Für die Ultra-Reichen reicht reguläre Therapie nicht aus. Bei psychischen Problemen wie Alkohol- oder Drogenmissbrauch bieten Luxus-Kliniken wie Paracelsus Recovery in Zürich konzentrierte Einzeltherapie und vor allem Diskretion
Bei klarem Himmel kann man sich aus den Fenstern der Luxus-Reha-Klinik Paracelsus Recovery in Zürich lehnen und über den See zu den Alpen im Hintergrund blicken. Es ist eine Art von Aussicht, mit blauem Wasser und weißbedeckten Gipfeln, die sofortige Verjüngung verspricht, eine Reinheit, die an Heiligkeit grenzt. Unterdessen bietet die Sucht- und Therapie-Klinik aufwändigere Behandlungen, die bei einem typischen sechs- bis achtwöchigen Aufenthalt zwischen 95.000 und 120.000 Schweizer Franken (zwischen 96.000 und 121.500 Euro) pro Woche kosten.
Ich war kein typischer Ankömmling in der Paracelsus-Klinik, die nach dem schweizerischen Arzt aus dem 16. Jahrhundert benannt ist, der im Gegensatz zur gängigen Meinung der damaligen Zeit glaubte, dass Patienten mit psychischen Krankheiten nicht von bösen Geistern besessen waren, sondern menschliche Behandlung verdienten. Mein Rucksack hatte Kaffee-Flecken und mein Mantel am Rücken ein Loch, durch das regelmäßig Federn entfleuchten. Mitarbeiter bei Paracelsus sind eher an Leute gewöhnt, die ihr Gepäck nicht selbst tragen und für die eine Million in jeder beliebigen Währung eine zu vernachlässigende Summe ist.
Die Patienten sind typischerweise Mitglieder königlicher Familien aus dem Nahen Osten, Selfmade-Milliardäre, berühmte Schauspiel- und Sportstars oder die geplagten Kinder all dieser Leute, die ihren Reichtum und die damit verbundenen Belastungen geerbt haben.
Offene Handelskonflikte, verdeckte Aggressionen in der Realwirtschaft und im Cyberraum sowie wachsender Protektionismus prägen aktuell die Weltpolitik. Die Beziehungen des Westens zur Volksrepublik China trüben sich ein, und wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben westliche Demokratien Sanktionen beispielloser Schärfe verhängt
Noch frappierender als der materielle Luxus des Paracelsus-Büros mit seinen hohen Decken und Reihen von weißen Orchideen war die Menge an Aufmerksamkeit, die mir geschenkt wurde, sobald ich durch die Tür getreten war. Ich war nicht für eine Behandlung hier, würde aber in einer der Penthouse-Apartments auf dem Klinikgelände untergebracht sein, während ich die Mitarbeiter:innen interviewte. Dennoch kamen aus allen Zimmern gepflegte Pflegekräfte, Ärzte, Verwaltungsangestellte und Ernährungsberater, die mit einem Lächeln lächelten, das man oft auf den Gesichtern von Geistlichen und Psychotherapeuten oder anderen Personen sieht, die glauben, Zugang zu einer schmerzlindernden Wahrheit zu haben.
Hinter ihnen ragte Jan Gerber auf, der Geschäftsführer, groß und blond wie Pampasgras, mit einem um den Hals geknoteten Seidenschal und der kontrollierten Herzlichkeit eines Mannes, der ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hat, das die vertraulichen Probleme der Superreichen behandelt. Ihm folgte Pawel Mowlik, der geschäftsführende Gesellschafter: ein Mann, der in seinen Zwanzigern Millionen mit Hedgefonds verdiente und dann mehrere Jahre lang Kokain- und Alkohol-abhängig war. Er machte mehrere Entziehungskuren, und nach drei Monaten intensiver psychologischer Arbeit in der Paracelsus-Klinik entdeckte er, dass es sein Lebensziel ist, Menschen wie ihm selbst zu helfen.
