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EU: Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit! 📑
Sklaverei in BetrugsfabrikenOb per Mail, Messenger oder SMS: Immer mehr Menschen werden Opfer von Online-Betrügern. Doch auch auf der anderen Seite sitzen Opfer. Zehntausende werden in Südostasien in die Kriminalität gezwungen.
"Ein absoluter Traumjob", denkt Salam aus Bangladesch, als er die Palmen-gesäumten Straßen, die Ferienresorts und das große Spielkasino sieht, in dem er bald arbeiten soll. Er ist in Dara Sakor in Kambodscha angekommen - einem Urlaubsparadies, das für ihn zur Hölle wird, wie er sagt.
👮 Bericht des Bundeskriminalamtes Menschenhandel
Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels und Ausbeutung ist bundesweit um zehn Prozent gestiegen.
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"Neue Form von Menschenhandel"Salam ist Ingenieur. In seinem Heimatland arbeitete er in einer Textilfabrik und verdiente dort umgerechnet 200 US-Dollar im Monat. "Es ist sehr schwer, davon zu leben und eine Familie zu unterstützen", sagt Salam. In einem kambodschanischen Spielkasino könne er mit 850 bis 1200 US-Dollar das Vier- bis Sechsfache bekommen, erzählt ihm ein alter Schulfreund. Dessen Onkel betreibt eine Arbeitsvermittlung.
Anfangs ist Salam zwar interessiert, aber misstrauisch. Er googelt seine Bedenken weg und liest, dass Glücksspiel in Kambodscha anders als in Bangladesch legal sei. Das beruhigt ihn und so wird aus dem Textilingenieur Salam das Opfer Salam. Das Opfer eines weltumspannenden Systems aus Internetkriminalität und Onlinebetrug, aus Cybercrime und Cyberscam.
Dabei ist der 26-Jährige nicht der Einzige. "Wir sprechen von einer neuen Form von Menschenhandel mit Tausenden, wenn nicht gar Zehn- oder Hunderttausenden Opfern", sagt Mina Chiang, Gründerin und Chefin der Menschenrechtsorganisation Humanity Research Consultancy. Ihr Unternehmen war daran beteiligt, Salam aus den Fängen der Menschenhändler zu befreien. Seitdem arbeitet er für sie.
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Menschenhandel Chinas gekaufte Bräute aus VietnamAls Folge der Ein-Kind-Politik finden viele chinesische Männer keine Frau - das führt zu Menschenhandel.
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Fake-Accounts erstellen und Nummern erschleichenDie Betrugsfabriken werden von chinesischen Gangs mit Mafia-ähnlichen Strukturen betrieben. Über Mittelsmänner und Online-Anzeigen ködern sie Menschen aus ganz Asien - aus China, Bangladesch, Indien, Taiwan, Malaysia und Indonesien. Sie versprechen ihnen lukrative Jobs in Kambodscha, Laos und Myanmar.
Einmal dort, sieht die Realität jedoch anders aus: Vor Ort wird den neuen Arbeitskräften häufig Pass und Handy abgenommen. Sie werden in großen Wohnblocks einquartiert und gezwungen, Fake-Accounts bei Twitter, Facebook und Instagram anzulegen. Darüber sollen sie Menschen aus den wohlhabenden Ländern Europas, den USA und Kanada anschreiben, ihre Telefonnummern erschleichen und in Google Sheets sammeln.
📱 Im nächsten Schritt geht es darum, die Ahnungslosen per WhatsApp zu überreden, Geld zu überweisen oder in dubiose Kryptowährungen zu investieren. Das System hat Methode - und die geht so: Zunächst werden die Opfer mit der Aussicht auf Geld oder Liebe, Reichtum oder Romantik angefüttert. Anschließend werden sie finanziell ausgenommen. Das nennt sich "Pig Butchering", übersetzt heißt das Schweineschlachten.
🌏 UN-Bericht zu weltweiter Sklaverei der Zwangsarbeiter
Die Zahl von Menschen, die zur Arbeit gezwungen werden, ist deutlich gestiegen - auf weltweit 50 Millionen.
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Überstunden und körperliche Strafen 🏢 "Geschlachtet" wird in großem Stil aus großen, leerstehenden Gebäuden in Laos, Myanmar und Kambodscha heraus. Menschenrechtler sprechen von "Scam" oder "Fraud Factories", also Fabriken, in denen Menschen andere Menschen massenhaft und wie am Fließband betrügen. Möglich machen das die zunehmende Digitalisierung und Globalisierung, das Aufkommen sozialer Medien, die einen einfachen Zugang zu persönlichen Daten erlauben, sowie Künstliche-Intelligenz-Software, die Übersetzungen und das Generieren von Fake-Profilfotos erleichtern.
In den "Fraud Factories" wird oft nachts gearbeitet. Von 17.30 Uhr bis 6.30 Uhr morgens, 13 Stunden lang, erinnert sich Salam. Werden die Ziele nicht erreicht, beispielsweise die Beschaffung von fünf Telefonnummern pro Tag, müssen Überstunden gemacht werden. Das können bis zu 18 Stunden am Stück werden, sagt er. Auch körperliche Strafen in Form von Push-ups und Ausharren im Ellenbogenstütz (Planks) drohten, ebenso Schläge und Elektroschocks.
Salam selbst habe bis zu 240 Push-ups und 15 Minuten lang Planks machen müssen. Schläge und Elektroschocks habe er dagegen am eigenen Leib nie erlebt - dafür aber die Schreie gehört. Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge handelt es sich um "gesetzlose Enklaven", in denen Menschen ausgebeutet und misshandelt werden: Frauen, die in die Prostitution gezwungen oder Männer, die ohne Wasser und Nahrung eingesperrt werden.
Ein Kind trägt in Nepal Ziegelstein-Stapel auf seinem Kopf. | picture alliance/dpa/XinHua
🇪🇺 Pläne der EU-Kommission Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit
Die EU-Kommission will alle Waren aus Zwangsarbeit vom europäischen Markt verbannen.
