Dreizehntes Kapitel -
https://bodhie.eu/tonAntagonismus (2,0)
„Antagonismus: Widerstreit, Gegensätzlichkeit, Gegenwirkung; Antagonist:
Gegner, Widersacher.“
Wahrig: Deutsches Wörterbuch
Als einer meiner Freunde von einer Party aufbrach, hörte er, wie sich ein anderer
Gast überschwänglich bei der Frau des Hauses verabschiedete: „Das Diner
war köstlich. Ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken.“ Darauf versetzte die
Gastgeberin trocken: „Wirklich nicht?“
Nachdem ich diesen kleinen Vorfall gehört hatte, erklärte ich meinem Freund,
dass sich diese Frau auf der Stufe des Antagonismus befände. Meine rasche Einschätzung
überraschte ihn, doch er bestätigte meine Ansicht. Der Schlüssel zu ihrer
Beurteilung war nicht allein die Entgegnung, sondern auch der Anlass.
Das charakteristische Merkmal der Antagonismus-Ebene ist die Zurückweisung,
die Widerlegung, die offen gezeigte Feindseligkeit. Ein derartiger Mensch
nimmt nicht etwa den Ball auf und wirft ihn dem Partner wieder zu: Er schlägt ihn mit
voller Wucht zurück. Er modelt die Realität so um, dass sie in sein antagonistisches
Konzept passt. Stets äußert er in Worten seine Zweifel. Während er seine eigene
Meinung verteidigt, stellt er die der anderen in Frage.
Alle diese Eigenschaften waren bei der Gastgeberin vorhanden. Sie war nicht
gesonnen, den freundlichen Dank entgegenzunehmen. Ihre herausfordernde Erwiderung
drückte verbalen Zweifel aus. Dadurch versuchte sie, die liebenswürdige Bemerkung
des Gastes herabzusetzen. Sie verdrehte die Tatsachen, indem sie es kurzerhand
ablehnte, den Mann zu verstehen. Sie lehnte damit zugleich auch jeden
echten Kontakt ab.
So kann man sich mit zwei Worten äußerst beliebt machen.
„Was meinen Sie eigentlich?“ Der Antagonismus ist jene Region, wohin sich
der „Zornige“ in seinen besseren Stunden begibt und der „Langweiler“, wenn er sich
provoziert glaubt. Diese Emotion ist viel lebhafter als alle andern, die wir bis jetzt behandelt
haben. Zuweilen finden wir Leute auf 2,0 recht amüsant, doch nur selten angenehm.
Dieses Emotionsniveau ist sozusagen mit Fußangeln und Widerhaken reich bestückt.
Hier prasseln sarkastische Wortspiele auf den Verdutzten herab. Der 2,0er
zahlt Ihnen alles heim. An diesem Symptom können Sie ihn allerdings auch leicht
erkennen. Befindet er sich ganz unten, dann zeigt er seinen Ärger ungeniert jedermann.
Ist er dagegen am oberen Ende eingependelt, benimmt er sich geradezu unverschämt.
Während er die niedrigeren Emotionsniveaus noch unterscheiden kann,
meint er, jede Verständigung auf höherer Ebene müsse genau so sein wie die unter
seinesgleichen. Versuchen Sie, ein paar nette Worte zu sagen, dann missversteht er
Sie und glaubt gar, beleidigt worden zu sein. „Was meinen Sie eigentlich mit Ihrer
Bemerkung?“ werden Sie zu hören bekommen. Er nörgelt, droht und kritisiert in einem
fort. Immer muss er debattieren. Er gehört zu jenem Typ, der die Leute gern ins
„Kreuzverhör“ nimmt.
Spielen und GewinnenZwei Jungen treffen sich auf einem Schulhof. „Wie heißt du denn?“ fragt der
eine. „Was geht das dich an?“ entgegnet der andere. „Ich bin aber stärker als du.“
„So? Na, dann komm doch her, du Großmaul.“
Ein Mensch auf der Stufe Antagonismus vermag keiner Herausforderung zu
widerstehen. Wenn Sie wollen, dass er etwas Bestimmtes unternimmt, dann schlagen
Sie ihm am besten das Gegenteil vor. Wenn Sie ihm eine Ware verkaufen wollen,
lassen Sie klugerweise durchblicken, dass Sie sie ihm nicht beschaffen können.