💳 Einzel-Reha für Superreiche in Zürich
Der 39-jährige Mowlik ist einer von den Leuten, die ihr Leben erzählen, während sie es leben, ein sicheres Zeichen für jemanden, der sehr viel Erfahrung mit Psychotherapie hat. Da er wusste, dass ich aus London komme, erzählte er davon, dass er in verschiedenen Teilen der Stadt gelebt hat: Covent Garden, Bayswater, St Katharine’s Dock. Von Natur aus rastlos gefiel es ihm, nicht an einem Ort zu bleiben. „Heute glaube ich, dass es kein Zuhause gibt“, sagte er. „Zuhause ist ein Gefühl.“
Für den typischen Patienten der Paracelcus-Klinik ist Zuhause normalerweise eins von mehreren großen Häusern, möglicherweise ein Palast. Nach Zürich kommen sie für eine besondere Form der Behandlung, bekannt als Einzel-Reha, oder „nur ein Patient gleichzeitig“, für die die Stadt weltweit unter den Ultra-Reichen bekannt geworden ist. Außer Paracelsus gibt es in Zürich auch noch die Kusnacht Practice, in der das Konzept seinen Ursprung hat. Im Gegensatz zu anderen bekannten Kliniken – das Meadows in Arizona, Betty Ford in Kalifornien, The Priory in Großbritannien – sehen oder interagieren in den Züricher Kliniken Klienten niemals mit anderen Klienten. Es gibt keine Gruppentherapie, keine Gemeinschaftsräume.
Die Klienten oder Klientinnen wohnen in ihrem eigenen Haus oder Apartment und haben einen eigenen Fahrer, eine Haushälterin, einen Koch und persönliche therapeutische Betreuung rund um die Uhr durch einen Live-in-Therapeuten. Dazu kommen tägliche Einzelsitzungen bei einem 15- bis 20-köpfigen Team, darunter Psychiater, Ärzte, Krankenpflegepersonal, Yogalehrer, Masseur, Ernährungsberater, Hypnotiseur und Traumatherapeuten, die sich nach jedem Termin über den Zustand und den Fortschritt des Patienten austauschen. Obwohl sich in verschiedenen Residenzen der Klinik drei oder vier Klienten gleichzeitig aufhalten mögen, sind ihre Terminpläne so ausgeklügelt, dass der Eindruck erhalten bleibt, sie seien der einzige Fokus der gesamten Einrichtung. Abgesehen von den Mitarbeiter:innen wird niemals jemand wissen, dass sie da sind.
So, erklärte Gerber, müsse es auch sein. Nicht, dass der Schmerz der Superreichen komplizierter ist als der aller anderen. Sicherlich sind sie laut dem sich entwickelnden Gebiet der Reichtumspsychologie von speziellen Erfahrungen betroffen, etwa Problemen wie „plötzlicher Reichtum“ oder die Verantwortung für eine enorme Erbschaft. Angstzustände, Depressionen, Suchtverhalten und Essstörungen sind jedoch nicht auf diese Bevölkerungsgruppe beschränkt. Alle nehmen Drogen und trinken Alkohol; nur dass bei den Reichen „ihre Drogen teurer sind“, erklärte die medizinische Leiterin bei Paracelsus, Doktor Anna Erat (Kokain-Konsum, der tausende Dollar die Woche kostet, eher als die Abhängigkeit von billigem Wodka).
Dennoch würde laut Gerber ein normaler Entzug einfach nicht funktionieren. Die Klienten sind oft weltberühmt und wollen absolute Diskretion. Abgesehen von dem Wunsch nach Privatsphäre hat extremer Reichtum eine seltsam isolierende Wirkung. „Wenn man einen Milliardär in eine Gruppe steckt, selbst mit gut situierten Menschen aus der Mittelschicht, können sie keine Beziehung zueinander aufbauen“, erklärte mir Gerber. Diese Leute seien nicht wie wir anderen. Ihr Leben und ihr Denken haben sich durch ihr Vermögen verändert.