Sanktionen der Staatengemeinschaft gefordert
Mina Chiang berichtet darüber hinaus von Vergewaltigungen und Organhandel. Wie Sklaven werden die Zwangsarbeiter demnach an andere Menschenhändler weiterverkauft. So auch Salam, der drei Mal verkauft wurde: das erste Mal für 3500 US-Dollar, zuletzt für 10.000 Dollar. Der höhere Preis kam zustande, "weil ich da schon wusste, wie der Job funktioniert", sagt er.
Die internationale Aufmerksamkeit für das Thema nimmt derweil langsam zu. So stuften die USA Kambodscha im Juli in ihrem jährlichen Bericht über den Menschenhandel herab. Nach monatelangem offiziellem Dementi ordnete der kambodschanische Premierminister Hun Sen eine Jagd auf die Rädelsführer an. Im August leiteten die Behörden eine Reihe öffentlichkeitswirksamer Razzien ein. Schließlich befreite die Polizei im September mehr als 1000 Menschen aus drei Einrichtungen in der kambodschanischen Küstenstadt Sihanoukville.
Beobachtern und Menschenrechtlern wie Phil Robertson und Mina Chiang geht das aber nicht weit genug. "Solange ein Business dich nicht umbringt, wird es weiter betrieben", zitiert Chiang ein chinesisches Sprichwort. Deshalb fordert sie harte Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft gegen die beteiligten Länder, um das Scam-System zu beenden. Ein System, das Salam nicht mehr schlafen lässt: "Im Traum sitze ich am Computer, und der Aufseher kommt", erzählt er. "Ich erinnere mich an alles - weil ich nicht vergessen kann."
👮 Bericht des Bundeskriminalamtes Menschenhandel nimmt deutlich zu
Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels und Ausbeutung ist bundesweit gestiegen. Im Jahr 2021 wurden 510 Verfahren abgeschlossen, wie das Bundeskriminalamt mitteilte. Das sind fast zehn Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr.
Polizei und Zoll haben im vergangenen Jahr deutschlandweit 510 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel und Ausbeutung geführt. Dies seien zehn Prozent mehr als im Jahr 2020, teilte das Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit. Insbesondere die Ausbeutung minderjähriger Opfer habe 2021 stark zugenommen. Diese Verfahren seien um fast ein Viertel (23 Prozent) auf 237 gestiegen. Sie hätten 283 Opfer und 249 Tatverdächtige betroffen.
Dabei habe es sich am häufigsten um kommerzielle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen gehandelt, heißt es im Bundeslagebild "Menschenhandel und Ausbeutung 2021". Darunter fallen verschiedene Straftaten, wie der Zwang zu Prostitution, zu kinderpornografischen Filmen oder zu sexuellen Handlungen an Kindern und Jugendlichen gegen Belohnung.
Das Durchschnittsalter der Opfer lag nach Angaben der Polizei bei 15 Jahren, das der Tatverdächtigen bei 37 Jahren. Die meisten Verfahren habe es in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin gegeben. Bei mehr als jedem dritten minderjährigen Opfer (36 Prozent) sei der Erstkontakt über das Internet hergestellt worden, so über Plattformen, Chats, Online-Spiele und Social Media.
Zahlreiche Opfer (18,5 Prozent) seien mit der Kontaktaufnahme einverstanden gewesen. Das familiäre Umfeld habe in mehr als jedem zehnten Fall (11 Prozent) eine Rolle gespielt. Die Opfer seien oft nicht bereit, Anzeige zu erstatten, weil sie sich vor der Polizei und vor staatlichen Maßnahmen fürchteten.
Einsatzkräfte der Bundespolizei stehen in Berlin-Lichtenberg auf einem Parkplatz und bereiten sich auf eine Razzia vor. | dpa
👮 Aktion in drei Bundesländern Razzien
Die Bundespolizei hat mehrere Objekte in Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein durchsucht.
Des Weiteren ermittelte die Polizei dem Bericht zufolge in 291 Verfahren gegen den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, genauso häufig wie im Vorjahr. Die Opfer waren zu 93 Prozent Frauen, jedes dritte Opfer, dessen Alter ermittelt werden konnte, war unter 21 Jahre alt. Die Polizei beobachte seit längerem, dass weniger Opfer in der Bar-, Bordell- und Straßenprostitution ausgebeutet werden. Stattdessen finde eine Verlagerung hin zur Ausbeutung in der Wohnungsprostitution statt.
Wegen "Arbeitsausbeutung"wurde in 28 Verfahren ermittelt, das waren 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Opferzahl habe sich auf 147 mehr als verdoppelt. Die meisten Opfer seien in der Pflegebranche ausgebeutet worden (70 Personen). Weitere Fälle von Arbeitsausbeutung gab es unter anderem im Baugewerbe, in der Gastronomie und im Reinigungsgewerbe. In zehn Fällen wurde wegen Zwangsehen ermittelt.
Die Tatverdächtigen bei Menschenhandel und Ausbeutung agieren nach Angaben der Polizei überwiegend grenzüberschreitend. Es müsse von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden. Opfer von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung gäben sich aus Angst vor Tätern oder Behörden häufig nicht zu erkennen. In lediglich gut der Hälfte der Verfahren habe das Opfer selbst Anzeige erstattet.
🌐 UN-Bericht zu weltweiter Sklaverei Zahl der Zwangsarbeiter steigt deutlich
Die Zahl von Menschen, die zur Arbeit gezwungen werden, ist deutlich gestiegen - auf weltweit 50 Millionen. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen leben vor allem viele Frauen in Sklaverei.
Weltweit leben rund 50 Millionen Menschen in Zwangsarbeit. Das ist das Ergebnis eines Berichtes, den verschiedene Menschenrechtsorganisationen in Genf vorstellten. Die Zahl sei in den vergangenen fünf Jahren deutlich um 25 Prozent gestiegen.