Geben Sie ihm einen Grund, sich herausgefordert zu fühlen, und er wird „auf Touren
kommen“. Nichts feuert ihn so an wie ein Wettkampf, den er gewinnen kann. „Ich
wette, dass Sie das nicht bis um zwei Uhr schaffen werden“ oder „Ludwig wird vermutlich mehr erreichen als du.“
Sein großes Spiel heißt Wettbewerb. Er wird nicht nachgeben, wenn es sich darum handelt, besser als sein „Gegner“ zu sein.
Der 2,0er ist einer, der grundsätzlich Nein sagt, wenn alle übrigen für Ja stimmen.
Er ist jener Menschentyp, der ausgerechnet dann eine Hundeausstellung besuchen
muss, wenn alle andern sich ein Konzert anhören wollen. Immer muss er widersprechen
und aufbegehren. Seine Existenz – so meint man – hänge davon ab,
einen Widerpart aufzuspüren. Wo ein Mensch auf der Stufe Zorn Sie kaltschnäuzig
mundtot zu machen versucht, zieht es der 2,0er vor, mit Ihnen zu diskutieren. (Die
dem Emotionsbereich „Zorn“ verhafteten Menschen argumentieren nicht, denn sie
wähnen sich ohnehin im Recht.) Die „Antagonisten“ dagegen lieben das lange Streitgespräch,
um sich selbst zu beweisen.
Personen auf höherem Niveau folgen niemals jemandem blindlings. Oft opponieren
sie gegen die gemeinsamen Vorurteile einer Gruppe. Sie handeln jedoch aus
Oberzeugung so, und zwar zu einem bestimmten Zweck.
Menschen auf der Stufe des Antagonismus indessen gehen gegen andere
vor, weil ihnen nun einmal nichts größeres Vergnügen bereitet, als dagegen zu sein.
Der 2,0er spielt niemals aus Freude am Spiel, sondern lediglich, um zu gewinnen.
Das Spiel ist für ihn eine ernste Angelegenheit. Er möchte immer „bestimmen“. Wo
dies nicht geht, fängt er erst gar nicht an. Er zählt zu jenen liebenswerten Zeitgenossen,
die andern jeden Spaß verderben. Er ist ein miserabler Verlierer. Wenn er beim
Kartenspiel bloß miese Blätter bekommt, stöhnt er gepeinigt auf. Wenn er einen Stich
verliert, wird er „sauer“.
Hat er einmal Pech, schiebt er flugs die Schuld daran 'I andern zu. Gewinnt er
jedoch, dann freut er sich hämisch und prahlt mit seiner „Geschicklichkeit“. Notfalls
betrügt er auch. In ihm steckt der Zwang, stets und überall gewinnen zu müssen,
koste es, was es wolle. Nur das Gewinnen zählt für ihn, nicht das Spiel. Jemand auf
höherem Emotionsniveau freut sich auch, wenn er gewinnt. Er nimmt die Sache aber
nicht tragisch, falls er einmal verliert.
Auf der Stufe 2,0 ist der Mensch derart überzeugt davon, entweder Besiegter
oder Sieger zu sein, dass Sie ihn kaum vom rüden Vorgehen gegen seine nächsten
Familienangehörigen oder Freunde abhalten können. Stets muss er jemanden haben,
gegen den er sich wenden kann.
Schwieriges FamilienlebenEin verheirateter 2,0er traut der Liebe nicht so recht. Oft stellt er zärtliche Gefühle
ernsthaft in Frage. („Woher soll ich wissen, dass du mich wirklich liebst?“) Er
reagiert auf weiche Empfindungen sogar manchmal mit Abneigung oder einem gänzlichen
Umschwang seines bisherigen Verhaltens. Wenn Sie ihm die Wange streicheln
wollen, stößt er schroff Ihre Hand von sich. An kleinen Kindern hat er ständig
etwas auszusetzen. Sie bringen ihn leicht in Aufregung und machen ihm das Leben noch schwerer.
