📝 Durch künstliche Intelligenz vollziehe sich der "Tod des Autors" ein zweites Mal.
Das habe auch politische Konsequenzen.
Wir leben in Zeiten, die uns einiges Kopfzerbrechen bereiten. Deshalb fragen wir in der Serie "Worüber denken Sie gerade nach?" führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Stimmen des öffentlichen Lebens, was sie gegenwärtig bedenkenswert finden.
Worüber denken Sie gerade nach?Ich denke gerade darüber nach, welche Auswirkungen KI-Sprachmodelle wie ChatGPT oder Bard auf Sprache als gesellschaftliches, politisches und literarisches System haben. Als Literaturwissenschaftler beschäftige mich insbesondere mit dem Prinzip der Autorschaft. Und ich glaube, dass es hier einerseits viele Anschlüsse an bereits bestehende Konzepte seit dem Aufkommen automatisierter Textsynthese gibt. Andererseits ist das, was wir im Augenblick erleben, absolut neu und durch keine Theorie zu erklären, die wir schon haben.
Was unterscheidet die Textproduktion neuerer KI von der alten Robotersprache?In älteren Modellen war Sprache immer schon in einem bestimmten Satz an Regeln niedergelegt. Und da stieß man schnell an Grenzen, weil Sprache eben immer mehr ist und nie völlig regelhaft. Heute haben wir es mit statistischen Sprachmodellen zu tun. Man muss im Grunde gar nicht mehr wissen, wie ein Satz aufgebaut ist, sondern man sammelt einfach unglaublich viele Arten von Beispieltexten, analysiert sie und lässt dann ausgeben, was dem Input statistisch nahekommt. Und erst mit dieser Art undiszipliniertem Ansatz gelangt man plötzlich zu solchen eindrucksvollen Ergebnissen wie denen, die ChatGPT ausspuckt.
Schon heute ist die Maschinensprache der menschlichen Sprache verblüffend ähnlich.
Es handelt sich nicht um Sprache in der vollen Bedeutung des Begriffs, es ist eher eine Sprachsimulation. Volle welterschließende Sprache lässt sich in den neuen KI-Sprachmodellen nur annäherungsweise finden. Aber annäherungsweise und eben nicht nicht. Und ich glaube, das ist das Neue. Bis vor fünf Jahren hätte die KI-Forschung wahrscheinlich noch gesagt: Wir können Bedeutung nicht generieren oder, wenn überhaupt, dann nur parasitär – es mag für uns Sinn ergeben, aber nicht für den Computer. Ich denke, wir sind heute weiter. Ich glaube, wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, wo es so etwas wie gradierte Bedeutung gibt.
Sprachmodelle codieren Sprache als Vektoren in einem vieldimensionalen Raum. Man kann sich das vorstellen wie eine Punktwolke, in der das Verhältnis zwischen den Punkten, die in diesem Fall Wörter oder Morpheme sind, Schlüsse erlaubt, die über das hinausgehen, was man als Input hineingegeben hat. Ein klassisches Beispiel wäre: König – Mann + Frau = Königin. Dass hier auf einmal eine Kategorie wie Gender auftaucht, die vorher nur implizit war, jetzt aber explizit ist, lässt uns annehmen, dass es eine Art von "dummer Bedeutung" gibt.
In der Diskussion um KI springt man immer schnell zu den Kategorien wie Bewusstsein, Intelligenz, Menschenähnlichkeit. Ich glaube, man kann sich darauf einstellen, dass man es hier mit einer Art von Rationalität zu tun hat, die einerseits über das hinausgeht, was man mit den alten, regelbasierten Systemen machen konnte, andererseits eben doch nicht menschengleich ist. Der Mensch bleibt im Hintergrund notwendig, um überhaupt zu verstehen, was Bedeutung ist. Der ganze Antihumanismus der letzten vierzig, fünfzig Jahre, der heute in den Posthumanismus eingelaufen ist, wird durch die nicht menschliche Intelligenz der KI sozusagen wieder ein wenig infrage gestellt: Der Mensch kehrt zurück, indem er als stete Vergleichsgröße herangezogen wird. Dumme Bedeutung heißt dann: mehr und weniger als menschliche Bedeutung. Anders gesagt: Referenz auf die Welt und reines Zeichensystem.
Klassischerweise sind Programme Symbolsysteme, die in sich geschlossen sind. Wenn in dem System etwas "Katze" heißt, dann hat es mit echten Katzen nichts zu tun. Es ist lediglich ein Symbol, es hätte auch anders heißen können. Dadurch hingegen, dass es bei KI tatsächlich um Daten aus der Welt geht, sowohl visuelle als auch textuelle Daten, hat man im Grunde eine Verweiskette, eine indexikalische Beziehung zwischen dem, was als Input reingeht, und dem, was als Output rauskommt. Und diese indexikalische Bedeutung ist etwas anderes als eine rein arbiträre Beziehung. Sie verweist in einer Kette von Datenverbindungen zurück auf die Welt.
