EMOTIONEN
Erstes Kapitel -
https://bodhie.eu/tonDas Grundsätzliche
„Der Mensch ist im Grunde gut. Aber zwischen ihm und diesem Guten liegen
Ängste, Manien und Verdrängungen.“
Ein weiser Mann hat einmal gesagt, dass es nicht zwei Menschen gebe, die
einander genau gleichen. Darüber sollten wir froh sein. Es gibt große Menschen,
kleine Menschen und Menschen verschiedener Hautfarbe. Jeder hat seine Vergangenheit,
seine Erfahrungen, seine Marotten. Obwohl die menschliche Fauna derart
reichhaltig ist, stieß man etwas Grundsätzliches, das allen gemeinsam ist:
auf die Emotionen.
Emotionen?
Gefühle?Nun, damit kann er doch wohl nur jene hysterischen Frauen meinen, die beim
Anblick einer Maus aus dem Häuschen geraten. Oder jene Kinder, die in Wutanfälle
ausbrechen, wenn sie nicht sogleich ihr Bonbon kriegen. Oder jene entsetzten Soldaten,
die meutern und um keinen Preis in die Schlacht zurückkehren wollen. Oder jene
übersensiblen Ehefrauen, die laut aufschluchzen, weil ihr Mann sie angeblich nicht
mehr liebt.
Aber was hat das mit dir und mir zu tun und mit dem braven Buchhalter, der
um die Ecke wohnt? Wir sind doch nicht „emotionell“! Wir lassen uns doch nicht von
unseren Gefühlen „treiben“! Emotion, Gefühl. klingt das nicht irgendwie geradezu abfällig?
Als ich Schriften las, begann ich jedoch, alle meine Bekannten
heimlich zu beobachten. (Ich schrak auch nicht davor zurück, mich selber zu beobachten.)
Seine Behauptungen schienen zu stimmen. Jeder Mensch nimmt eine bestimmte
Haltung zum Leben ein. Der eine findet das Dasein grässlich, der zweite
furchtbar, der dritte kläglich, während wiederum andere alles ganz einfach närrisch
oder wunderbar finden.
All diese Standpunkte werden nicht etwa von der Vernunft oder dem Intellekt
diktiert: Es sind die Emotionen, die den Menschen zu seiner Einstellung veranlassen.
Die Entdeckung führte zu drei wichtigen Erkenntnissen über die Gefühlswelt:
1. Jede Emotion hat ihre eigenen unveränderlichen Verhaltensweisen.
2. Emotionen sind ihrer Reihenfolge nach klassifizierbar – von abscheulich bis
zu großartig.
3. Es gibt Emotionen, die nicht so leicht zu erkennen sind. Sie werden verdrängt.
Die unveränderlichen Verhaltensweisen
Zu jeder Emotion gehört eine ganz bestimmte Einstellung, die sich kaum verändern
lässt. Wenn ein Mensch von einem vorübergehenden oder ständigen Kummer
geplagt wird, können wir damit rechnen, dass er klagt: „Ich bin betrogen worden!
Keiner kann mich ausstehen! Früher war eben alles viel besser.“ Wir wissen auch,
wie er sich in den meisten Situationen verhalten wird. Die schöne und reiche Schauspielerin
etwa, die zuviel Schlaftabletten nimmt, empfindet die gleiche ausweglose
Hoffnungslosigkeit wie der Bahnhofspenner, der am Bordstein hockt und seine leere
Flasche im Arm hält. Beide fühlen ähnlich, obwohl sie in unterschiedlichem Milieu
und anderem Gewand auftreten. Wer die Welt durch die gefärbte Brille der Apathie
betrachtet, ist dem Verderben nahe – wie immer seine Vergangenheit oder seine gegenwärtige
Umgebung auch sein mögen. Jede Äußerung, jede Entscheidung, jede
Handlung ist von der Apathie gekennzeichnet.
