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Tutanchamun: Einbruch ins goldene GrabVor 100 Jahren entdeckte Howard Carter das Grab von Tutanchamun. In jahrelanger Kleinstarbeit barg er hunderte exquisiter Grabobjekte. Doch das Narrativ vom sorgsamen Ausgräber stimmt nur zum Teil. Carter war schon vorab ins Grab eingestiegen und hatte heimlich Stücke entwendet.
Am Morgen des 4. November 1922: Howard Carter hielt sich gerade in seinem Grabungszelt auf, als ein Arbeiterjunge hereinstürzte. Er habe eine Treppenstufe entdeckt. Der Junge zerrte den britischen Archäologen zur Fundstelle, wo sich Carter die Stufe genau ansah. Der Absatz war aus dem Felsen gehauen, so wie die Zugangstreppen von so vielen der unterirdischen Grabkammern im Tal der Könige. »Ich wagte fast zu hoffen«, schrieb der Brite später in sein Tagebuch, »dass wir endlich unser Grab gefunden hatten«. Er ließ Stufe um Stufe frei legen, bis die Arbeiter auf einen vermauerten Eingang stießen. Darauf zeichneten sich, in den Wandputz gedrückt, die Siegel der Königsnekropole ab: ein kauernder Schakal über neun gefesselten Feinden. Die Siegel waren ungebrochen. Hinter der Mauer musste also etwas liegen, das seit ungefähr 3300 Jahren unberührt geblieben war.
Carter begab sich schnellstmöglich nach Luxor am anderen Nilufer, um seinem Finanzier und Auftraggeber George Herbert, 5. Earl of Carnarvon (1866–1923) – meist nur Lord Carnarvon genannt –, ein legendäres Telegramm zu schicken: »Habe endlich wunderbare Entdeckung im Tal gemacht. Prächtiges Grab mit unversehrten Siegeln. Bis zu Ihrer Ankunft wieder zugeschüttet. Glückwunsch.«
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Die Jahrhundertentdeckung im Tal der KönigeCarters Fund war eine Sensation. Es war die Entdeckung des Jahrhunderts, die sich nun zum 100. Mal jährt. Der britische Archäologe hatte ein Königsgrab voller Beigaben geöffnet und diese aufwändig im Lauf von zehn Jahren geborgen – Schreine, Truhen, Betten, Streitwagen, Schmuck, Gewänder, Sandalen, Statuen, Amulette, Waffen, Salben und die Mumie des jugendlichen Pharao, der einst von 1336 bis 1327 v. Chr. über Ägypten geherrscht hat. Doch das offizielle Narrativ vom sorgsamen Ausgräber stimmt nur zum Teil. Carter war schon vorab in Tutanchamuns Totenstätte eingestiegen und hatte heimlich Stücke entwendet. Das belegen Zeugenaussagen und verdächtige Exponate in Museen außerhalb Ägyptens.
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Plan der Pharaonengruft ➦ 🪄
Pharaonengruft | Ein Korridor führt in das unterirdische Grab von Tutanchamun. Von der mit Möbeln, Truhen und Streitwagen gefüllten Vorkammer gehen ein kleiner Annex sowie der Sargraum ab. Darin befanden sich die ineinander geschachtelten Holzschreine und Goldsärge. Von dort öffnet sich ein Durchgang in die Schatzkammer mit dem Eingeweideschrein. Die Illustration zeigt die Fundsituation, wie sie Howard Carter beschrieben hat.
Das Grab hatte streng genommen nicht Carter entdeckt, sondern der Arbeiterjunge. Hussein, jüngster Spross der berüchtigten Grabräuberfamilie Abd el-Rassul, hatte damals die Aufgabe, den Arbeitern Wasser zu bringen. Als Hussein einen gefüllten Tonkrug im Sand absetzen wollte, stieß er auf die Treppenstufe. Carter belohnte ihn für seinen Fund mit einem berühmt gewordenen Porträt: Grabungsfotograf Harry Burton (1879–1940) lichtete den Jungen ab, wie er einen goldenen Brustschmuck von Tutanchamun um den Hals trug. Das Motiv erinnert an die mit dem Schatz des Priamos behängte Sophia Schliemann, die ihr Ehemann und Troja-Ausgräber Heinrich Schliemann 1873 fotografiert hatte. Die Biografien der beiden Archäologen weisen Parallelen auf. Vor allem gelten sie bis heute als Laien mit Finderglück. Zumindest im Fall von Carter stimmt das aber sicher nicht.
Howard Carter kam 1874 im heutigen Londoner Stadtteil Kensington als jüngstes von elf Kindern zur Welt. Sein Vater, der Maler und Illustrator war, brachte ihm das Zeichnen bei. Das befähigte den gerade einmal 17-jährigen Howard, zunächst im British Museum und kurz darauf beim Egypt Exploration Fund als Zeichner zu arbeiten. 1892 gelangte er das erste Mal nach Ägypten, wo er auf Grabungen Funde dokumentierte.
Der Brite genoss vor Ort eine archäologische Ausbildung, die damals keine Eliteuniversität der Welt bieten konnte. Carter war demnach alles andere als ein blutiger Laie, als er in der von Franzosen geführten ägyptischen Altertümerbehörde als Oberinspektor Karriere machte. Allerdings endete seine Laufbahn abrupt. Ein Vorfall mit Besuchern aus Frankreich an einer Ausgrabungsstätte kostete ihm 1905 seinen Posten, obwohl Carter keine Schuld trug. Der Leiter der Altertümerbehörde Gaston Maspero vermittelte seinen Schützling daraufhin an den wohlhabenden Lord Carnarvon, der in Ägypten graben wollte. Und Carter war der richtige Mann dafür.
Zu dieser Zeit verfügte der US-Anwalt Theodore Davies (1837–1915) über die Grabungslizenz im Tal der Könige. 1914 gab er sie an die Altertümerbehörde zurück, weil seines Erachtens keine Funde mehr zu erwarten waren. »Ich fürchte, das Tal der Könige ist erschöpft«, lautete sein Fazit. Carter hingegen überzeugte Lord Carnarvon, die Lizenz zu übernehmen. 1917 begannen sie dort zu graben.