Wie können wir dann überhaupt noch unterscheiden, was natürliche und künstliche Sprache ist?Unser lebensweltliches Verständnis von Text wird sich in Zukunft fundamental verändern. Denn schon heute ist eine Situation eingetreten, in der ich mir nicht mehr sicher sein kann, ob der Autor ein Mensch oder eine Maschine ist. Wir haben es mit postartifiziellen Texten zu, wie ich das nenne. Es ist ab diesem Punkt schlicht nicht mehr beweisbar, was natürlicher, menschlicher Text ist und was artifizieller, maschinengenerierter Text. Und wenn der Zweifel an der Herkunft erst mal eingetreten ist, lässt er sich nicht mehr abschaffen. In der Literaturwissenschaft spricht man seit dem französischen Poststrukturalismus vom "Tod des Autors". Nun scheint es, als sei der Autor ein zweites Mal totgeschlagen worden, diesmal durch die KI.
Und doch haben wir in den letzten Jahren etwas ganz anderes erlebt – eine große Feier der Autofiktion und damit eben auch des natürlichen Textes, von Autorschaft und Weltbezug.
Das wird ein interessanter Aushandlungsprozess werden. Ich versuche gerade selbst, einen Roman mit KI zu schreiben. Es ist ein Experiment: Ich habe die KI mit vier aktuellen Gegenwartsromanen trainiert – alle mit inhaltlichem Digitalbezug. Und jetzt schreibt die KI in diesem Stil – oder versucht es zumindest. Das ist ästhetisch und literaturwissenschaftlich aufschlussreich: Dieser Stil ist ein Amalgam, das nicht mehr aus einem Autor besteht, sondern aus vier Stimmen. Gleichzeitig ist es auch eine Umkehrung der Digital Humanities, indem man die Analyse zur Synthese macht, der Output also Rückschlüsse auf den Input erlaubt. Und schließlich erfährt man auch etwas über die Arbeitsweise der KI, die nämlich eigentlich nicht erzählen kann, es aber auf Teufel komm raus trotzdem versucht. Das ist auch ein großer Spaß.
Ich glaube nicht, dass Computer Künstler sind, und zwar prinzipiell nicht. Aber ich denke, dass Kollaborationen wichtiger werden. Es geht nicht darum, dass der Computer der Autor ist. Sondern die Verbindung zwischen beidem – Autor und KI –, die beide sichtbar lässt.
Wäre nicht eine Fusion von menschlichem und artifiziellem Autor folgerichtig?Es ist und bleibt eine hierarchische Kollaboration. Es ist keine gleichberechtigte Zusammenarbeit. Man könnte sich überlegen, was passieren muss, damit sie tatsächlich gleichberechtigt wäre. Das ist wahrscheinlich kein technisches Problem, sondern eine Frage gesellschaftlicher Anerkennung: Computer müssten Akteursstatus haben, um Kunst zu machen. Und den haben sie bisher nicht, ganz gleich, wie "schlau" sie sind. Hätten sie ihn, könnte auch ein dummes System möglicherweise ein Subjekt sein – und damit eben auch Kunst schaffen.
Welche politischen Konsequenzen sind damit verbunden, wenn der Zweifel an der Herkunft eines Textes oder eines Bildes bald nicht mehr prinzipiell ausgeräumt werden kann?Normalerweise geht es bei diesen Diskussionen immer um Deepfakes, also um Manipulationen, oder um Bias, also um die Rassismen, die schon in der Sprache enthalten sind, mit der die KI trainiert wird. Was mich daran interessiert, ist, dass Sprache das politische Medium per se ist. Und was man da beobachtet, ist eine Privatisierung von Sprachtechnologie, weil es nur eine Handvoll Techunternehmen gibt, die große Sprachmodelle herstellen können. Dadurch wird Sprache aber als Medium von Meinungsaustausch und öffentlichem Diskurs zu einer Ware, die keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegt. Und das finde ich gefährlich.
Techexperten mahnen neuerdings zu einem KI-Moratorium. Wäre das eine Lösung?In der Techbranche warnt man schon lange davor, dass die KI zu intelligent werden und dann die Menschheit ersetzen könnte. Und deshalb will man eine KI schaffen, die aligned, also in Harmonie mit den menschlichen Interessen ist. Aber auch hier gilt: Das wird als neutrales, rein technisches Projekt betrachtet und eben nicht als Gegenstand von Politik. Dabei wäre diese Politisierung unbedingt notwendig. Denn jedes Sprachmodell muss immer gefiltert werden, muss zensiert werden, muss trainiert werden. Und in welche Richtung man es drängt, ist eine politische Entscheidung. Man muss sich klar werden, dass die Macht über Sprache und Sprachmodelle in Zukunft die Macht über Politik sein wird. Und die Aushandlung der Kriterien muss öffentlich sein. KI-Sprachmodelle haben selbst keinen Sinn fürs Politische.