Die Reihenfolge der Emotionen
Als man nach Methoden suchte, welche imstande sein würden, die zwischenmenschlichen
Beziehungen zu verbessern, beobachtete er, dass die Leute
verschiedene aufeinander folgende Stufen emotionellen Verhaltens durchliefen. So
oft er sich bemühte, die Nachwehen schmerzlicher Erlebnisse auszulöschen, erkannte
er, dass die Menschen zunächst apathisch reagierten. Während der Therapie
durchlebten sie dann gewisse gefühlsmäßige Stadien, die bei jedem in dieser unveränderlichen
Reihenfolge auftraten: Gram (Traurigkeit), Furcht, versteckte Feindseligkeit,
Zorn (Streitsucht), Langeweile, Zufriedenheit und Wohlbefinden.
Dieser Wechsel von schmerzlichen zu angenehmen Empfindungen war ein
solch zuverlässiger „Erfolgsanzeiger“, dass man ihn als Maßstab zur Beurteilung
des Fortschritts bei seinen Verfahren anwandte. Bald danach kam er auf den Einfall,
diese Stimmungen auf einer Skala einzuordnen. Die positiven Verhaltensweisen
vermerkte er an der Spitze, die negativen am Fuße. Es dauerte nicht lange, bis er
bemerkte, dass sich die Personen Innerhalb dieser Skala einreihen lassen, auch
wenn ihr „Stimmungsbarometer“ steigt oder fällt (je nachdem, ob es ihnen gut geht
oder schlecht).
Gleichzeitig wurde deutlich: Je höher sich ein Mensch auf dieser Emotionsskala
befindet, desto besser sind seine Zukunftschancen. Er kann sich sein Leben leichter
einrichten. Er ist glücklicher, lebhafter, vertrauensvoller und I handlungsfähiger.
Andererseits: Je tiefer jemand auf der Skala herabsinkt, desto näher ist er dem Untergang.
Er tappt auf der Verliererstraße dahin. Ihm ist erbärmlich zumute. Er resigniert
mehr und mehr.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Wer eine Reise durch, ein wildes unwirtliches
Land plant, wird sich natürlich keinen Gefährten wählen, der in einem fort Trübsal
bläst, und der unablässig Gefahren wittert. Der gesunde Menschenverstand sagt
ihm viel mehr, dass er einen Begleiter braucht, der sich auf diese Reise ebenso freut
wie er selber.
Menschen auf den unteren Stufen der Skala können sich auf rein gar nichts
mehr freuen. Je weniger ein Mensch willens ist, über seine Zukunft nachzudenken,
desto geringer sind seine Aussichten.
Bei der Einordnung in die Skala versah man die verschiedenen Emotionen
mit einem Namen und zur Kenntlichmachung ihrer Rangfolge mit einer Nummer.
Das Ganze nannte er schließlich „Emotionsskala“.
Jeder gefühlsmäßige Abschnitt wird als „Emotionsniveau“ bezeichnet. (Ebenso
gut können wir auch Emotionsstufe oder Gefühlsebene sagen.) So wie jeder Ton
in der Musik durch Höhe und Schwingung definiert wird, hat auch jedes Emotionsniveau
auf der Skala seine erkennbaren Eigenschaften. Das Klavierspielen fiele
schwer, wären die Tasten nicht in einer Reihenfolge, sondern kunterbunt angeordnet.
Es ist kaum möglich, Menschen zu verstehen und ihnen zu helfen, wenn man nicht
eine Skala zur Verfügung hat, die gen au anzeigt, auf welcher hohen oder niedrigen
„emotionellen Tastatur“ der Mensch „eingependelt“ ist.
Die Trennlinie auf der Emotionsskala liegt bei 2,0. Oberhalb dieser Linie sind
die Chancen eines Menschen gut. Unterhalb von ihr ist die Lebenserwartung geringer.
Wenn wir uns dieser Trennlinie bedienen, dann bezeichnen wir Personen, die
sich „oberhalb“ befinden, als „auf hohem Emotionsniveau“ stehend. Diejenigen unter
2,0 dagegen sind als „auf niedrigem Emotionsniveau“ lebende Menscheneinzustufen.
