen an der Spitze bringen den Mut zum Zerstören auf, wenn es ums Weiterkommen oder um ein erstrebenswertes Ziel geht. Die Zornigen indessen hauen aus törichter Tollkühnheit die Eier in die Pfanne. Ein Omelett wird dabei allerdings nie zustande kommen.

Antagonismus
Feuer lässt sich halt bloss mit Feuer bekämpfen. Stösst ein Mensch der höheren Emotionsniveaus auf Widerstand, wird er versuchen, selbst daraus noch einen Vorteil zu ziehen. Er gibt nicht auf und verzettelt seine Kräfte auch nicht in endlosem Hin und Her. Beim 2,0er freilich zeigt sich das Körnchen Wahrheit dadurch, dass er unentwegt im Angriff lebt. Er macht aus jedem Funken ein Feuerwerk.
Wie wird man reif?
Es gibt unzählige Publikationen (tiefsinnige und seichte), die jenes Körnchen Wahrheit enthalten und die Einstellung der unterhalb der Marke 2,0 behausten Menschen zu bestärken scheinen. Leute oben und unten verstehen unter Wahrheit nicht immer dasselbe. Ehe man einen Ratschlag beherzigt, sollte man die Emotionsstufe dessen untersuchen, der ihn erteilt. Er könnte ja -hübsch verpackt - in Bereiche führen, die tiefer gelegen sind.
Manche so genannte Hilf-dir-selbst-Bücher sind Halbwahrheiten. Neulich habe ich ein derartiges Buch von einem erfahrenen Psychologen gelesen. Der Verfasser wies auf die Irrtümer vieler Verhaltensweisen hin. Er verurteilte die Speichelleckerei, das Klagen, das Mehr-scheinen-als-sein-Wollen, den Konkurrenzkampf. Seine Empfehlungen waren jedoch überwiegend der Kategorie Langeweile zuzuordnen. Beispielsweise schlug er vor, man möge doch mit dem Strom schwimmen. Der Mensch solle das Leben nehmen, wie es eben komme. Es sei ratsam, sich anzupassen. Auch dürfe man sich keine falschen Hoffnungen machen. Tagträume führten zu nichts. Der Mensch solle das geniessen, was der Alltag biete.
Andere dieser Weisheiten entstammten der Stufe Apathie: Wir sollten gar nicht erst versuchen, das Verhalten der Menschen zu begreifen, hiess es da. Die Frage nach dem Benehmen anderer ist nämlich müssig. Es gibt nun mal keinen hinreichenden Grund zur Deutung des menschlichen Benehmens. Ferner empfahl der Autor seinen Lesern, weder optimistisch noch pessimistisch zu sein, denn sowohl die eine als auch die andere Betrachtungsweise sei lediglich eine Art Krücke für jene, die wenig Selbstvertrauen besässen. Das Schwelgen in irgendwelchen Hoffnungen sei illusorisch.
An diesen Behauptungen ist etwas Wahres und etwas Unwahres. Wir alle wünschen uns schliesslich eine Welt, in der es vernünftiger zugeht. Welch ein Ideal! Leute auf den höheren Gefühlsebenen finden Mittel und Wege, um zunächst einen Menschen vernünftiger zu machen. Also bemühen sie sich, ihren Traum zu verwirklichen. Dadurch gewinnt ihr Leben einen Sinn. Wer indessen keinerlei Hoffnung hat, ist mit einer Blume zu vergleichen, die niemals blüht, mit einer Sonne ohne Wärme.
So jemand hat keine Zukunft. Die Hoffnung ist es ja, die einen Menschen glauben und erwarten lässt. Personen in tieferen Empfindungsbereichen hingegen warten gottergeben auf den starken Mann, der die Sache in die Hand nimmt. (Sie werden zeitlebens warten.)
Die Quintessenz dieses Buches hiess demnach: Wer reif werden will, soll alle Hoffnungen fahren lassen, denn sie endeten doch nur in der Resignation. Man solle also sein Lebensschiffchen kurzerhand den Wogen anvertrauen. Diese Auffassung ist bestenfalls dem Bereich Langeweile zugehörig, in schweren Fällen zählt sie zur Apathie. Immer aber muss von einer Art Kapitulation gesprochen werden. Kein gefühlsmässig Hochstehender hat es nötig, sich mit der Mittelmässigkeit abzufinden.
Ich habe noch ein anderes Buch dieser Sorte gelesen, das den Leser mächtig und einflussreich zu machen versprach. Der Verfasser offerierte den ganz und gar neuen Rat, Selbstvertrauen aufzubringen, den Leuten gerade ins Auge zu schauen, gute Manieren (als da sind: Höflichkeit und Respekt) an den Tag zu legen. Na ja, so etwas hört sich natürlich gut an. Als der Autor jedoch seine Methoden im Einzelnen anpries, kam ich schnell dahinter, dass auch er ein ziemlich tiefgestimmter Mensch sein musste. Er empfahl nämlich, sich in die Brust zu werfen und andere Leute hinabzuschrauben. Also Blendwerk. Der Mann operierte auf den Stufen 1,1 bis 1,2.
Die Macht von der er faselte, war dummes Zeug. Er warnte: Die andern wollen Sie reinlegen. Sie wollen Ihren Status, Ihr Ansehen, Ihre Autorität untergraben. Legen Sie sich ja keine Minute auf die faule Haut, denn sonst macht man Hackfleisch aus Ihnen. Auch beschwor der Verfasser die Gefahr, seine Nerven zu verlieren: Achten Sie ja darauf, dass Ihnen die Führung nicht aus der Hand genommen wird! Er bot sogar einige Methoden an, dank derer man seine Mitmenschen durch gezielte Fragen verstören könne, falls einem selber die Beherrschung zu entgleiten drohe. Dieser Ratgeber wusste also nichts anderes zu offerieren als die simple Empfehlung: Unterdrücken Sie Ihre Umgebung, und dann sind Sie wer! Aber unterdrücken Sie auf die sanfte Tour, und lächeln Sie dabei.
Kürzlich hörte ich von einem Londoner Psychiater, dass artige Mädchen einmal schlechte Mütter würden. Um zu diesem Schluss zu kommen, hatte der Herr jahrelang Studien betrieben. Seine Erklärung: Ein Mädchen, das immer seiner Mutter folgt und zu Hause oder in der Schule nur das tut, was man ihm aufgetragen hat, muss zwangsläufig eine schlechte Mutter werden, weil es ja später niemanden mehr hat, der ihm sagt, was es zu machen habe. Nun, solche artigen Mädchen rangieren offenbar auf der Stufe Furcht oder noch tiefer. Ein mit höherem Empfindungsvermögen begabtes Kind kann einfach nicht derart zahm sein und blindlings allen Weisungen Folge leisten.
Die Studien dieses Psychiaters lehren uns zweierlei: Viele Menschen halten ein Kind auf tiefem Emotionsniveau für artig. Ein junger Mensch, der in solch niederen Bereichen gross wird, muss - ob er will oder nicht - als Erwachsener diesem negativen Bezirk verhaftet bleiben.
Zusammenfassung
Bevor Sie sich ein altes Sprichwort, ein bekanntes Klischee oder den Rat eines Fachmannes zu Herzen nehmen, sollten Sie nach dem Körnchen Wahrheit in der Gefühlswelt des Menschen forschen, der Ihnen solche Offenbarungen als Weisheiten verkaufen will.
Neunzehntes Kapitel

Der Kampf der Geschlechter Jeder halbwegs vernünftige Mensch weiss, dass zwei plus zwei durchaus nicht immer vier gibt. Nirgendwo aber erleben wir die Richtigkeit dieser Binsenwahrheit so offensichtlich wie In der Ehe. Heiratet ein Mensch der Gefühlsebene 2,0 einen Partner vom gleichen Niveau, dann herrscht nicht etwa eitler Enthusiasmus (4,0), sondern ein Feuerwerk prasselt lichterloh los.
Natürlich sieht jeder die Liebe mit eigenen Augen. Das heisst: Seine Einstellung richtet sich ganz nach seinem Stimmungsbereich. Die Liebe allein ist kein Emotionsniveau, doch vermag sie den Menschen auf der Skala hinauf- oder hinab zu bewegen, beziehungsweise sein momentanes Niveau zu intensivieren. Auf allen Stufen der Skala treffen wir die Liebe an. Vielleicht kennt der eine oder andere von uns einen jungen Mann, der sich so unsterblich in seine Flamme verliebt hat, dass er sich buchstäblich vor Sehnsucht nach ihr verzehrt. (Dies, nebenbei, darf wohl in den Apathie-Bezirk verwiesen werden.) Ganz sicher aber sind wir irgendwann einmal einem jungen Mädchen begegnet, das dank seiner Glückseligkeit geradezu aufblühte.
Betrachten wir uns doch einmal näher diese ernsthafte Geisteskrankheit, wie Plato die Liebe genannt hat, auf den verschiedenen Ebenen der Skala. Personen der Stufen Traurigkeit und Apathie sind selten imstande, liebevolle Gefühle zu äussern: Sie möchten vielmehr selber geliebt werden. Und wenn sie von jemandem geliebt werden, dann leben sie in der ständigen Furcht, dieser Liebe verlustig zu gehen. Und weil diese Furcht so übergross ist, werden sie von der ganzen Sache nicht viel haben. Immerzu werden sie weinerlich monieren: Ach, du liebst mich ja doch nicht wirklich.
Derartige Leute bedürfen der ewigen Beteuerung.
Gar zu viele Ehen werden nicht aus Liebe geschlossen, sondern aus dem Gefühl, der Partner brauche sie oder ihn. Statt einer echten Empfindung (zu der sie nicht fähig sind) haschen nicht wenige Menschen nach einer Art von Ersatz. Hier haben wir es mit Personen zu tun, die sich um die Gunst anderer bemühen. Wer unentwegt auf der Furcht- Ebene zu Hause ist, sehnt sich nach Sicherheit. Glaubt er, jemanden gefunden zu haben, der ihm diese Sicherheit bieten kann, dann greift er mit bei den Händen zu: Er rennt stehenden Fusses zum Standesamt.
Der 1,1er, der zu einer wahren Empfindung kaum fähig ist, wird stets eine grosse Show abziehen, falls er glaubt, dieses Spektakel rentiere sich. Er macht seiner Angebeteten den Hof. Er umschwärmt sie. Er liest ihr wie es scheint - jeden Wunsch von den Augen ab. Wie Honigseim fliessen ihm die süssen Worte von den Lippen. Was aber tut er während dieses ganzen Theaters wirklich? Er betrügt. Er nützt das Vertrauen der Partnerin aus. Mit Vorliebe belehrt er sie und versucht ihr beizubringen, wie sie sich ihrer jeweiligen Umgebung anzupassen habe. Selbstverständlich benehmen sich nicht nur Männer gegenüber Frauen so:
Das so genannte schwache Geschlecht versteht sich gleichfalls sehr wohl auf dieses Spiel. Keine Frage, dass solche Leute ihre feierlichen Gelübde ohne weiteres brechen, wenn ihnen dies angebracht erscheint. Keine Frage auch, dass sie heimliche Affären genüsslich auskosten.
Nun zum 1,2er: Er glaubt nicht an die Liebe, aber es macht ihm Spass, den Ladykiller zu spielen. Der 1,5er indessen unterdrückt und beherrscht seinen Partner, indem er endlos Beschuldigungen und Kränkungen auftischt. Mit aller Gewalt will er Zuneigung erzwingen. (Sag doch, dass du mich liebst!) Leute im Bereich des Antagonismus halten Ausschau nach einem Partner, mit dem sie krakeelen können. Es geht also nicht um die Liebe, sondern um den, der liebt.
Was ist Liebe?
Fred Allan hat einmal geschrieben: Um die Liebe dreht sich alles - im Guten wie im Schlechten. Auch das hängt ganz vom Emotionsniveau ab. Der Mensch sucht instinktiv nach einem Partner des andern Geschlechts. Liebe auf höchster Gefühlsstufe gründet sich auf echte Freundschaft, die auch dann bestehen bleibt, wenn es nicht zu einer romantischen oder körperlichen Beziehung kommt. Eine solche Verbindung erfordert die Bereitschaft und die Fähigkeit, gemeinsam über Erstrebenswertes zu reden (und in diesem Sinne zu handeln).
Die Gemeinsamkeit schenkt beiden Partnern ein Gefühl der Zuneigung und des Verstehens. Falls sich zwei Menschen über die elementarsten Fragen des Daseins uneinig sind, wird kaum je Verständnis und Freundschaft entstehen können. Wenn Ihnen einer erzählt: Wir können nicht miteinander reden, aber wir lieben uns von Herzen, dann können Sie Gift darauf nehmen, dass dieser Mensch Ihnen einen Bären aufbinden will (sich selber natürlich auch). Hier kann nicht von Liebe die Rede sein, sondern lediglich von einer Anhänglichkeit (und Abhängigkeit). Unterhalb der Schwelle 2,0 neigt der Mensch dazu, nur das Materielle und Körperliche für wichtig zu halten. Deshalb wählt er seinen Gefährten auch nicht wegen des gemeinsamen Einverständnisses: Er verliebt sich in einen Gegenstand. Das merkt man vor allem dann, wenn er seinen Schatz mit den plastischen Worten Mann, ist die vielleicht gebaut! beschreibt. Frauen pflegen in ähnlichen Fällen zu schwärmen: Oh, wie süss ist er! Und er sieht aus wie ein Filmstar!
Später müssen diese Überschwänglichen allerdings zu geben, dass sie gar nicht recht kapieren, wovon der Partner eigentlich fasele. Dennoch: Ich bin ganz verrückt nach ihm! Der also düpierte Mann beschwert sich: Na, sie hat zwar nicht alle Tassen im Schrank, aber wen stört das schon im Dunkeln? Ein paar Jahre danach hängen derartige Leute ihre tristen Köpfe über Bartheken und stöhnen: Mein Mann (oder meine Frau) versteht mich einfach nicht ...!
Wie fängt man sich einen Mann oder Frau?
Fällt ein Mensch von niedrigem Emotionsniveau in die Abhängigkeit eines geliebten Gegenstandes, dann möchte er ihn auch mit Haut und Haaren besitzen und kontrollieren. Solche Romanzen beginnen häufig damit, dass der Mann seine Freundin verführen will. Die Frau hingegen verschlingt begierig in den Zeitungen jene Artikel, deren Tenor lautet: Wie fängt man sich einen Mann? Ist die Ouvertüre beendet, dann versucht der Mensch auf tieferem Gefühlsbereich, seinen Partner apathisch zu machen. Das lässt sich auch anders ausdrücken: In diesem Stadium glaubt der Mensch, der andere sei sein Lustobjekt, das jederzeit vernascht werden könne.
Dies ist der viel zitierte Kampf der Geschlechter: Zwei Individuen der niederen Emotionsstufen sind bemüht, sich gegenseitig zu besitzen, zu beherrschen, zu überwachen. Natürlich widersetzt sich jeder diesem Machtanspruch, indem er die ihm zu Gebote stehenden Abwehrkräfte mobilisiert.

Die Abwechslung
Ausser seinem Verlangen nach Freundschaft und Verständnis braucht der Mensch Empfindungsreize. An der Skalaspitze fällt es ihm nicht weiter schwer, allerlei normale er Erlebnisse dieser Art zu geniessen. Auf den tiefer gelegenen Stufen indessen bedarf der Mensch stärkerer Sinnenkitzel. Sein Liebesleben kann Formen der Besessenheit annehmen: In einem fort sucht er nach Abwechslung. Mit fortschreitenden Jahren wird er in der Wahl seiner Mittel immer skrupelloser. Die Bindung an einen Partner allein genügt ihm längst nicht mehr.

Für den andern da sein
Wahre Freundschaft und Liebe sind wohl nur oberhalb der Schwelle 2,0 auf die Dauer möglich, denn hier stellen sich die Menschen nicht gegenseitig Fallen, und sie beherrschen oder besitzen den andern auch nicht: Sie nehmen dankbar hin, was ihnen an Zuneigung geschenkt wird. Und sie brauchen auch nicht zu befürchten, dass der andere sie eines Tages mir nichts, dir nichts sitzen lässt. Sie tun vielmehr alles, um einander immer näher zu kommen: Ihr innigster Wunsch ist es, für den Partner da zu sein. Solche Menschen bleiben sich treu - nicht etwa aus träger Gewohnheit, aus Zwang oder aus Furcht, sondern einfach deshalb, weil sie treu sein möchten.
Wer die höheren Bezirke des Gefühlslebens erreicht hat, ist auch imstande, seinen Geschlechtstrieb zu sublimieren: Seine Liebe ist deshalb nicht allein von der körperlichen Bindung abhängig. Freilich soll damit nicht gesagt sein, dass ihm das Sexuelle gleichgültig wäre. Weit gefehlt: Er geht viel erwartungsvoller mit seinem Partner (oder seiner Partnerin) ins Bett als die Leute auf niedrigen Emotionsniveaus. Wer sich so liebt, empfindet intensiver als andere (denn das Körperliche wird gewissermassen vergeistigt und erhöht).
Wer passt zu wem?
Eine auf den ersten Blick müssige Frage. Selbstverständlich passt ein Mann, dessen Traum es ist, auf seinem Motorrad durch die Lande zu brausen, nicht zu einer Frau, die mit Behagen Rosen züchtet. Folglich wird eine Verbindung zwischen beide mit einem Fiasko enden müssen. Zwei Personen, die der nämlichen Emotionsspanne angehören, werden hingegen recht gut miteinander auskommen (falls nicht alle Anzeichen trügen). Das heisst allerdings nicht, dass sie für alle Zeiten wie die Turteltäubchen schnäbeln werden.
Dies trifft vor allem dann zu, wenn ihre Gefühlsregion unterhalb von 2,0 gelegen ist. Ich kannte einen Ehemann, der auf 2,5 daheim war, während seine Frau bei 1,5 eingestuft werden musste. Er war ein träger, aber freundlicher Bursche, zufrieden mit seiner Alltagsbeschäftigung, die weder aufregend noch anregend war. Sein Eheweib indessen war herrisch und chronisch gereizt. Meist nahm er gar keine Notiz von ihr und ging seine eigenen Wege. Hin und wieder jedoch sank er auf die Stufe 2,0 und bot ihr dann die Stirn. Nachdem sie einige Jahre mehr oder weniger gut miteinander ausgekommen waren, landeten sie schliesslich in einem stillen Hafen. Künftig gerieten sie sich überhaupt nicht mehr in die Haare, sondern jeder tat, was er wollte.
Auf diese Weise glaubten sie ihre Differenzen zu lösen. Damit waren sie anscheinend zufrieden. So etwas kann man ein relativ verträgliches Gespann nennen. Ich möchte dergleichen als eine individualisierte Zusammengehörigkeit bezeichnen.
Eine Ehe zwischen Menschen, die auf Traurigkeit und Mitleid abgestimmt sind, dient offenbar einem beiderseitigen Bedürfnis. Die Frau beschwört unzählige Probleme herauf, die sich niemals ganz lösen lassen, während der Mann ihr unaufhörlich eine übertriebene Aufmerksamkeit schenkt. So verharren beide in ihrer speziellen Form von Zuneigung, der nichts Höheres anhaftet. Freilich hat eine solche Ehe auch ihre gute Seite: Mann und Frau passen zusammen wie der Topf auf den Deckel - emotionell höher stehenden Leuten fallen sie demnach nicht zur Last.
Eine Gefahr kann allerdings bei einem derartigen Verhältnis auftreten: Steigt der eine Partner auf der Skala, dann hat dies böse Folgen. (Vielleicht wird er befördert, oder auf der kahlen Stelle seines Hauptes wachsen plötzlich wieder Haare.) Passiert dies oder Ähnliches, dann reagiert die Partnerin natürlich sauer; Das Spiel wird ihr verdorben.
Tun sich Menschen verschiedener Gefühlsbereiche zusammen, dann verlangt der Tieferstehende besonders viel Zuneigung, hat seinerseits aber wenig als Ausgleich zu bieten. Er bemüht sich, seine schwach fundierten Ansichten durchzusetzen und erwartet vom Partner mehr Zustimmung, als er selber zu gewähren bereit ist. Menschen auf höherer Emotionsstufe trachten stets danach, andere zu verstehen. Menschen auf tieferen Ebenen dagegen möchten verstanden werden (was ein gewaltiger Unterschied ist). Nimmt sich aber einer die Mühe, sie zu verstehen, dann jammern sie dennoch: Niemand versteht mich.
Wer sich am oberen Ende der Skala bewegt und demnach viel Liebe verschenken kann, wird über kurz oder lang feststellen, dass er sein Wohlwollen vergeudet: Sein tieferstehender Partner vermag seine Liebe gar nicht zu würdigen. Es ist etwa so, als wolle man einen Krug Wasser in einen Fingerhut schütten. Was bleibt bei solch törichtem Beginnen übrig? Ein Fingerhut voll Wasser und eine riesige Lache. Häufig geschieht es, dass Menschen der niedrigeren Geühlsbereiche sich an andere klammern, die höher gestiegen sind. Dabei erwecken sie den Eindruck, ohne deren Hilfe kämen sie nicht weiter. Wie Verdurstende bleiben sie ihnen auf den Fersen. Peinlich für jeden, dem dies widerfährt.
Einst kannte ich einen Mann, der konservativ war, und seine Frau, die sich um die Gunst ihrer Mitmenschen bemühte. Es war fürchterlich. Die beiden besassen ein Geschäft. Die Ehefrau hatte es sich offenbar zur Lebensaufgabe gemacht, den Laden auf Teufel komm raus zu verschleudern. In ihrem Wahn schreckte sie auch nicht davor zurück, Leuten Geld zurückzuerstatten -und zwar für Waren, die sie gar nicht in ihrem Laden, sondern woanders gekauft hatten! Sie verstand es, unfehlbar Personal zu engagieren, das entweder total unbrauchbar oder absolut diebisch war, die Kunden belog oder ihnen Dinge aufhalste, die sie gar nicht hatten haben wollen.
Nun, der leidgeprüfte Ehemann sah sich dieses wüste Treiben eine Zeitlang mit an und verlor (erstaunlicherweise) seine gute Laune noch immer nicht. Das merkwürdige Wohlfahrtsunternehmen seiner Liebsten brachte ihn nachgerade aber doch auf die Palme. Folglich rutschte er an der Skale auf die Stufe Zorn. Fortan sah er seiner Frau auf die Finger. Doch war auch dieses strenge Gehabe nicht dazu angetan, sie von ihrem eigentümlichen Benehmen abzubringen: Schlau wie eine Füchsin ersann sie immer raffinierter Methoden, um sein Geld mit offenen Händen zum Fenster hinauszuschmeissen. Schliesslich schrieb die Frau einige Schecks aus, ohne die Höhe dieser Beträge überhaupt zu notieren. Als dann der Scheck für die Miete des Ladens platzte, da platzte auch der Ehemann. In seiner Wut riss er das Scheckbuch in Fetzen. (Ob er auch sein herziges Ehegespons in Fetzen riss, weiss ich leider nicht, denn ich habe seither nichts mehr von den beiden gehört.)