Die Autoren zählen knapp 28 Millionen Menschen, die zu einer Arbeit gezwungen werden, und 22 Millionen, die in erzwungenen Ehen leben und dort vor allem als Hausbedienstete ausgenutzt werden. Den Bericht über moderne Sklaverei 2021 legten die UN-Organisationen ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und IOM (Organisation für Migration) sowie die private Walk-Free-Stiftung vor, die sich gegen Sklaverei engagiert.
Mehr Fälle in Folge von Corona
Fast ein Viertel der Betroffenen würden kommerziell sexuell ausgebeutet, die meisten seien Frauen, heißt es in der Studie. Von denen, die zur Ehe gezwungen werden, seien gut zwei Drittel Frauen und Mädchen. Die Zahl sei innerhalb von fünf Jahren um 6,6 Millionen gestiegen, was teils auf die wirtschaftliche Not durch die Corona-Pandemie zurückzuführen sei.
🌐 UN-Bericht über China "Glaubhafte" Vorwürfe von Folter in Xinjiang
UN-Menschenrechtskommissarin Bachelet rechtfertigt die späte Veröffentlichung mit großem Druck.
Zwangsarbeit von Gefangenen und Streikenden
Während der Großteil der Zwangsarbeit im Privatsektor stattfinde, gebe es auch staatliche Zwangsarbeit. 3,9 Millionen Menschen seien betroffen. Der Report nennt etwa die Region Xinjiang in China. Gerade erst hat das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte einen Bericht vorgelegt, wonach Hunderttausende Uiguren und andere Angehörige muslimischer Minderheiten dort gegen ihren Willen in Lagern festgehalten und zu Arbeitseinsätzen gezwungen wurden.
China weist alle Vorwürfe zurück. Auch in Nordkorea und Pakistan gebe es staatlich verordnete Zwangsarbeit, heißt es in dem Bericht. Er nennt zahlreiche andere Länder, in denen etwa Gefangene oder Streikende zu Zwangsarbeit herangezogen werden, darunter Botswana, die Republik Moldau und die Philippinen.
Ebenfalls Erwähnung im Bericht findet Katar, wo im November die Fußballweltmeisterschaft der Männer stattfinden soll. Die Veranstalter sehen sich seit Jahren Vorwürfen ausgesetzt, sie verletzten die Menschenrechte der dort arbeitenden Migranten. Laut dem jetzt vorliegenden Bericht sollen sich die Verhältnisse jedoch verbessert haben - seitdem die ILO 2018 in der Hauptstadt Doha ein eigenes Büro eröffnete.
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Pläne der EU-Kommission Importverbot für Produkte aus ZwangsarbeitDie EU-Kommission will heute vorschlagen, alle Waren aus Zwangsarbeit vom europäischen Markt zu verbannen. Das Verbot soll alle Phasen der Herstellung abdecken - was aber extrem schwierig werden dürfte.
Das EU-Parlament fordert seit langem ein Verbot für Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Im Juni hatten die Abgeordneten in zwei unmissverständlichen Resolutionen noch einmal angemahnt, die EU-Kommission möge endlich aktiv werden. Denn bereits in ihrer Rede zur Lage der Union vor einem Jahr hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Vermarktungsverbot von Produkten aus Zwangsarbeit versprochen:
Wir können niemals hinnehmen, dass Menschen durch Drohungen oder Gewalt gezwungen werden, Waren herzustellen, die dann in Geschäften hier in Europa landen. Wir wollen daher auf unseren Märkten Produkte verbieten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Menschenrechte sind nicht käuflich - für kein Geld der Welt. Besonders im Fokus dabei steht China, wo die muslimische Minderheit der Uiguren zur Zwangsarbeit gezwungen wird. Aber das Phänomen ist kein chinesisches. Moderne Sklaverei ist weltweit verbreitet und bedroht vor allem Menschen, die auf der Flucht sind oder in extremer Armut leben.
Und ihre Arbeit steckt in vielen Produkten, die auch zu unserem Alltag gehören, betont Anna Cavazzini. Die Europapolitikerin der Grünen leitet den Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments: "Weltweit befinden sich 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit. Und viele dieser Menschen stellen Produkte her, die dann bei uns auf dem europäischen Binnenmarkt landen. Man denke an Baumwolle, oder Kaffee oder ganz viele andere Produkte."
Künftig sollen Zwangsarbeitsprodukte ohne Ausnahme auf dem europäischen Markt verboten sein. Für die Umsetzung wären die 27 Mitgliedsländer verantwortlich, in Zusammenarbeit beispielsweise mit Nichtregierungsorganisationen. Wird ein Verstoß festgestellt, muss das Produkt innerhalb von sechs Wochen vom europäischen Binnenmarkt verschwinden.
Deutsche Markenkleidung Baumwolle aus Zwangsarbeit?
Adidas, Hugo Boss und Puma verkaufen offenbar Produkte, die umstrittene Baumwolle aus Xinjiang enthalten.
Problem sind die komplexen Lieferketten
Das Problem sind die oft sehr komplexen Lieferketten, sagt Bernd Lange. Der SPD-Europaparlamentarier und Vorsitzender im Handelsausschuss kennt die Schwierigkeiten zu beweisen, ob einer der Zulieferer Menschen zur Arbeit zwingt.
Er räumt ein: "Das ist sicherlich keine leichte Aufgabe hier eine vernünftige Zertifizierung hinzubekommen." Dafür sei man angewiesen auf konkrete Hinweise von der Zivilgesellschaft oder von der internationalen Arbeitsorganisation. "Es wird also auf sehr viel Transparenz ankommen, viel Kooperation zwischen den zuständigen Behörden und den Unternehmen. Wichtig ist, dass man Licht in die Lieferkette bekommt."
🇪🇺 UN-Bericht zu weltweiter Sklaverei Zahl der Zwangsarbeiter
Die Zahl von Menschen, die zur Arbeit gezwungen werden, ist deutlich gestiegen - auf weltweit 50 Millionen.
Die Unternehmen in die Pflicht nehmen?
Viele EU-Abgeordnete hätten gern, dass wie in den USA die Unternehmen im Zweifelsfall nachweisen müssten, dass für ihre Produkte keine Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Auch sollten die betroffenen Arbeiter entschädigt werden.