Während eine Person im hohen Gefühlsbereich vernünftig handelt, reagiert
jemand im niedrigen unvernünftig. Je tiefer das Emotionsniveau ist, desto häufiger
werden Entschlüsse von Gefühlen geleitet -ganz gleich, wie die Erziehung des Menschen
beschaffen war und wes Geistes Kind er ist.
Verdrängte EmotionenWenn wir von einem höchst ehrenwerten Bankdirektor hören, der ein makelloses
Familienleben führt, plötzlich jedoch 100.000 Dollar unterschlägt und mit einer
Schönheitstänzerin nach Südamerika davongeht, dann fragen wir uns sicher: „Was
mag sich der Mann bloß dabei gedacht haben?“
Genau dies ist das Problem: Er hat sich nämlich gar nichts dabei gedacht: Er
ist lediglich seinen Gefühlen erlegen. Die Emotionen haben ihn überwältigt. Was uns
überrascht, ist eigentlich nur die Tatsache, dass sein bis jetzt verdrängt gewesenes
Emotionsniveau plötzlich an den Tag tritt. Nun merkt man, wie er wirklich ist.
Einige Emotionen sind offensichtlich, denn sie liegen sozusagen auf der Hand.
Man bebachtete jedoch bitte, dass jede „sichtbare“ Emotion von einer Schicht verdrängter Gefühle begleitet wird:Enthusiasmus 4,0 ENTHUSIASMUS
offen gezeigt
Interesse
Konservatismus
Langeweile
3,5
3,0
2,5
ENTHUSIASMUS
verdrängt
Antagonismus
Schmerz
Zorn
2,0
1,8
1,5
FEINDSELIGKEIT
offen gezeigt
Gefühllosigkeit
Versteckte Feindseligkeit
1,2
1,1
FEINDSELIGKEIT
Verdrängt
Furcht 1,0 FURCHT, offen gezeigt
Mitleid
Sich um Gunst bemühen
0,9
0,8
FURCHT, verdrängt
Gram – Traurigkeit 0,5 GRAM; TRAURIGKEIT offen
gezeigt
Wiedergutmachen
Apathie
0,375
0,05
GRAM, TRAURIGKEIT
verdrängt
Nachdem wir diese eindeutig verdrängten Emotionen, die sich in Schichten
unter den offen zur Schau gestellten Gefühlen ablagern, klassifiziert haben, sind wir
jetzt auch in der Lage, jede Haltung zu definieren, die der Mensch dem Leben gegenüber
einnimmt.
Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass er für immer auf ein und derselben
Stufe fixiert bleibt. Wie oft können sich die Menschen ändern! Manchmal kann jemand
stark abfallen, und zwar ganz plötzlich und unerwartet. Wenn jedoch sein
Emotionsniveau normalerweise am oberen Rand der Skala gelegen ist, wird es ihm
wohl rasch wieder gelingen, von neuem diese Höhe zu erreichen.
Die Theorie in der PraxisWenn wir die Grundeigenschaften jeder Emotion kennen, vermögen wir die
derzeitige Gemütsverfassung eines Menschen zu verstehen, auch wenn er uns erst
vor wenigen Minuten begegnet ist. Eine längere Beobachtung wird uns zeigen, wie
seine normale, gewohnte, „chronische“ Emotion ist. Daraus dürfen wir dann schließen,
wie gut die Chancen seines Fortkommens sind und ob er für unsere Beziehungen
einen “Aktiv- oder Passivposten“ darstellen wird. Wir können vorausahnen, wie
er seine Arbeit ausführt, ob er ehrlich ist, ob er eine Nachricht exakt wiederzugeben
und Aufträge zuverlässig zu erledigen vermag. Vielleicht kommen wir sogar dahinter,
ob er ein Mensch ist, mit dem wir notfalls getrost auf eine einsame Insel verschlagen
werden möchten.
Das ist viel besser, als sich auf wunderliche Vorurteilte aus Großmutters Zeiten
zu verlassen. Eigentlich ist es die einzige mögliche Art, seinen Umgang zu wählen.
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