Carter wusste nämlich von Anfang an, dass im Tal der Könige noch ein Pharaonengrab seiner Entdeckung harrte: die Ruhestätte des bis dahin kaum bekannten Tutanchamun. Seine Existenz bezeugte ein Konvolut unscheinbarer Objekte, das 1907 in einem Felsenschacht im Tal ans Licht gekommen war. Es handelte sich um Balsamierungsmaterial – Tongefäße, Natronsäckchen, Leinenbinden sowie Relikte eines rituellen Totenmahls. Einige der Leinenstoffe waren beschriftet – mit Regierungsjahr und Namen von Tutanchamun, genauer seinem Thronnamen Nebcheperure. Carters Vorgänger, Theodore Davies, ging davon aus, dass der Felsenschacht das Grab dieses Königs war. Davies bezeichnete den Schacht daher als KV54, »Kings' Valley« 54 – gemäß der archäologischen Zählung im Tal der Könige.
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Siegel mit Tutanchamuns ThronnamenCarter hingegen war sich sicher, dass Davies falschlag. Die Grube war nur zwei Quadratmeter groß und damit viel zu klein, als dass hier die Mumie eines Königs samt Grabschatz gelegen haben könnte. Und nun, am 4. November 1922, keimte bei Carter die Hoffnung, dass seine jahrelange Suche nach der Pharaonengruft erfolgreich war. Die knapp drei Wochen, die es dauerte, bis Lord Carnarvon und seine Tochter Lady Evelyn Herbert am 23. November aus England in Luxor eintrafen, müssen Carter wie eine Ewigkeit vorgekommen sein. Als die beiden endlich da waren, ließ Carter den Zugang bis zum Felsengrund frei schaufeln. Und dort bestätigte sich seine Vermutung: Im unteren Bereich der zugemauerten Tür kamen weitere Siegel zum Vorschein – mit Tutanchamuns Thronnamen Nebcheperure.
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Zugangstreppe zu Tutanchamuns GrabDoch in die Begeisterung mischten sich Zweifel. Carter hatte in der Mauer eine Stelle bemerkt, die nachträglich versiegelt worden war. Offensichtlich hatten Grabräuber ein Loch in die Vermauerung geschlagen. Dass man die Öffnung im Altertum aber wieder verschlossen hatte, sprach dafür, dass in dem Felsengrab, das nun offiziell KV62 hieß, zumindest noch einige Grabbeigaben zu erwarten waren. Und bekanntlich sollte es noch besser kommen.
Carter ließ den vermauerten Zugang einreißen und den deckenhohen Schutt dahinter ausräumen. Schließlich hatten seine Arbeiter einen Korridor frei gelegt, der vor einer weiteren zugemauerten Tür endete. Dort spielte sich am 26. November 1922 der wohl berühmteste Dialog in der Geschichte der Archäologie ab: Nachdem Carter die Wand an einer kleinen Stelle mit einer Eisenstange durchstoßen hatte, blickte er durch die schmale Öffnung – und schwieg. Offenbar hatte es ihm angesichts des reichen Grabschatzes die Sprache verschlagen. Ungeduldig fragte Lord Carnarvon: »Können Sie etwas sehen?« Woraufhin Carter antwortete: »Ja, wunderbare Dinge!«
Möglicherweise wäre Carters Enthusiasmus verhaltener ausgefallen, wenn er geahnt hätte, dass ihm die Bergung von fast 5400 Objekten aus vier Felskammern zehn Jahre mühseliger Arbeit und nervenaufreibende Verhandlungen mit den Behörden bescheren würde. Der Archäologe realisierte jedoch schnell, dass er allein mit der Aufgabe überfordert sein würde. Also zog er seinen Freund und Kollegen Arthur Callender (1875–1936) hinzu, den er noch aus seiner Zeit beim Egypt Exploration Fund kannte. Wenig später engagierte er weitere Fachleute, die überwiegend für das Metropolitan Museum in New York arbeiteten.
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Stippvisite im KönigsgrabWährend Carter durch das Loch in die Vorkammer spähte, waren Lord Carnarvon, seine Tochter und Callender bei ihm. Die Gruppe vergrößerte nun die Öffnung so weit, dass sie in die schmale, acht Meter lange Vorkammer lugen konnte. Entlang der Wand standen Bettgestelle, überhäuft mit Kisten, Hockern und Behältern. Am einen Ende des Raums erblickten die vier Briten zwei lebensgroße dunkle Figuren in goldenen Gewändern. Und zwischen den beiden einen weiteren zugemauerten Durchgang.
Die Gruppe hatte genug gesehen. Sie verfüllte die Öffnung notdürftig und verließ das Grab, um tags darauf die Totenstätte mit einem Beamten der ägyptischen Altertümerverwaltung zu betreten. Die Nacht zuvor hätten die vier indes nur sehr wenig geschlafen, berichtete Carter später. Alle seien aufgeregt gewesen und fragten sich: Was mochte sich hinter dem zugemauerten Durchgang verbergen?
Inzwischen häufen sich die Indizien, dass Carter, Callender, Lord Carnarvon und Lady Evelyn Herbert nicht nur darüber diskutiert haben, welche Schätze wohl noch im Grab schlummerten, sondern sich auch einen konkreten Überblick darüber verschafft haben. Mit anderen Worten: Sie sind trotz gegenteiliger Behauptungen schon in der Nacht vor der ersten offiziellen Begehung in das Grab eingestiegen und haben sich dort gründlich umgesehen.
Mehrere Belege nähren diesen Verdacht. Wie der Ägyptologe Bob Brier von der Long Island University in seinem jüngst erschienenen Buch »Tutankhamun and the Tomb that Changed the World« schildert, vermutete dies bereits 1934 der renommierte Ägyptologe Alan Gardiner (1879–1963) in einem Brief. Carter hatte ihm ein Amulett überreicht, das ein Kollege Gardiners eindeutig dem Grabschatz von Tutanchamun zuweisen konnte, weil es darin identische Stücke gab. Der Entdecker musste das Amulett also unbemerkt entnommen haben.
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Vorkammer | Bettgestelle, Truhen und zwei Wächterfiguren füllten den ersten Raum der Grabanlage. An der Wand zeichnet sich dunkel der zugemauerte Durchgang zur Sargkammer ab. Die reich dekorierte Truhe und Schilfreste rechts unten hatte Carter dort platziert. Er wollte die Spuren seines Erstbesuchs kaschieren.