Da wird es möglicherweise noch Debatten geben. Der Kommissionsvorschlag muss nun vom EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedsstaaten angenommen werden, bevor er zwei Jahre später in Kraft treten würde.
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Deutsche Markenkleidung Baumwolle aus Zwangsarbeit?Adidas, Hugo Boss, Puma und weitere deutsche Textilfirmen verkaufen nach Recherchen von STRG_F offenbar weiter Ware, die Baumwolle aus der chinesischen Region Xinjiang enthält. Dort werden Menschen zur Arbeit gezwungen.
Narben an Handgelenken, Kopf und Rücken sind die stummen Zeugen des Martyriums, das Erbaqyt Otarbai durchlitten hat. Der 46-Jährige erzählt, er sei über Monate in der chinesischen Region Xinjiang inhaftiert gewesen und in dieser Zeit fixiert, geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert worden: "Einmal haben sie mich mit in den Duschraum genommen und dort mit Stromtasern bearbeitet."
Später sei Otarbai aus dem Gefängnis in ein Arbeitslager gebracht worden und hätte dort Kleidung nähen müssen. "Das war eine sehr anstrengende Arbeit", erinnert er sich. Eine Wahl hatte er nicht: "Wer nicht gut gearbeitet hat, wurde wieder ins Gefängnis geschickt. Und dahin wollte niemand zurück."
Es sind Berichte wie diese, die Baumwolle und Textil-Produkte aus Xinjiang unter den Verdacht der systematischen Zwangsarbeit gebracht haben - und wegen der auch deutsche Unternehmen behauptet haben, keine Produkte mehr aus der chinesischen Provinz zu beziehen. Doch Recherchen des Reportageformats STRG_F legen nahe, dass in Kleidung deutscher Marken wie adidas, Hugo Boss, Puma und Jack Wolfskin weiter Baumwolle aus Xinjiang stecken könnte.
EU-Sanktionen gegen China "Das uigurische Volk ruft SOS"Schlüssel zu dieser Recherche ist die Analyse der Isotopen, die sich in Baumwollprodukten finden. Sie ergeben ein Muster, das verrät, aus welchem Teil der Welt das Material stammt. In Zusammenarbeit mit dem Agroisolab in Jülich und der Hochschule Niederrhein hat das Recherche-Team diese Methode erstmals genutzt, um die Herkunft von Baumwolle in Kleidung zu bestimmen. Mit klaren Ergebnissen: Die Forscher fanden Hinweise auf Baumwolle aus Xinjiang in T-Shirts von Puma und adidas, Hemden von Hugo Boss und Jack Wolfskin sowie einem Pullover von Tom Tailor.
Wegen der Menschenrechtslage in Chinas Region Xinjiang wollen H&M, Nike und andere Firmen keine Baumwolle mehr von dort nutzen.
Die Recherche zeigt, wie deutsche Unternehmen potenziell von der Ausbeutung insbesondere ethnischer Minderheiten in Xinjiang profitieren. Denn die Berichte von Augenzeugen wie Otarbai sind Ausdruck systematischer Unterdrückung. "In Xinjiang gibt es eine sehr große Gefängnis-Industrie - also Haftanstalten und Unternehmen, die mit ihnen kooperieren und so an billige Arbeitskräfte kommen", erklärt Rune Steenberg, der zur Lage der muslimischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang forscht. Er berichtet von einem drastischen Anstieg der Haftstrafen: "Zwischen 2013 und 2018 hat sich die Zahl der jährlich Inhaftierten fast verzehnfacht."
Eine Einschätzung, die Wang Leizhang* teilt. Der ehemalige chinesische Polizist kennt das System der Unterdrückung. Bereits bei der Festnahme drohe Gewalt, ebenso im Verhör. "Wer einschläft, wird geschlagen", sagt Wang. Nach der Verhaftung drohe Zwangsarbeit: "In allen Gefängnissen werden Inhaftierte zur Arbeit gezwungen, daran verdienen die Betreiber."
Minderheit in China: Frauen den Ethnie Xi in der Provinz Sichuan
Zwangsarbeit ist auch auf den Baumwollfeldern von Xinjiang dokumentiert. Knapp 90 Prozent der chinesischen Baumwolle werden dort produziert, das ist rund ein Fünftel der weltweiten Produktion. Unter welchen Umständen, davon berichtet der Baumwollfarmer Eyüp Enwer*. Teilweise seien bis zu 20 Prozent der Bewohner eines Dorfes zur Zwangsarbeit geschickt worden, und es seien von Jahr zu Jahr mehr geworden. "Acht bis zehn Stunden Baumwolle zu ernten ist schwere Arbeit", sagt Eyüp. "Du kannst nicht sitzen, verbringst den Tag vornüber gebeugt, der Rücken schmerzt."
Wer sich weigert, dem drohe Gefängnis. "Ich habe mitbekommen, wie einmal 175 Uiguren in ein Lager gebracht wurden, weil sie nicht ernten wollten - zwischen fünf und 15 Jahren Haft haben sie dafür bekommen." Handernte ist besonders bei langfaseriger Baumwolle wichtig, die vor allem im Süden von Xinjiang wächst, wo viele Uiguren leben. Diese Baumwolle, insbesondere in Bio-Qualität, gilt als wertvoll und wird vor allem in den Westen exportiert - und landet am Ende offenbar auch in Kleidung von adidas, Hugo Boss, Puma, Jack Wolfskin und Tom Tailor.
China Cables Ignorieren deutsche Firmen die Unterdrückung?
Laut Experten profitierten sie womöglich von Zwangsarbeit und Unterdrückung.
Die chinesische Regierung bestreitet den Vorwurf der Zwangsarbeit. Auf den Plantagen sei diese schon deshalb ausgeschlossen, weil nahezu die gesamte Baumwolle mit Hilfe von Maschinen geerntet werde. Das Rechercheteam hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Vertical 52 die Agrarflächen Xinjiangs per Satellit untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass zuletzt rund ein Drittel der Ernte per Hand gepflückt wurde. Im Süden von Xinjiang ist es laut dieser eigens für diese Recherche entwickelten Methode sogar rund die Hälfte.