Da wir „die“ Sprache als ein Medium verstehen, das sich als eine gebrauchsfertige Anlage des Gedankenarchivs im Sinne einer symbolischen Ordnung sämtlicher Weltdinge anbietet, steht somit auch fest, daß sie „eigene“ Eigenschaften ins Sprechen und Schreiben hineinträgt: Wäre es also naiv, zu glauben, sie bestünde ihrerseits aus „wertfreien“ Bauteilen, die nicht schon – bedeutungs-vorgeprägt – eine Meinung, einen „Stil“ oder eine Diktion bedienten, so sind eigentlich Bajohrs „Sprachmodelle“ ohnehin naheliegend. Etwas despektierlich, könnten diese „Sprachmodelle“ als phrasenbildende Systeme verstanden werden, die im Sinne jeweils geläufiger Verwendungen jene Denkarbeit ersparen, welche sprachintern bereits „geleistet“ wurde und unkritisch mitläuft; Sprachgebrauch vollzieht sich (üblicherweise) immer in einem spezifischen Jargon, der vor allen dessen Benützern unbemerkt bleibt. So ist es eigentlich nicht wunderlich, dass „künstlicher Intelligenz“ der Umgang mit solchen Jargons beigebracht werden kann, wunderlich allerdings, dass wir Menschen uns nunmehr „ertappt“ fühlen, wenn wir merken, dass die „APP“ die gleichen Phrasen verwendet wie wir. Das Problem des „Autors“, besonders des „Poeten“, war es hingegen immer schon gewesen, auf solche Weise GEGEN die Sprache zu arbeiten, damit zum Ausdruck kommt, was sie gar nicht ausdrücken kann, ihr eigendynamisches „Mitreden“ dagegen unterlässt; was das betrifft, scheint die KI - Konkurrenz des Autors eher hilflos und wird es wohl bleiben.
Es gibt keine "Künstliche Intelligenz" der Begriff ist eine Chimäre, da er sich aus Erfahrungswerten speist, die menschlichen Ursprungs sind. Dies gilt für alles Wissen, das die Menschheit jemals angehäuft hat. In diesem Wissen sind Regeln und Moralinstanzen menschlicher Erfahrung das Mass der Intelligenz (diese werden natürlich auch von Individuen missachtet, keine Frage, jedoch kann hierüber immer wieder Evidenz und damit weiteres moralisches Wissen und moralische Intelligenz hergestellt werden...). "KI" basiert auf statistischen, also rein quantitativen Daten, die zudem rein digital erfasst werden, die zwischenmenschliche direkte Kommunikation ist nur über digitalisierte Sprache oder illegal erworbene Transkripte aus der " echo dot", "Alexa" und offenen Mikros der Hardware der Digitalwirtschaft/"Unterhaltungseletronik". "Künstliche Intelligenz" ist nichts anderes als Künstliche Ambivalenz, da nicht einmal nachprüfbar ist, wer oder was die "Information", die digital auf der gesamte Welt abrufbar ist, generiert hat "Bot oder nicht Bot, das ist hier die Frage!...Einer Überprüfung durch menschliche Wissenschafts- oder Moralinstanzen,gerade durch den direkten Rezipienten, entzieht sie sich somit völlig!
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Der Tod des Autors ist ein in der Literaturtheorie insbesondere poststrukturalistischer Prägung vertretenes Konzept, das die klassische Idee der völligen Kontrolle des Schriftstellers über seine eigene Schöpfung in Zweifel zieht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tod_des_AutorsWas Foucault hier als Funktion Autor definiert, wird von ihm als ein Konstrukt analysiert. Es handelt sich um einen Ordnungs- und Aussschließungsmechanismus, der dem Autordiskurs zu eigen ist. So hat der Autor die Funktion, Texte zu gruppieren und diese Texte einem vernunftbegabten individuellen Subjekt zuzuordnen.
Macht ist produktiv und produziert Wirkliches: Sie produziert Wissen um das Individuum, Wahrheitsrituale und Gegenstandsbereiche. Foucault beschreibt Macht oft in Metaphern des Kriegs und in Umkehrung von Carl von Clausewitz als „Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Michel_Foucaulthttps://de.wikipedia.org/wiki/Macht/Wissen
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Barthes, Foucault und der "Tod des Autors"Hintergründe und Differenzen einer Debatte
1 Prolog
2 Einordnung der Debatte
2.1 Der „Tod des Autors“: Ein poststrukturalistisches Theorem?
2.2 Barthes, Foucault und die „Generation des Strukturalismus“
2.3 Barthes und die „alte Kritik“
3 Charakterisierung der Akteure
3.1 Quereinsteiger und Provokateur: Roland Barthes
3.2 Vermittler mit „klassischer“ Laufbahn: Michel Foucault
4 Genre und Ort
4.1 Barthes „Essay-in-a-box“ und das Aspen Magazine
4.2 Vorläufiges Nachdenken: Foucaults Vortrag am Collège de France
5 Barthes Provokation: Der Tod des Autors
5.1 „Vorgeschichte der Moderne“: Periodisierung und Selbstverortung
5.2 Das hintergründige Rauschen anderer Stimmen
5.3 Reichweite und Konsequenz des Postulats
6 Foucaults Kritik: Was ist ein Autor?
6.1 „All das ist bekannt“ – Neupositionierung Barthes
6.2 Blockaden: Werk-Begriff und écriture
6.3 Autorfunktion und Selbstbezug
https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Barthes
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PrologIn dem Maße, wie eine bestimmte Moderne [...] Mallarmé (
https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A9phane_Mallarm%C3%A9) und sein Verhältnis zur Literatur wiederaufgriff, entstand eine Neigung, den Autor zugunsten des Textes auszulöschen. [...] Es war die sehr fruchtbare Zeit des literarischen Strukturalismus, der Semiologie; ich selbst, als Zeichen dessen, was ich sage, habe damals einen Artikel verfaßt, dessen Titel diese Tendenz zusammenfaßt: „Der Tod des Autors“.