Ähnliches berichtete ein Mitarbeiter von Carter, der Chemiker und Restaurator Alfred Lucas (1867–1945). Im Fachblatt der ägyptischen Altertümerverwaltung, den »Annales du Service des antiquités de l’Égypte« aus den Jahren 1942 und 1947, beschrieb Lucas, dass der Durchgang, den die dunklen Figuren bewachten, ebenfalls durchstoßen und wieder verschlossen worden war. Das erste Mal vor mehr als 3000 Jahren – damals hatten sich Grabräuber Zugang verschafft. Das zweite Mal lag weniger weit zurück, vor heute 100 Jahren hätte Carter selbst Hand angelegt. Lucas hatte sich mit ihm über die verfüllte Öffnung unterhalten: »Als ich sagte, dass es nicht wie ein altes Werk aussah, gab er zu, dass es nicht so war und dass er es getan hatte.«
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Ein vergoldeter Schrein füllte die SargkammerDer Durchlass führte vom Vorraum in die Sargkammer, die damals fast vollständig von einem großen Schrein aus vergoldetem Holz ausgefüllt war. Womöglich ahnten die beiden Ägyptologen Carter und Callender schon, dass sich darin mehrere ineinandergestellte Schreine und Sarkophage mit der Mumie des Pharao verbargen.
Vermutlich hat Carter in jener Nacht die beiden Flügeltüren des äußersten Sargschreins geöffnet. Die Tür dahinter war mit einem Seil und Tonsiegeln verschlossen. Die Plomben hielten Carter wohl zurück, auch sie zu öffnen. Ob er an den äußeren Türgriffen zuvor Tonsiegel zerbrochen hatte und die verräterischen Überreste verschwinden ließ, ist umstritten. Laut seines Tagebuchs waren sie zwar verriegelt, aber nicht plombiert.
Mit dem Einstieg in die Sargkammer hatten die nächtlichen Besucher auch die so genannte Schatzkammer zu Gesicht bekommen, die vom Sargraum abgeht. Das bestätigte Alfred Lucas, der im Fachblatt der Altertümerbehörde erwähnte, dass »Lord Carnarvon, seine Tochter und Herr Carter natürlich vor der offiziellen Öffnung die Grabkammer und daher auch die Schatzkammer betreten haben, die keine Tür hat«. In den Durchgang zur Schatzkammer ragten damals die Tragestangen eines Kastens, auf dem eine Figur des Unterweltsgottes Anubis in Form eines Schakals thronte. Dahinter stand ein hoher vergoldeter Kasten mit den einbalsamierten Eingeweiden Tutanchamuns.
Am Ende ihres nächtlichen Ausflugs verwischten die vier ihre Spuren. Um das verfüllte Grabräuberloch in der Zwischenwand zu kaschieren, schoben sie vermutlich den Deckel eines Korbs, Schilfreste und eine bemalte Truhe davor. Das lassen Carters Pläne und die Grabungsfotos vermuten. Auf ihnen fällt unter den dicht an dicht gestellten Möbelstücken in der Vorkammer eine Lücke auf. Vielleicht hatte Carter die Truhe von dort hinüber zur Wand gehievt.
In den zehn Jahren, die es dauerte, die Gruft leerzuräumen, hat Carter minutiös die Lage und das Aussehen aller Grabbeigaben festgehalten – in Zeichnungen, Beschreibungen und Fotografien von Harry Burton. So entstand eine detaillierte Dokumentation des Grabschatzes, die heute das Griffith Institute in Oxford aufbewahrt und online gestellt hat. Die Unterlagen trösten darüber hinweg, dass Carter über drei populärwissenschaftliche Bände hinaus keine wissenschaftlichen Publikationen seiner Entdeckung vorgelegt hat. Aber gerade weil der Ausgräber die Lage der Grabbeigaben derart detailliert aufzeichnete, fällt auf, dass die besagte wiederversiegelte Wand relativ spärlich dokumentiert wurde. Wollte Carter den heimlichen Besuch in der Sargkammer vertuschen?
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SchatzkammerVom eigentlichen Grabraum führt ein Durchgang in eine Nebenkammer. Dort befanden sich eine Bahre samt Kasten und Schakalfigur sowie dahinter der vergoldete Eingeweideschrein. Das Foto entstand 1922, bald nach der offiziellen Graböffnung.
Dass er mit den anderen zusammen ins Grab eingestiegen war, legt auch ein Brief nahe, den Lady Evelyn später an Carter geschrieben hat. Sie bedankte sich bei ihm, dass er sie »ins Allerheiligste« geführt habe. Damit dürfte sie die Sargkammer gemeint haben. Ein weiteres Indiz für den Vorabbesuch im Grab liefert der Bericht des bereits genannten Chemikers Alfred Lucas. In den »Annales du Service des antiquités de l'Égypte« von 1942 erwähnt er, dass er ein Objekt aus dem Grabschatz – ein kleines Metallgefäß in Form einer Doppelkartusche –, das Carter angeblich im Sarkophag gefunden hat, lange vor der Öffnung des Totenkastens in Carters Haus gesehen habe. Ursprünglich stand es wohl auf dem Boden der Sargkammer, wo es der Grabungsleiter bei seinem Vorabbesuch eingesteckt hatte.Als Carter 1923 die Sargkammer erneut betrat, wusste er, was ihn dort erwartete – dass ihm und seinem Team der Raum noch viel schweißtreibende Arbeit abverlangen sollte, ahnte er aber wohl nicht. Die Holzschreine mussten in Einzelteile zerlegt und zugleich mit Kunstharz stabilisiert werden. 80 Tage werkelten die Männer auf engstem Raum. Am Ende stellte Carter fest: »Immerhin bin ich froh, (…) dass wir uns selbst mehr beschädigt haben als die Schreine.«
So wie der Schrein war fast jedes Objekt aus Holz in einem fragilen Zustand. Das traf auch auf eine lebensgroße Kopfskulptur zu. Sie hätte Carter allerdings fast die Grabungslizenz gekostet. Die Altertümerverwaltung entdeckte sie in einer Weinkiste im Grabungsdepot – und witterte Diebstahl. Im Fundverzeichnis war der Kopf nicht gelistet, auch Burton hatte das Stück nicht fotografiert. Carter erklärte, er habe es aus dem Schutt des Zugangskorridors geklaubt und demnach zu einem Zeitpunkt gefunden, als er Burton noch nicht engagiert hatte. Außerdem versicherte er, dass der Kopf restaurierungsbedürftig sei und deshalb noch nicht katalogisiert wurde.