Auf Nachfrage blieben die Hersteller bei ihrer Behauptung, keine Baumwolle aus Xinjiang zu beziehen. Adidas teilte schriftlich mit, es beziehe Baumwolle ausschließlich aus anderen Ländern. Puma erklärte: "Auf Basis aller gesammelten Informationen, die wir eingeholt haben, und Rückverfolgung sowie Kontrollen, die wir etabliert haben, können wir sagen, dass in unseren Produkten keine Baumwolle aus Xinjiang verwendet wird."
Hugo Boss erklärte, keine Zwangsarbeit in seinen Lieferketten zu tolerieren und blieb bei seiner Aussage, keine Waren direkt aus Xinjiang zu beziehen. Jack Wolfskin ging auf die Frage nach Baumwolle aus Xinjiang in ihren Lieferketten nicht ein, sondern betonte, dass sie keine Zwangsarbeit dulden. Tom Tailor hat sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht geäußert.
Das Lieferkettengesetz könnte deutsche Firmen zwingen, ihre Produktion in der Region Xinjiang einzustellen.
Doch die Lieferketten in China seien für Unternehmen kaum zu kontrollieren, sagt ein Auditor, der seit Jahren Zulieferbetriebe in China überprüft. Er spricht exklusiv aber aus Angst um seine chinesischen Mitarbeiter nur anonym mit dem Recherche-Team: "Es ist theoretisch möglich, aber höchst unwahrscheinlich, dass westliche Unternehmen tatsächlich mit Sicherheit sagen können, dass in ihren Baumwoll-Lieferketten in Xinjiang keine Zwangsarbeit stattfindet." Denn: Kein Audit-Unternehmen könne derzeit unabhängig in Xinjiang arbeiten.
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EU: Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit!
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Afrika ➦
Unter der Erde bewässern, Energie sparen und gleichzeitig mehr produzieren!Ein innovatives System zur Unterflurbewässerung aus Tunesien will die Folgen der Klimakrise für die Landwirtschaft abmildern. Doch die Resonanz ist (noch) gering.
Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Serie über nachhaltige Entwicklungsziele und Tech-basierte Lösungen aus Afrika, die wir mit einer afrikanisch-deutschen Community diskutieren.
„Ein bisschen merkwürdig war es am Anfang schon, dass ich so gar nichts gesehen habe“, gibt Sami Chabir zu. Auch seine Nachbarn gucken immer wieder mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis auf den trocken wirkenden Acker am Rande der Autobahn in Amarat, im Südosten Tunesiens nahe der Küstenstadt Gabes. „Sie wollen Ergebnisse sehen.“ Denn weder Chabir noch seine Nachbarn sehen das Wasser, mit denen die Olivenbäume auf dem 20 Hektar großen Feld versorgt werden. Deutlich zu erkennen ist allerdings, dass diese inmitten der ockerfarbenen, kargen Landschaft bestens gedeihen. „Ich kann ihnen quasi beim Wachsen zuschauen.“ Groß sind die erst vor zwei Jahren eingepflanzten Setzlinge geworden. Ihre Blätter sind sattgrün und glänzen, ganz anders als die fahlen Bäume des Nachbarn, denen Hitze und Wassermangel deutlich zu schaffen machen. Im Herbst konnte Chabir schon die ersten Oliven ernten.
Und das, obwohl die 2700 Olivenbäume, um die Chabir sich für seinen Cousin kümmert, weniger Wasser bekommen als die auf dem angrenzenden Feld. Doch sie bekommen es unterirdisch, und das, ist der Tunesier überzeugt, macht den Unterschied. Er hat sogenannte burried diffusers, vergrabene Verteiler auf dem Gelände installiert, ein System zur Unterflurbewässerung in der Landwirtschaft, bei dem den Pflanzen in regelmäßigen, aber großen Abständen unter der Erde große Mengen Wasser zugeführt werden.
Ein Mann hält die Zweige eines kleinen Olivenbaums auseinander
Sami Chabir überprüft regelmäßig, dass bei den jungen Pflanzen auch alles in Ordnung ist
Ein junger Olivenbaum, der an einem Ast angebunden ist, damit er stabil und gerade wächst.
Die neugepflanzten Oliven sind fast ausnahmslos angegangen
Ein Mann, von schräg hinten zu sehen, zeigt auf einen noch unbepflanzten, ockerfarbenen Acker
Er plant schon für die Zukunft.
Ein großes Feld mit Olivenbäumen. Im Hintergrund führt eine Autobahn entlang, dahinter ist ockergelbes Brachland zu sehen.
Das erste Feld ist fast fertig angelegt. Bald soll noch ein zweites gleicher Größe hinzukommen
Aufgetan hatte das noch wenig verbreitete tunesische System Chabirs Cousin Souhail Othmane, dem das Gelände gehört. Er lebt im Ausland und sieht die Olivenplantage als Investition in seine Heimat. Er war von Anfang an vom unterirdischen Verteiler überzeugt und hat ihn auf dem ganzen Gelände installiert. Nach zwei Jahren ist das auch Chabir, der im Alltag für die Bäume sorgt, sich um Bewässerung und Ernte kümmert. Am Anfang sei es noch ein bisschen schwierig gewesen, zu wissen, was genau nicht funktioniert, wenn bei dem eigentlich sehr wartungsarmen System doch irgendwann mal etwas nicht so lief wie geplant. „Wenn zum Beispiel die Oberfläche feucht ist oder dort Unkraut wächst, weiß ich, dass da irgendwas verstopft sein muss.“
Inzwischen habe er den Dreh raus. Das zahlt sich aus: Nach den gut zweitausend Bäumen, die sie anfangs im Alter von zwei Jahren gekauft und eingepflanzt hatten, haben sie im Frühjahr mehrere hundert weitere Bäume gepflanzt. Davon sind gerade einmal drei oder vier nicht angegangen. Eine hervorragende Quote, freut sich Chabir, der schon den nächsten Abschnitt des Feldes vorbereitet, um in den kommenden Monaten noch weitere Bäume zu pflanzen.