Psychische Krankheiten werden die Epidemie, die folgen wird. So zumindest beurteilt ein Teil der Fachwelt den gestiegenen Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen „nach Corona“. Auch zuvor stand es um diesen Bedarf – laut EU-Kommission sind 27 Prozent der Erwachsenen in der EU von psychischen Erkrankungen betroffen – nicht allzu gut. Zwar ist Deutschland mit seiner psychotherapeutischen Versorgung im europäischen Vergleich gut aufgestellt, doch lange Wartezeiten für einen freien Therapieplatz sind keine Seltenheit.
Der Zugang zu einer Psychotherapie gestaltete sich bislang etwa so: Der Patient ringt mit sich. Und ringt weiter. Und wenn er es schafft, Scham und Kraftlosigkeit für einen Moment zu überwinden, fragt er bei seinem Hausarzt oder direkt in einer psychotherapeutischen Praxis an. Hat er Glück, kann er schon bald darauf zur psychotherapeutischen Sprechstunde, die vormals Erstgespräch genannt wurde. Oder er hat Pech. Laut Bundespsychotherapeutenkammer warten Betroffene in Deutschland durchschnittlich 20 Wochen bis zum Beginn einer regulären Behandlung.
In mindestens zwei Sitzungen ermittelt der Therapeut dann in der Sprechstunde, ob eine Behandlung sinnvoll wäre und welche. Oft ist anfangs nicht klar, was den Patient*innen genau fehlt. Das ist nachvollziehbar bei Krankheiten, deren Ursachen nicht allein in biologischer, sondern auch in biografischer Dysbalance zu suchen sind. Daher ist es nicht selten, dass ein Therapeut während der laufenden Therapie die Diagnose anpasst und die Behandlung verlängert. Bei einer Verhaltenstherapie, der „schnellsten“ Therapieform, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen derzeit beispielsweise bis zu 80 Sitzungen à 50 Minuten. Genau dieses Vorgehen, das etwa eine für wenige Wochen angesetzte Therapie auf weitere Monate oder gar Jahre erweitern kann, war den Krankenkassen und dem Gesundheitsministerium unter Jens Spahn offenbar ein Dorn im Auge.
Zumindest suggerierte das ein Änderungsantrag zum „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“. Jene 160 Seiten pries Spahn bereits im Februar als große Modernisierungsoffensive an. Im Mai jedoch reichten die schwarz-roten Regierungsfraktionen einen Änderungsantrag ein, der unter anderem dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt. Darin wird empfohlen, die Versorgung von psychisch Kranken künftig „bedarfsgerecht und schweregradorientiert“ zu gestalten. In Zukunft sollte zu Beginn einer Therapie beschlossen werden, wie lang sie dauern wird. Individuelle Anpassungen wären folglich nicht mehr möglich gewesen. Einzelne Mitglieder der SPD-Fraktion merkten bereits zuvor an, dass die Änderung nicht in der Koalition abgestimmt wurde. Gestern stimmte die Bundestagsfraktion dann gegen den Antrag. Damit ist er vom Tisch.
Doch der Schaden ist bereits angerichtet. Entgegen der Sitte, die unangenehmen Passagen großer Gesetzesentwürfe möglichst heimlich per kurzfristigem Änderungsantrag nachzureichen, um ein Medienecho zu verhindern, ist das diesmal nicht gelungen. Prominente und viele Psychotherapeut*innen machten im Internet per Hashtag (#Rasterpsychotherapie) auf die Reform aufmerksam. Eine Online-Petition, die die Änderung verhindern wollte, hatten bereits knapp 200.000 Menschen unterschrieben. Verbände wie der der Patient*innen haben sich geäußert. So etwa der Vorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, Gebhard Hentschel: „Eine Behandlung ,nach Tabelle‘, die Patient*innen je nach Diagnose eine bestimmte Anzahl an Therapiestunden zuweist, müssen wir verhindern.“
Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen – all das sind komplexe und hochindividuelle Krankheitsmuster, die sich aus dem von den Betroffenen Erlebten ergeben. Diese Krankheitsbilder zu betrachten wie Waren, die genormten Längen entsprechen und sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden, ist nichts Geringeres als das Ende einer wirksamen Psychotherapie. Darauf zielte der Änderungsantrag ab.