Der rhythmische Wechsel
Es gibt eine Vielzahl von Reaktionen, die man als Emotionen bezeichnet. Manche fallen als Synonyme oder Abstufungen unter dieses oder jenes Emotionsniveau. Wiederum andere machen sich kreuz und quer auf allen Ebenen bemerkbar. Hass etwa kommt besonders stark bei den chronisch Zornigen zum Ausdruck.
Es kann aber auch passieren, dass ein Mensch sämtliche Stufen der Gefühlsskala nacheinander sozusagen durchhasst. Vielleicht wurde ihm in seiner Kindheit beigebracht, vieles zu hassen (oder zu lieben). Wer von uns kennt nicht den Zustand der Hassliebe? Wer ein gesundes Gefühlsleben hat, empfindet es vielleicht mitunter als wohltuend, sich einmal so richtig ausweinen zu können. Andern hingegen mag dergleichen zuwider sein. Zuweilen werden Mut und Feigheit als Emotionen bezeichnet, denn sie lösen sich ja oft in rhythmischem Wechsel ab. Der wahre Mut ist an der Spitze der Skala zu finden. Ihm folgen Vorsicht, Gleichgültigkeit und Unmut (Unmut: von 2,0 bis 1,5). Im gesamten Furcht-Bereich begegnen wir der schieren Feigheit. Am unteren Ende der Skala (auf den Stufen Mitleid und Gunstbemühung) wird das Bild durch die edlen Taten entstellt. Der stets traurige Mensch ist ein Feigling durch und durch. Wer wiedergutmachen will, hat vielleicht die Neigung, sich als Märtyrer aufzuopfern (man denke an Leute, die sich bei lebendigem Leib verbrennen, um einen fanatischen Standpunkt durch ihren Tod zu besiegeln). Die Leute ganz unten schliesslich wissen gar nicht, dass es so etwas wie Gefahr überhaupt gibt. Hoffnung (oft für eine Emotion gehalten) zählt eigentlich zum oberen Bereich der Skala. Wir treffen sie jedoch auch in abgewandelter Erscheinungsform auf den tieferen Stufen an. In der Nähe des Furcht-Bezirks wird sie zu einem Notanker. Noch tiefer äussert sie sich als Leichtgläubigkeit. Auf 0,8 und 0,9 ist der törichte Optimismus ansässig. Eine Stufe darunter gibt sich die Hoffnung bei näherem Hinsehen als Selbsttäuschung oder Tagtraum zu erkennen. Und wer in den Tag hineinträumt, ist ausserstande, wirklich zu handeln.

Eifersucht
Die Eifersucht ist keine Emotion, sondern die Motivierung einer Emotion. Sie zeigt sich auf vielen Stufen. Ein Mensch wird eifersüchtig, wenn er die Zuneigung eines andern entweder wirklich verliert oder sich deren Verlust bloss einbildet. Dann rutscht er in den meisten Fällen ein wenig auf der Skala in die Tiefe. Je nach seinem Naturell wird er zornig, ängstlich, auf versteckte Weise feindselig, bekümmert, gunstbemühend oder apathisch.
Häufig wird ein Mensch eifersüchtig, weil er nicht genug in Erfahrung bringen kann.
Die eifersüchtige Frau quält sich mit solchen Fragen ab: Liebt er mich auch noch? Ist er mit einer andern ausgegangen?
Worüber lachen sie denn bloss?
Die grosse, unausgesprochene Frage lautet allerdings: Will er mich loswerden und eine andere heiraten?
Leute oben sind nicht eifersüchtig, weil sie sich über alles aussprechen können. Der Unterschied zwischen Mann und Frau
Was das Emotionsniveau angeht, so gibt es zwischen Mann und Frau kaum grundsätzliche Unterschiede - ausser jenen, die wir der so genannten Zivilisation verdanken. Den Jungen bläut man ein, sie dürften um alles in der Welt nicht weinen. Auf diese Weise glaubt man im Ernst, sie zu robusten und stolzen Männern zu machen.
Das Ergebnis sieht ganz danach aus: Kein junger Mensch kann ein Hartgesottener werden, wenn er nicht die Anlage dazu hat. Diese falsche Erziehung bildet unsichere Kantonisten heran, die bei der ersten schweren Belastung zusammenbrechen müssen. Verliert ein Mann den Boden unter den Füssen und ist der Tränen unfähig, dann muss er in die Apathie abgleiten.
Von Mädchen wird verlangt, sie dürften nicht wild und ausgelassen sein, sondern damenhaft auftreten. Wer darf sich wundern, wenn sie später Klatschbasen des Zorn-Bereichs werden oder anlehnungsbedürftige Mitleid-Weibchen?
An der Skalaspitze begegnen wir derartigen Leuten nicht. I Dort kann eine Frau wagemutig und selbständig sein, ohne ihre Anmut einzubüssen. Ein Mann auf hohem Emotionsniveau kann sowohl aggressiv als auch mitfühlend sein, ohne seine Männlichkeit zu verlieren.

Im falschen Augenblick
Sie sollten keine wichtige Entscheidung treffen, wenn Sie vorübergehend nicht auf Ihrer Höhe sind.
Als ich noch studierte, kannte ich ein Mädchen, dessen Verhältnis in die Brüche ging. Sogleich sackte sie auf die Ebene des Grams. Just als sie dabei war, sich wieder aufzuraffen (also auf der Stufe Mitleid), lief ihr ein junger Mann über den Weg, der meist vom Gram gebeugt oder ganz und gar apathisch war. Es sah aus, als hätten die beiden vieles gemeinsam, und - natürlich - brauchte er sie. Also marschierten sie schnurstracks zum Standesamt. Als ich das Paar zum letzten Mal traf, war er eifersüchtig, fordernd und immerzu auf Quengeleien bedacht: Ach, wie sehr brauchte er doch sein liebes Frauchen! Er hatte es in der Tat geschafft: Das früher so lebhafte Mädchen war von ihm auf die unteren Ränge der Skala festgeschraubt worden.
Ich sagte, man sollte wichtige Entscheidungen nur treffen, wenn man sich ganz auf der Höhe fühle. Die Schwierigkeit besteht indessen darin, möglichst rasch wieder auf seine gewöhnliche Höhe zu gelangen.

Das gebrochene Vertrauen
Viele Ehen werden zwar nicht im Himmel geschlossen, aber immerhin auf ziemlich hohem Emotionsniveau. Meist dauert es freilich nicht lange, und das selige Paar rutscht in die Tiefe. Die Ursache: Der Partner fällt aus irgendeinem Grund und kommt nicht wieder auf die Beine. Das Gleichgewicht der Gefühle ist gestört. So etwas passiert am häufigsten, wenn das Vertrauen gebrochen wird. Verletzt ein Mensch die ungeschriebenen Gesetze der Gemeinsamkeit, dann stellt er alles in Frage: Die Existenzkraft wird gelähmt, denn diese Gesetze sollten ja den Bestand der Ehe gewährleisten. In dem Masse, wie er gegen das gemeinsame Abkommen verstösst, verliert er auch einen Teil seiner Freiheit: Von nun an muss er dem Partner gegenüber schauspielern. Solange wir einem andern Menschen alles sagen können, mögen wir ihn auch, und die Verbindung ist erspriesslich für beide.
Der Partner, der eine gegen den Fortbestand der Ehe gerichtete Handlung begeht, fällt auf der Skala. Vielleicht verspielt der Mann das Geld für die Miete. Vielleicht klatscht die Frau beim Kaffeekränzchen über ihn. Jegliche Untreue stösst den Menschen auf der Stufenleiter abwärts. Wer ein Geheimnis wahren muss, wird wortkarg, gereizt und nörgelt an seinem Partner herum. Eine solche Ehe muss auf die Dauer kaputtgehen. Entweder gewöhnen sich die bei den an ihrem emotionellen Tiefstand, oder sie trennen sich.

Tisch und Bett
Ehe Sie sich entschliessen, Tisch und Bett künftig mit einem Menschen zu teilen, sollten Sie einen gemeinsamen Vorsatz fassen, der Ihrer beider Ziele umreisst. (Diese Ziele brauchen durchaus nicht die gleichen zu sein, doch dürfen sie einander auch nicht widersprechen.) Es geschieht häufig, dass ein Mensch seine einmal gesteckten Ziele der Ehe wegen opfert. Eine junge Schauspielerin etwa gibt ihre viel versprechende Karriere auf, um fortan nur noch Hausfrau zu sein. Ein Mann schlägt sich eine Erfindung aus dem Kopf, an der er seit Jahren gebosselt hat, und nimmt stattdessen mit einem kleinen Pöstchen fürlieb - der Sicherheit halber. Millionen ernüchterter Ehepaare könnten Ihnen erzählen, dass ihr Partner nie den zerbrochenen Traum aufwiegen konnte, obschon sie die Frau (oder den Mann) von Herzen lieben. Aus selbstverständlicher Rücksicht mag es erforderlich sein, auf einige schlechte Gewohnheiten zu verzichten. Falls Sie jedoch allein der Ehe halber den grossen Traum Ihres Lebens aufgeben sollen, dann ist dieser Preis zu hoch. Eine eheliche Verbindung ist schliesslich kein Selbstzweck. Sie sollte vielmehr dazu beitragen, dass jeder seine persönlichen Wünsche entfalten und erfüllen kann. Sind Sie nicht ganz sicher, ob Ihr Partner auch fürs Leben zu Ihnen passt?
Dann machen Sie doch eine Art Bestandsaufnahme: Rechnen Sie die positiven und negativen Seiten Ihrer Verbindung zusammen. Ein scharfsinniger Freund prägte einmal diesen treffenden Ausdruck: Wie ist das Verhältnis zwischen Schmerz und Freude? Damit ist eigentlich alles gesagt: Gibt der Partner Ihnen mehr Anlass zu Kummer und Sorgen als zur Herzlichkeit, Wärme, Anregung und freudigen Zustimmung? Beträgt das Verhältnis bloss 50:50, dann sieht die Geschichte reichlich ungewiss aus. Die Sache könnte ins Auge gehen. Eine wirklich gute Verbindung sollte im Verhältnis 85 (Freude) zu 15 (Schmerz) stehen. Selbst dann werden Sie noch genug Schwierigkeiten haben, um das leben einigermassen interessant und aufregend zu gestalten.
Zwanzigstes Kapitel

Und wie läuft es im Büro?
Man führte mich in das Büro des Verkaufsleiters. Ich beschrieb kurz den Artikel, den ich von seiner Firma hergestellt haben wollte, und bat sodann um einen Kostenvoranschlag sowie um die Angabe des Liefertermins. Der Mann schien sich zu fragen, ob ich den Artikel denn überhaupt werde absetzen können. Dann bat er mich, die Details noch einmal anzugeben. In vagen Worten sprach er über die Schwierigkeiten, die bei der Produktion entstehen würden. Nachdem ich eine geschlagene halbe Stunde voller Ausdauer geredet hatte, rückte er endlich mit dem Geständnis heraus, dass die Lieferzeit mindestens drei Monate (wenn nicht noch länger) betrüge.
Daraufhin kramte er eine Weile in Papieren und gab endlich zu, dass er jetzt noch nicht in der Lage sei, einen ungefähren Kostenvoranschlag zu machen. Der Verzweiflung nahe, rang ich diesem Menschen das Versprechen ab, mir so rasch wie möglich seine Vorschläge mitzuteilen. Fazit: Ein Mensch auf niedriger Emotionsstufe.
Ach, du meine Güte! Wenn auch alle übrigen Leute in diesem Betrieb derartige Leimsieder waren, würde ich bis ans Ende meiner Tage warten müssen. Also wandte ich mich an ein anderes Unternehmen. Dort wies man mich sogleich an den Direktor. Ich sagte ihm, was ich wünschte, und er machte sich Notizen. Dann stellte er ein paar knappe Fragen und erklärte: Geht in Ordnung. Wir liefern in drei Wochen.
Den Preis werden wir auch gleich haben.
Ich erholte mich von meinem Schock. Man bedenke: Drei Monate hatte der andere Geschäftsmann gesagt. Dieser hier sprach von drei Wochen. Er hantierte an einer Rechenmaschine, telefonierte, und schon wusste ich, wie viel ich zu blechen haben würde. So geht's also auch.
Natürlich erteilte ich diesem Mann augenblicklich den Auftrag. Die ganze Angelegenheit hatte eine Viertelstunde gedauert. Welch eine Erleichterung! Und welch ein Unterschied zu dem andern Betrieb! Ich hatte einen Mann auf hohem Emotionsniveau getroffen. Meine Hoffnungen wurden nicht getäuscht: Die Lieferung erfolgte pünktlich. Eine Woche nach Erhalt meiner Ware trudelte der Kostenvoranschlag der zuerst von mir besuchten Firma ein. Nun, diese Leute wollten doppelt soviel Geld haben!
Die Empfindungshöhe beeinflusst den Menschen bei seinem Fortkommen. Leitet er ein Unternehmen, dann regt er naturgemäss auch sein Personal an. Die Firma, an die ich mich zunächst gewandt hatte, machte denn auch bald bankrott. Bei der andern indessen gibt ein Kunde dem nächsten die Klinke in die Hand.

Die Berufswahl
Wer in einem Betrieb beschäftigt ist, der von aufgeschlossenen Leuten geführt wird, findet Freude an seiner Arbeit. Das Betriebsklima wird seine Begabung und seinen Ehrgeiz fördern. Heutzutage kann man kein Buch mehr nach seinem Schutzumschlag beurteilen, denn es kommt vor, dass eine tiefschürfende Abhandlung über südafrikanische Bären als Anreiz mit dem Foto eines neckischen Nackedeis geziert ist.
Eine Firma hingegen kann man nach ihrem Empfangsraum beurteilen. In einem Betrieb, der in Form ist, bewegen sich die Angestellten schnell und beantworten Fragen aus dem Handgelenk. Im Vorübergehen finden sie noch die Zeit zu einem Scherzwort. Personal, das sich indessen in grimmiges Schweigen hüllt und nur verdrossen seine Arbeit tut, dabei jedoch heimlich über andere lästert, lässt den Schluss zu, dass der Chef ein Tyrann ist. Wenn sich die Leute stunden-langem Kaffeeklatsch hingeben, liegt die Schuld bei der Geschäftsleitung, die - gelinde gesagt - auf den
Emotionsstufen Gunstbemühung oder Mitleid angelangt ist. Von solchen ersten Eindrücken sollten Sie sich ruhig beeinflussen lassen. Halten Sie sich vor Augen, dass ein auf hoher Stufe stehender Chef Ihnen mehr geben kann als die grosszügigste Sozialleistung.

Der Chef vom Ganzen
Ein Bewerbungsschreiben enthält viele Angaben. Eine freilich werden Sie vergeblich suchen: Wie ist die Einstellung des Betreffenden gegenüber dem Leben? Falls Sie jemanden engagieren, sind Sie besser beraten, wenn Sie einen gefühlsmässig hochstehenden Menschen ohne Erfahrung wählen, als einen, der die Branche zwar aus dem Effeff kennt, aber den unteren Emotionsbereichen verhaftet ist. Sie können nämlich dem Ersteren viel leichter etwas beibringen, als das Gefühlsleben des Letzteren ändern. (Ich meine natürlich Leute, die chronisch ganz unten verweilen.)
Ein Experte vermag vielleicht auch ihnen zu helfen. Will man jedoch ein Unternehmen leiten, das etwas abwirft, dann bleibt einem keine Zeit, sich mit der lädierten Gefühlswelt seiner Angestellten zu beschäftigen.
Es gibt Fachleute für Leistungsfähigkeit, die behaupten, man könne Moral und Arbeitskraft dadurch steigern, indem man die Bürowände moosgrün anstreiche, die Leute mit Gassenhauern beriesele und hübsche (natürlich blonde) Sekretärinnen ihr Wesen treiben lasse. Gewiss vermag eine ästhetische Umgebung den Menschen zu lockern. Auf lange Sicht gesehen ist es aber zweifellos empfehlenswerter, emotionell Hochstehende zu engagieren und sie anständig zu behandeln. Man mag noch so laute Musik in die Räume schmettern, die Wände noch so knallig anpinseln und noch so aufreizende Blondinen in die Schlacht werfen - den Menschen, der gefühlsmässig unten ist, ficht dies nicht weiter an.
Mir fällt da ein gutes Beispiel ein: Eine talentierte Frau zog gemeinsam mit einem angenehmen jungen Mann eine Werbeagentur auf. Ihre Aufgabe bestand darin, Aufträge hereinzuholen, während er sich um das Innerbetriebliche kümmerte. Die beiden wurden rasch bekannt und wohlhabend. Die Frau konnte gar nicht oft genug von der brillanten Geschäftstüchtigkeit ihres Partners schwärmen.
Dann kam es zum Krach, und sie hatte nun die Verantwortung allein zu tragen.
Einige Zeit später sagte sie - noch immer verwirrt durch das Geschehene: Er war ja so charmant! Aber das alles war bloss Maskerade. Nie konnte er eine Sache zu Ende bringen. Er fing mit irgendetwas an, hatte bald jedoch die Nase voll davon und griff zum nächsten Objekt. Die angefangenen Projekte liess er einfach liegen. Als er eines Tages aussteigen wollte, konnte ich ihn gar nicht begreifen. Das Begreifen kam erst, als ich allein war. Na, ich habe ihn ausbezahlt, wie wir es festgelegt hatten.
Dieser charmante junge Mann hatte das Geschäft beinahe ruiniert. Fünf Jahre lang hatten sie dank seiner Nachlässigkeit viel Geld eingebüsst. Um ihre Investitionen wieder hereinzuholen, musste die Frau den ganzen Laden umkrempeln. Mit andern Worten: Sie begann also wieder von vorne. Als erstes musste sie freilich die Freunde ihres ehemaligen Partners - lauter Tagediebe - zum Teufel schicken: Sie hatten mehr als 50.000 Euros eingestrichen ohne auch nur einen Finger zu rühren.
Auch als diese Frau mit der Emotionsskala vertraut gemacht worden war, konnte sie noch immer nicht recht fassen, dass ihr früherer Kompagnon - dieser brillante Mensch -ein 1,1er war. (Ich brauche doch wohl nicht eigens zu betonen, dass man Intelligenz keinesfalls mit Emotionen verwechseln darf.)
Wenn Sie sich einmal näher mit dieser Frage beschäftigen, werden Sie bald dahinter kommen, dass bei den meisten geschäftlichen Misserfolgen Leute mit niedrigem Emotionsniveau die Hand im Spiel hatten. Eines kann man wohl mit Sicherheit sagen: Angestellte, die immerzu die unteren Ränge der Skala besetzt halten, werden niemals ein Team bilden, das produktive Arbeit leistet. Den grössten Teil Ihrer Zeit werden Sie darauf verwenden müssen, persönliche Kabbeleien Ihrer Leute beizulegen.
Es wird Ihnen kaum erspart bleiben, sich ständig bei Ihren Kunden für Fehler und Irrtümer zu entschuldigen, die Ihren Angestellten halt so unterlaufen sind. Auch wird in Ihrem Betrieb ein ständiges Kommen und Gehen sein: Da Sie sich ja nicht in einem fort mit unbrauchbaren Angestellten herumschlagen können, wird Ihnen keine andere Wahl bleiben, als den einen oder andern vor die Tür zu setzen und statt ihrer neue Leute einzustellen. Im Übrigen werden Sie mürrische Gemüter zu besänftigen haben. Keine allzu beneidenswerte Aufgabe also. Ihre Hauptbeschäftigung wird darin bestehen, Löcher in einem Sieb zu stopfen, damit nicht Ihr ganzer Profit flöten geht.

Die Unruhestifter
Selbst in Ihren schlimmsten Alpträumen können Sie sich nicht ausmalen, wie viel Unheil ein tiefstehender Angestellter anzurichten vermag. Er reisst sich so ziemlich alles unter den Nagel, angefangen beim billigen Bleistiftspitzer bis hin zu Erfolg versprechenden Ideen. Er wird dafür sorgen, dass man Ihnen brauchbare Vorschläge gar nicht unterbreitet. Mitteilungen wird er Ihnen derart dürftig zukommen lassen, dass sie Ihnen nichts sagen. Wichtige Papiere wird er in Ordnern abheften, wo sie nichts zu suchen haben. Er wird Ihnen treuherzig versichern, alles laufe ganz prächtig, wenn Ihr Geschäft kurz vor dem Bankrott steht. Wird die Lage ernst, dann schildert er sie Ihnen in so fürchterlichen Bildern, dass Sie den Selbstmord ernstlich in Erwägung ziehen. Ein solcher Mensch lässt Aufträge sausen, verzögert Bestellungen und bringt Ihre Kundschaft zur Raserei.
Würden derartige Typen nur in ihrem eigenen Aufgabengebiet pfuschen, dann könnte man sie sich selber überlassen. Unseligerweise sind sie jedoch bestrebt, auch die Leistungskraft anderer zu beeinträchtigen. (Ob sie dies wissentlich oder unwissentlich tun, möge dahin gestellt bleiben.) Ich halte es für wirtschaftlicher, ein Unternehmen geringer Belegschaft auf hohem Emotionsniveau zu betreiben, als einen grossen Laden mit vielen tiefstehenden Leuten, von denen jeder etwas anderes will.
Ein einziger Mensch an der Skalaspitze vermag unglaublich viel zu leisten, wenn man ihm freie Hand gibt. Wer seiner Arbeit von Anfang bis zu Ende ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt und nicht gestört wird, erledigt seine Sache rasch und sorgfältig. Gibt es indessen in seiner Eile ein paar Menschen, die unterhalb seines Empfindungsniveaus eingependelt sind, dann fühlt er sich abgelenkt: Sie werden immer Mittel und Wege finden, um ihn zu stören. Anstatt einen Zettel zu schreiben, lassen sie sein Telefon schrillen. Weisungen, die bereits klipp und klar gegeben wurden, wollen sie noch einmal bestätigt haben. Sie kommen angetrollt, um sich Heftklammern zu borgen (ihr eigenes Büromaterial ist bezeichnenderweise immer unbrauchbar). Statt es nun aber bei dem Ausborgen der Klammern zu belassen, lümmeln derartige Zeitgenossen eine Stunde lang in Ihrem Büro herum und plappern albernes Zeug. Wenn Sie um einen schriftlichen Bericht bitten, tauchen sie kurz danach von neuem auf, um sich zu erkundigen, wie denn die Randeinsteilung sein soll. Und falls sie irgendwelche Nöte haben, die von Rechts wegen allein den Hausmeister betreffen, dann gehen diese Typen nicht etwa zu diesem Mann: Nein, sie weinen sich bei Ihnen aus.
Da sitzen Sie also an Ihrem Schreibtisch und bemühen sich, mit Ihrer Arbeit weiter- zu kommen, und was passiert? Das eben Geschilderte. Solche wahrlich liebenswerten Mitmenschen sind durchaus imstande, Ihnen zu einem Magengeschwür zu verhelfen.