Eine flaches neongrünes, quadratisches Plastikgehäuse mit halbkreisförmiger Aussparung und einem schwarzen Wasserschlauch
Dieser auf den ersten Blick eher unscheinbare Plastikbehälter soll die Bewässerung revolutionieren
Unterseite des Plastikgehäuses, das mit einem Netz versehen ist.
Ein Quartzgranulat soll die Infiltration des Wassers erleichtern und verhindern, dass das Gerät verstopft.
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Von Jahrhunderte alter Technik inspiriertErfunden hat den unterirdischen Diffusor Bellachheb Chahbani. Nach einem Studium in Belgien und an der Sorbonne in Paris arbeitete er seit den 1980er Jahren am staatlichen Institut der ariden Regionen in Medenine in Südtunesien. Dort forschte er damals schon zur Nutzung von Wasserressourcen – auch wenn die Klimakrise und langanhaltende Dürreperioden zu Beginn seiner Karriere noch längst nicht so eine große Rolle gespielt haben. Heute gehört Tunesien zu den 25 Ländern der Welt mit den geringsten Trinkwasservorkommen. Mehr als drei Viertel davon fließen in die Landwirtschaft.
Die Idee zu Chahbanis Bewässerungssystem gründet in einer Kindheitserinnerung. „Ich komme aus Djerba und habe gesehen, wie mein Großvater Tonamphoren neben den Olivenbäumen vergraben und sie mit Wasser gefüllt hat.“ Nach und nach gaben diese das Wasser auf Höhe der Wurzeln an die umliegende Erde ab.
Ein älterer Mann mit Schnurrbart und Halbglatze schaut in die Kamera
Die Bewässerungstechnik seines Großvaters hat Bellachhab Chahbani inspiriert.
Diese alte Bewässerungstechnik, die in vielen Ländern der Region so oder ähnlich genutzt wird, hat über Jahrhunderte bewiesen, dass sie funktioniert. Doch sie ist anfällig und die Wassermenge lässt sich nicht regulieren. „Die Amphoren zerbrechen oder die Poren des Gefäßes verstopfen durch Salzablagerungen. Dann funktioniert das System nicht mehr.“ Am Forschungsinstitut entwickelte Chahbani daher eine moderne Variante davon, den vergrabenen Verteiler, wie er ihn nennt. Vor dem Ruhestand kaufte er dem Institut das Patent seiner Erfindung ab, entwickelte die Technik weiter und brachte sie auf den Markt.
➦ Weniger Wasser, weniger Energie, höherer Ertrag!
Im Vergleich mit der weit verbreiteten Tröpfchenbewässerung habe der vergrabene Verteiler eine ganze Reihe an Vorteilen. Da das Wasser zielgerichtet dort ankommt, wo es hin soll, nämlich direkt an den Wurzeln, und nicht die Hälfte verdunstet wie bei oberirdischer Bewässerung, ist der Wasserverbrauch im Vergleich bis zu zwei Drittel niedriger. Das spart nicht nur Wasser, sondern auch Energie. Und auch die Erträge sind ersten Studien nach deutlich höher.
Ein weißer, quadratischer Wasserturm, vor dem ein roter Traktor mit grünem Anhänger steht.
Der kleine Wasserturm reicht aus, um die 20 Hektar zu bewässern.
Sami Chabirs Pumpe hat gerade einmal zwei PS. „Bei der Tröpfchenbewässerung reicht das für hundert Bäume. Bei uns für 5000.“ Das Wasser wird aus dem Brunnen in eine kleine Entsalzungsanlage gepumpt und von dort in einen Wasserturm von 50 Kubikmetern Volumen. Aus drei Metern Höhe fließt es, rein von der Schwerkraft getrieben, zu den Verteilern unter der Erde. Da das Gelände abschüssig ist mit einer Höhendifferenz von sieben Metern, geht dies ohne weitere Pumpen – und spart so Energie. „Wir haben allein durch das Gefälle einen Wasserdruck von 1,1 bar. Dabei würden 0,3 oder 0,4 völlig ausreichen“, erklärt Chabir. Im Vergleich zur Tröpfchenbewässerung ist der benötigte Wasserdruck niedriger, was es ebenfalls erlaubt, Energie einzusparen, selbst wenn auf flachem Gelände eine Pumpe benötigt wird. „Demnächst kommt noch eine Photovoltaik-Anlage, dann sind wir ganz unabhängig.“
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Wenn es regnet, dann zu spät und zu starkWenn Sami Chabir auf den Acker seiner Nachbarn schaut, zu den Oliven aus den 1980er Jahren, dann sieht er nicht nur die Folgen des Wassermangels, sondern auch einen Kreis von Unkraut am Fuß jedes Baumes – Folge der Tröpfchenbewässerung. Er dagegen muss kein Unkraut jäten, hat keine Schädlinge. Das spart Pestizide und Arbeitskraft. Dann dadurch, dass die Oberfläche trocken bleibt, wächst dort nichts. Und noch einen Vorteil hat das unterirdische System: Da nicht ständig Wasser durch die Schläuche fließt, überleben diese länger. „Bei über vierzig Grad im Schatten kommen sonst im Sommer immer wilde Hunde oder Wildschweine, die Durst haben. Sie können das Wasser riechen und zerbeißen dann die Schläuche.“
Rund vierzig Jahre alte Olivenbäume, mit fahl-grünen Blättern und leuchten grünem Unkraut am Fuß des Baumes
Viel Unkraut und müde Bäume bei den Nachbarn: Folgen der Tröpfchenbewässerung
Vertrocknete Olivenbäume stehen auf einem Feld.
Früher wurden Oliven in Tunesien nicht extra bewässert. Heute reicht die Niederschlagsmenge für die traditionelle Anbauweise nicht mehr aus.