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Der GrabschatzDie Holzskulptur war nur eine von vielen Episoden in einem Verteilungskampf, der inzwischen im Tal der Könige entbrannt war: zwischen den französischen Vertretern der Antikenbehörde, die allgemein nicht gut auf die Engländer zu sprechen waren, und ägyptischen Nationalisten, die nach der Unabhängigkeit ihres Landes 1922 alle Repräsentanten der europäischen Kolonialmächte aus ihren Ämtern verdrängen wollten. Thomas Hoving (1931–2009), langjähriger Chef des New Yorker Metropolitan Museum of Art, hat 1978 aus den Akten seines Hauses den detaillierten Verlauf der Streitigkeiten rekonstruiert. Dabei wies er auch auf Ungereimtheiten in Carters offiziellen Schilderungen hin.
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Leinen | Mit Tinte ist auf diesem Tuch der Thronname von Tutanchamun und sein achtes Regierungsjahr verzeichnet, ebenso oben rechts die hohe Qualität des Textils: »gut, gut, gut«. 1907 entdeckten Ausgräber im Tal der Könige Stoffe, Körbe und Gefäße, die bei der Mumifizierung Tutanchamuns verwendet wurden. Weil die Ausgräber damals die Hälfte ihrer Funde behalten durften, gelangte dieses und andere Objekte ins New Yorker Metropolitan Museum.
Aus Sicht des britischen Archäologen betrieb die Altertümerbehörde Schikane. Sie verschärfte die Verteilungsregel, der zufolge den Ausgräbern die Hälfte der Funde zustand: Handelte es sich um ein geschlossenes und ungestörtes Fundensemble, musste es komplett in Ägypten verbleiben. Wegen dieser Klausel pochte Carter immer wieder darauf, dass Grabräuber KV62 geplündert hätten – die neue Regel also unwirksam wäre. Die Altertümerverwaltung setzte sich jedoch durch. Der Grabschatz von Tutanchamun blieb in Ägypten.
Es hatte also offenbar nichts genutzt, dass Carter in einem Leintuch eingewickelte Fingerringe als hastig weggeworfene Beute überraschter Grabräuber präsentierte. Wie die Hildesheimer Ägyptologin Regine Schulz darlegte, kann das Tuch mit den Ringen sehr wohl zu den ursprünglichen Beigaben gehört haben, die in Truhen gefüllt wurden. Hingegen überzeugt die Ansicht des Berliner Ägyptologen Rolf Krauss nicht, Carter habe das gesamte Plünderungsszenario bloß inszeniert. Aus welchem Grund? Schon als er den Zugangskorridor freiräumen ließ, waren die Spuren der Grabräuber zu erkennen gewesen.
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Carters HosentaschensammlungHeute ist ziemlich sicher, dass der damals frustrierte Carter begann, kleine Objekte aus dem Grab zu entwenden. Vielleicht entsprach das seiner Vorstellung von gerechter Fundverteilung. Thomas Hoving war überzeugt, dass einige Exponate im Metropolitan Museum aus dieser »pocket collection« Carters stammen. 2010 bemühte sich Hovings Nachfolger, die 19 Stücke dem ägyptischen Staat zurückzugeben. Es handelte sich um eher unscheinbare Objekte wie eine vergoldete Bronzerosette, eine kleine Sphinx aus Lapislazuli sowie die Bronzestatuette eines Hündchens.
Es war aber sich nicht nur Carter allein, der heimlich Objekte entwendete. Der Ägyptologe Marc Gabolde von der Université Paul Valéry – Montpellier III entdeckte bei einer Versteigerung 2015 im Londoner Auktionshaus Christie's eine Halskette aus Goldperlen. Nach Ausweis der Fotos von Harry Burton war sie ursprünglich Teil eines breiten Halskragens, der auf der Mumie von Tutanchamun lag. Weitere zugehörige Perlen aus Gold, Karneol und farbigem Glas besitzt das Saint Louis Art Museum in Missouri. Und im Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City befinden sich zwei Verschlüsse dieses Halskragens in Gestalt von Falkenköpfen.
Wie kamen Teile des Brustschmucks aus Tutanchamuns Totenstätte in diese Museen? Es ist bekannt, dass KV62 während des Zweiten Weltkriegs kaum bewacht wurde. Jemand hätte also leicht in dieser Zeit Teile des Mumienschmucks ergattern können. Der einbalsamierte Köper des Pharao, der im Grab aufgebahrt lag, war einst mit einer Harzmasse übergossen worden. Und an der Mumie haftete noch Schmuck, den Carter nicht ablösen konnte.
Carters Schilderungen von wunderbaren Dingen und ihrer Auffindung entsprachen sicher nicht ganz den Tatsachen. Er war mit Callender, Lord Carnarvon und Lady Evelyn unerlaubt ins »Allerheiligste« eingestiegen, hatte damals und wohl auch später Grabbeigaben entwendet. Das schmälert jedoch nicht die besondere Bedeutung dieses einzigartigen Funds im Tal der Könige. Bis heute sind Fachleute damit beschäftigt, die Objekte aus dem Grab zu untersuchen, zu bestimmen und zu restaurieren. Die Pharaonengruft des Tutanchamun ist und bleibt eine Jahrhundertentdeckung.
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Neue Schätze aus Tutanchamuns GrabIn jahrelanger Kleinarbeit haben Tübinger Archäologen und Restauratoren des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz 100 annähernd vollständige Goldbleche zusammengesetzt, die aus dem Grab des Pharaos Tutanchamun stammen.
Wahrscheinlich schmückten die Beschläge einst Bogenkästen, Pfeilköcher und Zaumzeug. Die Darstellungen darauf folgten offenbar einem "internationalen" Geschmack der Zeit: Neben rein ägyptischen Abbildungen fanden die Forscher auch solche, die eher für den Vorderen Orient typisch sind.