Dies alles klingt, Jahre nach Erscheinen des besagten Artikels, seltsam zurückhaltend und bescheiden. In der Tat verpasste Roland Barthes mit seiner provokanten Verkündung einer „Tendenz“ gewissermaßen den programmatischen wie prägnanten Slogan. Darüber hinaus sorgte er indirekt dafür, dass das Konzept und die Rede vom „Tod des Autors“ noch heute große Popularität weit über die (universitären) Grenzen literatur-, kultur- und medientheoretischer Debatten hinaus zu genießen scheint: Etwa als Lemma eines Lexikons der Literatur- und Kulturtheorie, als Titel eines parodierenden Romans und nicht zuletzt als Thema in der Musik, wie die eingangs zitierten Zeilen aus einem aktuellen Song der deutschen Band „Tocotronic“ beispielhaft illustrieren sollen. Gleichzeitig sind, spätestens seit Ende der 1980er Jahre, Fragen nach der Reichweite des Postulats und der „Rückkehr des Autors“ immer wieder Gegenstand zumeist literaturtheoretischer Auseinandersetzungen.
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass jene Konzepte, die gemeinhin mit postmoderner Theoriebildung in Verbindung gebracht werden – wie auch das berühmte „anything goes“ –, oft nur als Phrasen im Umlauf sind, deren vermeintliche Prägnanz sich bei näherem Hinsehen als missverständliche Verknappung und bisweilen Vermischung verschieden motivierter Ansätze herausstellt. Zwar wird in der Regel betont, dass der „Tod des Autors“ nicht nur von Barthes allein, sondern aus jeweils anderer Perspektive mal mehr, mal weniger explizit auch von Julia Kristeva und Michel Foucault formuliert wurde. Dennoch gewinnt man den Eindruck, es habe zwischen den drei routinemäßig Genannten, mindestens aber dem „Gespann“ Barthes und Foucault , um deren Texte es hier gehen soll, Absprachen oder gar ein gemeinsam verfolgtes Projekt gegeben. Dafür können mindestens drei Gründe angegeben werden: Erstens steht die Rede vom „Tod des Autors“ in direkter und fast untrennbarer Verbindung – in Reihenfolge und Relevanz variierend – mit den Namen Barthes und Foucault, wie die beiden folgenden Beispiele verdeutlichen sollen:
Zusammen mit Michel Foucaults Was ist ein Autor? ist Der Tod des Autors des Franzosen Roland Barthes (1915–1980) das wohl einflussreichste Plädoyer für eine Verabschiedung des Autors aus der Interpretation literarischer Texte.
Für die polemische Diskussion über den vermeintlichen Tod des Autors vor allem im sogenannten Bereich der poststrukturalistischen Ästhetik sind zwei Texte fundamental geworden: Roland Barthes’ La mort de l’auteur (1968) und Michel Foucaults Qu’est-ce qu’un auteur (1969).
Daran anschließend werden zweitens die Ansätze Barthes und Foucaults gewöhnlich unter dem Kennzeichen der „poststrukturalistischen Autorkritik“ zusammengefasst und, mit der Formel vom „Tod des Autors“ versehen, als ein zentrales Theorem des Poststrukturalismus betrachtet. Dies erscheint vor allem dann problematisch, wenn man den „(französischen) Poststrukturalismus“ als ein theoretisches Konstrukt der 80er und 90er Jahre des 20. Jahrhunderts versteht, das für den unmittelbaren Äußerungszusammenhang der hier untersuchten Texte zunächst gar keine Rolle spielt. Drittens schließlich werden die Überlegungen Barthes und Foucaults zum Autor zwar häufig thematisiert, seltener aber oder nur unzureichend und ungenau mit den entsprechenden Kontextinformationen versehen. Der so oder ähnlich knapp formulierte Hinweis auf die „68er Bewegung“ kann dafür als typisch gelten.
Da der Fokus hauptsächlich auf den Gemeinsamkeiten – die es ja zweifellos gibt – beider Positionen zu liegen scheint, drängt sich unweigerlich die Frage auf, worin sich Barthes Essay Der Tod des Autors und Foucaults Vortrag Was ist ein Autor? denn überhaupt unterscheiden? Und daran anschließend: In welchem größeren Zusammenhang stehen sie, wo und wie werden sie hervorgebracht? Welche Strategien?