Bricht man dies auf die organische Medizin herunter, würde das bedeuten: Wenn sich nach drei Wochen Behandlung herausstellt, dass die Magenschmerzen des Patienten nicht von einer Schleimhautentzündung, sondern von einer Krebserkrankung im Frühstadium herrühren, dann ist das egal – Ersteres wurde eingangs ermittelt, und der Patient muss nach drei Wochen gehen. Das ist in der Tat „bedarfsgerecht“. Nur geht es nicht um die Bedürfnisse des Patienten, sondern um die des Marktes.
💳 Zürich ist für Superreiche ein guter Ort zum Verstecken
In Zürich fühlt sich sogar das Sonnenlicht teuer an. Die Berge und der See verleihen ihm einen goldenen Glanz, der von den Schmuckstücken in den Schaufenstern der Designerläden an der Bahnhofstraße und den makellosen weißen Segeln der Schiffe, die über den See fahren, reflektiert wird. Die Lebenshaltungskosten in der Stadt sind die höchsten in der Schweiz und die sechsthöchsten auf der ganzen Welt. Die „goldene Küste“ Zürichs zieht sich über die Stadtgrenze hinaus den See entlang. Am Ende der Straßen, die zum Seeufer führen, befinden sich Strände, an den Kinderfrauen kleine Kinder zum Spielen bringen und Männer in knappen Badehosen schwimmen, bevor sie wahrscheinlich heimgehen, um ihre Investitionen zu checken. Als ich eine der größeren Straßen entlanglief, kam ich am Algonquin vorbei, einem mit einem Zaun verschlossenen Schloss, in das sich 2009 Tina Turner zur Ruhe gesetzt hat. Wenn sie in den lokalen Supermarkt geht, dreht sich scheinbar niemand um, um sie anzustarren. Für die Reichen und Berühmten ist Zürich ein guter Ort, um sich in Ruhe zu verstecken, dank der – wie es ein Züricher nannte – „einzigartigen Unaufgeregtheit der Schweizer“.
Einen kurzen Spaziergang von Turners Zuhause befindet sich im Ortsteil Küsnacht am Seeufer das Haus von Carl Jung, eine große, crèmefarbene Villa, in der der Psychiater den Großteil seines Lebens verbrachte. In den späten 1920er-Jahren behandelte Jung mehrere Monate lang einen alkoholsüchtigen amerikanischen Geschäftsmann namens Rowland Hazard III. Nachdem Hazard wieder zu trinken begonnen hatte, sagte ihm Jung, ohne ein spirituelles Erwachen werde er sich nie erholen. Daraufhin schloss sich Hazard einer evangelikalen christlichen Gemeinschaft namens Oxford Group an, hörte mit dem Trinken auf und unterstützte einen alten Freund bei der Bewältigung seiner Alkoholsucht. Dieser alte Freund wiederum betreute Bill Wilson, der dann 1935 die spirituell angehauchten Anonymen Alkoholiker gründete.
Was Heilung angeht, ist die Gegend um Zürich also geschichtsträchtig. Sie ist sowohl der Ursprung des größten, kostenlosen, Peer-to-Peer Anti-Sucht-Programms der Welt als auch am anderen Ende der Skala des exklusivsten. Die erste Klinik für „einen Klienten nach dem anderen“ wurde hier 2009 von einer Krankenschwester und ihrem damaligen Ehemann, einem Suchtberater, gegründet. Das Paar – Christine Merzeder und Lowell Monkhouse – beschloss, einem alkoholkranken Freund zu helfen. Anstatt ihn an eine etablierte Suchtklinik zu überweisen, fanden sie ihm eine Wohnung, verwandelten ein ungenutztes Schlafzimmer in ihrer Wohnung in einen Praxisraum und holten jemanden für die Anleitung von Yogaübungen ins Boot.