Freude an der Arbeit
Es gibt eine Unmenge Bücher, in denen dem gläubigen Leser beigebracht werden soll, wie er ein Erfolgsmensch werden kann. Die meisten dieser Traktate, die mit bestechender Logik den Weg zum Reichtum vorzeichnen, verraten ungewollt ein- und dasselbe: Man muss sich auf einer hohen Emotionsstufe befinden. Wer an der Spitze ihre liegt, verfügt über dynamische Tatkraft, die auch nur selten für längere Zeit verloren geht. Hier sind Verantwortung, Ausdauer, gute Laune und Arbeitsfreude zu Hause.
Müssen Sie leitende Angestellte engagieren, dann bedienen Sie sich am besten der Emotionsskala. Hüten Sie sich vor allem vor der Leichtgläubigkeit.
Ein netter Mann, den alle Welt gern hat, ist vielleicht derart verständnisvoll für die Sorgen anderer, dass er die Zügel immerzu schleifen lässt. Seien Sie auch auf der Hut vor dem allzu forsch Auftretenden der Zorn-Region. (Seine stereotype Wendung: Los! Los! Ein bisschen dalli! Sonst schläft hier noch alles ein.) Er scheint zwar Fühlungsqualitäten zu besitzen, doch trügt dieser erste Eindruck: Seinen Erfolg hat er allein seinen ewigen Drohungen zu danken. (Demnach ist er immer nur von kurzer Dauer.) Der Mensch möchte in vielen Situationen geführt werden. Er hat jedoch eine gesunde Abneigung, sich vor dem Einpeitscher zu ducken. Anfangs mag die schwere in Hand wirksam sein. Ein im Furcht- Bereich lebender Mensch verliert unter einer derartigen Fuchtel indessen jegliche Zuversicht und wird zum Stümper.
Vielfach nimmt er dadurch Rache, dass er nur einen Bruchteil seiner Arbeit erledigt. Psychologen und Soziologen, die das Verhalten von Geschäftsleuten studierten, haben bemerkt, dass die Arbeitsleistung in entscheidender Weise von den zwischenmenschlichen Kontakten abhängt. Ganz besonders trifft dies auf die Beziehung zu, die ein Mensch zu seinem Vorgesetzten hat. Diese Wissenschaftler haben auch festgestellt, dass Angestellte mehr leisten und sich wohler fühlen, wenn ihr Chef keinen übertriebenen Diensteifer verlangt und sich nicht in persönliche Dinge einmischt. Anders ausgedrückt heisst das: Leute, die für einen Chef zwischen 1,2 und 2,0 der Skala arbeiten, bringen nicht allzu viel zustande.
Die Psychologen beschlossen, die leitenden Angestellten einer grossen Firma einer Schulung zu unterziehen, um ihre Arbeit wirksamer zu gestalten. In einem zweiwöchigen Kursus wurden sie in allen zur Diskussion stehenden Fragen unterwiesen.
Die Schwerpunkte lagen auf dem Gebiet der Pflege menschlicher Beziehungen. Kurz nach Beendigung des Lehrgangs zeigte sich bei den meisten Teilnehmern eine wesentlich bessere Haltung. Ein halbes Jahr später machte man indessen eine Gegenüberstellung mit einer andern Gruppe. Dabei merkte man, dass viele der geschulten Leute wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückgefallen waren. Jene Personen jedoch, die umgänglicher und effektiver geworden waren, hatten bezeichnenderweise über sich Direktoren von ausgeglichenem Wesen. Das Exempel zeigt:
Gute oder schlechte Führung wirkt sich von oben nach unten aus. Also wiederum ein Beweis dafür, wie positiv sich das Verhalten eines Chefs auf hoher Emotionsebene bemerkbar macht.
Selbst wenn ein Mensch bis zu einem gewissen Grad auf der Skala emporgestiegen ist, wird er sich dort nicht auf die Dauer halten können, wenn sein Chef ihn negativ beeinflusst. Er rutscht nicht nur wieder ab - möglicherweise kehrt er der Firma auch den Rücken.

Das Gefühl für Verantwortung
Wer sich im privaten Umgang wie ein verantwortungsvoller Mensch benimmt, auf den ist auch im Berufsleben Verlass. Er hält sich körperlich in Form, achtet auf Reinlichkeit, gute Kost und gepflegte Kleidung. Er tut alles, damit es seiner Familie an nichts fehlt. Er sorgt sich um die Zukunft der Seinen. Tritt er zu andern Menschen in Beziehung, dann versucht er, sich so loyal wie möglich zu verhalten. Er befürwortet Reformen, die den Interessen aller dienen.
Ein solcher Mensch liebt auch Blumen und Tiere, denn er erfreut sich an allem Lebendigem in seiner Nähe. Nie wird er daran denken, aus purem Mutwillen fremdes Leben zu ersticken.
Der verantwortungsbewusste Mensch achtet die Meinung anderer. Ob er mit ihnen übereinstimmt oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Viel Geld ohne Risiko
Ob Sie kaufen, verkaufen, jemanden einstellen, einen feuern oder die Pfennige aus Ihrem Sparstrumpf schütteln, um ein ganz grosses Geschäft ohne jedes Risiko zu machen - ziehen Sie zuvor die Emotionsskala zu Rate. Haben Sie nämlich einmal gelernt, Ihre Mitmenschen richtig einzuschätzen, dann sind Sie allemal klüger als wortgewandte Schönredner, die Sie doch nur übers Ohr hauen wollen. Vor einigen Jahren kannte ich einen gefühllosen Menschen, der sich mit scharfen Krallen, einlullenden Schmeicheleien und Erpressungsversuchen einen guten Job in der Unterhaltungsbranche gesichert hatte. Wer als Opfer seiner Schikanen auf der Strecke geblieben war, durchschaute diesen Burschen natürlich hinterher und machte sich keinerlei Illusionen mehr über diesen rüden Typ. Wer ihn erst noch kennen zu lernen hatte, fiel prompt auf seine Schaumschlägerei herein, denn sein Elan öffnete ihm Tür und Tor. Einmal beschwatzte er ein paar wohlhabende Leute, ihr Geld in eine Restaurantkette zu stecken, die er aufzuziehen gedachte. Diese tumben Toren fielen auf ihn herein: Der Mann war ja so bekannt und erfolgreich. Wie stets machte er sich auch diesmal mehr Feinde als Freunde. Er überwarf sich mit aller Welt: mit seinen Geldgebern ebenso wie mit seinen Kunden, die ihm seine Existenz schliesslich sichern sollten. Das dicke Ende konnte nicht ausbleiben: Natürlich platzte das Geschäft. Die Männer, die ihm gutgläubig ihr Geld anvertraut hatten, waren bass erstaunt. Die Läden mussten abgestossen werden, was einen weiteren finanziellen Verlust bedeutete. Dass die Schuld an der Pleite nicht in äusseren Umständen, sondern allein im Versagen dieses Managers zu suchen war, bewies der neue Besitzer: Binnen kurzem scheffelte er das Geld nur so.

Die verdrehten Tatsachen
Im Geschäftsleben hängt so gut wie alles von der richtigen Übermittlung der Nachrichten ab. In dem Moment, da ein Verkäufer einen Auftrag entgegennimmt, setzt er einen Kreislauf in Bewegung, der nur dann reibungslos funktionieren kann, wenn alle Betroffenen sofort schalten. Jeder Geschäftsmann wird Ihnen ein Lied davon singen können, wie viele Fehler gemacht werden, die sich bei einigem guten Willen durchaus vermeiden liessen.
Die Fähigkeit des Menschen, eine Nachricht exakt weiterzugeben, ist von seinem Emotionsniveau abhängig. Die Leute auf den niedrigen Stufen der Empfindungsregion modeln das ihnen Mitgeteilte nach Gutdünken um. Andere verdrehen die Tatsachen - ob mit Absicht oder nicht. Wiederum andere vergessen die ganze Geschichte kurzerhand. Schreibt Ihre Sekretärin einen Brief genau so, wie Sie ihn ihr diktiert haben? Sorgt sie auch dafür, dass er umgehend abgesandt wird? Wenn Sie einen Vertreter Ihrer Firma zu einer Tagung schicken, kann es passieren, dass sein Bericht eher seine augenblickliche Gemütsverfassung widerspiegelt als das bei dem Treffen Geschehene. Vielleicht gibt er Ihnen - falls er zu den Tiefstehenden gehört - brühwarm den Klatsch weiter, den er aufgeschnappt hat: Die Firma X steht (Hätten Sie das gedacht?) kurz vor der Pleite. Diese unfähige Regierung schädigt den Markt in einem fort. Da ist eine Konkurrenz aufgetreten, die Ihnen vermutlich an den Kragen will. Und so weiter. Und so weiter.
Dass ein bedeutendes Unternehmen Ihnen einen hübschen Auftrag in Aussicht gestellt hat, vergisst dieser Unglücksrabe über all seinem Geschwafel zu erwähnen. Der gelangweilte Mensch füttert Sie mit weniger bestürzenden Neuigkeiten, weiss indessen aber nichts Aufregendes oder Interessantes zu melden. Zwar hat er ein paar recht amüsante Witzchen gehört. Die aber machen den Braten auch nicht fett. Im Übrigen ist alles wie immer.
Der konservative Mensch hingegen erstattet einen akkuraten Bericht, wobei er freilich alles Neuartige und Fremde abschwächen wird. Wo immer einer auf der Skala heimisch sein mag, stets (oder fast stets) wird er die Tatsachen ein wenig anders schildern, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.
Sicher waren Sie schon einmal Zeuge eines Unfalls oder eines andern aussergewöhnlichen Ereignisses. Sie werden demnach wissen, dass zehn Beteiligte zehn Versionen des Vorfalls geben -und jeder von ihnen wird steif und fest behaupten, er habe recht. Das hat er auch, denn die Wahrheit ist immer subjektiv: Der eine sieht die Dinge so, der zweite anders. Herr A. meint, dies sei von unerhörter Wichtigkeit. Frau B. schwört darauf, dass es allein auf jenen Umstand ankomme, der Herrn A. gänzlich entgangen ist.
Die 1,1er mixen Wirklichkeit und Einbildung derart kunterbunt, dass man ihnen kein Wort glauben darf. Am untersten Ende der Skala hören wir bloss noch Geschwätz, aus dem sich kein vernünftiger Mensch einen Reim machen kann.

Am grünen Tisch
Bei Aufsichtsratssitzungen und ähnlichen Anlässen bietet sich Ihnen eine gute Gelegenheit, das Klima eines Unternehmens zu beobachten. Wenn jemand ein kühnes neues Programm entwickelt, können Sie sogleich die Reaktion aller Anwesenden registrieren (und also ihr Empfindungsniveau). Ein bekümmerter oder vergrämter Mensch wird das Vorhaben unbesehen als hoffnungslos ab tun. Lässt man ihn zu Worte kommen, dann wird er uralte Geschichten auftischen, in denen ausschliesslich von Verlustgeschäften die Rede ist. Leute, die sich um die Gunst ihrer Mitmenschen bemühen oder zum Mitleid neigen, geben dem Vorschlag von vornherein keine Hoffnung. Der Furcht- Mensch jedoch wird das Allerschlimmste ahnen:
Eine solche Sache würde uns ganz gewiss ruinieren. Der 1.1er dagegen wird sich voller Eifer melden: Die Idee ist ganz prima! Gleich darauf aber wird er den Vorschlag auf seine unterschwellige Art zu boykottieren suchen: Naja, das hört sich zwar sehr gut an, aber ... Der 1.5er wird kaltblütig konstatieren, dass die Idee Humbug sei. (Ist er höflich, dann kleidet er seine Negation in sanftere Worte. Auf alle Fälle jedoch wird er das in seinen Kräften Stehende unternehmen, um das Projekt zu sabotieren.)
Der Antagonist wird natürlich zunächst einmal eine heftige Diskussion in Gang setzen, egal, ob ihm die Idee gefällt oder nicht. Der Gelangweilte zuckt mit den Achseln und schlägt den Weg des geringsten Widerstands vor. Der Konservative meint: Nun, überschlafen wir die Sache erst einmal. Morgen sieht das alles anders aus. Man soll nie impulsiv handeln. Wahrscheinlich wird er nicht gegen den Vorschlag stimmen, aber so oder so das Projekt auf die lange Bank zu schieben versuchen. Befindet sich in der Runde indessen ein Mensch der Empfindungsstufen 3,5 oder 4,0, wird er sich von dem Vorschlag vielleicht begeistern lassen. Er steuert dann seinerseits Ideen bei.

Verkäufer und Kunde
Ein Verkäufer oder ein Vertreter, der die Emotionsskala kennt, vermag einen Kunden richtig zu beurteilen und sein Interesse zu wecken. Er verkauft nicht nur, er stellt den Kunden auch zufrieden.
Ein solcher Geschäftsmann erspart sich viel unnötige Mühe, denn er weiss ja beizeiten, wer als Käufer nicht in Frage kommt. Nehmen wir an, er arbeitet in einem Schuhladen. Eine Frau, die zur chronischen Traurigkeit neigt, betritt das Geschäft.
Der Verkäufer zeigt ihr zehn Paar Schuhe. Sie hat an allen etwas auszusetzen. Gelingt es ihm nicht, sie heiterer zu stimmen, stellt er seine Bemühungen am besten ein: Kauft sie doch, dann kommt sie in den nächsten Tagen garantiert wieder und lamentiert, dass die Schuhe einfach abscheulich seien. Chronisch traurige Menschen empfinden gleich alles als Schmerz. Diese Kundin wird wohl behaupten, die Schuhe seien eine wahre Qual für sie. Derartige Leute sind nun einmal so. Der Apathie- Mensch indessen wird erklären: Es hat ja alles doch keinen Sinn. Passende Schuhe für mich gibt's halt nicht.
Auch die besten Verkäufer geraten zuweilen an Kunden, denen sie partout nichts recht machen können. Sie stellen sich meist mit Reklamationen wieder ein, verlangen ihr Geld zurück oder eine andere Ware. Kunden dieser Sorte stehlen einem Zeit, Geduld und Profit. Nicht selten bringen sie auch den Glauben des Verkäufers an die Qualität seiner Waren ins Wanken. Ein erfahrener Verkäufer weicht solchen Kunden nach Möglichkeit aus.
Hin und wieder gibt es Tage, an denen man sich sagt, es wäre klüger gewesen, überhaupt nicht aufzustehen. Gute Verkäufer empfinden solche Tage als besonders unangenehm. Sie werden melancholisch: Ist die Marktlage wirklich so miserabel? Wächst einem die Konkurrenz über den Kopf? Oder gibt es sonst einen Grund zur Depression? Nicht selten sagen sich diese Entmutigten dann: Ich geb's auf. Ist ein Verkäufer allerdings mit der Emotionsskala vertraut, dann wird er einsehen, dass er selber heute vielleicht nicht so behänd ist wie sonst, und dass es eigentlich keinen Grund gibt, die Lage so düster zu beurteilen. Ein wirklich guter Verkäufer kommt in diesem Fall rasch über sein Stimmungstief hinweg. Der Versager freilich nimmt die finsteren Gedanken, welche ihn an einem schlechten Tag heimsuchen, bitter ernst.
Von Bedeutung ist natürlich, dass er nur hervorragende Ware anzubieten hat.
Er muss selber der Überzeugung sein, dem Kunden einen Gefallen zu tun. Der Mensch hat ein gesundes ethisches Empfinden. (Auch wenn es ihm angenehmer zu sein scheint, sich darüber hinwegzusetzen.)
Er wird in eine selbstgebaute Falle laufen und auf die Dauer mit seinen unfairen Handlungen erfolglos bleiben. Ein Verkäufer kann durch Tricks äusserlich erfolgreich sein (also Geld machen). Er wird dessen aber nicht recht froh, denn solange er unehrlich ist, bleibt er auf einem tiefen Emotionsniveau. Direktoren sind gut beraten, wenn sie hochstehendes Personal engagieren.
Viele Unternehmer, die durchaus marktfähige Artikel zu offerieren haben, fallieren, weil sie der weit verbreiteten Anschauung huldigen, man brauche nur genug Leute einzustellen, und dann fänden sich schon einige darunter, die den Laden schmeissen könnten. Der schädliche Einfluss weniger Personen auf niedrigen Empfindungsstufen vermag jedoch alles bisher Erreichte zunichte zu machen. Die menschenfreundliche Haltung solcher Unternehmer zahlt sich demnach nicht aus.
Ein kluger Verkäufer wird nicht gleich kündigen, weil er in mieser Verfassung ist, und sich nach einer andern Stellung umsehen, die ihn weniger strapaziert (aber auch weniger attraktiv ist). Er wird sich vielmehr aufraffen, um doch noch ein gutes Geschäft zu machen. Nachgerade dürfte es ja wohl zu einem Gemeinplatz geworden sein: Man sollte den Tag nach Möglichkeit mit einem Erfolg beschliessen.

Arbeit ist kein Schimpfwort
Bevor wir das Büro verlassen, sollten wir uns sagen, dass auf der Arbeit kein Fluch lastet. Im Nichtstun ist kein Glück zu finden, obwohl es immer Leute gibt, die das Gegenteil behaupten. Der Mensch oben auf der Skala findet Freude an seiner Arbeit. Den erfolgreichen Manager befriedigt es, seine Firma zu vergrössern. Der Pianist findet an nichts mehr vergnügen, als am Klavierspiel. Der aktive Geschäftsmann sackt nur dann auf der Skala ab, wenn man ihn ständig bei seinem Vorhaben behindert, ablenkt oder ihm das nimmt, was für ihn der Lebensinhalt ist: Du sollst nicht soviel arbeiten - spann doch mal aus, das kann auch ein anderer für dich übernehmen.
Zusammenfassung
Kein Mensch kann wirklich erfolgreich und emotionell tiefstehend sein. Beides schliesst einander aus.
Einundzwanzigstes Kapitel

Gruppenbildung
Fall Sie nicht gerade in einer Höhle unter dem ewigen er Eis des Nordpols hausen, werden Sie den Kontakt zu andern Leuten wohl kaum ausschliessen können. Ob Sie wollen oder nicht, man wird Sie nötigen, sich dieser oder jener Gruppe anzuschliessen. Man wird Sie um Spenden bitten. Man wird Sie um Ihre Mitgliedschaft in Vereinen, Clubs, Sekten und Parteien ersuchen.
Heutzutage ist diese Grüppchenbildung stärker denn je. Nur wenige von uns sehen sich vor ein Problem gestellt, mit dem ein reicher Junggeselle zu schaffen hat, und das mir neulich zu Ohren kam: Er wollte sein Vermögen nach seinem Tod einer wirklich lohnenswerten Sache stiften, war jedoch ausserstande, eine solche zu finden. Freilich ist das Dilemma dieses Mannes verständlich.
Wir leben in einer Gesellschaft, die sich mit geradezu rasender Geschwindigkeit verändert. Mehr als jemals zuvor brauchen wir Richtlinien, um bestimmen zu können, welche unserer sich ständig verschiebenden Werte gesund sind und welche sich möglicherweise als selbstmörderisch auswirken können. Tag für Tag werden uns die Ohren mit abgedroschenen Plattitüden vollgeschrieen. Wir bedürfen eines verlässlichen Urteilsvermögens, so dass wir die überlieferten Wertvorstellungen, die noch brauchbar sind, ebenso einschätzen können wie die neuen Massstäbe des Raketenzeitalters, um die sich kein Bogen schlagen lässt.
Vielleicht geben Ihnen diese fünf Punkte Hinweise auf die Nützlichkeit einer Vereinigung, der Sie eventuell beitreten wollen:
1. Welches Ziel hat diese Gruppe?
2. Auf welche Art und Weise will sie dieses Ziel erreichen?
3. Wer führt die Gruppe?
4. Was tut sie wirklich?
5. Was hat sie bis heute erreicht?

Das Ziel
Natürlich haben nicht alle Mitglieder einer Vereinigung dasselbe Niveau. Dennoch lässt sich das fixierte (oder nicht fixierte) Ziel auf einer Stufe der Skala einordnen. Ein Mensch mit hohem Emotionsniveau wendet sich beispielsweise gegen alle Bestrebungen, die auf das Zerstören ausgerichtet sind. (Das Gegenteil: Jene, die alles in den Kot zerren wollen.) Er wird sich folglich an allen Massnahmen beteiligen, die der Rehabilitation, dem wahren Fortschritt, der Erziehung dienen. Möglich, dass er nur einfach fröhlich sein will im Kreise Gleichgesinnter. Wer ganz oben ist, macht sich Gedanken über die Zukunft. Die Wiederbelebung der Vergangenheit und die Konservierung der Gegenwart beschäftigen ihn weniger intensiv.
Viele Clubs wurden nur zum Vergnügen der Mitglieder ins Leben gerufen (man denke an Leute, die Skat spielen, Volkstänze pflegen oder ähnliches). Andere hingegen fordern die Vertiefung familiärer Beziehungen und die Pflege überlieferten Brauchtums (Eltern- und Lehrer-Verbande, Vereine für Denkmalspflege). Wiederum andere Organisationen sind von Nutzen für einzelne Berufssparten (Gewerkschaften, ethnische Gruppen, Wohltätigkeitsvereine, staatliche Verbände, politische Parteien).
Manche Gruppen tun sich zusammen, um etwas für die Wohlfahrt der Menschheit zu unternehmen (Familienplanung, medizinische Forschung etc.). Andere interessieren sich für das Leben der Pflanzen und Tiere (Konservatoren, Tierschutzvereine), Einige versuchen, die Erde und also die Menschheit vor der Selbstvernichtung zu bewahren (Friedensbewegungen, Umweltschützer, die Vereinten Nationen).
Wieder andere Organisationen setzen sich mehr oder Hab weniger ernsthaft mit dem Fremdartigen und Unerforschten auseinander (Astrologie, Spiritisten, Ufo- Spezialisten). Und schliesslich gibt es noch Gruppen, die sich für die Verständigung aller Menschen und ihr Verhältnis zum Universum zusammenschliessen (Glaubensgemeinschaften, philosophische Bewegungen).
Eine emotionell hochstehende Gruppe mit grossem Wirkungskreis ist am Fortbestand der Menschheit sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht interessiert. Freilich kann der eine oder andere nebenbei auch einem Skatclub angehören.

Die Wege zum Ziel
Nicht selten können wir beobachten, dass ein hochgesteckter Vorsatz durch weitaus profanere Mittel erreicht werden soll. Eine militante Gruppe etwa mag behaupten, sie wolle nichts anderes als die Nation retten, während sie in Wirklichkeit Menschenleben auslöscht und Häuser dem Erd\. Boden gleichmacht. Hunderte von Wohltätigkeitsvereinen verfolgen das Ziel, Unglücklichen unter die Arme zu greifen. Sie lösen aber letzten Endes die Probleme nicht: Sie bemühen sich lediglich um die Gunst anderer. Eine derartige Hilfe ist eher schädlich als heilsam.

Führereigenschaften
Oft hängt die Wirkung einer Gemeinschaft einzig und allein von der Persönlichkeit des Führers ab - einem kraftvollen Mann, der Charisma ausstrahlt. Es ist von grösster Bedeutung, den chronischen Gefühlsbereich eines solchen Mannes richtig einzuschätzen, um zu erfahren, ob er den Bestand der Gruppe zu garantieren vermag oder nicht. Fällt die Leitung einer Person zu, die zwar Charisma besitzt, jedoch das Ganze ihren eigenen unethischen Zwecken untertan macht, dann werden alle bisherigen Bemühungen sich negativ auswirken - so positiv sie bislang auch gemeint waren.
Haben Sie den Eindruck, die Führung der Gemeinschaft befinde sich in guten Händen, ohne sich dessen noch ganz sicher zu sein, dann seien Sie auch weiterhin wachsam.