Um diese Fragen zu beantworten, sollen zunächst auf textexterner Ebene theoretische Voraussetzungen geklärt, die Akteure charakterisiert, sowie Genre und Publikationsort beider Texte beleuchtet werden. Besonders hier lässt sich zeigen, dass das Aufkommen der Rede vom „Tod des Autors“ weniger Ergebnis einer genuin poststrukturalistischen Theoriebildung ist, sondern eher im Rahmen zweier unterschiedlicher Debatten von begrenzter Dauer betrachtet werden muss. Daran anknüpfend, sollen auf textinterner Ebene die Diskussionsbeiträge Barthes und Foucaults untersucht werden. Hierbei geht es jedoch nicht so sehr um eine detaillierte, inhaltliche Auslegung der Texte, sondern vielmehr um bestimmte Strategien: Selbstpositionierung innerhalb der Debatte, Reichweite des Autorbegriffs und externe Anknüpfungspunkte. Ziel ist es zu zeigen, dass die Texte, obwohl beide dem strukturalistischen Umfeld entstammen, hinsichtlich ihrer Äußerungs- und Publikationskontexte, sowie in ihrer formalen Anlage und Rhetorik, zunächst nur wenige Gemeinsamkeiten aufweisen und – im Hinblick auf Foucault – den Anschein eines gemeinsamen Projekts gerade zu vermeiden suchen. Abschließend sollen die Ergebnisse noch einmal zusammengefasst werden.
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2 Einordnung der Debatte 📝
2.1 Der „Tod des Autors“: Ein poststrukturalistisches TheoremWenn der „Tod des Autors“ zu den zentralen Themen des Poststrukturalismus gerechnet wird, so ist damit gleichzeitig auch die Annahme verbunden, es handle sich dabei um ein in sich geschlossenes Konzept einer theoriebildenden Gruppe – den „Poststrukturalisten“ –, die Hypothesen über bestimmte Sachverhalte miteinander teilt. Anders gesagt: Es gebe ein Theorem „Tod des Autors“, über dessen Implikationen bei den Poststrukturalisten Konsens bestehe. Die Probleme fangen jedoch schon beim vermeintlichen „Poststrukturalismus“ französischer Prägung selbst an, der sich mit Angermüller auch als „internationales Missverständnis“ bezeichnen ließe. Denn im Gegensatz zum selbstverständlichen internationalen Gebrauch im intellektuellen Diskurs, wurde und wird der Begriff „Poststrukturalismus“ in Frankreich – zumindest in seiner hier geläufigen Form – gar nicht verwendet. Er ist vielmehr das Produkt einer in erster Linie angloamerikanischen, später international anerkannten Wahrnehmung, die in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehrere theoretische Positionen zu einer poststrukturalistischen Bewegung verknüpfte, welche zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nur wenig miteinander zu tun hatten.Gemeint sind damit die Texte kanonischer Autoren, die allgemein als „poststrukturalistisch“ gelten, wie etwa Lacan, Althusser, Foucault, Derrida, Barthes oder Kristeva. So ergeben sich zwei Lesarten ein- und desselben Textkorpus: International wird er eher als Ausdruck einer homogenen Gruppe von französischen Intellektuellen aufgefasst, aus französischer Perspektive hingegen mehr als eine lose Sammlung von Aussagen einzelner Theoretiker, die stark an ihre Entstehungszeit gebunden sind. Aus diesem Grund erweist sich die Bestimmung zentraler Theorien und Inhalte des Poststrukturalismus als besonders schwierig, da diese nicht in erster Linie auf gemeinsamen Annahmen, sondern auf umstrittenen Fragen beruhen.
Ebenso problematisch ist die im Nachhinein vollzogene Abgrenzung zwischen Strukturalisten und Poststrukturalisten, die versucht, bestimmte theoretische Vorstellungen und Herangehensweisen der Akteure zeitlich zu ordnen. Strukturalistisch hieße dann beispielsweise, Texte als in sich geschlossene, von bestimmten Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten abhängige Gebilde zu betrachten; poststrukturalistisch hingegen, Texte als unberechenbare und allseitig offene Zeichenspiele zu verstehen. Es soll keinesfalls bestritten werden, dass Verschiebungen und Erweiterungen stattgefunden haben, die man heute mit guten Argumenten als noch strukturalistisch oder schon poststrukturalistisch charakterisieren kann. Aber um solche Differenzierungen überblicken und bewerten zu können, bedarf es der zeitlichen Distanz. In der französischen Diskussion der 1960er Jahre jedoch würden beide Textbegriffe bestenfalls als strukturalistisch geprägt aufgefasst. Hier geht es vielmehr darum, dass beispielsweise Kafitz und andere den Poststrukturalismus vor allem als Reaktion auf den Strukturalismus begreifen, als seine Weiterführung, Kritik und Dekonstruktion. Damit wird die Vorstellung transportiert, die vermeintlichen theoretischen Konzepte des Poststrukturalismus seien letztlich nichts anderes, als Ergebnis der Auseinandersetzung mit strukturalistischen Thesen. Das trifft für den „Tod des Autors“ aber nur bedingt zu, da er – wie noch gezeigt werden soll – eben nicht nur ein strukturalistischer Diskussionsbeitrag ist, sondern zugleich das Ende einer Auseinandersetzung zwischen Barthes und Vertretern der traditionellen akademischen Literaturwissenschaft in Frankreich markiert.
Damit lassen sich schon zwei wichtige Schlüsse ziehen: Will man Barthes "Der Tod des Autors" und Foucaults "Was ist ein Autor?"?