Falls Sie so jemanden heiraten, dürfen Sie kein friedliches Beisammensein
erwarten. Der 2,0er kommt erst dann richtig zu sich, wenn er die Gelegenheit zu einem
„schönen“ Streit sieht. Weigern Sie sich jedoch, mit ihm zu streiten, dann fängt
er zu meckern an und hackt auf Ihnen herum, bis Sie zu einer Reaktion gezwungen
sind. Er bearbeitet Menschen auf höherem Emotionsniveau solange, bis er sie hinabgezogen
hat. Er sucht einen Gegner, keinen Partner.
Unangenehmer MitarbeiterSeine Aggressivität und sein Wettbewerbsdenken bringen ihm häufig Beförderungen
ein, aber gern arbeitet niemand mit ihm zusammen. Anweisungen kleidet er
in Drohungen: „Sie erledigen diese Aufgabe bis Ende der Woche, oder Sie können
sich Ihre Gehaltserhöhung in den Schornstein schreiben.“
Wenn Sie ihm einen Auftrag geben, wird er sogleich ein Argument parat haben:
„Warum warten wir damit nicht bis zum nächsten Monat? Jetzt wird uns die Sache
bloß noch mehr Kopfschmerzen machen.“ Er ist ein Meister im Erfinden von
Ausreden, um sich vor der Arbeit zu drücken.
Freude am NegativenWie gibt ein 2,0er Weisungen weiter? Können Sie sich auf seine Berichte verlassen?
Nun, in dieser Hinsicht ist er verlässlicher als alle Leute auf niedrigeren
Emotionsniveaus, denn er leitet wenigstens einen gewissen Teil der Information weiter.
Freilich verbringt er die meiste Zeit mit feindseligen und drohenden Gesprächen.
Während er destruktive Nachrichten mit Freude dem Empfänger zukommen lässt,
behält er die konstruktiven für sich. Er wird Ihnen beispielsweise nicht mitteilen, dass
die Forschungsabteilung endlich ein schwieriges Problem gelöst hat. Statt dessen
bringt er Ihnen mit flüchtigen Worten bei, die Forschungsabteilung habe „irgendetwas“
entdeckt, aber diese Leute lägen noch immer im Streit mit der Produktionsabteilung,
denn niemand wisse, wie alles weitergehen solle.
HumorAuf dieser Gefühlsebene lacht der Mensch auch über das Unglück anderer. Er
schätzt brutale und beißende Äußerungen, aber er hat weder den Sinn noch das Ohr
für feineren und geistreichen Humor.
Als mein ältester Junge etwa vier Jahre alt war, spielte er mit einem Mädchen
aus der Nachbarschaft. Die Kleine schloss ihn eines Tages in einen Schrank ein und
hielt ihn solange gefangen, bis er einen hysterischen Anfall bekam. Ich erzählte diesen
Vorfall später einer Nachbarin. Ihre einzige Reaktion: Sie lachte hell auf.
ZusammenfassungDer 2,0er ist geradeheraus, aber auch taktlos. Er lauert auf den geringsten Anlass,
um einen Disput vom Zaun zu brechen. Den Antagonismus dürfen wir als eine
Art Trennlinie bezeichnen. Wer sie überschritten hat, verhält sich meist vernünftig.
Wer jedoch unterhalb der Stufe 2,0 verharrt, wird wohl weitaus häufiger unvernünftig
handeln.
Die Unvernunft des Menschen auf niedrigem Emotionsniveau ist daran zu erkennen,
dass er nur über einen engen Horizont verfügt. Er mag leichtgläubig, störrisch
oder stets unentschlossen sein. Nur selten ist er flexibel. Wer diese Trennlinie
hinter sich gelassen hat, sieht die Dinge aus vielen Gesichtswinkeln.
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