Wirksamkeit
Ein Schwindler entlarvt sich leicht, wenn Sie ihm die Frage stellen: Was erreicht die Gruppe tatsächlich? Etwa das, was sie zu erreichen trachtet und vorgibt? Falls diese Frage bejaht werden kann, ist alles in Ordnung. Es kommt indessen immer wieder vor, dass eine Gemeinschaft zwar die besten Vorsätze hat, nach den löblichsten Zielen strebt, überzeugend geführt wird, aber trotz allem ein Manko aufweist: Stehen die Aktivitäten wirklich auf hohem Niveau?
Wenn wir diese Frage ernsthaft untersuchen, werden wir bald dahinter kommen, dass Herr Y., ein zungenfertiger 1,1er, der die Gesellschaft zur Rettung der Unterdrückten und Verlassenen leitet, ein Scharlatan ist. Lüften wir nämlich den Schleier ein wenig, der diese pompöse Gesellschaft verbirgt, dann erkennen wir rasch, dass die Unterdrückten noch immer unterdrückt und die Verlassenen nach wie vor verlassen sind. Herr Y. allerdings braust in einem schicken Ferrari durch die Lande und feiert in seiner Villa mit zwanzig Zimmern rauschende Feste. Und dies alles ohne ein anderes Einkommen.
Was wurde erreicht?
Erreicht eine Gemeinschaft ihr Ziel, indem sie mehr aufbaut als zerstört? Anfangs trugen die Gewerkschaften viel dazu bei, einen finanziellen Ausgleich zwischen skrupellosen Industriellen und ausgepowerten Arbeitern zu schaffen. Heutzutage freilich schwingt das Pendel zuweilen in die andere Richtung.
Vor einiger Zeit rief die U.A.W. (Gewerkschaft der Arbeiter in der Automobilindustrie) zu einem zeitlich ungünstigen Streik auf, der die bereits mit Schwierigkeiten kämpfende Wirtschaft der Vereinigten Staaten noch stärker lähmte. Die Gewerkschaft erzielte für alle ihre Mitglieder eine jährliche Lohnsteigerung auf zwölftausend Euros. Doch schon wenige Monate später musste sie das Management um Hilfe angehen, denn zwei Probleme türmten sich auf:
Alkoholismus und Drogenmissbrauch waren nun die häufigsten Ursachen für Arbeitsausfälle am Fliessband. Es ist kaum verwunderlich, dass viele Arbeiter apathisch werden, wenn sie mehr und mehr Lohn für weniger Arbeit bekommen. Wie soll ein Individuum seinen eigenen Charakter wahren, wenn seine Lohntüte dicker wird, es selber aber keine Gelegenheit findet, die entsprechende Gegenleistung zu erbringen?

Die ideale Gemeinschaft
Nur Menschen auf hohem Emotionsniveau sind imstande, weitgesteckte Ziele zu erreichen, echte Lösungen zu finden, positiv zu wirken. Selbstverständlich soll hier nicht der Versuch unternommen werden, diese oder jene Gruppen und Verbände zu analysieren. Anhand einiger Erläuterungen wird es Ihnen jedoch leichter möglich sein, den Fünf-Punkte-Test zu Ihrem eigenen Nutzen anzuwenden.

Wohltätigkeitsvereine
Viele Universitäten, medizinische Forschungsinstitute, Glaubensgemeinschaften und Vereine sind - zum Teil wenigstens - auf die finanzielle Unterstützung der Öffentlichkeit angewiesen. In einem fort werden wir mit Spendengesuchen für alle möglichen Zwecke bombardiert. Dadurch sieht sich mancher geradezu auf die Stufe der Gunstbemühung genötigt. Wollte ich jeder Organisation, die mich um meine Mithilfe bittet, auch nur eine geringe Spende geben, dann würde ich selber bald auf die mildtätigen Gaben meiner Mitmenschen angewiesen sein.
Daraus habe ich meine Lehre gezogen: Ehe ich mich zum Griff ins Portemonnaie überreden lasse, richte ich mich nach dem Fünf-Punkte-System. (Leicht abgeändert können diese Punkte auch auf jeden beliebigen Menschen angewandt werden, den Sie finanziell unterstützen.) Spricht mich eine wohltätige Gesellschaft an, die an mein gutes Herz appelliert, den Bedürftigen aber nicht wirklich hilft, dann wehre ich mich entschieden gegen diese Bettelei.

Drogenentzug
Fast zahllos sind die Gruppen, die den Drogenmissbrauch einzudämmen versuchen.
Während die meisten so gut wie gar keine Wirkung erzielen, ist die Tätigkeit anderer segensreich. Vor nicht allzu langer Zeit unterstützte die amerikanische Regierung vier solcher Programme, die - einem späteren Bericht zufolge - gänzlich fehlschlugen Angeblich scheiterte das Unternehmen, weil die Leiter dieser Gruppen sofortige Abstinenz verlangten. Die jungen Leute indessen, die sich an diesem Hilfsprogramm beteiligten, sahen durchaus nicht jede Droge als schädlich an. Da es in dieser wesentlichen Frage zu keiner Übereinstimmung kam, war es um die Resultate verständlicherweise kläglich bestellt.
Hingegen wurde vor Jahren im Staatsgefängnis von Arizona eines der erfolgreichsten Entzugsverfahren organisiert. Das Programm (unter der Bezeichnung Narconon bekannt geworden) wurde von einem Mann ausgearbeitet, der neunzehn Jahre lang heroinsüchtig gewesen war. Das Verfahren beruht auf Methoden, die ohne chemische Mittel auskommen. Stattdessen veranstaltet man Trainingsstunden und gemeinsame Studien. Dadurch wurde bei geringfügigem finanziellem Aufwand eine achtzigprozentige Heilung bei stark Drogensüchtigen erzielt. Rehabilitations- Bemühungen, die sich auf physische oder geistige Heilung beschränken, erreichen selten mehr als eine zehn- bis dreizehnprozentige Heilung. Die Methoden von Narconon, derer sich mittlerweile verschiedene Gefängnisse bedienen, konzentrieren sich ausschliesslich auf das Geistige und Seelische des Menschen.
Das Resultat: selbstsichere Individuen, die sich oben auf der Skala befinden und ihr Leben mit neuen konstruktiven Zielen beginnen. Da nur Freiwillige an dieser Methode teilnehmen, sind die Erfolgsaussichten gross. Die Ergebnisse bestätigen die Richtigkeit des Verfahrens.
Zusammenfassung
Viele Gruppen erregen das Interesse von Menschen eines bestimmten Emotionsniveaus. Ein Mitleid-Mensch schliesst sich vielleicht einem Geselligkeitsverein an, obwohl er in Wahrheit gar keine besonders menschenfreundliche Gefühle hegt: Durch diesen Schritt möchte er vielmehr sein wahres Ich tarnen. Leute, die chronisch auf den Stufen Zorn und Antagonismus zu Hause sind, werden sogleich zur Stelle sein, wenn es irgendwo zu Protesten kommt, denn sie lieben nun einmal nichts mehr als den Krawall. Viele im Furcht-Bereich angesiedelten Personen werden ihnen auf dem Fusse folgen, weil der Protest sie lebendiger macht.
Hinter den Kulissen der organisierten Gewalttätigkeiten treffen wir den listigen 1,1er und den verschlagenen 1,2er an. Neulich berichtete ein Reporter über einige im Geheimen gemachte Filmaufnahmen. Sie zeigten tumultarische Szenen auf einem Universitätskampus. Höchst interessant war, dass jene, die am lautesten nach Blut geschrieen hatten, sich klammheimlich davonmachten, als es tatsächlich zu Schlägereien kam. Sie verstanden es zwar äusserst geschickt, die Gemüter zum Kochen zu bringen. Ebenso geschickt verstanden sie es aber auch, in der Menge unterzutauchen und damit der Festnahme zu entgehen.
Wenn Sie sich Ihren Umgang aussuchen wollen, dürfen Sie vor allem eines nicht vergessen: Jeder Mensch verrät seinen Empfindungsbereich durch seine Absichten, seine Ziele, seine Aktivitäten. Ebenso aufschlussreich ist die Person des Mannes, den er als Führer anerkennt. Am allerwichtigsten jedoch ist das, was bei seinem Tun herauskommt.
Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die Emotionen und die Künste Irgendwie gefällt mir dieses Gemälde sehr. Aber das da - brrrh! Ich hab mir noch nie was aus klassischer Musik gemacht. Sie deprimiert mich einfach. Vielleicht ist es nicht sehr gut geschrieben. Aber ich habe das Buch trotzdem mit Freude gelesen.
Ob es den schöpferischen Menschen behagt oder nicht - die meisten Leute reagieren auf Kunst rein gefühlsmässig, denn es ist tatsächlich so, dass Emotionen und Kunst in direkter Beziehung zueinander stehen. Die Ästhetik bildet ihre eigene Skala, angefangen vom billigsten Kaufhausprunk bis zur Eleganz eines Meisterwerks. Sie existiert auf jeder Stufe der Emotionsskala (und verläuft im rechten Winkel zu ihr). Deshalb fühlen wir uns zuweilen beim Anblick eines ästhetisch makellosen Kunstwerks niedergeschlagen. Andererseits kann es aber auch geschehen, dass uns eine weniger perfekte Arbeit, die jedoch von hohem Emotionsniveau zeugt, in freudige Stimmung versetzt.
Mitunter hören wir jemanden in entschuldigendem Ton erklären: Ich weiss natürlich, dass das recht gut sein soll, aber mir sagt es nicht zu. Keine Frage: Dieser Mensch hat etwas gegen das Emotionsniveau des Künstlers einzuwenden. Vielleicht zieht er Trauriges, Sentimentales, Rätselhaftes, Schreckliches vor - jedenfalls etwas, das mehr seiner Empfindungsregion entspricht.
Allein auf der Stufe Traurigkeit gibt es Abertauende von Liedern: Schlager, die heute in aller Munde und in drei Tagen vergessen sind, aber auch Stücke von klassischer Schönheit, deren Glanz nie vergehen wird. Sicher haben Sie schon bemerkt, dass die Ästhetik Ihr Gefühlsleben sowohl positiv als auch negativ anzusprechen vermag. Bilder, Bücher, Musik können den Menschen freudig oder melancholisch stimmen.
Müssen Künstler neurotisch sein?
Ein Künstler, der das Leben so darstellen will, wie es ist, muss in der Lage sein, alle Empfindungsbereiche - von der Apathie bis zum Enthusiasmus - unvoreingenommen zu betrachten. Seine eigene Position auf der Skala braucht seine schöpferische Kraft nicht zu beeinflussen. Viele der begabtesten Künstler lebten (oder leben) auf einer niedrigen Emotionsschwelle. Ein Künstler muss nicht unbedingt neurotisch werden, ehe er schöpferische Arbeit leisten kann. (Diese Anschauung ist - aus welchen Gründen auch immer -sehr verbreitet.) Wenngleich ein Künstler auch dann zu grossen Leistungen fähig ist, wenn er unten weilt, wird er doch wohl dynamischer und geschickter sein, sobald sich sein Emotionsniveau verbessert.
Schliesslich büsst kein Mensch etwas ein, wenn er auf höhere Gefühlsebenen steigt.

Im Rampenlicht
Auch für Schauspieler, Dramatiker und Regisseure kann die Kenntnis der Skala von Nutzen sein. Eine Schauspielerin, die eine dramatische Rolle zu verkörpern hat, wird es weniger schwer haben, wenn sie alle Eigenarten der Stufe 0,5 versteht, von denen viele ohne Worte übertragen werden können (Mimik, Gestik, Bewegung, zögernde Reaktion). Ein Traurigkeits-Mensch lässt den Kopf hängen. Er starrt zu Boden. Nie gibt er schlagfertige Antwort ten. Er seufzt tief. Er ist so mit sich selbst beschäftigt, dass es ihm Mühe macht, sich für andere Leute zu interessieren. Schauspieler können etwas für sich tun, wenn sie einige Sätze nacheinander in allen Empfindungstönen aussprechen.

Der Schriftsteller
Viele Schriftsteller leben vom Ertrag ihrer Feder recht gut, ohne je etwas von der Emotionsskala gehört zu haben. Unbewusst bedienen sie sich jedoch dieser Methode beim genauen Beobachten und Beschreiben menschlicher Verhaltensweisen.
Wenn sie über Menschen schreiben (die es entweder wirklich gibt oder deren Charakter sie ersinnen), geht ihnen die Arbeit rascher von der Hand, falls sie sich an die Skala halten. Ihre Gestalten wirken glaubwürdiger.
Wäre jedem politischen Publizisten oder Historiker die Methodik der Empfindungsskala bekannt, dann käme er schneller dahinter, ob eine berühmte Persönlichkeit ein hervorragender Staatsmann oder lediglich ein machtgieriger Schurke war.
Kürzlich las ich einen Artikel über einen populären, aber umstrittenen Mann. Da er ziemlich einflussreich ist, hätte ich gern etwas über sein Emotionsniveau erfahren.
Leider vermochte ich ihn nirgendwo einzustufen, denn der Verfasser hatte sein eigenes Empfinden durch Unterstellungen und leicht verschleierte Kritik in den Vordergrund gerückt. So handeln oft Leute der Stufe Versteckte Feindseligkeit, um Höherstehenden eins auszuwischen. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, wusste ich mehr über den Autor als über die von ihm gezeichnete Figur. Gelegentlich umkleidet ein Schriftsteller entweder aus Bewunderung oder auf Weisung des Verlegers seinen Helden mit einem emotionell hohen Mäntelchen.
Falls jedoch wörtliche Zitate gebracht werden, können Sie das wirkliche Niveau des Beschriebenen feststellen. Dadurch schlagen Sie sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie erfahren endlich, wie der berühmte Herr X. tatsächlich ist, und
Sie erfahren obendrein, wie es um den Autor bestellt ist.
Jeder spielt seine Rolle
Als die ersten Höhlenbewohner ihre unbeholfenen Schriftzeichen in die Wände ritzten, wurden sie vermutlich auch schon ermahnt, sich ihrer Rolle gemäss zu verhalten: Sie sollten jeden Charakter so darstellen, wie er nun einmal war. Freilich hat man ihnen wohl kaum genaue Verhaltungsrichtlinien gegeben. Denn von der Emotionsskala wusste damals sicher noch niemand etwas.
Wenn Sie sich für das chronische Emotionsniveau einer erfundenen Romanfigur entschieden haben, müssen Sie es so lange beibehalten, bis die Situation ein Steigen oder Sinken rechtfertigt. Sie können die Handlungen Ihrer Gestalt vorausbestimmen: Reagiert sie bei einer Bedrohung mutig, feige, starrköpfig, oder wird sie sich in einem derart tiefen Gefühlsbereich bewegen, dass sie die Gefahr überhaupt nicht wahrnimmt? Wird sie aufrichtig sein, wenn sie in Versuchung gerät? Ist sie bei andern Leuten beliebt oder unbeliebt? Wird sie durch deren Anwesenheit aktiviert oder deprimiert?
Sie können den im ganzen Dorf bekannten Säufer als einen gutmütigen Burschen oder als einen händelsüchtigen Schläger zeichnen. Wenn Sie ihn jedoch ernüchtern, dann sollten Sie ihn auf der Stufe Apathie unterbringen, wo er mürrisch und in sich gekehrt seine Zeit vertrödelt.
Die auf der Schwelle Zorn ansässige Hure weist die nämlichen Charaktereigenschaften auf wie ein brutaler General. Ihre Gestalten können reich, arm, abstossend, dumm wie Bohnenstroh, prüde, auf charmante Weise unmoralisch, höchst moralisch oder gemein bis auf die Knochen sein. Es steht Ihnen frei, sie schick oder schlampig darzustellen. Sie können einem Indianerstamm angehören oder einer New Yorker Cocktail-Party. Die Hauptsache ist: Ihr Emotionsniveau bleibt sich gleich. Gelingt es Ihnen, Ihre Personen anschaulich zu schildern, dann werden sie auf der Stelle von einer Dame der Gesellschaft ebenso schnell erkannt wie von einer biederen Hausfrau in Hintertupfingen. (Ach, wissen Sie, ich kenne da jemanden, der ist ganz genau so.)

Bekannte Figuren der Literatur
Es ist recht unterhaltend, das Emotionsniveau bekannter Gestalten aus Literatur und Filmen zu studieren. Hier ein paar Anregungen: Dieser ausgekochte John Silver aus Robert Louis Stevensons Schatzinsel war fraglos ein 1,1er: Hinter seiner stets freundlichen Miene verbarg er die listigsten Gaunereien. Hamlet tanzte an der Skala hinauf und hinunter. Als er indessen sein berühmtes
Sein oder Nichtsein ... von sich gab, war er ganz gewiss im Stadium tiefsten Grams.
Sein Onkel, der König, bietet ein abschreckendes Exempel des unterdrückenden 1,1ers: Seine abgefeimte Schurkerei brachte der Reihe nach aller Welt den Tod.
George Bernard Shaw stellt uns in seinem Pygmalion einen 1,2er vor, und zwar in der Person des Henry Higgins. Die beherzte und freimütige Liza Dolittle hingegen befand sich meist auf der Antagonismus-Stufe, wenngleich sie hin und wieder zu Ausbrüchen neigte, die eigentlich dem Zorn-Menschen vorbehalten bleiben.
Dass der Professor Higgins ein typisch empfindungsloser Mensch ist, offenbart er in seiner absoluten Unfähigkeit, Lizas Empfindungen auch nur zu begreifen. Freilich bedient er sich gelegentlich der Überredungskünste des 1,1ers oder bekommt einen Wutanfall. Nachdem sich die bei den ziemlich demaskiert haben, wählt Shaw (auf glaubhafte Weise) den Mittelweg (1,5), um beider Beziehungen gewissermassen zu glätten: Beim geringsten Anlass (oder bei gar keinem) schnauzt sie ihn an ... Er tobt und schikaniert und tyrannisiert ...
Jacqueline Susann schildert in ihrem Roman Die Liebesmaschine einen gefühllosen Menschen: Robin Stone.
Mit einigen knappen Sätzen beschreibt Thomas Berger in Der letzte Held eine bei 1,1 angelangte Krankenschwester: . beleibt, unglaublich neugierig, boshaft ... eine jener Personen, die ihrem moralischen Kodex so rückhaltlos frönen wie ein Trinker dem Alkohol ... und ging dabei so weit, gehässige Anspielungen zu machen ...
Eine etwas feinfühligere Person hätte meine gemurmelten Worte als eine Äusserung des Unmuts verstanden, doch Mrs. Burr war Feinheiten gegenüber immun.
In Mario Puzos Roman Der Pate werden wir mit dem Empfindungsbereich des Verbrechens (1,1 bis 1,5) konfrontiert. Der Pate selbst ist zwar ab und zu unbarmherzig und zornig, befindet sich meist jedoch in versteckter Feindseligkeit. Wir sind doch vernünftige Menschen. Also können wir uns auch auf vernünftige Weise einigen. Aber diese vorgetäuschte Freundlichkeit sollte die Tatsache verdecken, dass jeder, der sich ihm nicht fügte, kaltgemacht wurde. Seine mehrfach gezeigten Gefühle, seine Sentimentalitäten und seine Anwandlungen von Güte hatten nur einen Zweck: Wie alle 1, 1er wollte er über die andern herrschen. Ungeachtet seiner offensichtlichen Liebe zur Familie, waren seine Angehörigen ständig durch sein Unterweltstreiben Gefahren ausgesetzt. Diese übertriebene Ich-Bezogenheit des 1,1ers verlangt unbedingten Gehorsam. In einem fort glaubt er seine Ehre verteidigen zu müssen, während er sich seinerseits allerlei Verrätereien erlaubt.

Die Intensität
Ein guter Autor wird auch die Intensität des jeweiligen Emotionsniveaus betonen.
Er lässt einige Figuren in den Vordergrund treten, während er andere in den Kulissen zurückhält. Er lauscht das wirkliche Leben ab. Vielleicht zeichnet er einen 1,1er, der amüsant und liebenswürdig ist und den die Frauen verwöhnen. Im Allgemeinen muss man ihm verzeihen. Dennoch ist er im Grunde seines Wesens unzuverlässig, unaufrichtig, unethisch. Manche seiner Spässchen liegen hart an der Grenze. Nicht immer hält er sich an Absprachen, und auch seine Ausdauer ist nicht die beste. Er besitzt alle charakteristischen Eigenschaften des 1,1ers, aber dank seines Charmes wird er in der Gesellschaft akzeptiert (nur darf man nicht zu sehr auf ihn angewiesen sein). So sieht der Mensch am unteren Ende der Stufe 1,1 aus: Seine Intensität ist gering.
Andererseits begegnen wir im Roman und im Leben häufig auch dem 1,1er, der ganz da ist: Seine Intensität kann böse Folgen haben. Er trägt nämlich zwar noch immer sein gekünsteltes Lächeln zur Schau, ist im Geheimen jedoch derart dem Destruktiven verfallen, dass er allerorten Unheil stiftet. Diese beiden 1,1er- Typen unterscheiden sich lediglich durch ihre Intensität. Ein Apathie-Mensch kann so gut wie nie in Erscheinung treten. Ein zweiter indessen hockt vielleicht trübsinnig in der Ecke und schweigt sich aus. Obwohl er kein Wort von sich gibt, lähmt er alle, die mit ihm in Berührung kommen, durch seine absolute Hoffnungslosigkeit. Realistik und Romantik
Seit einigen Jahren werden wir durch eine ganz spezielle Art von Realismus beglückt. Die Anhänger dieser Denkweise halten das Leben und die Welt für einen riesigen Dreckeimer. Sie behaupten, dass sie die Dinge so sähen, wie sie halt seien. Also führen sie uns geradezu genüsslich alles Hässliche vor Augen: Trunksucht, Arglist, Süchte, Prostitution, Verbrechen, Verderbtheiten, Mord, Elend, Jammer in jedweder Form.
Ein wirklich realistischer Mensch weist indessen nicht bloss auf den Dreck hin, sondern macht auch auf die Rosen im Garten aufmerksam. Natürlich werden sich stets Leute finden, die den Erzeugnissen eines Schriftstellers Beifall spenden - gleichviel, auf welchem Emotionsniveau er angesiedelt ist. Der Glaube an die Unverwundbarkeit solcher beliebten Gestalten wie Sherlock Holmes oder James Bond bereitet vielen Menschen nun einmal Vergnügen. Solange sie von deren Heldentaten lesen, sind sie dem tatsächlichen Leben entrückt und wähnen sich selbst für unbesiegbar.