Dazu zählen Darstellungen von Tierkämpfen und Ziegen am Lebensbaum. "Vermutlich gelangten diese Motive, die einstmals in Mesopotamien entwickelt wurden, über Syrien in den Mittelmeerraum und nach Ägypten", erklärt Peter Pfälzner von der Universität Tübingen, der an der Untersuchung beteiligt war. "Dies zeigt erneut die große Rolle, die das alte Syrien für die Kulturvermittlung in der Bronzezeit spielte."
Gefunden wurden die Beschläge noch von Howard Carter selbst. Das Team des berühmten Tutanchamun-Entdeckers fotografierte die Bleche unmittelbar nach der Entnahme und verstaute sie unrestauriert in einer Kiste, in der sie jetzt die Wissenschaftler nach all den Jahren unangetastet wiederfanden.
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Mumien – Zeugen der VergangenheitÄhnliche Goldbleche mit thematisch vergleichbaren Darstellungen haben die Forscher laut ihrer Pressemitteilung auch in der Gruft der syrischen Königsstadt Qaṭna gefunden. Dort hatte ein Archäologenteam unter Pfälzners Leitung im Jahr 2002 ein ungeöffnetes Königsgrab entdeckt. Es ist nur wenig älter als das des Tutanchamun. Die Forscher stellten sich daraufhin die Frage, ob die Ähnlichkeit mehr als nur Zufall ist. Wie waren die fremden Motive auf den Goldblechen nach Ägypten gelangt? Chemische Analysen zeigten, dass die Goldbleche mit ägyptischen Motiven und die mit fremden Motiven aus unterschiedlich zusammengesetztem Goldmaterial hergestellt wurden. Womöglich wurden die fremdartigen Stücke importiert – oder lokale Werkstätten spezialisierten sich auf die Produktion eines der beiden Stile und benutzen dabei ihre eigene Materialquelle.
Die Bleche werden derzeit in einer Sonderausstellung des Ägyptischen Museum in Kairo ausgestellt und künftig im neuen Grand Egyptian Museum nahe den Pyramiden von Gizeh gezeigt.
➦ Pharaonengruft | Ein Korridor führt in das unterirdische Grab von Tutanchamun. Von der mit Möbeln, Truhen und Streitwagen gefüllten Vorkammer gehen ein kleiner Annex sowie der Sargraum ab. Darin befanden sich die ineinander geschachtelten Holzschreine und Goldsärge. Von dort öffnet sich ein Durchgang in die Schatzkammer mit dem Eingeweideschrein.
Seit der Entdeckung seines Grabes im November 1922 wurde die Mumie von Tutanchamun und das kurze Leben des Kindkönigs wissenschaftlich untersucht, doch auch nach 100 Jahren Forschung liegt noch Vieles im Dunkeln. Was man bislang weiß: Tutanchamun, sein ursprünglicher Name war Tutanchaton, wurde während der Herrschaft von König Echnaton in der späten 18. Dynastie Ägyptens, die etwa von ca. 1550 bis 1295 v. Chr. dauerte, geboren. Tutanchamun wurde als Kind im Alter von nur neun Jahren Pharao und starb bereits mit 19 Jahren.
Tutanchamuns Verwandtschaftsverhältnisse sind noch nicht vollständig geklärt. 2008 entnahm ein Team von Wissenschaftlern Knochen- und Gewebeproben von Tutanchamun und weiteren Mumien, die als Könige der damaligen Zeit bekannt waren. Sie hofften Tutanchamuns Stammbaum rekonstruieren zu können. Den Ergebnissen dieser Untersuchungen schließen sich bis heute die meisten Archäologen an. Sie zeigten: Sein Vater war die Mumie aus Grab mit der Nummer KV55, die als König Echnaton identifiziert wurde. Und Tutanchamuns Mutter war die Mumie aus Grab KV35, bekannt als "Younger Lady". Das Team berichtete, es sei zudem sicher, dass es sich bei Tutanchamuns Großeltern um König Amenophis III. und seine Ehefrau Teje handelte.
Es gibt jedoch auch Kritik von Wissenschaftlern an den damaligen Untersuchungsergebnissen. Neuere Analysen zweifeln sie an. Dass Tutanchamun eine genetische Übereinstimmung mit König Echnaton hat, gilt jedoch als sicher: Echnaton und Tutanchamun sind miteinander verwandt. Doch war König Echnaton auch wirklich sein Vater? Und wer war demnach seine Mutter? Der Ägyptologe Prof. Dr. Tarek Sayed Tawfik von der Universität Kairo: "Das ist immer noch ein großes Problem, dass wir nicht wissen, wer seine Mutter genau war. Wir wissen durch DNA-Analysen, dass Tutanchamun ein Verwandtschaftsverhältnis zu Echnaton hatte. Es wurde früher oft gesagt, dass Echnaton sein Vater war, aber wahrscheinlich ist es nicht so. Wahrscheinlich war die Mutter von Tutanchamun die älteste Tochter von Echnaton. (…) Und der Vater war vermutlich Prinz Thutmosis, ein Bruder von Echnaton." Nach dieser These hatte König Echnaton keine eigenen männlichen Nachkommen, Thutmosis war vor Echnatons Krönung bereits verstorben. Und so kam nach Echnatons Tod der junge Tutanchamun auf den Thron.
Schon als Kind wurde Tutanchamun verheiratet. Seine Gattin Anchesenamun war ebenfalls ein Kind, als die beiden heirateten. Wissenschaftler vermuten, dass Anchesenamun eine Verwandte von Tutanchamun gewesen sein könnte. Prof. Dr. Tarek Sayed Tawfik, Ägyptologe: "Es ist die Frage, ob Anchesenamun seine Halbschwester war oder nicht, aber sie kann eine Verwandte sein. Bis heute ist die Heirat von Verwandten in Ägypten gängig, das wird also nicht als Inzucht angesehen. Jedoch gab es einige wenige Fälle in der alten ägyptischen Geschichte, wo es tatsächlich Hochzeiten mit Geschwistern gegeben hat. Hauptsächlich um die Machtübergabe und das Weiterleben dieser Dynastie zu sichern."