Merzeder fand die tägliche, gezielte Behandlung eines einzelnen Klienten befriedigender und effektiver als die übliche Einheitsbehandlung in einer öffentlichen Klinik. Nur war das arbeitsintensiv. Merzeders Sohn, Jan Gerber, erkannte eine Gelegenheit. Nach seinem Abschluss an der London School of Economics (LSE) arbeitete Gerber als Finanzberater für Investmentbanken und hatte verschiedene Unternehmen gegründet, darunter eine Schönheitsoperationsklinik für Männer in Zürich. Er kannte die Gewohnheiten der sehr Reichen und ihre Probleme. Er wusste, es würde viele Leute geben, die bereit waren, zu zahlen.
„Eine Prinzessin vollgepumpt mit Pillen“
Gemeinsam gründeten sie 2011 die Kusnacht Practice. Am Anfang kam der Erfolg durch persönliche Weiterempfehlung. Laut Moustafa Hammoud, der früher als Vermittler für Kunden aus dem Nahen Osten arbeitete, schickte ein Kunde aus Saudi-Arabien mindestens drei seiner Kinder, die alle an Suchtproblemen oder Depressionen litten. Hammoud schätzt, dass anfangs rund 70 Prozent der Klienten aus Saudi-Arabien, den Vereinten Arabischen Emiraten, Kuwait und Ägypten stammten. Zu Hause berühmt, suchten viele Klienten im Ausland Hilfe, damit die „Schande“ ihrer Probleme nicht öffentlich wurde. Viele, erzählte er, kamen mehrere Male. „Sie erholten sich, wurden wieder rückfällig und kamen dann wieder. Die Klinik wuchs schnell, stellte mehr Mitarbeiter ein und mietete weitere Häuser für die Kunden. 2013 verließ Gerber das Unternehmen und gründete Paracelsus. In der Zwischenzeit verkaufte Monkhouse das Kusnacht an eine Private-Equity-Firma. Es wird nun von einem brasilianischen Unternehmer geführt und bietet verschiedene medizinische Behandlungen, darunter „biomolekulare Wiederherstellung“, sowie Reha an. Paracelus bleibt kleiner – „mehr Boutique und persönlicher“, erklärte Gerber.
Von Anfang an brachte diese Art Klienten Herausforderungen mit sich, denen Merzeder während ihrer Laufbahn im öffentlichen Gesundheitssystem der Schweiz nicht begegnet waren. Oft kamen sie mit mehreren Rezepten an, die das Ergebnis von Überbehandlungen durch konkurrierende Privatärzte waren, die nicht die Anmerkungen der jeweils anderen gelesen hatten. Sie erinnerte sich an eine jüngere Patientin, „eine Prinzessin“, die vom besten US-amerikanischen Professor für Kinderpsychiatrie behandelt worden war und „vollgepumpt mit Pillen“ bei ihr ankam. Merzeder war überzeugt, dass ein Ansatz, der die Versorgung von Körper und Psyche zusammenführt, ein besseres Ergebnis bringen würde. „Ich habe mich nie für die Geschäftsentwicklung oder das wirtschaftliche Ergebnis interessiert“, fügte sie hinzu. „Ich war nur an den klinischen Erfolgen interessiert.“ Gerber, der neben ihr saß, strahlte: „Darum sind wir ein gutes Team!“
Gerber kennt seinen Markt und weiß, dass er am Wachsen ist. Von 2019 bis 2021 wuchs die Zahl der sehr vermögenden Personen, die mehr als 50 Millionen US-Dollar (47,4 Millionen Euro) besitzen, von 174.800 auf 264.000 an. Obwohl sie finanziell gegen zahllose Schwierigkeiten gewappnet sind, ist laut Gerber die Wahrscheinlichkeit, an einer psychischen Krankheit oder einem Drogenproblem zu leiden, für Menschen in dieser Wohlstandsklasse drei- bis fünfmal höher als für den Durchschnitt. Angesichts der Tatsache, dass Paracelsus nur 30 bis 40 Patientinnen im Jahr aufnimmt, ist der Pool sicher groß genug, um die Klinik zu beschäftigen.