Als Ahmed Ayed auf seinem Stück Land auf der Cap Bon-Halbinsel im Nordosten Tunesiens steht, gut 300 Kilometer nördlich von Chabirs Olivenplantage, fängt es an zu schütten. Ein kalter Wind fegt über den noch freiliegenden Hang. Es ist Mitte November. „Viel zu spät. Das ist erst der zweite Regen seit März.“ Normalerweise gibt es in Nordtunesien spätestens im September die ersten Starkregenfälle, doch seit einigen Jahren leidet das kleine nordafrikanische Land zunehmend unter wiederkehrenden, langen Dürreperioden. Ein Hitzesommer folgte zuletzt dem nächsten.
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FehlerAyed hat während des ersten Lockdowns in der Corona-Pandemie entschlossen, sein Leben zu ändern. „Vielleicht ein bisschen spät, erst mit Fünfzig zu verstehen, dass man so nicht weitermachen kann. Aber immerhin lernen es dann meine Kinder.“ Der Textilingenieur aus der zwei Stunden Fahrt entfernten Hauptstadt Tunis will sich hier bei dem Weiler Aksar ein neues Leben aufbauen und autark werden, seine eigene Energie und Lebensmittel produzieren. Angefangen hat er mit einem kleinen Stück seines Landes, das er abgezäunt hat, und dem unterirdischen Verteiler.
„Nicht alles hat so funktioniert, wie erwartet. Ich bin Autodidakt, Anfänger.“ Er hat Mandeln, Apfel- und Birnbäume gepflanzt, Oliven und Guaven, und natürlich verschiedene Zitrusfrüchte, die typisch sind für die Region. „Die Kiwi habe ich nicht tief genug gepflanzt, das hat nicht funktioniert. Ich versuche es gerade zu Hause im Topf nochmal.“ Außerdem seien die Bäume über den Sommer so schnell gewachsen, dass die ursprüngliche Wassermenge bei der nächsten Bewässerung drei Monate später nicht ausgereicht habe. „Ich hatte im Juni 50 Liter pro Baum gegeben, das war zu wenig.“ Da habe er außer der Reihe hundert nachlegen müssen, weil er ursprünglich falsch kalkuliert habe. „Ich hätte den Oliven von Anfang an 150 und den Zitrusfrüchten 450 Liter geben müssen.“
Neben Oliven und Zitrusfrüchten baut Ahmed Ayed auch verschiedene Obstsorten wie zum Beispiel Guaven an.
Ein Mann Anfang Fünfzig mit blauer Jacke und Brille steht bei Regenwetter auf einem Acker
Er ist vom Bewässerungssystem überzeugt.
Auf dem Cap Bon werden traditionell vor allem Zitrusfrüchte angebaut
Abholzen wird günstiger als BewässernErfahrungswerte zu den Bewässerungsmengen für Obstbäume gibt es, im Gegensatz zu Oliven, beim unterirdischen Verteiler noch wenige. „Zitrusfrüchte brauchen sehr viel Wasser. Ich habe im Internet recherchiert, wie viel sie bei welcher Größe brauchen, und diese Menge dann jeweils um zwei Drittel reduziert, weil ja nichts verdunstet. So wie Herr Chahbani es erklärt hat“, der das System erfunden hat. Und so habe es dann auch geklappt: Die Pflanzen, die seine Anfängerfehler überlebt haben, gehen inzwischen gut an.
Mit zunehmenden Extremwetterlagen wächst der Markt für den unterirdischen Verteiler: In Tunesien funktioniert der traditionelle Regenfeldbau immer weniger. Dies betrifft landesweit rund 800.000 Hektar, fast die Hälfte der Fläche für Obst- und Olivenanbau. „Die Bauern fällen hier am Cap Bon teilweise schon ihre Oliven und Zitrusbäume, “ erzählt Ahmed Ayed. Für sie ist es rentabler, das Holz zu verkaufen, als die Bäume zu bewässern. Unterdessen steigen die Preise für Olivenöl rasant an. „14, 16, 18 Dinar pro Liter. In ein paar Jahren können es 30 werden“, fürchtet er. Auch die Winterernte für Erbsen fällt dieses Jahr wohl aus. Diese müssen eigentlich nach den ersten Regenfällen bis zum 20. Oktober gesät werden. Doch dieses Jahr hat es erst im November zum ersten Mal geregnet. Nach dem Hitzesommer mit Ernteausfällen wollen zwei von Ayeds Nachbarn jetzt ebenfalls die Verteiler nutzen.
Wenn es dann doch mal regnet, führt dies oft zu Überschwemmungen, denn das Erdreich ist so trocken, dass es das Wasser gar nicht aufnehmen kann. Zwar gibt es in Nord- und Zentraltunesien hunderte Kleinstspeicherbecken. Doch im Winter wird nicht bewässert und das überschüssige Wasser ins Meer abgeleitet. Sobald es dann wärmer wird und man es brauchen könnte, ist es schnell verdunstet. „Tunesien verliert so große Mengen an verfügbarem Süßwasser“, erklärt Bellachhab Chahbani. Es möge zwar auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, aber am besten sei es, während der Regenzeit zu bewässern. Würde man die überschüssigen Niederschläge auffangen und zur unterirdischen Bewässerung mit dem Verteiler nutzen, könnten die Bäume mit den vorhandenen Wasserkapazitäten problemlos den Sommer überstehen. Dies könnte auch in anderen Regionen, zum Beispiel in Subsahara-Afrika praktiziert werden, wo sich Überschwemmungen und Dürreperioden abwechseln.