Zeichnungen, die in Tutanchamuns Grab gefunden wurden, lassen vermuten, dass sich Tutanchamun und Anchesenamun sehr nahe waren und sich wahrscheinlich wirklich liebten. Damals war das eher eine Ausnahme. Königliche Ehen wurden nicht aus romantischen Gefühlen geschlossen, sondern meist nach rationalen Kriterien. Ein glückliches Familienleben war dem jungen Paar jedoch nicht vergönnt, lebende Nachkommen konnten Tutanchamun und Anchesenamun nicht zeugen. Zwei weibliche Föten wurden mit Tutanchamun in seiner Grabkammer bestattet, es waren seine Töchter. Anchesenamun gebar sie als Früh-, beziehungsweise als Totgeburten.
Kein Familienglück: Tutanchamun blieb kinderlos
"Dass die beiden Töchter mit Tutanchamun begraben wurden, ist ungewöhnlich. Interessanterweise ist es aber bis heute in Ägypten so, dass ein Kind, das frühzeitig oder tot geboren wird, mit den Erwachsenen der Familie zusammen bestattet wird. Im Fall von Tutanchamun kennen wir keine vergleichbaren Fälle in der altägyptischen Geschichte. (…)
Der Tod dieser beiden Prinzessinnen im fünften und siebten Monat, das muss für das Paar traumatisch gewesen sein. Und es wird auch ein Zeichen dieser liebevollen Beziehung zwischen den beiden sein, dass Tutanchamun beschließt, die beiden Früchte dieser Beziehung mit in sein Grab zu nehmen."
Tutanchamun wurde mit nur neun Jahren plötzlich König. Trotz seines jungen Alters war er wohl ein angesehener Pharao.
Wo Tutanchamun seine Kindheit verbrachte, ist nicht genau bekannt, vielleicht in der neu gegründeten Kultstadt von König Echnaton, in Tell El-Amarna. Die Stadt befand sich rund 300 Kilometer südlich von Kairo, heute ist sie eine archäologische Fundstätte. Echnaton galt als exzentrischer Visionär. Er ließ den Königshof von Theben rund 300 Kilometer nördlich nach Tell El-Amarna umziehen und taufte die Stadt Achet-Aton ("Horizont des Sonnengottes"). Echnaton wandte sich von Amun und den anderen offiziellen Göttern ab und betete stattdessen Aton an - eine altägyptische Gottheit, die in ihrer Erscheinung als Sonnenscheibe verehrt wurde. Gemeinsam mit seiner Hauptfrau Nofretete diente Echnaton Aton als Hohepriester. Auch der junge Tutanchamun wurde mit diesem Glauben erzogen. Anderen Göttern zu huldigen, verbat Echnaton den Ägyptern zu deren Missfallen.
In seiner Kindheit liebte es Tutanchamun, Bogen zu schießen und zu jagen, das belegen viele Zeichnungen in seinem Grab, in dem auch etliche Bögen und Pfeile geborgen wurden. Mit seiner unbeschwerten Kindheit war es allerdings vorbei, als König Echnaton starb und Tutanchamun mit nur neun Jahren neuer Pharao wurde. Auf den Kindkönig kamen nun viele Pflichten zu. Doch Tutanchamun wurde als Prinz auf diesen Moment vorbereitet. Er lernte unter anderem die Hiorogliephenschrift, Geographie, Mathematik und die Weltsprachen seiner Epoche.
Es ist nicht belegt, wie viel Macht Tutanchamun als Regent selber hatte. Er hatte auf jeden Fall mehrere hohe Beamte an seiner Seite, die ihn berieten und die Geschäfte im Land in die Hand nahmen. Seine prunkvollen Grabbeigaben zeigen jedoch, dass er trotz seiner recht kurzen Regentschaft, und obwohl er als Kind auf dem Thron war, das Ansehen eines Pharaos hatte. Es wurde offenbar alles standesgemäß für ihn zu seinen Lebzeiten als Pharao und nach seinem Tod auch für seine Reise in die Unterwelt getan. Experte Tarek Sayed Tawfik erklärt: "Zu Beginn war er wahrscheinlich eher eine Marionette seiner Berater, weil er noch ein Kleinkind war, das noch keine eigenen Entscheidungen fällen konnte. Aber als er dann in das Teenageralter kam, zwischen 13 und 17 Jahren, das ist ja ein rebellisches Alter bei Jugendlichen, da kann ich mir vorstellen, dass er ab dieser Zeit auch seine eigene Meinung mit ins Spiel gebracht hat. Da ist dann die Frage, ob seine eigene Meinung immer mit der Meinung seiner Berater übereingestimmt hat oder nicht. War das ein Grund für seinen verfrühten Tod?"
Tutanchamuns größter Verdienst als Pharao war die Abkehr von den radikalen religiösen Reformen von König Echnaton, die das Land destabilisierten. Während der ersten beiden Jahre seiner Amtszeit verließen, Tutanchamun und Anchesenamun, die ihn unterstützte, Amarna. Das junge Paar wandte sich von Echnatons Glauben an Aton ab, kehrte zurück nach Theben und erneuerte seine Verbundenheit mit dem Amun-Kult. Die beiden änderten ihre Namen von ursprünglich Tutanchaton („lebendes Abbild des Aton“) und Anchesenpaaton in Tutanchamun und Anchesenamun und ließen die Tempel und Heiligtümer der zuvor verbotenen Götter erneuern und vergrößern. Tutanchamun selbst besuchte den Tempel regelmäßig und huldigte Amun. Durch die Rückkehr zum alten Glauben erhielten die Priester ihre Macht zurück und auch das ägyptische Volk war wieder zufrieden.
Tutanchamuns Verdienst: Die Rückkehr zum alten Glauben
"Obwohl Tutanchamun nur kurz regierte, macht seine Regentschaft einen großen Unterschied in der ägyptischen Geschichte aus. Vielmehr, als diesem König normalerweise nachgesagt wird."
Neue Untersuchungen zeigen, aus welcher Art von Meteoriten die Klinge von Tutanchamuns Dolchs gemacht ist.
Der Brite Howard Carter fand 1922 in Tutanchamuns Grabkammern neben der Mumie des jungen Pharaos rund 5.400 Grabbeigaben: darunter zum Beispiel Tiere und Statuen aus Gold, aufwendige Schnitzereien, seine berühmte goldene Maske, Kleidung, Schuhe, Betten, Gehstöcke, Bögen, Pfeile, einen kleinen Thron, Streitwägen und auch einen sehr wertvollen Dolch.