Die ultra-exklusive Behandlung psychischer Krankheiten ist eine von vielen neuen Mikroindustrien, die im Dienst der Superreichen entstanden sind. Der Spears 500, ein jährlicher Index für Beratungsdienste, empfiehlt jetzt Experten für alles, vom Erwerb von Weinbergen bis Krypto-Reputations-Management. Die „Ultra-Nettowert-Psychologin“ Dr. Ronit Lami pendelt zwischen Los Angeles und London. Als sie im Jahr 2000 mit ihrer Arbeit begann, habe niemand viel über diesen Bereich gewusst, erzählte sie. Heute wollen ihre Klienten spezialisierte Fachleute, die sich mit den Besonderheiten der Nachfolgeplanung und der Übertragung von Generationenvermögen auskennen. Sie wünschen sich wie in vielen anderen Bereichen eine maßgeschneiderte und exklusive Dienstleistung, einen Privatjet statt einer kommerziellen Airline.
Frühere Kusnacht-Mitarbeiter exportierten die Idee der Einzelklienten-Reha inzwischen in die ganze Welt und eröffneten ähnliche Kliniken auf Mallorca (The Balance), in Irland (Rosglas) und eine weitere in Zürich (Calda). Das erste luxuriöse Einzelklienten-Zentrum in London, Addcounsel, wurde von einem Geschäftsmann namens Paul Flynn eröffnet. Er verkaufte seine Personalvermittlungsfirma und gründete 2016 die Klinik, nachdem ein Freund, der bei Kusnacht arbeitete, die Idee vorgeschlagen hatte. Flynn erzählte mir, das Unternehmen sei im vergangenen Jahr um 300 Prozent gewachsen. Für 2023 erwartete er einen ähnlichen Anstieg. Das Elend der Superreichen ist ein Markt wie jeder andere, und es gibt eine Marktlücke. In den kommenden Jahren wird es seiner Meinung nach „zu einer Menge Fusionen und Übernahmen in diesem Bereich kommen.“
💳 Penthouse-Räume mit Seeblick
Die Berge und der See verleihen Zürich einen goldenen Glanz
Man muss sich anstrengen, nicht vom Luxus verführt zu werden. Gerber zeigte mir das Apartment, in dem ich bei Paracelsus wohnen würde, eine Reihe von Penthouse-Räumen mit Seeblick, in denen alles zu glitzern schien: Glastische, silberne Kerzenständer, Marmoroberflächen. Im Schlafzimmer hatte die Bettwäsche ein leuchtendes, makelloses Weiß, das unmöglich zu erreichen ist, wenn man seine Wäsche selbst wäscht. Ein Tablett mit frisch zubereiteten Miniatur-Auberginen und Ricotta-Cannelloni wurde auf den Couchtisch gestellt, nur für den Fall.
Sie strebt danach, mühelos zu erscheinen, diese Opulenz, während die Arbeit, die sie ermöglicht, im Verborgenen stattfindet. Haushälterin Izabela Borowska-Violante und Küchenchef Moritz von Hohenzollern kommen normalerweise zur Arbeit, bevor ein Klient aufgewacht ist. Während ich durch die perfekten Räume lief, nichts zu berühren versuchte und mir wünschte, mein Rucksack wäre nicht ganz so schmutzig, kamen sie aus dem Personalraum der Wohnung, als hätten sie dort in aller Ruhe gewartet. Gerber erzählte mir, dass die Mitarbeiter sich ganz so verhalten, wie ein Klient es möchte, sei es gesprächig oder unsichtbar. Auf jeden Fall sollten sie die „ruhigen, guten Geister des Hauses“ sein, fast wie eine Familie, wenn auch keine Familie, die ich kenne. „Bei mir geht es vor allem darum, still im Hintergrund zu sein“, bestätigt von Hohenzollern, es sei denn, der Kunde wünscht Gesellschaft. Trotz dieser Politik der Zurückhaltung konnte er seinen Enthusiasmus nicht immer zügeln. „Ein herzliches Willkommen von uns von der gastronomischen Seite“, dröhnte er bei meiner Ankunft.