In ihrem historischen Kontext betrachten, macht es vorerst wenig Sinn, sie unter einem poststrukturalistischen Paradigma zu vereinen. Stattdessen könnte als zentraler theoretischer Einfluss oder Bezugspunkt beider, wenn auch verschieden akzentuiert, die „hegemoniale Dominanz der strukturalen Zeichentheorie“ im Anschluss an Saussure betrachtet werden, deren Implikationen hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden sollen. Weiterhin lässt sich die Diskussion um den „Tod des Autors“ – hebt man die Differenzen beider Standpunkte hervor – als Teil einer strukturalistischen Debattenkultur verstehen, deren Ziel nicht der kleinste gemeinsame Nenner oder ein geschlossenes theoretisches Produkt, sondern die Forcierung und Etablierung der jeweils eigenen Position ist. Innerhalb dieser Kultur werden dann bestimmte Positionen aufgegriffen, weiterentwickelt oder verworfen.
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2.2 Barthes, Foucault und die „Generation des Strukturalismus“Wichtiger als die genaue Zuordnung zu einem theoretischen Denkstil oder einer homogenen Gruppe scheint in diesem Zusammenhang zu sein, Barthes und Foucault als Protagonisten in einem strukturalistischen Umfeld zu betrachten, dass von zahlreichen Einflüssen und Konflikten geprägt ist. Es bildet zugleich den Hintergrund für die Debatte um den „Tod des Autors“. Man kann daher – mit Angermüller – Barthes und Foucault als Angehörige einer „Generation des Strukturalismus“ bezeichnen, denen bestimmte historische Ereignisse als gemeinsame Bezugspunkte dienen: Interdisziplinär rezipierte Ansätze wie die Linguistik Saussures, der Marxismus und Freuds Psychoanalyse, sowie die politische und akademische Umbruchsituation in Frankreich um das Jahr 1968 herum. Diese Ereignisse stellen Angriffe auf wesentliche Überzeugungen des Humanismus dar, weshalb man im Zusammenhang mit den theoretischen Projekten der strukturalistischen Generation gelegentlich auch vom französischen Antihumanismus spricht.
Im Fokus der Humanismus-Kritik steht insbesondere die Frage nach der Autonomie des Subjekts, die von mehreren Seiten mit seiner Dezentrierung beantwortet wird. Die Diskussion um den „Tod des Autors“ bildet somit einen Teilaspekt der umfassenden Subjektkritik, an der unter anderem Lacan und Foucault mit jeweils eigenen Projekten partizipieren, auf die sich wiederum Barthes bezieht. In diesem Sinne kann man die Rede vom „Tod des Autors“ – wie Barthes – als griffige Zusammenfassung einer strukturalistisch geprägten Tendenz betrachten, „den Autor zugunsten des Textes auszulöschen.“ Zudem ist Barthes Essay selbst ein weiterführender Diskussionsbeitrag einer Debatte, an der auch Foucault mit seinem differenzierenden Vortrag zum Autor teilnimmt. Daraus entsteht schließlich die Vorstellung, es existiere ein poststrukturalistisches Konzept vom „Tod des Autors“, wobei dessen Zugehörigkeit zu einem weiteren Diskussionszusammenhang übersehen wird.
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2.3 Barthes und die „alte Kritik“Bereits Mitte der 1960er Jahre spitzt sich in Paris eine Kontroverse zwischen Vertretern der universitären Literaturwissenschaft und der nouvelle critique zu, die sich an Barthes 1963 erschienenem Buch Sur Racine entzündet, das drei schon früher publizierte Essays über den französischen Dramatiker Jean Baptiste Racine enthält. Die Hauptrollen dabei spielen Raymond Picard, Professor für französische Literatur an der Sorbonne und Roland Barthes, der mittlerweile ebenfalls Professor an der Pariser Ecole des Hautes Etudes ist. Ein wesentlicher Streitpunkt der Auseinandersetzung, die von einem breiten Medieninteresse begleitet wird, ist Barthes Literaturverständnis jener Zeit, das Literatur nicht als reine Abbildung von Geschichte betrachtet, sondern als deren Hinterfragung und Verformung. Die bisherige Literaturgeschichte müsse demzufolge einer Funktionsgeschichte der Literatur weichen.
Interessant sind hierbei vor allem jene Ansichten Barthes, die den Praktiken einer positivistisch orientierten Literaturwissenschaft, wie sie Picard verkörpert, zuwider laufen. Deren Ziel ist es, die dem literarischen Werk zugrunde liegende, wahre Bedeutung zu entdecken. Genie und Intention des historischen Autors stellen dabei die wichtigsten Bezugsgrößen der Interpretation dar. Barthes will stattdessen zeigen, dass Interpretationen zwar mehr oder weniger plausibel, niemals aber verbindlich und überzeitlich gültig sein können: Ein Angriff auf die dogmatische Festlegung von Sinn. Dazu bedürfe es einer Literaturkritik, die ihren Gegenstand sowohl in zeitgenössischen, als auch in den Klassikern des französischen Literaturkanons findet, welche sie mit Hilfe der existentialistischen, marxistischen, psychoanalytischen und strukturalistischen Denkansätze neu kontextualisiert. Barthes energisches Eintreten für einen offenen, dabei aber nicht beliebigen Umgang mit den Klassikern steht im deutlichen Gegensatz zur konservativen akademischen Literaturgeschichtsschreibung, die „die kanonisierten literarischen Werke [...] als nationales Kulturerbe verehrt und so zugleich musealisiert.“
In zweierlei Hinsicht ist die Auseinandersetzung zwischen Barthes und Picard für das Verständnis von Der Tod des Autors und die sich anschließende Debatte wichtig. Zum einen verwirft Barthes schon während des Streits die von der akademischen Literaturwissenschaft vertretene Überzeugung, der Autor sei Dreh- und Angelpunkt jeder Literaturbetrachtung, denn[...] wie könnte denn die Wissenschaft von einem Autor sprechen?