Der Wendepunkt
Jede erfundene Handlung bedarf mindestens eines Wendepunkts, denn ohne ihn wäre die ganze Geschichte langweilig. Ein armes Waisenkind wird plötzlich aller Sorgen ledig. Ein notorischer Krimineller fasst den Entschluss, sich endlich auf die rechte Bahn zu begeben. Ein ungetreuer Ehemann sieht ein, dass er seine Frau doch mehr liebt als alle andern. Wir alle müssen Entscheidungen treffen, die unser Leben ändern. Der Schriftsteller muss dies bei seinen Figuren weitaus häufiger tun: Sie können aus der Rolle fallen, wann immer er es für angebracht hält.
Wenn ein Mensch von einer grossen Aufregung, einem schweren Verlust oder einer argen Enttäuschung betroffen wird, fällt er eine Entscheidung, die oft den bisherigen Verlauf seines Daseins verändert. Eine derartige Entscheidung wird fast immer dann gefällt, wenn er sich auf einem niedrigen Emotionsniveau befindet (zwangsläufig bedingt durch das Erlebnis). In diesem Zustand ist er kaum jemals in der Lage, seine Situation so sachlich zu überschauen, wie dies in oberen Stimmungsbereichen möglich wäre.
Jede Entscheidung, die unter derartigen Umständen getroffen wird, ist von emotionell tiefem Niveau. Während solcher Depressionen finden manche Leute, dass es sich nicht lohne, seinen Mitmenschen allzu viel Zuneigung zu schenken. (Ich werde nie wieder jemanden lieben können.) Auch das Vertrauen lässt nach. (Du kannst ja doch keinem glauben.) Man legt weniger Wert auf den Umgang mit andern. (Ich werde mir den Mund nicht noch einmal verbrennen.) In derartigen Momenten werden Kurzschlusshandlungen vollzogen: Man verlässt die Schule, zieht in eine andere Stadt, betrinkt sich masslos, will künftig keiner Frau mehr über den Weg trauen, will nie wieder die Wahrheit sagen oder jemandem behilflich sein. Nehmen wir an, der eiskalte Killer (auf Stufe Gefühllosigkeit) zielt auf einen Polizisten, verletzt aber statt seiner ein kleines Mädchen. Sogleich wird er von Gewissensbissen gequält und versucht nun, das Kind und dessen Eltern mit Geschenken und Geld zu überschütten. Vielleicht hält ihn die Gesellschaft jetzt für einen im Grunde doch guten Menschen. Ein Schriftsteller, der dieses Motiv verwendet, sollte jedoch wissen, dass sich der Gangster lediglich auf die Stufe Wiedergutmachung zurückgezogen hat. Das heisst: Er wird nach diesem Intermezzo weiterhin labil und schwach bleiben.
Will ein Autor eine Romanfigur zu einem ordentlichen Menschen werden lassen, dann muss er die äusseren Umstände so gestalten, dass der Mann die Möglichkeit findet, auf der Skala zu steigen.
Nach einem Vortrag in Kalifornien kam ein junger Dramatiker zu mir und erklärte: Ich habe erst kürzlich von der Emotionsskala gehört. Zurzeit arbeite ich an einem neuen Stück, das beinahe fertig ist. Jetzt, nachdem ich Sie angehört habe, stelle ich ja fest, dass meine Heidin ein Traurigkeits-Typ ist. Ich möchte aber nicht, dass sie am Schluss noch immer auf dieser Stufe ist. Um ihre Empfindungswelt zu ändern, müsste ich jedoch fast jede Szene umschreiben. Gibt es denn kein glaubwürdiges Mittel, ihr Niveau zu heben?
Doch, entgegnete ich. Führen Sie irgendeinen Wendepunkt herbei, der auf etwas Positivem fusst. Vermeiden Sie also das Negative. Geben Sie der Person die Chance, etwas zu erreichen, wonach sie strebt. Vielleicht können Sie die Sache so drehen, dass sie beispielsweise jemanden verlässt, der sie unterdrückt.
Ein Mensch am unteren Ende der Skala kann oft schon durch einen geringfügigen Erfolg geradezu aufwärts schnellen. Einer Hausfrau gelingt ein Kuchen besonders gut. Ein Mann bringt seinen sonst immer widerspenstigen Automotor sogleich zum Anspringen.
Ich schlug diesem Dramatiker ausserdem vor, er möge seine Person langsam die einzelnen Gefühlsbereiche nach oben durchziehen lassen. Sie könnte etwa plötzlich mehr Interesse für ihre Mitmenschen an den Tag legen. Dadurch würde sie mehr Lebensmut gewinnen und eine grössere Bereitschaft, allen Hindernissen zu trotzen. Je schöner die Erfolge sind, die Sie ihr zugestehen, umso höher steigt sie naturgemäss. Das wird jedermann einleuchten.
Seine Miene hellte sich auf, und er beschloss, meinem Rat zu folgen.

Selbsterkenntnisse
Will ein Schriftsteller einen ausgesprochen bösartigen Menschen darstellen, der nach einem ungewöhnlich harten Verlust fortan nett sein möchte, dann muss er bedenken, dass dieser Entschluss ja in einer Traurigkeits-Phase gefasst wird. (Ich muss ein anderer Mensch werden. Ich füge andern zu viel Leid zu.) Ein Autor, der eine Person partout mit einem goldenen Herzen ausstaffieren will, sollte sich vor Augen halten, dass dieses Herz auf den Ebenen 0,8 und 0,9 vergoldet wird. Soll eine Romanfigur von selber erkennen, dass sie bislang feig oder faul war und sich nun zu einem edlen Menschen läutern möchte, dann muss sich der Verfasser einen gangbaren Weg einfallen lassen, der in die Höhe führt. Und dies muss geschehen, ehe die Gestalt sich an die Verwirklichung des Vorsatzes macht.
Solange jemand auf niedrigem Emotionsniveau verweilt, ist er nämlich gar nicht imstande, die Wahrheit über sich selber einzusehen. Am unteren Ende der Skala sind so genannte Erkenntnisse meist nichts anderes als holder Trug. Klettert ein gefühlsmässig tiefer Mensch wieder nach oben, dann muss er auch den Zorn-Bereich durchwandern, was ein ganz natürlicher Wendepunkt ist.
Auf dieser Stufe wird der frühere Feigling sagen: Mir reicht dieses ewige Plärren. Ich habe die Nase voll. Von jetzt an werde ich auf den Tisch hauen. An mir sollen sich die andern nicht mehr ihre dreckigen Schuhe abwischen. Ist er erst einmal in der Lage, überhaupt zornig zu werden, sieht er auch die Möglichkeit, noch höher zu steigen. Zorn ist jene Ebene, auf der es zum entscheidenden Kampf kommt: zur direkten Konfrontation. Ein Schriftsteller, der eine Person nach oben bringen will, darf den Zorn-Bereich nicht übergehen. Dies entspräche nicht der Wirklichkeit.
Zuweilen lesen wir wahre Begebenheiten über Menschen, die nach schlimmen Erfahrungen plötzlich den Augenblick des Erwachens erleben. Dergleichen kann einem emotionell hochstehenden Menschen widerfahren, der durch einen schweren Rückschlag niedergeworfen, gleichzeitig aber auch bereichert wird. Die Folge: Er gelangt über kurz oder lang wieder nach oben.
Ein Beispiel: Ein konservativer Mann kommt bei einem Autounfall fast ums Leben. Während seiner langen Genesungszeit fühlt er sich so schwach und hilflos, dass er an Selbstmord denkt. Schliesslich - nach qualvollen inneren Kämpfen - kann er sich jedoch an ein Hoffnungsfädchen klammern. Allmählich kehren die Kräfte zurück, die es ihm ermöglichen, wieder auf der Skala zu steigen. Nach einiger Zeit ist sein Emotionsniveau höher denn je. Er freut sich des Lebens, denn er war jener Schwelle nah, von der es keine Umkehr gibt. Wenn er ein hübsches Mädchen trifft, küsst er es. Wenn beim Aufwachen die Sonne scheint, ist der junge Tag einfach herrlich für ihn. Regnet es jedoch, dann findet er den Tag auch herrlich. Er hat auf seinem Krankenlager viele Hemmungen abgestreift, die sein Alltagsleben früher wie in ein Korsett eingepresst hatten. Jetzt empfindet er ein tieferes Vergnügen als vor seinem Unfall. Er weiss nun, wie schön das Leben sein kann. Viele andere indessen, die gleichfalls eines Tages ihren Augenblick des Erwachens durchmachten, haben lediglich bei einer philosophischen Apathie Zuflucht gefunden. Entscheidend ist bei derartigen Erlebnissen die Frage: Was hat der Mensch nach seinem Umschwung getan? Ist er aktiver geworden, oder ergibt er sich tiefsinnigen Grübeleien über die Bedeutung eines Grashalms? Wenn sich ein Mensch von jetzt auf nachher für eine mystische, okkulte oder symbolische Deutung aller Dinge interessiert, liegt der Schluss nahe, dass sein Ehrgeiz irgendwie Schaden genommen hat. Er ist ohne Aufhebens in den stillen Bereich der Apathie abgeglitten. Nun erklärt er alles und jedes durch Sterne, Zahlen und Sinnbilder, die auf geheimnisvolle Weise vorherbestimmt seien und die er nicht beeinflussen könne.

Das Milieu des Künstlers
Wahre Schöpferkraft kann sich nicht entfalten, wenn das Milieu sie beengt.
Der Künstler muss sich seine Umgebung sorgfältig aussuchen, wenn er nicht in seinem Schaffen behindert werden will. Je grösser der Erfolg eines Künstlers ist, umso mehr gefühlsmässig tiefstehende Leute hängen sich wie die Kletten an ihn. In dieser Lage ist falsche Rücksichtnahme verderblich. Der schöpferische Mensch braucht einen klaren Kopf und eine ruhige Umgebung. Wer seine Träume Menschen anvertraut, die einer niedrigen Gefühlswelt verhaftet sind, wird bald die traurige Erfahrung machen müssen, dass sie von jenen Kreaturen vernichtet werden.
Sehen Sie sich doch einmal in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis um: Wie viele faseln immerzu von Geschichten oder Liedern, die sie vor Jahren oder Jahrzehnten schon schreiben wollten, nur kamen sie halt nie dazu, sie zu schreiben, denn sie haben sich Leuten angeschlossen, die unterhalb der Stufe 2,0 behaust sind.
Sie haben längst aufgegeben ...

Die Kritiker
Man ist gut beraten, wenn man sich in einem Winkel verkriecht und dort seine eigene Arbeit bewundert, anstatt sie einem Menschen zur Kritik anzuvertrauen, der zur Kritik ausserstande ist. Die schöpferische Kraft ist in vielen Fällen sehrverwundbar, und ein junger Künstler wird häufig entmutigt, falls seine ersten Bemühungen sogleich einer erbarmungslosen Kritik ausgesetzt werden.
Ein bekannter Autor zeigte einst einem Freund ein noch unvollendetes Manuskript. Der Freund äusserte sich kritisch, worauf der Autor seine Arbeit in die Schublade legte. Erst nach einem Jahr, als er sich von dem vernichtenden Urteil erholt hatte, war er imstande, das Buch zu beenden. Es wurde ein Bestseller. Sie mögen einen in der Öffentlichkeit angesehenen Kritiker wählen, den alle Welt schätzt, und dennoch die schlimmsten Erfahrungen mit ihm machen. Interessieren Sie sich vernünftigerweise zunächst einmal für sein Emotionsniveau. Er mag auf seinem Gebiet durchaus beschlagen sein. Gehört er jedoch einem niedrigen Gefühlsbereich an, wird seine Kritik unweigerlich negativ ausfallen was Ihnen und Ihrer Arbeitskraft sehr schaden kann.
Unterhalb der Stufe 2,0 ist eine konstruktive Kritik nicht mehr möglich. Während mehrerer Jahre lernte ich eine ganze Reihe von Sprachwissenschaftlern kennen.
Auf der Hochschule hatte ich es mit einer Lehrerin zu tun, die zu den Gelangweilten zählte. Ihre Kritik beschränkte sich auf die Korrektur von grammatikalischen Fehlern. Sie vermochte ein Talent weder zu ermutigen noch zu entmutigen. Demnach war sie recht harmlos, freilich aber auch alles andere als eine vorbildliche Lehrerin. Später begegnete ich einem Dozenten, der in einem Kursus über Aufsatzlehre gern philosophische Themen aufgriff. Der Mann war ein Antagonist. Er warf der Klasse Bälle zu. Es kam zu hitzigen Debatten. Das war zwar recht unterhaltend. Über das Handwerk des Schreibens erfuhren wir indessen nichts.
Dann geriet ich an einen Professor, den man als Mitleid-Bündel bezeichnen konnte. Er brachte soviel Verständnis für die Zerbrechlichkeit der künstlerischen Natur auf, dass er nie auch nur ein Sterbenswörtchen hören liess, das kritisch oder konstruktiv gewesen wäre. Er stellte uns nicht einmal Aufgaben. Sein Unterricht war völlig frei. Also auch frei von Hilfe.
Der Lehrer, der uns am meisten schadete, war ein 1,2er. Seine Spezialität bestand darin, das Vertrauen seiner Schüler zu untergraben. Hatte man eine Frage oder wollte man einen Rat, dann erwiderte er kurzangebunden: Wenn Sie etwas über Gleichnisse erfahren wollen, müssen Sie Georgia Portly Lament lesen. In einem fort berief er sich auf irgendwelche Bücher, die keiner von uns kannte und die auch nirgendwo zu bekommen waren. Seine Kritik war stets nichtssagend und verallgemeinernd.
Wir waren unglücklich und unzufrieden. Gelernt hat niemand etwas von diesem Pädagogen.
Schliesslich fand ich einen Lehrer mit hohem Emotionsniveau, und nun lief alles ganz anders. Ihm lag nichts daran, die Schüler zu verletzen und zu entmutigen: Im Gegenteil: Er lobte sie so oft wie möglich. Freilich durfte er sich auch Kritik erlauben, denn er verstand sein Metier bis ins Kleinste. Im Unterschied zu allen andern meiner bisherigen Lehrer übte er spezifische Kritik. Nie kamen Gemeinplätze über seine Lippen. Diese Kritik verletzt nicht, denn der Betroffene (in unserem Fall der Künstler) weiss sofort, was gemeint ist und folgt augenblicklich dem Gedankengang des Lehrers. Er lernt etwas hinzu.
Zusammenfassung
Suchen Sie sich Ihre Kunstgattung, Ihr Milieu, Ihre Kritiker an hand ihres Emotionsniveaus aus. Wer in den unteren .Bereichen verweilt, kann Ihnen nicht von Nutzen sein. Alles spricht dafür, dass ein Künstler auf möglichst hoher Gefühlsstufe leben sollte. Von dort aus ist er nämlich in der Lage, viele Menschen dank seiner Ästhetik auf der Skala anzuheben.
Dreiundzwanzigstes Kapitel

Der Umgang mit Menschen
Wie können Sie einen lustlosen Verkäufer wieder auf Trab bringen?
Wie verhalten Sie sich gegenüber einem 1,1er, der Sie zu schädigen versucht?
Wie erwehren Sie sich eines antagonistischen Interviewers?
Wie veranlassen Sie einen gleichgültigen Kunden dazu, eine Ware zu kaufen?
Wie heitern Sie einen Freund auf?
Was unternehmen Sie, wenn jemand zornig oder böse wird?
Anders ausgedrückt:
Wie begegnet man Menschen auf tiefem Emotionsniveau?
(Bei Hochstehenden bedarf es keiner Unterweisung: In ihrer Gegenwart fühlt man sich wohl.)

Sich bewusst auf andere einstellen
Mitunter halten wir es für angebracht, auf das Emotionsniveau eines anderen bewusst einzugehen. Wir begeben uns dabei auf seine Stufe oder etwas höher.
Fällt ein Mensch, der gewöhnlich oben auf der Skala lebt, einmal in die unteren Bereiche, so wird es ihm durch unsere Hilfe möglich sein, schnell wieder hinaufzukommen. Sollte er sich jedoch auf den unteren Stufen der Skala bewegen, dann wird ihm unser Beistand gleichfalls nützlich sein - freilich nur für kurze Zeit. Solche Personen geraten leicht in ein Abhängigkeitsverhältnis. Sie sehen in dem Helfer einen Menschen, der sie versteht und der ihnen Auftrieb gibt. Das kann zu einer grossen Belastung werden, falls er nicht dauerhaft auf eine höhere Gefühlsebene kommt.
Wie ist der Mensch wirklich?
Sind Sie sich darüber im Unklaren, wo jemand auf der Skala einzustufen ist? Nun, es gibt ein einfaches Mittel, dies festzustellen: Versuchen Sie herauszufinden, was ihn interessiert. Beginnen Sie oben auf der Skala mit schöpferischen Ideen. Ist Ihr Partner auf diesem Ohr taub, gehen Sie halt zu Allerweltsgerede über: Schönes Wetter, nicht wahr? Greifen Sie etwas an oder seien Sie zornig. Erzählen Sie ihm ein Gerücht. Erwähnen Sie etwas Furchterregendes. Beklagen Sie das Schicksal der Armen. Jammern Sie darüber, dass die Dinge keineswegs so sind, wie sie früher waren. Stellen Sie mit betrübter Miene fest, dass eben alles hoffnungslos sei.
Wenn Sie sich dergestalt nach unten begeben, wird sich Ihr Partner verraten - nämlich in dem Augenblick, da Sie sein Emotionsniveau angesprochen haben. Meist dauert es gar nicht lange, bis dies passiert. Auf diesem Wege finden Sie heraus, was für ein Mensch Ihnen gegenüber sitzt. Nachdem Sie sich eine Zeitlang mit ihm unterhalten haben, wird er zu der Überzeugung gelangen, Sie seien ein sehr verständnisvoller Mensch. Und also wird er Sie mögen. Kann er auf der Skala ohne Schwierigkeit von Stufe zu Stufe klettern, wird er Ihnen nun begierig folgen: Sie können ihn anheben
Manche Leute sind freilich so unbeweglich, dass sie sich bestenfalls einen Schritt von ihrer üblichen Empfindungsebene zu entfernen vermögen. Zum Glück kommt das nicht allzu oft vor.

Apathie
Liegt jemand tief apathisch im Bett (sei er nun krank, oder leide er an einem Schock), dann kommen Sie mit Worten allein nicht weiter. Um ihn zu erreichen, ist der körperliche Kontakt nötig. Berühren Sie ihn an der Schulter, oder ergreifen Sie seine Hand. Diese Ihre Hand ist für ihn ungleich realer als tausend Gedanken, die Sie mit ihm teilen. Reagiert er nach einer Weile, dann lenken Sie seine Aufmerksamkeit auf Gegenstände im Zimmer. Deuten Sie auf ein Bild oder eine Blumenvase. Lassen Sie ihn den Bettbezug anfassen. All dies hilft ihm, ein wenig auf der Skala zu steigen. Es ist zwecklos, ihn in Gedankengänge zu verstricken. Machen Sie ihm bewusst, dass er überhaupt da ist.
Meist ist es schwer, dem Apathie-Menschen nahe zu kommen (vor allem dann, wenn er behauptet, alles sei in bester Ordnung). Der erwähnte körperliche Kontakt und der Hinweis auf seine Umgebung sind nützlich. Ich selbst gehe zuweilen noch weiter, indem ich über den zerstörten Traum spreche, der den Abwesenden in Apathie versetzt hat. Finden Sie auf diesem Wege Zugang zu ihm, müssen Sie allerdings mit Tränenausbrüchen rechnen, denn dieser Mensch kämpft ja gegen seine Traurigkeit, gegen seinen Gram, an. Gelingt es ihm, diese Last abzuwerfen, wird er sich allmählich wieder aufwärts bewegen können.
Ich kenne einen jungen Mann, der ein apathisches Mädchen dadurch aus seiner Apathie weckte, dass er über den zu erwartenden Tod sprach. Augenblicklich reagierte das Mädchen darauf: Diese Frage war für sie real. Nachdem er ein wenig Hoffnung verheissen hatte, hüpfte das Mädchen sogleich auf die Stufe Wiedergutmachung und erkundigte sich eifrig: Was soll ich denn machen? Und wenig später flossen die Tränen. Merkwürdig war, dass Beobachter dieser Szene die Methode des jungen Mannes bestürzend fanden: Das Mädchen sei doch aufgeregt worden. In Wahrheit hatte der Mann das Vernünftigste in dieser Situation getan: Es war ihm gelungen, das Mädchen zu veranlassen, sich mit ihrem eigenen Zustand auseinanderzusetzen. Es dauerte nicht lange, und das junge Geschöpf konnte sich wieder nützlich machen.

Traurigkeit
Die meisten Leute ziehen sich instinktiv auf die Stufen Gunstbemühung oder Mitleid zurück, wenn sie mit einem Menschen des Gefühlsbereichs Traurigkeit in Berührung kommen. Bei Todesfällen schicken wir Blumen oder tun sonst etwas Nettes für die Hinterbliebenen.
Diese Gesten (mögen sie auch konventionell sein) sind natürlich, und der im Gram eingeschlossene Mensch versteht sie. Hilfe, die höheren Gefühlen entspringt, würde er wohl nicht begreifen. (Erzählen Sie einem traurigen Menschen nur ja nicht, dass alles zum Besten bestellt sei: Dieser gut gemeinte Hinweis würde ihn apathisch machen.)
Wie Leute auf dieser Emotionsstufe reagieren, zeigt deutlich ein Vorfall, der sich in einer Trinkerheilanstalt ereignete. Ein Mann, der sich von seiner Sucht ziemlich befreit hatte, meinte: Es ist wirklich ein Jammer, dass man nicht einen einzigen echten Freund auf Erden hat. Darauf bemerkte ein anderer, es sei doch einfach töricht, einen derartigen Menschen überhaupt zu suchen. Nun, dieser Mann war absolut apathisch. Eine Diskussion schloss sich an. Manche sagten, es sei vielleicht doch möglich, einen Freund zu finden. Die meisten hingegen waren der Ansicht, ein solches Unterfangen sei von vornherein aussichtslos. Ein Psychologe wollte nun wissen, was die Leute denn unter einem echten Freund eigentlich verstünden. Nach kurzer Überlegung definierten die Männer ihre Einstellung so: Ein echter Freund ist ein Mensch, der sein letztes Hemd hergibt.
So also denken apathische und traurige Menschen: Was sie für Freundschaft halten, liegt nur wenig höher als ihr eigener Gefühlsbereich - die Gunstbemühung nämlich.
Wenn Sie sich mit einem Menschen unterhalten wollen, der ganz unten angelangt ist, bleibt Ihnen keine andere Wahl, als sich selber dorthin zu begeben. Sie müssen zunächst etwas tun, um ihm nahe zu kommen. Hinterher können Sie ihm Ihr Mitleid angedeihen lassen. Und zwar so lange, bis er dessen überdrüssig wird. (Ach, du armer Kerl! Wie hältst du das bloss aus? Ich kann gar nicht begreifen, dass du nicht schon längst den Schwanz eingezogen hast.) Aus diesen mitfühlenden Worten wird er schliessen, dass Sie Verständnis für ihn haben. Wahrscheinlich wird er schon bald darauf erklären: So schlimm ist das Ganze wiederum auch nicht. Nun liegt es bei Ihnen, diesen Menschen auf jene Stufe der Skala zu hieven, wo er bereit ist, wirkliche Hilfe zu akzeptieren.
Selbstverständlich müssen Sie nicht immer so dick auftragen. Wesentlich ist jedoch dies: Sagen Sie ihm nicht, er habe gar keinen Anlass zur Trauer. Damit würden Sie gar nichts ausrichten. Die Folge wäre: Er würde glauben, Sie hätten keinen blassen Dunst von seinen Problemen.

Gunstbemühung
Freund Willy, der zu Gast bei der Familie Z. weilte, demolierte aus Versehen einen Stuhl. Wortreich entschuldigte er sich und bat, ihm die Rechnung zu schicken. Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage, wehrte die Gastgeberin ab. Der Stuhl war sowieso nicht mehr viel wert. Wir hätten ihn längst reparieren müssen.
Das glaube ich nicht. Sie wollen nur mein schlechtes Gewissen beruhigen. Bitte, schicken Sie mir die Rechnung. Doch Frau Z. fiel es gar nicht ein, dies zu tun. Willy überreichte ihr einen Blankoscheck mit der dringenden Bitte, den Betrag einzuschreiben. Um endlich ihre Ruhe zu haben, tat sie dies auch - freilich nun ihrerseits mit schlechtem Gewissen. Wenn zwei Menschen, die sich um Gunst bemühen, aufeinander stossen, kommt es allemal zu Schwierigkeiten. Selbst wenn Ihr Sinn für Gerechtigkeit darunter leidet, sollten Sie die Offerten derartiger Leute annehmen und sich höflich dafür bedanken. Andernfalls gerät der sich um Ihre Gunst Bemühende nämlich in eine fatale Lage.