Anfangs kam ich ins Schleudern, weil ich das Vorhaben nicht ganz verstanden hatte. Ich dankte ständig allen, sodass es schon für Irritationen sorgte. Weil es mir peinlich war, versuchte ich Dinge selbst zu tun, etwa mir selbst Wasser zu holen – bis von Hohenzollern mich daran erinnerte, dass das sein Job sei. Am ersten Morgen fragte er mich, ob ich Pilze möge. Oh ja, log ich höflich. Später bereitete er Pilze zum Abendessen zu und ich aß sie alle auf. Am nächsten Tag, während einer Beispielsitzung mit einer Ernährungsberaterin, fragte sie mich, ob es etwas gebe, was ich nicht besonders gern esse. Ich sagte: Pilze. Noch bevor ich ins Apartment zurückkehrte, war die neue Information bereits im Team weitergegeben worden. Von Hohenzollern war geknickt.
Warum hatte man ihm das nicht vorher gesagt?
Wie konnte er seinen Job gut machen, wenn er mir nicht zu jederzeit das bot, was ich genau wollte?
Der typische Klient wäre einen solchen Service natürlich gewohnt. Wenn überhaupt, ist das Paracelsus-Apartment – mit seiner Küche und dem Esszimmer und einem großen privaten Bereich für die Klient:innen – wahrscheinlich beengt im Vergleich mit ihrem eigenen Zuhause. Die Klinik wolle eine sichere, Kokon-artige Umgebung schaffen, ideal für die Genesung, erklärte Gerber. Im Gegensatz dazu beherbergt die Kusnacht Practice, die eine zehnminütige Autofahrt entfernt liegt, ihre Kunden in großzügigen Villen. Als man mir eine zeigte, mit Marmorbädern auf allen drei Stockwerken, einem Außenpool und einer riesigen Dachterrasse, fiel mir das Porträt eines Mannes auf, der einen aus dem Rahmen heraus anstarrte. Mir wurde versichert, dass man es entfernen könne, falls der Kunde es als störend empfände, angeblickt zu werden, wenn auch nur von einem Gemälde.
Rund-um-die-Uhr-Betreuung statt 50-Minuten-Sitzungen
Die letzte Komponente des Paracelsus-Apartments, die bei meinem Aufenthalt fehlte, war die Rundumbetreuung durch die Live-In-Therapeutin. Es sei „eine sehr enge Beziehung“, sagte Danuta Siemek, die seit einem Jahr in dieser Funktion tätig ist. Sobald sie Patienten zugewiesen ist, begleitet sie sie für die gesamte Dauer eines Aufenthalts. Sie isst mit ihnen, spricht mit ihnen, wann immer ihnen danach ist, und kümmert sich um sie, wenn sie um 4 Uhr morgens eine Panikattacke haben. Es ist eine intensive und intime Arbeit, eine Dynamik, die andere Psychotherapeuten, mit denen ich sprach, überraschte, da sie an das konventionelle Format streng begrenzter, wöchentlicher 50-minütiger Sitzungen gewöhnt sind. Um Unklarheiten zu vermeiden: den Patient:innen werden in der Regel Therapeut:innen zugeteilt, die nicht in ihrem Alter sind und ein Geschlecht haben, das nicht mit ihren sexuellen Präferenzen übereinstimmt. „Das Leben, wie wir es kennen, hört auf“, sagte Siemek über ihre Arbeit. Ich fragte mich laut, wie man da nicht verrückt wird. „Power Walking“, antwortete sie.
Es hat einen bestimmten Effekt, das Zentrum der Aufmerksamkeit mehrerer professioneller Mitarbeiter zu sein. Ich erwähnte, dass ich Nüsse mag. Leicht gewürzte Nüsse wurden gebracht. Wenn ich ein Handtuch auch nur streifte, wurde es sofort neu gefaltet, um unberührt zu wirken. Während der Sitzung mit der Ernährungsberaterin begann ich mich zu fragen, ob meine Essgewohnheiten tatsächlich einzigartig faszinierend sind. Ein sanftes Abgleiten in den Narzissmus schien unausweichlich.