[...] Ich weiß, daß wir heute im allgemeinen dazu neigen, uns vom Schriftsteller die Bedeutung seiner Werke angeben zu lassen. Daher die vielen unsinnigen Fragen, die der Kritiker an den toten Schriftsteller richtet, an sein Leben, an die Spuren seiner Absichten
[...]. Man will um jeden Preis den Toten zum Sprechen bringen – oder seine Substitute: seine Epoche, die Gattung, den Wortschatz, kurz alles, was für den Autor zeitgenössisch war [...].
https://de.wikipedia.org/wiki/Raymond_Picard
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Der Begriff „Autor“ (lat.: Urheber, Schöpfer, Verfasser) dient als Bezeichnung für den geistigen Urheber von Texten jeglicher Art.Etymologisch betrachtet geht der zunächst in der Form auctor gebräuchliche Begriff auf den lateinischen Terminus auctoritas zurück, der generell Förderer und glaubwürdige Fürsprecher innerhalb einer Gemeinschaft bezeichnete. Erst seit dem späten Mittelalter verengt sich die Bedeutung einzig auf poetisch Schaffende, ohne dass dabei jedoch ein semantischer Verzicht auf die sozialen Merkmale des autoritären Ratgebers zu verzeichnen wäre. Während heute in der alltäglichen Sprachpraxis Romanciers, Lyriker, Dramaturgen, Drehbuchautoren, Essayisten, Journalisten und Sachbuchautoren ebenso wie Tagebuch- und Briefverfasser unter die gedankliche Kategorie „Autor“ subsumiert werden können, konzentriert sich die literaturwissenschaftliche Praxis traditionell auf eine enge Begriffsdefinition, die den Verfasser erzählender Prosa in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Der gesellschaftlich anerkannte Autor erzählender Prosa zeichnet sich durch die Erfüllung eines von Verlegern, Kritikern, Rezipienten und vom Autor an sich selbst gestellten Originalitätsanspruch aus, der sich auf die inhaltliche, thematische, stilistische und ästhetische Bearbeitung seines gedanklichen Materials bezieht und in seinen Erzähltexten Ausdruck findet.
Im literarischen Kommunikationsprozess ist der Prosa-Autor auf der extratextuellen Ebene angesiedelt und unterscheidet sich somit von den fiktiven Sprechern seines Werkes (wie Erzählfiguren oder dem Lyrischen Ich). Der individuelle Habitus des Autors konstituiert sich auf der Textebene durch die persönliche Art des literarischen (auch dichtenden) Erzählens und Schreibens und auf außerästhetischer Ebene in der öffentlichen Stilisierung seiner spezifischen Identitätsauffassung. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Diskurse bestimmt sich der Autor über einen Begriff von Arbeit, der sich in den urheberrechtlich geschützten Werken und deren effizienter Vermarktung manifestiert.
Über den Autor wird in der Literaturwissenschaft viel diskutiert: Ob und wie er in die Interpretation einbezogen werden darf oder sogar muss, oder ob er gar eine überlebte, marginale Institution sei, die für das Textverständnis nichts Wesentliches zu leisten im Stande ist. Dabei unterliegen Begriffe, Definitionen und Modelle von Autorschaft, die zur Beantwortung dieser Fragen beitragen, sowohl dem philosophischen und ideologischen Blickwinkel auf dieses Phänomen (wie beispielsweise dem marxistischen oder psychoanalytischen) als auch dem epochalen, historischen Wandel. War im frühen Mittelalter die Qualität eines Autors noch einzig dadurch bestimmt, in welcher Form es ihm gelang, die göttliche Wahrheit in religiösen Schriften zu reproduzieren, so setzte mit der Säkularisierung auch eine Befreiung des Autors aus seiner Kopistenrolle ein. Erst durch die technische Revolution des Buchdrucks im 15. Jahrhundert und durch das Erwachen der schöpferischen Autonomie wird der Autor zum Träger von programmatischen Publikumserwartungen.
Über die mentalitätsgeschichtlichen Epochen (Sturm und Drang, Weimarer Klassik, Romantik, etc.) hinweg gelang es dem Autor, sich als feste kulturelle Größe innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges zu etablieren, indem er seine Arbeit als das freie Tun des besonnenen Menschen zu definieren wusste, der ebenso weiß was er will, als auch kann, was er will. Das Selbstbewusstsein des Autors wurde sodann im 20. Jahrhundert maßgeblich durch das auf Roland Barthes und Michel Foucault zurückgehende und vom Poststrukturalismus popularisierte Schlagwort vom Tod des Autors erschüttert. Dieser von der Kulturkritik seitdem immer wieder aufgegriffene Topos vom Tod des Autors versteht sich dabei nicht als grundsätzliche Negation der Autorposition, sondern als funktionale Relativierung des auf den Autor gerichteten Personenkults.