Schon vor einigen Jahren stand fest, dass die Klinge dieses Dolchs von Meteoriten aus dem Weltall stammt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom "Chiba Institute of Technology in Japan" haben die Waffe erneut untersucht und berichteten 2022 im Fachblatt "Meteoritics & Planetary Science" über ihre Erkenntnisse.
Für ihre Untersuchungen legten sie den Dolch im Ägyptischen Museum in Kairo unter eine Fotokamera, sowie unter ein spezielles Röntgengerät, um die Verteilung der Elemente auf der Oberfläche der Klinge zu untersuchen. Dabei fanden sie sogenannte Widmanstätten-Strukturen, die typisch für Oktaedrite, die häufigste Gruppe von Nickel-Eisenmeteoriten, sind. Damit konnten die Wissenschaftler zum ersten Mal die Art des Meteorits, aus dem die Klinge des Dolchs gemacht ist, nachweisen. Die Forscher fanden auch heraus, dass die Klinge bei Temperaturen von unter 950 Grad Celsius geschmiedet wurde. Die Untersuchungen lieferten ebenfalls einige Hinweise zur Herkunft des Dolchs: Der goldene, edelsteinbesetzte Griff kann nicht aus Ägypten stammen. Die Diamanten auf dem Griff wurden mit Kalkputz angebracht, einem Material, das in Ägypten erst viel später verwendet wurde. Die japanischen Wissenschaftler vermuten deshalb, dass der Dolch möglicherweise das Geschenk eines fremden Herrschers war, das dann zum Familienerbstück wurde. Der Dolch wird erstmalig zusammen mit den rund 5.400 Grabbeigaben von Tutanchamun im neuen "Grand Egyptian Museum" bei den Pyramiden von Gizeh ausgestellt werden.
Tutanchamuns plötzlicher Tod:
Warum starb der junge Pharao so früh?
Starb der junge Pharao Tutanchamun an einer Krankheit, nach einem Unfall - oder war es Mord?
Nach nur etwa zehn Jahren an der Macht kam Tutanchamun im Alter von 19 Jahren ums Leben. Doch warum? Fest steht: Tutanchamun war nicht bei bester Gesundheit. Zeichnungen in seinem Grab zeigen ihn oft sitzend, sogar beim Bogenschießen, und auch über 100 Gehstöcke lagen in seinem Grab. Den Kindkönig plagten wohl schon in jungen Jahren einige Leiden, die wohl besonders seine Beine betrafen. Wissenschaftler vermuten, dass er unter einer Knochenkrankenheit litt und einen leichten Klumpfuß hatte. Sowohl der Klumpfuß als auch die Knochenkrankheit könnten Tutanchamun beim Gehen eingeschränkt haben, doch tödlich war beides nicht. Tutanchamun war auch mit Malaria infiziert, wie sich bei DNA-Untersuchungen herausstellte.
Die genauen Umstände seines Todes - bis jetzt bleiben sie Tutanchamuns Geheimnis. Wissenschaftler können bis jetzt nicht nachvollziehen, was - oder wer -den jungen Pharao umbrachte. Vielleicht kämpfte er mit weiteren gesundheitlichen Problemen? Vielleicht war ein schwerer Malariaanfall der Grund für seinen plötzlichen Tod? Oder ein Sturz oder ein Unfall mit einer anschließenden Infektion? Ein Bein von Tutanchamuns Mumie hatte einen Knochenbruch, der noch zu Lebzeiten passiert sein könnte. Auch die These, dass Tutanchamun ermordet worden ist, ist laut dem Ägyptologen Tarek Sayed Tawfik nicht restlos widerlegt.
Die Todesursache: Der Zustand von Tutanchamuns Mumie erschwert die Untersuchungen
"Was auffällig ist, ist, dass die Mumie insgesamt relativ schlecht erhalten ist, sie ist sehr stark beschädigt, zum Teil wegen der Ausgrabungen und zum Teil wegen der Mumifizierung. (…) Weil der Erhalt der Mumie so schlecht ist, ist eine definitive Todesursache fast unmöglich zu benennen, weil auch Teile der Mumie und auch gewisse Organe fehlen. Man kann nur Vermutungen anstellen. Aus meiner Sicht ist das Wahrscheinlichste: ein Bruch im Bereich des linken Knies mit entsprechenden Konsequenzen, die zu seinem Tod geführt haben."
Prof. Dr. Dr. med. Frank Rühli leitet das Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich und analysierte die Scans erstmals von Tutanchamuns Mumie 2005 und forscht weiterhin an Tutanchamun.
Reise ins Jenseits: Rätsel um Tutanchamuns Mumie
Zu sehen ist der Kopf von Tutanchamuns Mumie. Der junge Pharao Tutanchamun ist die Ikone des Alten Ägypten. Die Entdeckung seiner Grabkammer, seiner Mumie mit der Goldmaske und den wertvollen Grabschätzen durch den Archäologen Howard Carter machten ihn weltberühmt. | Bild: picture alliance/Photoshot
Tutanchamuns Mumie weist einige Anomalien auf.
Die Ägypter glaubten, dass der Tod eines Menschen nicht sein Ende war, sondern dass alle Menschen im Jenseits weiterlebten. Nach ihrem Glauben starb nur der Körper eines Menschen, aber sein Geist lebt weiter. Der Geist sollte den Körper im Jenseits wiederfinden, deshalb konservierten die Ägypter die Leichen, indem sie sie mumifizierten. Nicht nur Pharaonen wurden mumifiziert, sondern auch einfachere Bürger und auch einige Tiere, wie zum Beispiel Katzen und Hunde.
Die Mumifizierung erfolgte nach einem bestimmten Ritual. Es dauerte in der Regel 70 Tage, bis der Verstorbene für die Bestattung hergerichtet war. Zuerst wurde der Leichnam gewaschen und die Eingeweide bis auf das Herz entnommen. In den ersten 40 Tagen entwässerten und trockneten die Bestatter die Leiche und die Organe - die in einem eigenen Gefäß, sogenannten Kanopen, bestattet wurden - durch die Beigabe von Natron. In den 30 Tagen darauf wurde der Körper noch einmal gewaschen, mit Ölen eingerieben, und Harze aufgetragen. Anschließend wurde der Leichnam mit Leinen- und Natronpäckchen, Gewürzen, Samen, Flechten, Myrrhe, Weihrauch, Ölen, Harz, Fetten und Bienenwachs ausgestopft. Den Füllstoffen schrieben die Ägypter nicht nur einen guten Geruch, sondern auch eine konservierende Wirkung zu. Einige Körperteile wie Nägel oder die Augen wurden gesondert präpariert und der Einschnitt im Bauch, durch den die Organe entnommen wurden, geschlossen. Zum Schluss bandagierten die Bestatter die Mumie, dabei sangen Priester Zaubersprüche und legten magische Amulette auf der Mumie ab. Sie hatten eine spezielle Schutzfunktion.