Mitleid
Ich unterhielt mich einmal mit einer Frau, die chronisch auf der Mitleid-Stufe verharrte. Sie wollte etwas gegen den Drogenmissbrauch unternehmen, denn die Süchtigen taten ihr leid. Allerdings besass sie weder die dafür erforderliche Ausbildung, noch war sie imstande, wirkliche Hilfe zu leisten. (Ich ahnte schon, dass sie bei Ausführung ihres Vorhabens alsbald vor lauter Traurigkeit zerfliessen würde.) Ich warnte sie demnach recht energisch vor den möglichen Folgen eines solchen Unterfangens. Könne sie denn diese Probleme überhaupt bewältigen? War es gar nicht besser, vorsichtiger zu sein? Ich spielte also die Furchtsame. Zu meiner Erleichterung erwiderte die Frau: Wissen Sie, eigentlich glaube ich ja auch, dass ich der Sache nicht gewachsen bin.
Danach sprachen wir über die Leute dieses Rehabilitationskreises. Zum Teil waren sie für ihre Aufgabe nicht geschult. Endlich gelangte meine Gesprächspartnerin zu dem antagonistischen Standpunkt: Sie meinte, es sei vernünftiger, sich zunächst einmal richtig ausbilden zu die lassen, damit sie auch wirklich helfen könne. Somit hatte viel sie einen wesentlich höheren Emotionsgrad erreicht: Sie war nicht mehr bereit, sich Hals über Kopf in ein Abenteuer zu stürzen, das doch zu nichts geführt hätte.

Angst - Furcht
Einem Menschen der Stufe 1,0 kann man nahe kommen, indem man die Unterhaltung auf allen nur erdenklichen mit Jammer bringt. Wenn Sie ihn ein wenig liften wollen, müssen Sie irgendwelche heimtückischen Methoden andeuten, mit denen er sich einer Bedrohung erwehren könnte. Lebt er in der Angst, man wolle ihm sein Haus plündern, dann reden Sie tunlichst über Alarmanlagen, Fallen und verborgene Waffen. Dankbar wird er Ihnen beteuern, dass er diesem Ratschlag mit Freuden folgen werde, um die Eindringlinge um die Ecke zu bringen.

Der 1,1er
Wenn Sie den Wunsch verspüren, dass Leute dieser Empfindungsebene Sie gern haben, müssen Sie auf sie eingehen. Das heisst: Schmeicheln sie ihnen. Schliesslich spielen sie sich ja doch nur auf, um Ihnen zu imponieren, Geniessen Sie also ihr Theater, und lassen Sie sie wissen, wie sehr es Sie erfreut. Gefühlsmässig hochstehende Menschen geraten in Anwesenheit eines 1,1ers fast stets in Wut (besonders dann, wenn sie zu arbeiten haben). Auf diese Weise werden sie ihn vielleicht los. Ein 1, 1er freilich, der flexibel ist, wird sich zur Wehr setzen, wenn Sie ihn zum Teufel schicken wollen. Ein chronischer 1,1er hingegen zieht sich schweigend zurück, denn er fürchtet den Zorn anderer.
Ein Bekannter von mir namens Gregor litt unter den heimtückischen Attacken seines Geschäftspartners. Eines schönen Tages platzte ihm der Kragen, und er brüllte den andern an: Warum bringen Sie mich nicht gleich um, damit Sie mich endlich loswerden? Der Kollege - auf der Ebene 1,1 - lachte bloss und leugnete jede Schuld. Doch von Stund an unterliess er seine gehässigen Angriffe. Mit einemmal kam er mit seinem Partner recht gut aus. Gregor gelang es mit der Zeit, einen - wenn auch emotionell tiefen -Kontakt mit dem andern zu erreichen: Er hielt ihm dessen wahre Absichten vor Augen und beförderte ihn auf der Skala ein Stückchen in die Höhe.

Gefühllosigkeit
Da dieses Emotionsniveau zum 1, 1-Bereich gehört, kann man ihm mit dem Zorn auf den Leib rücken. Statt ihn direkt anzugehen, können Sie versuchen, seinen Zorn auf einen Dritten zu leiten. Einer meiner Freunde, der üblicherweise emotionell weit oben rangiert, hatte sich geradezu in einen Hass auf einen Kollegen hineingesteigert. Die Folge war, dass er sich in ein verkrampftes Schweigen hüllte, was ja typisch ist für den 1 ,2er. Ich ergriff seine Partei und wetterte ebenfalls gegen seinen Feind. Das lockerte Ihn ein wenig, worauf ich in derselben Tonart fortfuhr. Gemeinsam schmiedeten wir Pläne, um den Unhold zu zerschmettern. Genüsslich malten wir uns eine grausame Rache aus. Doch bald schon langweilte ihn dieses alberne Gequassel, und nun dachten wir über diabolische und komische Anschläge nach. Am Ende lachte mein Freund laut auf und meinte: Zum Teufel! Was soll das Ganze eigentlich? Ich habe doch wahrhaftig wichtigere Dinge zu tun.
Einen zornigen Menschen können Sie nicht beruhigen oder beschwichtigen: Ein derartiger Versuch würde ihn noch mehr aufbringen. Wenn er wütend auf Sie ist, können Sie sich bewusst auf sein Emotionsniveau einzustellen versuchen: Sie müssen also auch einmal so richtig loslegen. Das wird er Ihnen hoch anrechnen.
Eine meiner Freundinnen zog jahrelang vor ihrem Mann - einem 1,5er - den Kopf ein. Als er sie wieder einmal anbrüllte, da brüllte auch sie. Sogleich entbrannte ein hartnäckiger Kampf - zum ersten Mal in ihrer zwölfjährigen Ehe knallten sie einander alles um die Ohren, was sie in sich hineingefressen hatten. Als die Kombattanten ermattet zusammensackten, schauten sie sich aufs äusserste verdutzt in die Augen. Kurz danach lachten sie sich beinahe tot. Hin und wieder müssen Sie Zorn, der sich gegen Sie richtet, auf eine andere Person ablenken.
Vor Jahren, als ich noch in der Immobilienbranche tätig war, rief mich ein Kunde an, der an seinem Zorn zu ersticken drohte. Ich hatte ihm ein Grundstück verkauft, und er wartete voller Ungeduld auf die Dokumente des Maklers. Mehrere Telefongespräche mit diesem Makler hatten zu nichts geführt. Jetzt liess der Kunde seine Wut an mir aus. An irgendjemandem musste er sein Mütchen ja schliesslich kühlen.
Ich liess ihn fünf Minuten lang toben. Als er heiser zu werden drohte, sagte ich gelassen: Ich nehme Ihnen Ihre Wut nicht übel. Ich werde sofort feststellen, was da eigentlich los ist. Sie können sich darauf verlassen, dass ich denen Dampf machen werde. Spätestens morgen hören Sie von mir.
Nun wirbelte ich meinerseits ein bisschen Staub auf und stellte fest, woran die Verzögerung lag. Als ich den Kunden am nächsten Tag anrief, waren die Papiere bereits auf dem Weg zu ihm. Der Mann reagierte auf eine zwar antagonistische, doch heitere Art und erklomm dadurch eine Sprosse auf der Skala. Wissen Sie, meinte er, Sie gefallen mir. Endlich mal jemand, der sofort was unternimmt, an statt sich mit mir herumzustreiten. Geschäftlich gesehen, wirkte sich dieser Vorfall rentabel aus: Auf die Empfehlung dieses Mannes gewann ich drei neue Kunden.

Antagonismus
Alfons, ein leitender Angestellter, bediente sich der Langeweile-Methoden, um einen Antagonisten zu besänftigen. Ein Reporter rief ihn an und drohte: Ich werde einen Artikel über Sie schreiben. Zurzeit stelle ich Ermittlungen über Ihre Leute an. Was sagen Sie zu der Anschuldigung, Ihre Firma sei ...
Na so was. Also immer noch die alte Geschichte?
Alfons gab dem zudringlichen Burschen zu verstehen, dass er die ungehörige Frage als ganz und gar unwichtig erachtete. Dem Gähnen nahe plauderte er liebenswürdig über die Geschäftsinterna. Bald fing auch der Reporter an, sich zu langweilen.
Na schön, meinte er abschliessend Wenn ich noch weitere Fragen haben sollte, werde ich mich wieder an Sie wenden. Aber gern. Tun Sie das nur. Ich stehe Ihnen jederzeit mit Vergnügen zur Verfügung. Der angedrohte Artikel wurde nie geschrieben. Man kann sich des Antagonismus auch so erwehren, dass man zunächst einmal auf das Niveau des Partners eingeht, sein Interesse dann aber auf ein anderes Ziel lenkt.
Einst kam ein mürrischer Klempner in meine Wohnung, um einen defekten Wasserhahn durch einen neuen zu ersetzen. Ich fragte ihn, ob er diesen neuen Hahn nicht vielleicht auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens anbringen könne. Er brummte etwas vor sich hin und meinte dann, das mache zuviel Arbeit und koste obendrein viel Geld. Ich begriff, dass ich seinen Antagonismus besser nicht auf mich richten sollte, und sagte nur: Schon gut. Ich verstehe durchaus, was Sie meinen. Später bemerkte ich allerdings so nebenbei: Ach, wissen Sie, diese Architekten heutzutage sind doch allesamt die reinsten Idioten. Sehen Sie sich das mal an: Auf der linken Seite planen sie den Wasserhahn ein und auf der rechten den Griff zum Aufdrehen. Und die Geschirrschränke sind dort drüben. Das muss doch ein Depp gemacht haben, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Der Mann war entzückt, über einen Stümper schimpfen zu können, und stimmte sogleich in meine Angriffe ein: Ganz recht, lauter Blödhämmel seien heute am Werk, denen von Rechts wegen längst das Handwerk gelegt werden müsste. Er steigerte sich derart in Rage, dass er am Ende den Hausbesitzer anrief, um sich über die schwachsinnigen Installateur zu beschweren. Der Hausbesitzer seinerseits war von diesem Ausbruch so betroffen, dass er dem Klempner auf der Stelle die Genehmigung erteilte, den Wasserhahn auf der andern Seite des Beckens anzubringen, wo ich ihn hatte haben wollen.
So geht's also auch.
Freilich kann man sich den Antagonisten auch im offenen Kampf stellen.
Einmal begegnete ich auf einer Party einem feindseligen Rechtsanwalt, der bei 2,0 heimisch war. Ich bemühte mich, nett und freundlich mit ihm zu plaudern, worauf er verdrossen und grob reagierte. In einem fort musste er widersprechen, herausfordern oder mir ins Wort fallen. Ich liess meine höflichen Manieren fallen und stellte mich auf seinen Stil ein: Na, Sie scheinen mir ja höchst streitsüchtig zu sein, wie? Was soll das heissen? Ich bin ein friedliebender Mensch! Das glauben Sie doch wohl selber nicht. Sie gehen keinem Händel aus dem Wege, nicht wahr? Das ist ja lächerlich!
Keineswegs. Sie lassen ja keinen Menschen zu Wort kommen. Immerzu müssen Sie sofort das Gegenteil behaupten. Das ist ja gar nicht wahr! protestierte er. Sehen Sie - da haben wir's schon! Sie lassen mich nicht einen Satz aussprechen, ohne Ihr Veto einzulegen. Nun mal sachte! Sie irren sich. Ich bin, wie gesagt, für gütliche Übereinkunft. An Krachmachen liegt mir gar nichts. Diesen Bären können Sie vielleicht andern Leuten aufbinden, aber nicht mir. Sie würden sich doch zu Tode langweilen, wenn Sie einmal niemanden mehr fänden, an dem Sie herummeckern könnten. In dieser Tonart debattierten wir noch eine Zeitlang weiter. Mein Kontrahent wurde immer lebhafter und aufgeschlossener. Später meinte er gut gelaunt: Soll ich Ihnen mal etwas erzählen? Sie sind ein prächtiges Frauenzimmer. Merken Sie das erst jetzt?
Wir mussten beide lachen, als er sagte: Na, wir sind uns also einig.

Der Verkäufer
Ein guter Verkäufer bedient sich instinktiv der Emotionsskala. Ein Kunde zeigt sich oft gleichgültig gegenüber seiner neuen Ware. (Schliesslich ist er bis zum heutigen Tag ohne sie ausgekommen, und weshalb soll dies nicht auch in Zukunft so bleiben?). Wenn Sie sich jedoch auf sein Emotionsniveau einstellen und sein Interesse zu wecken vermögen, wächst auch Ihre Chance, ihm etwas zu verkaufen. Gehen Sie auf seine Liebhabereien ein - das wird ihn erfreuen. Ganz beiläufig können Sie ihn dann fragen, wie viele Wagenladungen Schrauben er denn heute benötige.
Nichts wirkt auf Kollegen so entnervend und ansteckend wie das apathische Verhalten eines Verkäufers. Stellen wir uns vor, in einer Stadt hat ein lange währender Streik stattgefunden. Die Wirtschaftslage ist kritisch. Jedermann ist vorsichtig und wartet ab. Nur wenige Aufträge werden erteilt. Ihre Verkäufer überlegen sich bereits, ob sie nicht besser zur nächsten Strassenecke marschieren sollen, um mit Sammelbüchsen Almosen zu erbetteln. Wie können Sie Ihren Leuten moralischen Auftrieb geben? Leere Versprechungen machen die Situation nur noch schlimmer - hüten Sie sich also vor schönen Worten, hinter denen nichts steckt. Weit eher können Sie Ihre Belegschaft aufmuntern, wenn sie offen eingestehen, wie schlimm die Lage ist. Sagen Sie mit einem tiefen Seufzer etwa: Na, das ist ja eine böse Bredouille. Als ich heute bei der Heilsarmee stand, um mein Süppchen in Empfang zu nehmen, konnte ich mit dem Präsidenten von General Motors sprechen ... Versetzen Sie sich in die unangenehme Situation Ihrer in Leute. Sie können dabei ruhig ein wenig übertreiben. Wer übel dran ist, schätzt nichts mehr als das Wissen, dass auch andere übel dran sind. Sobald sie eingesehen haben, dass die Verhältnisse eben momentan schlecht sind, lassen sie ihren Gefühlen freien Lauf. Und das hilft ihnen, in bessere Stimmung zu kommen. Nun können Sie ein freundlicheres Bild der Zukunft malen.

Die Argumente der andern
Ich spreche absichtlich über die bewusste Anpassung, In weil wir uns ohnehin ständig anpassen, wenn es uns auch nicht immer bewusst wird. Nicht selten fallen wir dabei herein. Lernen wir einen Menschen kennen, dann bemühen wir uns zunächst, so wie er zu empfinden. Zuweilen müssen wir an der Skala hinabklettern, um gemeinsame Interessen zu entdecken. Tun wir dies jedoch, ohne dessen gewahr zu werden, dann wird es gefährlich: Am Ende rutschen wir selber auf eine tiefere Empfindungsebene hinab.
Wer einen Menschen bewundert (oder gar als überlegen ansieht), ist besonders gefährdet, falls dieser Mensch auf niedrigerem Emotionsniveau behaust ist. Unweigerlich wird er versuchen, uns auf seine Stufe hinabzuzerren. Angenommen, wir haben eine phantastische Idee, die ein Vermögen einbringen muss. Also eilen wir zu einem angesehenen Fachmann. Begeistert erzählen wir ihm, was uns vorschwebt. Der Mann zeigt sich jedoch gänzlich unbeeindruckt. Da wir nicht imstande sind, ihn zu begeistern, sinken wir automatisch auf der Skala ein Stück in die Tiefe.
Schliesslich sagen wir uns, dass wir immerhin einen Fachmann vor uns haben, und wenn der nicht zu beeindrucken ist, kann mit unserer grandiosen Idee etwas nicht stimmen. Es ist halt schwer, heutzutage mit neuen Ideen ein Vermögen zu machen - diese Einsicht dämmert uns allmählich. Ausserdem holt das Finanzamt einem ja doch das Geld aus der Tasche. Deprimiert ziehen wir von dannen und wundern uns darüber, dass wir auf eine solch alberne Idee kommen konnten. Brav spazieren wir nach Hause und lösen ein Kreuzworträtsel.
Wer sich mit Erfolg auf die Gefühlswelt eines andern Menschen einstellen will, muss zunächst einmal selbst oben auf der Skala verankert sein. Nur so vermeidet man das eigene Abgleiten. Und nur so bleibt man, wer man ist.

Methoden des Angriffs
Leute am unteren Ende der Skala attackieren ihre Mitmenschen durch ihr Denken, ihr Gefühl und ihr Tun. Ein apathischer Mensch, der sich seines Verstandes bedient, will uns einreden, dass alles sowieso sinnlos sei, dass wir eben Versager wären und dass wir keinerlei Aussichten auf eine anständige Beschäftigung hätten. Unser Leben hätten wir vergeudet. Wer sollte uns demnach schätzen? Wer mit Gefühlen arbeitet, kann unter Umständen in der Lage sein, uns schachmatt zu setzen. Von ihm geht soviel Deprimierendes aus, dass wir verzagen. Er braucht bloss dazusitzen, und wir merken auch schon, dass es weder für ihn noch für uns Chancen gibt. Die Welt ist ja auf alle Fälle dem Untergang preisgegeben. Die Melancholie, die von ihm ausgeht, wirkt lähmend. Ebenso zerstörerisch ist die Handlungsweise der Apathie-Menschen.
Ein absolut apathischer Mensch vermag seine Umgebung kaputtzumachen.
Alles, woran wir hängen und was wir für lohnenswert halten, ist ihm gleichgültig. Sind Sie zu Ihrem Unglück mit einer derart apathischen Frau verheiratet, dann gnade Ihnen Gott. Sie wird Ihren Chef beleidigen, Ihren Wagen schrottreif fahren, Ihr Heim verkommen lassen und sich nicht mehr um Ihre Kinder kümmern. Kein Wunder, dass auch Sie selber dann auf die Stufe der Apathie absacken. (Freilich können Sie auch - sofern Sie noch soviel Energie besitzen - beim Scheidungsrichter landen.)

Kurzer Prozess
Falls alle Ihre Versuche fehlschlagen, mit einem emotionell tiefstehenden Menschen fertig zu werden, und In- wenn Sie schliesslich gewissermassen auf Ihrem Zahnfleisch gehen, dann sollten Sie kurzen Prozess machen und die betreffende Person davonjagen. Sollen denn ausgerechnet Sie den Märtyrer spielen?
Einen Gefallen tun Sie damit keinem Menschen. Lachen Sie, und alle Welt lacht. Wenn Sie indessen weinen, haben Sie sehr bald einen Mitleid-Menschen am Hals, der sich Ihrer in liebevoller Weise annehmen will.
Vierundzwanzigstes Kapitel

Emotions-Steigerung
Es gibt fünf wesentliche Gründe, die einen Menschen veranlassen, auf der Skala zu sinken - sei es für kurze Zeit, sei es für immer:
1. Seine gegenwärtige Umwelt (deren Emotionsniveau und Intensität);
2. seine bisherige Umwelt;
3. seine Abstammung und Mängel;
4. seine derzeitigen Aktivitäten;
5. frühere Erlebnisse von Schmerz und Bewusstlosigkeit.

Die gegenwärtige Umwelt
Wer in einem unruhigen und unerfreulichen Milieu lebt, muss naturgemäss Schaden nehmen. Man kann einem Menschen nicht durch Strafen, Schläge, Drogen, Schocks oder Befehle Vernunft einbläuen. Man vermag ihn indessen aus seinem niedrigen Empfindungsbereich zu lösen und auf der Skala anzuheben. Unter Umwelt sind Menschen, Örtlichkeiten und Gesundheit zu verstehen.
Der Ehepartner, die Familie, die Freunde, der Beruf und die Nachbarn eines Menschen sind allesamt Bestandteile, seiner Umwelt, seines Milieus. Wie hoch einer im Grunde auch sein mag: Wenn er längere Zeit mit unvernünftigen Leuten verkehrt, wird er wohl oder übel auf ein tieferes Empfindungsniveau abgleiten.
Eine Person der Stufe 3,0 wird auf die Ebene Zorn rutschen, wenn sie sich von Menschen umgeben sieht, deren chronischer Stimmungsbereich die versteckte Feindseligkeit ist. Es kann auch vorkommen, dass sie sich in solchem Milieu wie ein 1,1er benimmt. Der 1,1er dagegen gewinnt in der Gegenwart von emotionell hochstehenden Menschen und steigt somit auf die Ebene des Zorns. In vielen Ehen kann man beobachten, dass sich die Partner dem Gefühlsbereich des anderen anpassen. Dabei kommt der emotionell tiefere Teil ein wenig nach oben, während der I Höhere beträchtlich fällt. Wer in einem Milieu verweilen muss, das weder Freunde verschafft noch Liebe spendet, wo niemand sich auf ein echtes Gespräch mit ihm einlässt und keiner seine Gedanken gutheisst, der wird unweigerlich auf der Skala sinken. Freundschaft, Kommunikation und Übereinstimmung sind nu einmal unentbehrlich.
Auch ein Mensch, der in einer elenden Bude haust und verkommene Leute zu Nachbarn hat, sackt ab. Eine saubere, helle, ordentliche Umgebung treibt ihn wieder hoch (jeweils nach Massgabe seiner Beweglichkeit).
Der Gesundheitszustand ist selbstverständlich ebenfalls ein wichtiger Faktor. Ausreichender Schlaf, richtige Ernährung, vernünftige Lebensführung sind Voraussetzung für ein hohes Emotionsniveau. Wer sich von schwarzem lebt, Kaffee ernährt und bloss drei Stunden ruht, wird bald da hinter kommen, dass seine Spannkraft nachlässt. Geringfügige Anlässe genügen dann, um einen erheblichen Abfall zu bewirken. Ist seine Gesundheit angeschlagen, wird es ihm mit Hilfe eines guten Arztes und der angemessenen Behandlung nach einiger Zeit wieder möglich sein, auf der Skala Höhe zu gewinnen. Eine neue Brille vermag Wunder zu tun: Sie stellt den schwächer gewordenen Kontakt zur Umwelt im Nu wieder her. Wer seinen Körper er im vernachlässigt, gibt zu erkennen, dass er einem niedrigen Emotionsbereich angehört.
Die Einnahme von Beruhigungs- und Anregungsmitteln (einschliesslich Alkohol) wirkt sich gleichfalls ungünstig aus. Bei Drogen, die Halluzinationen hervorrufen, machen sich Ausfallerscheinungen über kurz oder lang bemerkbar. Ich kenne Menschen, die durch LSD monate-, mitunter sogar jahrelang in tiefer
Apathie dahinvegetierten. Selbst das angeblich harmlose Marihuana hat negative Folgen: Wer es einnimmt, wird lethargisch, leidet unter Gedächtnis- und Konzentrationsschwächen. Drei Büroangestellte rauchten einmal während der Mittagspause Marihuana.
Auf die Frage, weshalb sie dies denn täten, antwortete eine: Ach, zwei oder drei Joints, und man fühlt sich wohl. Dann ist es uns egal, ob sie uns nächste Woche rausschmeissen und ob die Arbeit blöd ist. Mit dem bisschen Stoff da kann man das Ganze viel leichter ertragen. Wenn die Wirkung allmählich nachlässt, sind wir wieder unten. Aber wir haben wenigstens das Gefühl gehabt, einmal oben gewesen zu sein.
So spricht natürlich nur ein apathischer Mensch. Und eben weil er apathisch ist, kann man ihm das Rauchen von Marihuana auch so schwer ausreden: Er wird sich der Gefährdung gar nicht bewusst. Die bösen Folgen lassen ihn kalt. Marihuana wird noch nicht überall als gefährlich angesehen, denn nur eine Minderheit ist sich über seine schädlichen Auswirkungen im Klaren. Wer jedoch einmal die Emotionsskala begriffen hat, wird sich nichts mehr vormachen lassen: Keiner, der gerade so schön high ist von einem Joint, vermag ihm dann noch einzureden, er befinde sich auch oben auf der Skala. Am aufregendsten ist nämlich der Trip zur Skalaspitze. Noch higher geht's nicht.