Tod des Autors: ein geflügeltes Wort des französischen Strukturalismus, wonach literarische Texte auch ohne einen identifizierbaren Autor bestehen können, dass die Absichten eines Autors beim Schreiben eines Werkes keine wirkliche Rolle spielen, dass Autoren von literarischen Texten nichts verstehen, am wenigsten von ihren eigenen Texten, dass sie bei der Deutung ihrer Texte nur stören und im Wege stehen, dass sie in jeder Hinsicht verzichtbar sind. Der Text ist das Eigentliche, der Autor nur eine Randerscheinung. Statt auf einen Autor zu verweisen, verweist der Text auf eine Vielzahl von anderen Texten, die auf wieder andere Texte verweisen oder andere Texte erzeugen, in einer Welt, die nichts anderes ist als eine endlose Abfolge von Texten: Prätexte, Intertexte, Hypertexte, und so weiter und so fort ...
So der Stand vor etwa zwanzig Jahren.
Heute ist der Autor nicht mehr tot. Er erfreut sich größter Präsenz und Lebendigkeit. Er ist nicht mehr länger ein notwendiges Übel des eigenen Textes. Fast scheint es umgekehrt: Der literarische Text ist nur noch ein Abglanz des Autors, der immer allgegenwärtiger wird, sei es nun als Begriff oder als Bild: zum Beispiel als Inbild reinster Jugend und sprachloser Schönheit, die sich auf zahllosen Verlagsprospekten mitteilt, dass hier eine Autorin oder ein Autor ist, der durch sein bloßes Dasein besticht, noch bevor eine einzige Zeile überhaupt geschrieben oder gelesen ist. Es wird hier eine betörende Paradoxie zelebriert: Eine Autorin/ein Autor – und noch so jung und so betörend, unerwartet, unbegreiflich betörend. So als handle es sich hier um einen performativen Widerspruch von größter Tragweite, um eine avantgardistische Großtat. Und wenn der Autor nicht betörend ist, dann zumindest interessant, wenn schon nicht das Gesicht, so doch wenigstens die Vita: in Usbekistan geboren, in Montenegro aufgewachsen, in Ägypten wohnhaft, dort Napoleondarsteller im Fernsehen, später Abt in einem koptischen Kloster ...
Leuchtende Beispiele fulminanter Lebensläufe, an denen sich Durchschnittsautoren ein Beispiel nehmen können. Der Lebenslauf ist immer öfter der eigentliche Roman, der Autor immer mehr das eigentliche Kunstwerk. Gemäß dem Satz von Oscar Wilde, das Talent nicht in die Kunst zu stecken, sondern ins Leben. Es gilt der Primat des Tatsächlichen über das Fiktive, des Biographischen über das Erfundene, des Lebens über die Kunst. Der literarische Text ist ein Dokument gelebten Lebens. Mehr noch: Er ist durch kaum mehr etwas anderes legitimiert als einzulösen, was Klappentexte und Verlagsprospekte an Biographischem verheißen: Aufgewachsen in Nepal – also Berge. In Kuba gelebt – also Revolution und Zigarren. Hinwendung zum Hinduismus – also Hinduismus.
Vom Tod des Autors kann also kaum die Rede sein. Wenn (angesichts so viel auktorialen Lebens) überhaupt ein Tod stattfindet, dann ist es der »Tod des literarischen Textes.« Er ist nur noch ein Restposten, ein Postskriptum, ein Schatten seiner selbst. Oder vielmehr ein Schatten des Autors, der bereits gesetzt ist, bevor von einem literarischen Werk überhaupt die Rede sein muss. Nicht das literarische, sondern das menschliche Artefakt ist der Dreh- und Angelpunkt: der Autor, seine Jugend, sein Gesicht, seine Geschichte und so vieles mehr ... Das Ereignis ist nicht das Buch, sondern der Autor: und sei es nur das Ereignis eines betörenden Gesichts, das eines Morgens im Frühstücksfernsehen erscheint.
Der zeitgemäße Autor erweist sich, bevor irgendetwas anderes erwiesen werden muss, zunächst einmal durch einen eindrucksvollen Lebenslauf: gespickt mit exotischen Geburts- und Wohnorten, dramatischen Höhe- und Wendepunkten – und einigem mehr. Man schreibt heutzutage Lebensläufe immer mehr wie Romane, und Romane zunehmend wie Lebensläufe – bis eines Tages ein Brief von einem renommierten Verlag kommen wird, in dem stehen wird: »Langsam finden wir an Ihrem Lebenslauf durchaus Gefallen. Der Aufbau, die Wendepunkte, die Reisen und die Abenteuer. All das finden wir gut inszeniert. Natürlich muss man an dem einen oder anderen Punkt noch feilen.«
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