Soweit die Tradition.
Tutanchamuns Mumie wies jedoch einige Besonderheiten auf: Ihr fehlte zum Beispiel das Herz, was für eine Mumie unüblich war. Außerdem wurde Tutanchamuns Penis in einem 90 Grad Winkel einbalsamiert - die einzige Mumie, an der dieses Begräbnisritual bisher festgestellt werden konnte. Wissenschaftler vermuten, dass dies an den verehrten Totengott und Gott der Widergeburt Osiris erinnern sollte.
Tutanchamuns Mumie: Eine Erinnerung an Osiris?
"Zu Zeiten von König Echnaton gab es keinen klaren Jenseitsglauben. Eine der Haupterrungenschaften von Tutanchamun ist es, dass er nicht nur den Gott Amun wieder zu Ruhm bringt, sondern auch den Jenseitsglauben wieder zurückholt. Und der Jenseitsglaube ist sehr stark mit dem Totengott Osiris verbunden. Und wenn er hier als Osiris dargestellt wird - und die Idee mit dem aufgerichteten Penis hat mit der Idee der Wiedergeburt zu tun - dann ist also der gesamte Jenseitsglaube wiederhergestellt."
Prof. Dr. Tarek Sayed Tawfik ist Ägyptologe, lehrt an der Archäologischen Fakultät der Universität Kairo und ist ehemaliger Direktor des 'Grand Egyptian Museum'.
Es wurden Tutanchamun allein 31 Sitzgelegenheiten mitgegeben, vom goldenen Thronsessel bis zu schlichten Hockern. 145 Roben, Kilts, Tuniken und Lendenschürze garantierten ein standesgemäßes Auftreten, hinzu kamen Handschuhe, Gürtel und Langhaarperücken und natürlich Insignien wie Krummstab und Zepter sowie 35 Paar Schuhe und 130 Gehstöcke, die er im Leben wegen einer Missbildung am linken Fuß wohl gebraucht hatte.
Forscher haben errechnet, dass die kostbaren Gefäße an die 350 Liter Parfüme, Öle und Salben enthalten haben müssen. Sorgten Berge an Schmuck für ein feines Äußeres, zeigten die 116 Körbe mit Nahrungsmitteln, welche Früchte und Gewürze im Nilland auf den Tisch kamen. Gerste und Weizen konnten auch für die Herstellung von Bier dienen. 48 Gefäße belegen die Beliebtheit von Rindfleisch und Geflügel.
Sechs Wagen sicherten die Mobilität, Spiele und Musikinstrumente die Unterhaltung. Das Waffenarsenal mit acht Schilden, zwei Schwertern, 44 Bögen und Hunderten Pfeilen lässt ahnen, wie die Armeen des Neuen Reiches ausgerüstet waren. Ein Dolch wurde aus dem Eisen eines Meteoriten gefertigt, denn die Aufbereitung des Elements aus irdischen Quellen war noch nicht erfunden.
Als Tutanchamun um 1323 v. Chr. dieser Dolch ins Grab gelegt wurde, war Eisenverhüttung in Ägypten noch unbekannt
Diese Fülle war in ein 80 Quadratmeter großes Grab gepfercht, das gar nicht für die Aufnahme eines Pharaos gedacht gewesen war. Aber da der Herrscher wohl keine 20 Jahre alt wurde, baute man flugs eine Anlage um, die sich ein hoher Beamter beizeiten in den Fels hatte treiben lassen. Die geringen Ausmaße und der Schutt höher gelegener Gräber gaben Tutanchamuns Totenhaus die Chance, unerkannt zu bleiben.
Das kleine Grab passt zu der politischen Rolle, die der jugendliche Pharao zu Lebzeiten gespielt hat. Nach jüngsten DNA-Untersuchungen von Mumien war er der leibliche Sohn von Pharao Amenophis IV., genannt Echnaton, und einer Nebenfrau, die zugleich eine Schwester von ihm war. Danach wäre also Echnatons Hauptfrau Nofretete nicht die Mutter gewesen. Allerdings ist die Identifikation der Mumien keineswegs eindeutig.
Das gab dem britischen Archäologen Nicholas Reeves 2015 die Chance, hinter Tutanchamuns Sargkammer das Grab Nofretetes anzunehmen. Bodenradar-Untersuchungen haben die Existenz von Hohlräumen wahrscheinlich gemacht. Da für deren Analyse aber die bemalten Wände eingerissen werden müssten, bleibt es bei Spekulationen, vorerst. So kann weiterhin von unentdeckten Geheimnissen des Pharaos geträumt werden.
Die Karriere Tutanchamuns (reg. 1332–1323 v. Chr.)
Das Neue Reich der 18. Dynastie war ein Imperium, das vom Sudan bis Syrien reichte. Pharao Echnaton hatte eine religiöse Revolution initiiert, indem er den Sonnengott Aton zum alleinigen Reichsgott erhob. Nach einer mehrjährigen Regentschaft gelangte sein Sohn Tutanchaton („lebendes Abbild des Aton“) als etwa Achtjähriger um 1332 v. Chr. auf den Thron. Unter ihm konnte die mächtige Amun-Priesterschaft die alten Götter restituieren, was die Annahme des Namens Tutanchamun („lebendes Abbild des Amun“) zeigt.
Inzest, Unfall, Mord – die vielen Tode TutanchamunsDie Regierungsgeschäfte führten der Großwesir und der Oberbefehlshaber des Heeres. Der junge Pharao war wohl mit einer Schwester verheiratet, zwei weibliche Föten im Grab könnten seine ungeborenen Kinder sein. Theorien über die Todesursache des Pharaos gibt es viele – von einer Seuche über Unfall und Wundbrand bis zum Mord.