„Vor ein paar Jahren, als hier eine Dürre herrschte, bekam ich die Auswirkungen zu spüren, denn Lebensmittel waren knapp und sehr teuer. Ich musste mich um viele Kinder mit Unterernährung kümmern.“ Aishatu Muhammad Jibril, Kinderärztin / Community-Mitglied, Nigeria
„In Uganda herrschte eine schreckliche Dürre, vor allem im Nordosten des Landes, in Karamoja, wo Berichten zufolge über 200 Menschen an den Folgen gestorben sind.“ Mpindi Abaas, Journalist / Community-Mitglied, Uganda
„Da es immer weniger regnet und die Dürren immer schlimmer werden, will man nach anderen Methoden wie zum Beispiel der Entsalzung suchen. Aber das ist immer noch teuer und nicht in allen Regionen möglich.“ Nour Trabelsi, Studentin / Community-Mitglied, Tunesien
„Derzeit leidet Tansania unter einem Mangel an Regenfällen, was sich auf die Wasserressourcen auswirkt. Das Problem hat sich auch auf die Stromversorgung ausgeweitet, da unsere Produktion größtenteils aus Wasserkraftwerken stammt.“ Robert Katikiro, Mitarbeiter einer NGO / Community-Mitglied, Tansania
„Die Sicherheitsprobleme, mit denen wir konfrontiert sind, lassen sich auf die Dürre in Nordnigeria zurückführen. Sie führt dazu, dass Bauern und Hirten um fruchtbares Land kämpfen.“ Aishatu Ella-John, Policy and Advocacy Development Worker / Community-Mitglied, Nigeria
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Schleppende SubventionierungIm Landwirtschaftsministerium werde er als Bastler, als Tüftler abgetan, erzählt Bellachhab Chahbani, halb belustigt, halb wütend. „Dabei habe ich den unterirdischen Verteiler ja entwickelt, als ich an einem staatlichen Institut geforscht habe. Und das Institut hat ihn patentiert.“ Also müsse das Ministerium die Technik eigentlich automatisch anerkennen. Dass er trotzdem Jahre habe kämpfen und intervenieren müssen, damit der Staat den Landwirten den Einsatz seines Systems subventioniert und die Hälfte der Kosten trägt, wie er es auch bei der Tröpfchenbewässerung tut, ärgert ihn. Doch inzwischen habe er mehrere Anträge durchgekriegt. Er hofft, dass es dadurch für künftige Nutzerïnnen des Systems einfacher werde.
Eine Hand mit einigen prallen, schwarzen Oliven in der Handfläche
Ein paar Oliven konnte Sami Chabir dieses Jahr schon ernten. Qualität und Ertrag lassen ihn hoffen
„Unser Antrag wurde schon lange bewilligt“, erzählt Sami Chabir zwischen seinen Olivenbäumen in Amarat. Die Inspektoren des Ministeriums seien sehr angetan gewesen vom Ergebnis. „Nur ausgezahlt wurde die Subvention immer noch nicht.“ Er lacht schulterzuckend. Wirklich verwundert scheint er darüber nicht zu sein und im Gegensatz zu anderen Bauern konnte sein Cousin das System vorfinanzieren. Chabir nimmt einige übriggebliebene Oliven von den Bäumen ab. Sie sind schwarz und klein, aber prall. Die erst im Frühjahr gepflanzten Bäumen haben sie im Herbst zum ersten Mal geerntet und Öl gepresst, zur Probe quasi. Schon jetzt liefern die jungen Oliven so viel Öl, wie es normalerweise die eines ausgewachsenen Baumes tun, freut er sich.
Ein Mann kniet auf dem Boden und hält zwei verbundene schwarze Bewässerungsschläuche in der Hand
Sami Chabir überprüft die bereits verlegten Systeme für den nächsten Abschnitt
Ein Mann kniet vor eine kleinen Graben mit einem Ast als Platzhalter und einem Bewässerungssystem
Die Pflanzlöcher für die nächsten Olivenbäume sind schon vorbereitet
Absatzmärkte außerhalb TunesiensPreise für den unterirdischen Verteiler hat Bellachheb Chahbani in den letzten zwanzig Jahren zur Genüge erhalten, sowohl in Tunesien als auch auf höchstem internationalen Niveau, zum Beispiel von der Weltbank, USAID oder der Unesco. Doch in reges Interesse an der Nutzung haben diese sich bis heute nicht übersetzt.
In Tunesien dominiert die Tröpfchenbewässerung den Markt und wegen der Wirtschaftskrise, die sich seit Jahren zunehmend verschärft, schrecken viele Landwirte vor Investitionen zurück. Von seiner Produktionskapazität von fünf Millionen Teilen pro Jahr ist die Fabrik von Chahbani heute weit entfernt. „Im Moment produzieren wir rund 30 000 Stück pro Jahr.“
In Kalifornien nutzen Olivenbauern seinen Verteiler schon seit Jahren erfolgreich. Im Frühjahr hat er in einem Pilotprojekt in Usbekistan die Mitarbeitenden des dortigen Innovationszentrums in der Nutzung geschult. Finanziert wurde das ganze durch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Die ersten Ergebnisse der Feldversuche seien vielversprechend. Ein erfolgreicher Abschluss des Projekts nach zwei Jahren könne ihm international Türen öffnen, hofft Chahbani, der sich auch in Richtung der Golfstaaten und ins Afrika südlich der Sahara orientiert. Am liebsten würde der Rentner den kaufmännischen und administrativen Teil der Arbeit des Familienbetriebs abgeben und sich ganz auf die Weiterentwicklung des Systems konzentrieren. In zwei Jahren soll die smarte Version marktreif sein. Dann können zum Beispiel Bodenfeuchtigkeit gemessen und Fehlerquellen im System erkannt und direkt aufs Handy ausgespielt werden.
Auf dem Gelände in Amarat hat Sami Chabir schon weitere Pflanzlöcher ausgehoben. Ein Streifen am Rande des Ackers ist noch leer. Am Ende sollen hier insgesamt 5000 Olivenbäume stehen. Wo einmal die Setzlinge hinkommen, stehen im Moment noch Holzstöcke als Platzhalter. Die Wasserschläuche sind schon verlegt, so dass er nur noch die jungen Bäume und die Verteiler selbst einsetzen muss. Er zeigt auf die andere Seite der Autobahn, über die eine schmale Brücke führt. In der Ferne ist ein ockerfarbenes, leeres Feld zu sehen. „Das sind auch noch einmal 20 Hektar.“ Platz für 5000 weitere Bäume. Sobald das aktuelle Feld fertig bepflanzt ist, geht es dort weiter.