Die Vergangenheit
Der Empfindungsbereich seiner Familie, seine Erziehung und seine bisherige Umwelt können das ganze künftige Leben eines Menschen stark beeinflussen. Wird er bereits als junger Mensch unterdrückt, besteht die Gefahr, dass er auf ein tiefes Emotionsniveau sinkt. Er kann auch die Gefühlsregionen anderer schwächlich zu imitieren trachten.
Oft geschieht es, dass man ihm Ideale vor Augen hält, die alles andere als solche sind. Es bedarf keiner besonderen Betonung, dass ein derartig verkrüppelter Mensch nicht so leicht auf höhere Gefühlsebenen gelangen kann.
Ein Kind, das jedes Mal bestraft wird, wenn es in Zorn gerät oder seine eigene Meinung äussert, fällt auf die Stufe 1,1 oder noch darunter. Vielleicht bleibt es dann für immer dort angesiedelt, auch als Erwachsener. Unter der Fuchtel herrschsüchtiger Mitmenschen - ob Vorgesetzter, Vater, Mutter, älterer Geschwister oder Lehrer - leitet es ebenfalls ab. Will man es zum Reden zwingen (Nun mach doch endlich mal den Mund auf!) oder sein natürliches Ausdrucksverlangen hemmen (So was darfst du doch nicht sagen!), dann wird es gedrückt.
Nicht anders ist die Folge bei ähnlichen Erziehungsmethoden: Soll es die Ansichten anderer Leute gottergeben hinnehmen (Du tust gefälligst, was ich dir sage!), missachtet man seine Gedanken (Du hast ja gar keine Ahnung, wovon du überhaupt redest!), verbietet man ihm Freundschaften (Du spielst nicht mit diesem Mädchen, verstanden!), nötigt man es zu Handlungen, die ihm unangenehm sind (Du gibst jetzt der Tante brav ein Küsschen!) - all diese Verhaltensweisen sind verderblich: Sie rächen sich eines Tages bitter. Das Mädchen oder der Junge werden, noch ehe der so genannte Ernst des Lebens für sie beginnt, bereits auf ein so tiefes Empfindungsniveau herabgepresst, dass sich die Schwierigkeiten, mit dem Leben überhaupt fertig zu werden, später wie eine schier unüberwindliche Mauer vor ihnen auftürmen.
Fast automatisch bringen die weitaus meisten Eltern ihren Kindern gewisse gesellschaftliche Formen bei: Sie sollen höflich, nett, freundlich und grosszügig sein. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn auch die gesamte Umgebung des Kindes auf hohem Emotionsniveau lebt. Ist das jedoch nicht der Fall, dann wird ein mehr oder weniger lebensuntüchtiger Mensch herangezüchtet, der unterhalb der Stufe 1,5 bleibt.
Ein Arzt, der sich seit zwanzig Jahren um Homosexuelle bemühte, erklärte einmal, die meisten seiner Patienten seien in ihrer Kindheit getadelt worden, weil sie sich mit andern Jungen herumprügelten und derbe Spiele trieben. Ausserdem - so fügte er hinzu - sei er noch niemals einem Homosexuellen begegnet, der aus einer Familie kam, in der man sich offen über alle Dinge des Lebens auszusprechen pflegte. Mütter können das Emotionsniveau ihrer Kinder steigern, wenn sie nicht in einem fort damit beschäftigt sind, sie zu überwachen. Man sollte sie doch das essen lassen, was ihnen schmeckt. Man sollte sie dann schlafen lassen, wenn sie müde sind. Man sollte nicht gleich Zeter und Mordio schreien, wenn sie einmal mit nassen Füssen heimkommen. Eine solche Erziehung ist gewiss vernünftiger als die ewige Verzärtelei. Ganz abgesehen davon, fühlen sich Kinder unter einer derartigen Obhut viel glücklicher.
Auch Lehrer, die auf tiefer Emotionsstufe leben, und längst überholte Unterrichtsmethoden können die Zuversicht eines jungen Menschen und sein Selbstvertrauen bis ins Mark erschüttern. Man zwinge einen Schüler zum Auswendiglernen unwichtiger Daten; man nötige ihm ein Thema auf, ohne zuvor sein Interesse dafür geweckt zu haben; man gebe ihm langweilige und strohtrockene Lehrbücher in die Hand; man füttere ihn endlos mit Theorien, ohne ihn auch mit der Praxis vertraut zu machen - all dies sind vortreffliche Mittel, um junge Leute im Innern zu knicken.
Leider finden wir derart beklagenswerte Zustände noch immer in sehr vielen Schulen.
Ein Mensch sinkt auf der Skala so weit nach unten, bis er nicht mehr imstande ist, mit seinen Problemen fertig zu werden und dies geschieht in seiner Jugend! Wie soll er dann später im Lebenskampf ungleich kompliziertere Probleme lösen können! Die meisten Menschen neigen dazu, sich dem Ton der Umgebung anzupassen.
Wer aus einem Elendsviertel kommt, wo jeder sich selbst der Nächste ist und jeder bis aufs Blut um das tägliche Brot kämpfen muss, nimmt leicht die schroffe Verhaltensweise des 1,2ers oder des 1,5ers an - und behält sie für den Rest seines Lebens wie eine zweite Haut: Sein eigentliches Emotionsniveau vermag dann niemals an den Tag zu treten.

Abstammung und Mängel
Ein Mensch eignet sich nicht selten ein emotionell tiefes Verhalten an, weil er einer bestimmten Nationalität oder Rasse angehört, weil er zu klein und seine Nase zu gross ist, weil er schielt oder sonst wie nicht ganz für voll genommen wird. Nahezu jedermann rutscht auf eine tiefere Empfindungsstufe ab, wenn er glaubt, seine körperlichen oder sonstigen Mängel beeinträchtigten den normalen Umgang mit andern. Vor allem glaubt er, Freundschaft und Liebe können ihm wohl niemals so zuteil werden wie den besser Gesegneten. In Gesellschaft hochstehender Menschen, die gar nicht auf den Gedanken kommen, ihn als minderwertig zu betrachten, wird er auf ein höheres Emotionsniveau steigen können. Voraussetzung dazu ist allerdings, dass er selber die Kraft aufbringt, sich künftig nicht mehr mit negativen Augen zu sehen.

Gegenwärtige Aktivitäten
Die Art und Weise, wie ein Mensch seine Zeit hinbringt, beeinflusst stark seinen Empfindungsbereich. Ein Müssiggänger, der weder Ziel noch Richtung kennt, muss natürlich auf der Skala abgleiten. Wer die Zeit totschlägt, schlägt dabei jedes Mal ein wenig mehr von seinem eigenen Wesen tot. Kriminelle Handlungen oder jegliches Tun, das andere Menschen schädigt, bewirkt ein chronisches Verharren auf tiefer Gefühlsebene. Obwohl er ab und zu einen kurzen Aufschwung erleben kann, wird der Betreffende erst dann auf die Dauer oben bleiben, wenn er endgültig seinem bisherigen Treiben Valet sagt. Eine Prostituierte, die sich bessern will, muss zunächst einmal den Strich verlassen. Ein Geschäftsmann, der seine Kunden betrügt und seine Angestellten ausbeutet, kommt keine Spur höher, mag er auch noch so viele Millionen scheffeln. Nun gibt es sehr viele Aktivitäten, die schädlich sind, ohne illegal zu sein. Wer unablässig an andern Leuten herumnörgelt oder sie rücksichtslos übers Ohr haut, bleibt in den unteren Regionen. Ein Mann, der sich mit der Frau eines andern beschäftigt, wird dadurch wohl kaum sein Empfindungsniveau steigern können. Wer seinen Freunden auf den Taschen liegt und sie nach allen Regeln der Kunst ausnimmt, wird immerzu auf den unteren Sprossen kleben bleiben. Emotionell hochstehende Menschen geben sich mit dergleichen überhaupt nicht ab. Wenn Sie verhindern wollen, dass ein Bekannter einer Versuchung unterliegt, dann müssen Sie sein Interesse auf andere Dinge lenken. Soll er doch irgendeinen Sport betreiben, sich eine Liebhaberei zulegen, eine ihm bislang fremd gewesene Fertigkeit erwerben - in diesem Sinn müssen Sie ihm zureden. Alles, was sein Interesse und seine Neugierde weckt, kann eine wesentliche Steigerung herbeiführen. Schon wenig körperliche Arbeit hilft oft, einen Menschen höher zu bringen. (Sein Auto waschen, einen Schrank aufräumen oder zur Post gehen.) Das Erlernen und Ausüben einer besonderen Fertigkeit ist das beste Mittel, einen Menschen dauerhaft in den oberen Skalenbereich zu heben. Wer einen persönlichen Erfolg verbuchen kann, hüpft natürlich sogleich ein ganzes Stück nach oben. Eine glückliche Liebe oder Ehe kann das Emotionsniveau für lange Zeit chronisch steigern. Eine neue Arbeit, eine Beförderung, die Zusage eines Verlegers, die Veröffentlichung eines Liedes, die Patentierung einer Erfindung - alles was für ihn von Bedeutung ist liftet den Menschen eine gehörige Portion aufwärts. Die Erweiterung seines Verantwortungsbereichs hat die gleiche Wirkung.
Ich kannte einen Mann, der seine Frau ums Haar dadurch zur Verzweiflung gebracht hätte, dass er ihr strikt untersagte, ausserhalb ihres Haushalts einer Arbeit nachzugehen. Die Kinder waren schon erwachsen. Der Mann selbst war häufig in Geschäften unterwegs. Die Frau wurde immer unglücklicher, unzufriedener, weinerlicher.
Eines Tages erzählte mir ihr Mann von diesem Umstand. In aller Unschuld wollte er wissen, was er denn bloss tun könne. Hin und wieder äussere sie den Wunsch, wieder eine berufliche Tätigkeit auszuüben, doch sei er entschieden dagegen, denn so etwas hat meine Frau doch nicht nötig. Ich gab diesem sonderbaren Zeitgenossen den Rat, sich einmal in aller Ruhe mit den Schwierigkeiten seiner Frau auseinanderzusetzen (und also auch mit seinen eigenen). Seine Güte - so deutete ich an - sei wohl fehl am Platz. Sie brauche wahrscheinlich ein grösseres Aufgabengebiet. Er solle sie bei ihrem Wunsch, wieder zu arbeiten, ermutigen, anstatt ihr mit Befehlen das Leben schwer zu machen. Man würde ja sehen, was bei einer solchen Methode herauskäme.
Jahre später traf ich diesen Mann wieder und erfuhr, dass seine Frau tatsächlich eine Arbeit gefunden hatte, die ihr viel Spass machte. Obendrein hatte man sie wegen ihrer guten Leistungen mehrmals befördert. Aus dem verkümmerten Hausmütterchen war wieder ein tüchtiger und lebensfroher Mensch geworden. Klammheimlich verriet er mir auch noch, dass es in ihrem Eheleben jetzt wieder besser klappe. Diese Frau hatte ganz einfach einen grösseren Wirkungskreis gebraucht. Anderseits kann es aber auch passieren, dass man einem Menschen zuviel Verantwortung aufbürdet - er glaubt dann förmlich zu ersticken. Wird er an eine Stelle gesetzt, wo er überfordert ist, muss von seiner Gefühlslage abgleiten. Selbst ein emotionell hochstehender Mensch sackt ab, falls man von ihm Leistungen erwartet, die er einfach nicht erbringen kann. Das führt mitunter dazu, dass er kündigt oder sein Versagen kaschiert: Er sucht dann bei Lügen Zuflucht.
Am angeregtesten fühlt sich ein Mensch, der gerade soviel zu tun hat, dass er seine Arbeit mit einiger Anstrengung bewältigen kann.
Einen grossen Auftrieb gibt jedwede Form von Anerkennung und Bewunderung. Fast jeder Mensch verfügt über eine Fähigkeit, die ihn von andern abhebt. Loben Sie ihn einmal aus ehrlichem Herzen. Er wird seine Sache in Zukunft noch besser machen. Eines dürfen Sie allerdings nicht übersehen: Je mehr Sie für einen Mitmenschen tun, umso weniger wird er selber für sich tun. Allzu viel Grosszügigkeit endet oft in der Apathie. Deshalb sollte man darauf achten, dass jeder immer etwas zu einer bestimmten Sache beisteuert - ganz gleich, ob es viel oder wenig ist. Hauptsache: Er macht mit.

Frühere Erlebnisse von Schmerz und Bewusstlosigkeit
Zwar gibt es unzählige Ursachen für ein niedriges Emotionsniveau, doch rühren alle unkontrollierten Emotionen (seien es vorübergehende oder chronische) grundsätzlich aus ganz bestimmten Erlebnissen her - Erlebnissen mit körperlichem Schmerz und Bewusstlosigkeit. Die genauen Umstände solcher Erlebnisse bleiben dem Menschen verschlossen. Er hat also keine Kontrolle über sie, d. h. sie können ihn jederzeit beeinflussen. Es kann sich dabei um heftige oder weniger heftige Erlebnisse handeln. Schon eine Beule am Kopf oder ein aufgeschürftes Knie können einen kurzen Schock hervorrufen. Selbst wenn man bei einer Erschütterung nicht gleich ohnmächtig umfällt, wird doch das Bewusstsein für eine Weile geschwächt. Während dieses Zeitraums registriert man alles, was vor sich geht, getreulich, ohne es zu wissen (einschliesslich Laute, Gerüche und ähnliches). Später genügt nur eine leichte Ähnlichkeit dieser Umstände, und das negative Erlebnis wirkt mit voller Intensität auf die Person ein. Dagegen ist sie machtlos, verhält sich vernunftswidrig und sinkt auf der Emotionsskala herab.
Die Auflösung dieser Erlebnisse wird durch dieselben Verfahren erreicht, die ursprünglich zur Entdeckung der Emotionsskala führten.
Der Weg nach oben Alles, was man tut, um das Emotionsniveau zu erhöhen, ist ein Schritt nach vorn. Ein Kinobesuch kann mitunter schon ein Stückchen weiterführen.
Alles Ästhetische hilft: der Anblick eines Gemäldes, das Lesen eines geistvollen Buches, die Beschäftigung mit künstlerischen Dingen jeder Art. Wer von uns hat nicht schon erlebt, dass das Herz einer Frau höher schlug, wenn man ihr ein Schmuckstück schenkte? Und viele Männer fühlen sich geradezu wie neugeboren, wenn sie sich endlich einen eleganten Wagen kaufen können.
Um ihm den Weg nach oben zu ermöglichen, müssen Sie als erstes die Kommunikationsfähigkeit eines Menschen wiederherstellen. Sie erreichen dies, indem Sie ihm das sichere Gefühl geben, er dürfe getrost alles aussprechen, was ihn bedrückt. Fürchtet er sich aus irgendwelchen Gründen, dann müssen Sie ihm die Gewissheit vermitteln, dass er diese Furcht eingestehen kann, ohne deswegen getadelt zu werden. Sie müssen ihm auch klarmachen, dass er seine Trauer offen zeigen darf. Hat er Wut, dann soll er diese Wut wie Dampf abzischen lassen. Da wir in einer Gesellschaft leben, die Wut verurteilt, Mitleid dagegen entschuldigt, haben nur allzu viele Zornige das Gefühl, sie würden in einem fort unterdrückt.
Wer indessen seinem Zorn einmal freien Lauf lässt, hat gute Aussichten, auf der Skala nach oben zu rutschen. (Häufig wird Zorn als ein Zeichen des bevorstehenden Durchdrehens interpretiert.) Läuft Ihnen ein solcher Mensch über den Weg, dann lassen Sie ihn ruhig wüten. Sobald er sich beruhigt hat, fragen Sie ihn am besten, ob er noch etwas auf dem Herzen habe. Er wird sofort die Sprossen nach oben nehmen, wenn alles gesagt ist.
Zusammenfassung
Wir kennen vier zuverlässige Methoden zur Emotionssteigerung:
1. Wechsel in eine günstigere Umgebung, wo der Mensch grössere Möglichkeiten zur positiven Entfaltung seiner Persönlichkeit hat. (Dazu gehören gute Ernährung, ärztliche Versorgung, körperliche Betätigung.)
2. Erziehung, die den Menschen auf eine kulturell höhere Schwelle hebt und ihn mit den Überlebenschancen besser vertraut macht. Eine Person lernt leichter, je weiter sie in die oberen Bereiche aufsteigt.
3. Anweisung zum richtigen Umgang mit Menschen und Aufgaben.
4. Individuelle Anwendung der erwähnten Verfahren.
Ein Mensch, der Fortschritte macht, muss nicht gleich nach den Sternen greifen und von dort oben mitleidig -erhaben auf uns arme Sünder herabschauen, die wir noch immer in Verwirrung leben. Zuerst einmal wird er gelöster als bisher. Er wird auf Höhen und Tiefen stossen - aber er wird dabei flexibel. Das Beste bei seiner Entwicklung ist: Er nimmt nicht mehr alles so furchtbar schwer (selbst wenn ihm zuweilen auch einmal der Atem ausgeht). Allmählich gewinnt er immer mehr an Höhe - und diese Höhe behält er bei. Das ist wahrer Fortschritt. Und er lohnt sich.
Fünfundzwanzigstes Kapitel

Du und ich
Was immer wir auch vollbringen wollen, es wird uns leichter fallen, unser gestecktes Ziel zu erreichen, wenn wir so hoch wie möglich auf der Skala emporklettern. (übrigens macht das Ganze dann auch mehr Freude.)
Wir können Kriege verhindern, wenn es uns gelingt, die Staatsmänner zu mehr Vernunft zu bringen. Wir können der Zerstörung der Umwelt Einhalt gebieten, wenn wir das Bewusstsein unserer Mitmenschen zu steigern vermögen.
Wir können jedweder Diskriminierung ein Ende machen, wenn wir das Verständnis füreinander vertiefen. Schliesslich liegt die Lösung aller gesellschaftlichen Missstände nicht in der Entwicklung besserer Systeme, umfassenderer Programme, idealer Philosophien.
Die Lösung besteht darin, das Emotionsniveau jedes einzelnen Menschen zu erhöhen. Wenn wir den Menschen vernünftiger machen, dann machen wir damit zugleich seine Umwelt vernünftiger. Beginnen wir demnach bei Ihnen und mir, bei dir und mir.

Die Falle
Beim Lesen dieses Buches werden Sie vermutlich mehr als einmal gestöhnt haben: Oh, das tu ich ja manchmal auch! Also muss ich ziemlich unten sein. Es ist in der Tat kein angenehmes Gefühl, sich irgendwo in der Tiefe zu erblicken. Seien Sie indessen versichert, dass es wahrlich nicht Ihnen allein so geht. Wir alle verfügen über die emotionelle Tastatur, und wir alle haben diese oder jene Taste schon einmal angeschlagen.
Das sind Fallen, aus denen wir entrinnen können. Wir müssen nur erkennen, dass es sich eben um Fallen handelt Gelingt uns dies, dann haben wir schon halb gewonnen und sind jenen armen Zeitgenossen meilenweit voraus, die in einen tiefen Emotionsbereich gelangt sind. Ihnen bleibt bloss noch das Lamentieren: Mein Gott, das Leben ist nun mal so erbärmlich eingerichtet. Sie betrachten ihre Situation als unabänderlich. Ihre Brille bleibt dunkel getönt.
Wir alle kennen jene bösen Tage, an denen alles schief geht: Man steht mit dem linken Bein auf. Unsere Eheliebste hat Migräne und knurrt, an statt auf unsere Fragen zu antworten. Auf der Fahrt zum Büro geht die Luft aus einem Ihrer Reifen. Im Büro erfahren Sie zu Ihrer Freude, dass Sie soeben zwei höchst wichtige Kunden verloren haben. Ausserdem erfahren Sie, dass der Chef in strengem Ton bereits dreimal nach Ihnen verlangt hat. An solchen Tagen holen Sie tief Atem und seufzen:
Jetzt reicht's mir aber.
Sind Sie jedoch mit der Emotionsskala bekannt, dann werden Sie nach diesem nur allzu verständlichen Stöhnen einsehen, dass das Hinschmeissen gleichbedeutend mit Apathie wäre. Und diese Erkenntnis beweist Ihnen, dass Sie durchaus noch nicht am Ende sind. Also schöpfen Sie nach einiger Zeit neuen Mut und überstehen auch diesen widrigen Tag.

Positiver Egoismus
Seien Sie egoistisch und ehrgeizig, wenn es darum geht, Ihr Emotionsniveau zu steigern. Sie schulden es nicht nur sich für den Augenblick: Sie müssen auch an die Zukunft denken, an Ihre Familie, an Ihre Arbeit, an Ihre Mitwelt.
Noch hat kein Mensch im Ernst die Behauptung gewagt, Vernunft sei etwas Unedles. Alles, was dazu beiträgt, Ihren Stimmungsbereich zu verbessern, ist von Wert. Achten Sie auf die Schwankungen, denen Ihr Gefühlsleben unterliegt: Welche Leute, welche Milieus, welche Aktionen ziehen Sie nach unten? Andererseits: Welche bringen Sie auf Touren? Was auch immer Ihnen Freude bereitet, wird Ihre Überlebenschancen erhöhen. Jede Aktivität, der Sie sich voller Freude hingeben, steigert Ihr Emotionsniveau. Das mag sich auf den ersten Blick selbstsüchtig anhören, doch nur emotionell tiefstehende Menschen versuchen uns einzureden, allein das Todernste sei ehrenhaft.
Jeder Schritt, den ein Mensch tut, um seinen emotionellen Standort zu verbessern, macht ihn toleranter und verständnisvoller. Er löst Schwierigkeiten leichter als früher. Er ist zuverlässiger und beständiger als bisher. Plötzlich sieht er sich imstande, sein Leben ungezwungen auszukosten. Und dabei gelingt es ihm, weit mehr auf die Beine zu bringen als jene Drohnen der Gesellschaft, die ihres unsicheren Weges gehen, weil sie nicht die Zeit haben, sich ihres Lebens zu erfreuen.

Das Geheimnis der Stärke
Glauben Sie um Himmelswillen nicht, Sie könnten längere Zeit mit gefühlsmässig tiefstehenden Leuten zusammen sein, ohne dabei selber Schaden zu nehmen. Wenn Sie den Leuten, die unentwegt versuchen, Sie unten zu halten, nicht die Pistole auf die Brust setzen wollen, so gibt es nur zwei Möglichkeiten: Sie werden mit ihnen fertig (das Beste wäre es, Sie bringen sie hoch), oder Sie brechen den Verkehr mit ihnen ab.
Selbstverständlich dürfen wir niemanden verurteilen, der auf der Skala einen niedrigeren Platz einnimmt als wir selber (wer wirft den ersten Stein?). Machen wir uns indessen aber nichts vor: Es gibt kaum etwas Schlimmeres als das ständige Zusammensein mit einem Menschen, der unentwegt auf einer tiefen Ebene verharrt - sein destruktives Wesen wirkt verheerend. Viele wollen dies nicht wahrhaben und über die Tatsachen hinwegsehen, denn ein Wort der Entschuldigung fliesst so leicht von den Lippen: Na, so schlimm ist der wiederum auch nicht oder: Man darf nicht immer gleich das Schlechteste von den Leuten denken. Im Grunde ist dieses Verhalten feige, und es kann uns teuer zu stehen kommen.
Viele Menschen opfern zuviel Zeit bei der Bemühung, andern zu lange zu helfen. Wenn jemand nicht willens ist, sich in einer Notlage sofort helfen zu lassen, sollten wir ihn sich selber überlassen. Versuchen wir es immer und immer wieder mit ihm, dann verlieren wir ein Stück unserer eigenen Substanz -und rutschen ab. Bemerkt man ein Leck im Schiff, dann dichtet man es entweder eilig ab, oder man steigt in die Rettungsboote. AIIzuviele Leute schlagen sich durchs Leben, indem sie und unentwegt versuchen, ihr leckes Schiff mit einem Teelöffel rasch wieder seefest zu machen. ist.
Das Geheimnis der Stärke besteht darin, dass man weiss, wie man die Leute zu behandeln hat und wann man mit ihnen brechen muss.
Suchen Sie sich den richtigen Umgang.
Es ist weitaus einfacher, emotionell tiefstehenden Menschen aus dem Wege zu gehen, als sie wieder loszuwerden.
Sie können sich viel Ärger ersparen, wenn Sie sich den richtigen Umgang aussuchen -hochstehende Personen nämlich. Selbst bei den Geschäftsleuten, die Sie täglich aufsuchen müssen, sollten Sie auf deren Emotionsstufe achten. Der Verkehr mit zuverlässigen Menschen gestaltet Ihr Leben erfreulicher. Die Gefahr, über den Löffel barbiert zu werden, ist geringer.
Wie trifft man seine Wahl?
Da wir nun mit den charakteristischen Eigenschaften emotionell hochstehender Personen vertraut sind, fällt uns die in Auswahl von Freunden und Bekannten leichter. Vertrauen ist schöner als Misstrauen. Dies soll freilich nicht heissen, dass wir uns leichtgläubig verhalten. Haben wir eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, dann fühlen wir uns naturgemäss wohler in unserer Haut, wenn es um Leute geht, auf die Verlass ist. (Ich bin übrigens schon Menschen begegnet, die eigentlich recht tief auf der Skala angesiedelt waren, jedoch ein gutes Stück in die Höhe schnellten, weil ich sie fühlen liess, dass ich ihnen vertraute. Natürlich kann man in solchen Fällen auch an den Falschen geraten.
Ein in seinen Empfindungen beweglicher Mensch steigt aber durch Vertrauen schneller als durch Misstrauen. Denken Sie vor allem im Umgang mit Kindern daran. Sind wir zuweilen im Zweifel darüber, ob es klüger sei, die Wahrheit zu sagen als die Unwahrheit, dann werden wir rasch dahinter kommen, dass die Aufrichtigkeit viel nobler ist. Verstehen ist stets höher einzuschätzen als Sich Verschliessen. Nie sollte man aufhören, sein Wissen zu erweitern. Sagen Sie, was Sie zu sagen haben. übernehmen Sie Verantwortung, anstatt sich vor ihr zu drücken. Menschenliebe ist unendlich kostbarer als Zynismus.

Ziele
Vielleicht streben Sie nach dem Nobelpreis. Vielleicht wollen Sie einen Extrakt erfinden, der Nahrungsmittel überflüssig macht. Vielleicht möchten Sie gern auf telepathischem Weg Kontakt mit einem Kaninchen aufnehmen. Vielleicht haben Sie nichts anderes im Sinn, als heute Nachmittag das Unkraut in Ihrem Blumengarten zu jäten.
Gleichviel: Was immer Sie im Kopfe haben, Sie werden es leichter vollbringen, wenn Sie sich an der Skalaspitze befinden. Jedenfalls sollten Sie nicht müssig in einem Winkel kauern und auf den Augenblick der Erleuchtung warten. Das Frühstücksgeschirr lässt sich auch ohne Begeisterung spülen. Wer etwas unternimmt, wenn er noch in tieferen Stimmungsbereichen weilt, beweist dadurch, dass er lebenstüchtig ist.
Um sein Emotionsniveau zu heben, muss der Mensch wissen, welche Ziele er hat. solange Sie nicht das Ziel verfolgen, das Ihnen vor Augen schwebt, kommen Sie nicht voran. Möglich, dass Ihnen eines Tages jemand Ihren grossen Traum ausgeredet und Sie davon überzeugt hat, es sei vernünftiger, mit beiden Beinen auf der Erde zu bleiben. Vergessen Sie's. Wischen Sie dieses Gerede wie das Gespinst der Fäden im Altweibersommer von Ihrer Stirn, und fangen Sie noch einmal von vorn an.

Der Weg nach oben
Jemand hat einmal die Bemerkung gemacht: Das Leben geht auch ohne uns seinen Gang. Ganz egal, was für Pläne wir machen.
Das mag die Ansicht emotionell tiefstehender Leute sein. Wenn Menschen auf hohen Empfindungsebenen kosten ihr Leben aus und planen dabei zugleich ihre Zukunft.
Die ganz unten verbringen ihre Tage mit Wachträumen. (Was könnte ich bloss anstellen, um etwas zu erreichen?) Andere wollen sehen, was passiert. Wie oft hört man nicht die Redensart: Eines Tages werde ich mich selbständig machen.
Oder: Ach, ich würde ja so dahin gern mal einen schönen Schlager komponieren..
Oder: Ich muss unbedingt mein Studium beenden. Oder: Einmal werde ich doch einen Ski-Kursus mitmachen.
Dies eben ist der Unterschied zwischen dem Planen emotionell Hochstehender und den Phantastereien der Menschen auf tiefen Stufen: das Handeln. Die Ersteren setzen Dinge sogleich in die Tat um. Sie begnügen sich nicht mit Träumen. Sie werden aktiv. Gewiss vermögen wir unser Emotionsniveau für kurze Zeit durch das Bauen von Luftschlössern zu verbessern. Falls wir jedoch niemals handeln, werden diese Luftschlösser sehr schnell wie Seifenblasen platzen, und wir sehen uns alltäglichen Realität gegenüber. Bei solchen Konfrontationen verlieren wir Stück um Stück unsere Hoffnungen.
Arbeiten wir nicht auf ein Ziel hin, liegt die Gefahr nahe, dass wir uns beschwichtigend selber weismachen, wir wollten unsere Kräfte ja für eine grössere Aufgabe schonen.
So macht man es sich leicht. Wer sich auf diese Weise Leute schont, sinkt mit Sicherheit auf der Skala und wird kaum wieder in die Höhe kommen. Um dies zu verhindern, sollten wir uns beschäftigen - ganz gleich, ob die Sache bedeutsam ist oder nicht.
Die Lethargie löst ein tiefes Emotionsniveau aus (und umgekehrt). Je länger wir vor einer Tätigkeit zurückschrecken, umso tiefer versinken wir in Passivität. Und es ist schwierig, von einem toten Punkt aus einen neuen Anlauf zu nehmen. Wir alle müssen hin und wieder die Lethargie bekämpfen. Haben Sie indessen einmal das Startloch verlassen, wird der Laden bald von selbst laufen, und Sie klettern wieder aufwärts.
Wenn Sie eine Arbeit hinter sich bringen (vor allem eine solche, die Sie seit Jahr und Tag auf die lange Bank geschoben haben), dann werden Sie ein Gefühl der Befriedigung empfinden. Verwenden Sie einen Tag (oder eine ganze Woche) zur Erledigung einer Angelegenheit, und Ihre Stimmung wird merklich steigen. Leben Sie inmitten chaotischer Zustände, werden Sie dahinter kommen, dass diese Unordnung Ihnen mit der Zeit auf die Nerven fällt. (Ordnung zeugt - wie wir bereits gesagt haben - von einem hohen, Unordnung von einem tiefen Emotionsniveau.) Also ist es ein Leichtes, sich dadurch emporzuschwingen, indem man die misslichen Verhältnisse abstellt. Hinterher ist Ihr Kopf frei für grössere Dinge.
Ein weiterer Schritt auf dem Marsch zur Spitze ist die aktive Teilnahme. Tag für Tag fragen wir uns: Soll ich zu dieser Gesellschaft gehen oder lieber daheim bleiben? Soll ich mich erkundigen, um was für einen Job es sich bei dieser Annonce handelt, oder die Sache kurzerhand vergessen? Soll ich an der Versammlung teilnehmen oder mir einen gemütlichen Abend machen? -Soll ich diesen oder jenen Kursus belegen oder ein Buch lesen? Falls Sie ein Unternehmen erwägen, das von emotionellem Wert ist, dann werden Sie allemal mehr Freude haben, wenn Sie sich aktiv verhalten statt passiv. Denn nur jene Leute fühlen sich missmutig, die sich vor allem drücken, die Arbeiten, Risiken, Verantwortung und unbekannte Umstände scheuen.
Freilich sollten Sie sich stets die Möglichkeit des Rückzugs offen halten, wenn sich die Angelegenheit als emotionell minderwertig entpuppt und nicht ändern lässt. Aber nehmen Sie teil an den Ereignissen. Sprechen Sie sich aus.
Wenn Sie sonst nichts aus diesem Buch gelernt haben, dann hoffentlich doch das eine: Nie werden Sie auf eine hohe Emotionsstufe gelangen, wenn Sie nicht imstande sind, alle Stufen zu durchlaufen. Um flexibel zu werden, dürfen Sie keines Ihrer Gefühle unterdrücken. Falls Ihnen nach Weinen zumute ist, dann weinen Sie halt. Andernfalls rutschen Sie auf der Skala nach unten. Passiert etwas Schreckliches, dann fürchten Sie sich ruhig, oder Sie werden zu einem schwächlichen Mitleid - oder Gunstbemühungs-Typ, der um alle Gefahren einen weiten Bogen schlägt und dadurch niemandem hilft, am wenigsten sich selber.
Speichern Sie Ihren Zorn nicht in Ihrem Innern - lassen Sie Dampf ab! Tut jemand in Ihrer Gegenwart etwas, das Ihnen zuwider ist, dann stellen Sie den Menschen sogleich zur Rede. Wenn Sie Ihren Empfindungen keinen Ausdruck verleihen, dann nähren Sie heimlichen Hass. Sagen Sie frank und frei: Sie haben da etwas getan, das mir nicht gefällt. Lassen Sie so etwas. Je öfter Sie Ihre Gefühle, unterdrücken, umso sicherer verharren Sie auf den Stufen 1,1 oder 1,2.
Manche Leute müssen erst eine gehörige Portion Zorn sammeln, bevor Sie jemandem den Marsch blasen. Das sollte man jedoch besser nicht tun, denn unkontrollierbarer Zorn wirkt destruktiv. Wer nicht den Mut aufbringt, sofort das zu sagen, was er zu sagen hat, der schmort solange in seiner Rage, bis er ausser Rand und Band gerät. Äussern Sie Ihre Einwände ungesäumt. Dann laufen Sie nicht Gefahr, vor Wut zu kochen.
Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob Sie die Gefühle Ihres Kontrahenten verletzen. Wenn er Sie übervorteilt oder sonst wie schädigt, lassen Sie ihn seine Schandtaten nicht ungestraft fortsetzen. Falls Sie sich ausserstande sehen, die Situation zu ändern, dann meiden Sie den Umgang mit ihm. Selbstverständlich ist das keine Rechtfertigung für jene, die in einem fort an andern herummäkeln und sie herabsetzen. Die sind zwischen 1,1 und 2,0 festgewachsen.

Schlechte Nachrichten
Menschen, die an der Skalaspitze angesiedelt sind, nehmen durchaus nicht alle schlechten Nachrichten zur Kenntnis und erzählen sie brühwarm weiter. Sie wollen von solchen Zuträgern nichts wissen und halten sie sich vom Leib. Sollte Ihnen ein Zeitungsschreiber einreden wollen, dass die Zustände der Welt ohne jede Hoffnung seien, dann legen Sie das Blatt aus der Hand. Finden Sie, dass ein Buch Sie deprimiert, dann klappen Sie es zu. Suchen Sie stattdessen nach einer Unterhaltung, die Sie höher stimmt und an die Sie noch lange mit Freude denken werden.
Falls ein Gespräch, das Sie führen, auf emotionell tiefe Stufen abzugleiten droht, dann wechseln Sie das Thema. Sollten gewisse Leute darauf bestehen, Ihnen nichts als schlimme Neuigkeiten, Klatsch, kritisierende und hämische Bemerkungen unter die Nase zu reiben, dann verkehren Sie künftig nicht mehr mit ihnen. Schliesslich würden Sie ja auch wohl kaum mit ansehen, dass Ihnen einer seinen Abfall mitten ins Wohnzimmer schüttet. Weshalb sollten Sie sich demnach geistigen (besser gesagt: geistlosen) Abfall in Ihren Kopf pfropfen lassen?
Einmal wollte auf einer Party eine Frau durchaus wissen, zu welcher Religion ich mich bekenne. Oh, man hat Sie bekehrt? feixte sie hinterhältig. Diese Art der Fragestellung bewies, welche diebische Freude sie daran fand, aus dem Hinterhalt zu schiessen. Ich beschloss, sie auf der Stelle mundtot zu machen. Kurz und bestimmt entgegnete ich: Bekehrt? Ich weiss nicht, einmal, was das bedeutet. Und damit wandte ich mich um und plauderte mit andern Leuten. Diese Person liess kein Sterbenswörtchen mehr verlauten. Merkwürdigerweise hatte auch keiner der übrigen sechs Anwesenden mehr Lust auf ein Gespräch mit ihr. Wir setzten unsere Unterhaltung fort.
Später meinte einer der Gäste zu mir: Ich kann mir gar nicht denken, wie es Ihnen gelungen ist, Nancy den Mund zu stopfen, aber ich freue mich darüber. Heute habe ich mich zum ersten Mal in Gegenwart dieser Frau wohl gefühlt - weil sie nämlich still war.
Dies mag sich zunächst brutal anhören. Es ist indessen weitaus brutaler, wenn Sie einem 1,1 er gestatten, sich auszutoben. Dann sinkt nämlich das Emotionsniveau aller auf den Nullpunkt.

Geben und Nehmen
Ebenso wichtig ist es, das Gleichgewicht zwischen dem Geben und dem Nehmen her zustellen. Dies gilt für Freundschaften, Ehen, Arbeitsplätze, Vereine etc. Wenn wir immerzu bloss andern helfen und selber niemals etwas als Gegengabe erhalten, erweisen wir dem Nehmenden keinen Dienst. Wir sollten einen Weg finden, der es ihm erlaubt, auch seinerseits einmal zu geben.
Empfangen wir von einem Menschen wiederholt Unterstützung (Pflege, Nahrung, Gefälligkeiten, Geld), müssen wir nach einer Möglichkeit suchen, uns zu revanchieren. Andernfalls landen. wir bei den Bettlern der Stufen Apathie und Traurigkeit
Zusammenfassung
Solange Sie auf einer niedrigen Emotionsstufe verweilen, sollten Sie keinen bedeutsamen Entschluss fassen: also nicht heiraten, sich nicht scheiden lassen, Ihren Dienst nicht aufkündigen, nicht ins Kloster gehen. Treffen Sie Ihre Wahl, wenn Sie wieder oben sind.
Fehlt Ihnen gesundheitlich etwas, dann begeben Sie sich in ärztliche Behandlung. Der Schmerz drückt den Menschen naturgemäss nach unten. Wählen Sie Ihre Freunde, Ihren Arbeitsplatz, Ihren Ehepartner, Ihren Verein, Ihren Chef, Ihre Angestellten mit Hilfe der Emotionsskala aus.
Geraten Sie einmal in schlechte Laune und also auf ein tieferes Niveau als sonst, dann nehmen Sie die Sache nicht gleich tragisch. Betrachten Sie diese Misslichkeit wie das Hemd, das Sie heute tragen und das morgen sowieso gewaschen werden muss. In Wirklichkeit sind Sie ja anders. Warten Sie nicht erst ab, bis Ihnen ein anderer einen aufmunternden Klaps auf den Rücken versetzt. Geben Sie sich selbst einen Ruck und machen Sie sich an die nächstfällige Arbeit.
Sollten zwei Leute auf niedrigem Emotionsniveau partout ihr Spiel miteinander treiben wollen, dann übernehmen Sie nicht die Rolle des Vermittlers. Die überlassen Sie lieber dem armen Sisyphus.
Machen Sie sich nicht zum Sklaven einer Plackerei, die Sie verabscheuen.
Richten Sie Ihr Augenmerk auf eine lohnenswerte Aufgabe - auf eine Sache, die Ihr ganzes Interesse erregt.
Verlassen Sie sich auf Ihre eigenen Beobachtungen, und schenken Sie dem Geschwätz tiefstehender Leute kein Gehör. Erkundigen Sie sich nach der Quelle einer Mitteilung, bevor Sie sie glauben und an andere weitergeben.
Beachten Sie Leute auf niedrigen Empfindungsebenen nicht, es sei denn, Sie sehen sich in der Lage, sie zu heben. Vor allem sollten Sie ihren Ehrgeiz nicht mit dem Streben von Menschen teilen, die ganz unten angesiedelt sind. Sie haben den Untergang vor Augen und demnach keine Zukunftspläne mehr.
Nehmen Sie sich vor allen superklugen Ausreden in Acht, mit denen wir unsere eigenen emotionell tiefen Verhaltensweise zu entschuldigen suchen. In dieser Hinsicht sind wir alle nämlich sehr erfinderisch. Trachten Sie danach, vor sich selbst immer aufrichtig zu sein. Wenn Sie die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind, befinden Sie sich auf hoher Empfindungsstufe.
Falls Sie feststellen, dass Ihnen etwas arg schwer fällt, dann überlegen Sie, ob es wirklich das ist, was sie wollen. Können Sie diese Frage bejahen, dann unternehmen Sie Schritte, die Ihr Emotionsniveau erhöhen, und danach wird Ihnen das Vorhaben leichter von der Hand gehen.
Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit dem ewigen Blick zurück und der Klage, wie alles hätte besser laufen können. Ihre Zukunft muss nicht für immer mit Ihrer Vergangenheit verschmolzen bleiben. Sie können schon heute den Grundstein für Ihre Zukunft legen: Sie allein sind dazu imstande.
Seien Sie nicht schwächlich. Wenn etwas erledigt werden muss, dann erledigen Sie es halt. Lassen Sie nicht andere; für Ihre Ziele sorgen. Folgen Sie Ihren eigenen Oberzeugungen.
Die Kunst vermag einen Menschen aus seiner Lethargie aufzurütteln. Voraussetzung ist freilich, er wählt das, was ihm gefällt. Erfreuen Sie sich an jener Musik, die Ihnen Spass macht. Geniessen Sie jene Bühnenstücke, Bücher, Filme, Gemälde und Skulpturen, die Sie ansprechen.
Wenn Sie einmal sehr lange gearbeitet haben und feststellen, dass die Freude nachlässt, dann machen Sie einen kurzen Spaziergang und schauen sich die Welt mit offenen Augen an. Mit frischen Kräften werden Sie sodann wieder ans Werk gehen. Haben Sie viel mit Schreibarbeit zu tun, dann suchen Sie nach einem Ausgleich: Betätigen Sie sich handwerklich. Pflegen Sie den Umgang mit den Menschen, die wirklich guter Laune sind.
Sie können etwas unternehmen, um Ihre emotionelle Haltung zu verbessern. Warten Sie nicht, bis irgendjemand den ersten Schritt tut. Es liegt an Ihnen, das Entscheidende zu Ihren Gunsten zu unternehmen. Wenn Sie das Leben mit gesundem Humor betrachten können, werden Sie auch die Narrheiten anderer ertragen. Vielleicht nehmen sie sich an Ihnen ein Beispiel. Versuchen Sie nicht, andere von unten hinaufzustossen: Leiten Sie von der Höhe aus.
Das Wagnis wird natürlich auch durch tiefere Bereiche führen, aber Sie brauchen ja nur für kurze Zeit dort zu verweilen. Vergessen Sie nie, wo Ihre wahre Heimat ist: in der Beweglichkeit, in der Freiheit, im Frohmut, im Verstehen, im Erfolg, beim Lachen, in der Tatkraft, in der Liebe. Das ist das Leben in seiner ganzen Fülle. Das ist die Spitze der Skala.
Jetzt haben Sie Ihre Fahrkarte in der Hand.
Also los!


KURZE BESCHREIBUNG DER EMOTIONSNIVEAUS

4,0 ENTHUSIASMUS (Frohsinn). Beschwingt und aufgeschlossen. Flexibilität.
Ein Mensch auf der Siegerstrasse.
3,5 INTERESSE (Vergnügen). Aktiv interessiert an allem Positiven.
3,0 KONSERVATISMUS (Zufriedenheit). Geht konform. Meidet das Aussergewöhnliche.
Abhold jeder Änderung. Kein allzu problematischer Mensch.
2,5 LANGEWEILE. Der Zuschauer. Die ganze Welt ist seine Bühne. Weder zufrieden noch un-zufrieden. Er nimmt die Dinge, wie sie sind. Ziellos und sorglos. Weder gefährlich noch hilfreich.
2,0 ANTAGONISMUS. Einer, der unbedingt debattieren muss. Unverblümt.
Ehrlich, aber taktlos. Ein schlechter Verlierer.
1,8 SCHMERZ. Empfindlich. Reizbar. Unkonzentriert. Wütet gegen Objekte, durch die Schmerz verursacht wurde.
1,5 ZORN. Chronisch aggressiv und aufbrausend. Beschuldigt alle Welt.
Ewig nachtragend. Bedroht andere. Besteht auf unbedingtem Gehorsam.
1,2 GEFÜHLLOSIGKEIT. Ein Eisberg. Unterdrückt heftigen Zorn. Grausam.
Still. Findig. Von frostiger Höflichkeit.
1,1 VERSTECKTE FEINDSELIGKEIT. Der freundliche Heuchler.
Schwätzer. Schauspieler. Witzelt gern und macht Scherze auf Kosten anderer. Bemüht sich, andere zu verstören. Einer, der nervös lacht oder in einem fort grinst.
1,0 FURCHT. Feige. Ängstlich. Sorgenvoll. Argwöhnisch. In seiner Unentschlossenheit gefangen, der er gleichzeitig zu entrinnen sucht.
0,9 MITLEID. Hat das zwanghafte Bedürfnis der Übereinstimmung mit andern. Fürchtet sich, den Leuten weh zu tun. Bekümmert sich um jene, denen es dreckig geht. Mitunter hin und hergerissen zwischen selbstgefälliger Fürsorglichkeit und Tränenfluten.
0,8 SICH UM GUNST BEMÜHEN. Beschwichtigt gern. Einer, der es jedem recht machen möchte. Verteilt Gunstbeweise, um sich selbst vor schädlichen Folgen zu bewahren. Seine Neigung: die Leute zu dämpfen.
0,5 GRAM -TRAURIGKEIT. Der Jammerer. Klammert sich an alte Erinnerungen und sammelt gewissermassen Kümmernisse. Fühlt sich betrogen.
Alles verursacht ihm Pein.
0,375 WIEDERGUTMACHEN. Der ständige Ja-Sager. Er wird alles tun, um Mitgefühl oder Hilfe zu erlangen. Einer, der andern blindlings ergeben ist.
0,05 APATHIE. Einer, der aufgegeben und abgeschaltet hat. Selbstmordkandidat.
Rauschgiftsüchtiger. Schwerer Alkoholiker. Spieler. Fatalist.
Mag tun, als habe er seinen Frieden gefunden.
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Zitat von:  ✉ Bodhie™ ★ Ronald Johannes deClaire Schwab
Dein Fehler war, dass Du nicht bemerkt hast, dass Du Wörter benutzt hast, die der Andere nicht sinnerfassend verstanden hat und das er/sie falsche oder unvollständige Definitionen besaß, die er/sie nicht definieren konnte!
Einfacher Tipp: Finde das dass missverstandene Wort in einem Wörterbuch. Mache mit allen Definitionen mindestens fünf Sätze und lass dich überdrüfen! (Das Wort "Natur" zB. hat sechsten (16) Definitionen! https://de.wikipedia.org/wiki/Definition
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