Aber genau dafür zahlt der Patient: die komplette Hingabe eines ganzen Teams. Zu Beginn des Aufenthalts hat die körperliche Stabilisierung Priorität. Das medizinische Personal führt Bluttests durch, überwacht den Blutdruck und die Herzfrequenz und erstellt anschließend einen Bericht, der alle Schwachpunkte aufzeigt. „Viele unserer Kunden sind sehr datenorientiert“, sagt der medizinische Leiter Erat. Manchmal seien sie ein wenig besessen von den Berichten, die sie als Tabellenkalkulation wiedergeben, als ob ihre Probleme durch die Korrektur eines einzigen schlechten Werts gelöst werden könnten. Aber für ihre Genesung „ist es nur eine Methode von vielen“, erklärte Erat.
Psychische Heilung ist harte Arbeit, ob man extrem reich ist oder nicht. Paracelsus’ leitender Psychiater Thilo Beck ist einer der renommiertesten in Zürich. Der ruhige Mann mit dem rasierten Kopf, den riesigen weißen Turnschuhen und der kühlen, unerschütterlichen Ausstrahlung teilt seine Zeit zwischen Paracelsus und der Arud auf, einer der größten nichtkommerziellen ambulanten Suchtkliniken der Schweiz. In der Arud behandelt er Leute vom anderen Ende des sozioökonomischen Spektrums, Abhängige, die in Armut oder an der Grenze zur Obdachlosigkeit leben. Beide Gruppen sind laut Beck „in gewisser Weise stigmatisiert und marginalisiert. Sie werden nicht als ganz normal angesehen“. Bei beiden trifft er häufig auf emotionale Vernachlässigung. Auf der einen Seite wurde ein Klient möglicherweise von einem Elternteil aufgezogen, das mehrere Jobs jonglieren musste, um über die Runden zu kommen. Auf der anderen Seite des Spektrums wurden die Klienten oft „von Kinderfrauen aufgezogen“. Häufig war da das Gefühl – wie er es formulierte –, dass man niemandem richtig wichtig war.
💳 Akzeptanz- und Commitment-Therapie
Beck absolvierte seine Ausbildung in der gleichen psychiatrischen Klinik, in der einst Jung arbeitete. Zu Beginn seiner Karriere, in den 1990er-Jahren, legte Suchtbehandlung den Fokus auf Abstinenz, bis heute die Methode, die den Kern des 12-stufigen Programms der Anonymen Alkoholiker ausmacht. Beck hat dafür keine Zeit. „Es ist paternalistisch“, erklärte er mir. „Dahinter steht, 'Wir wissen es besser und wir müssen die Leute dazu bringen, zu verstehen, was gut für sie ist’.“ Beck bevorzugt einen pragmatischeren Ansatz, indem er mit seinen Klienten eine „Arbeitshypothese“ darüber vereinbart, was das Problem ist und wie es behandelt werden könnte. Anschließend wendet er eine Reihe von Therapien an, einschließlich der von ihm als „Dritte Welle“ bezeichneten Behandlungen wie die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, deren Ziel es ist, die Symptome nicht zu bekämpfen, sondern sie „als Gäste in ihrem Leben willkommen zu heißen“.
Dieser Ansatz helfe Klienten oft, etwas nicht mehr als Problem, sondern als Chance zu begreifen, ihr Leben zu verändern. Aufgrund der Intensität des Prozesses reagierten die Klienten schnell, fügte er hinzu. In einer ambulanten Klinik sieht er Patient:innen vielleicht einmal in der Woche. Im Paracelsus trifft er sie jeden Tag 90 Minuten lang und kann seine Methoden schnell anpassen. „Wir beobachten eine Veränderung innerhalb von einem Monat oder zwei Monaten, der in einem anderen Zusammenhang ein Jahr dauern würde.“
Psychische Heilung ist mit Arbeit verbunden, ob man extrem reich ist oder nicht
Die Klienten lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: diejenigen, die in den Wohlstand geboren sind und diejenigen, die ihn als Erwachsene erworben haben. Erstere fühlen sich oft richtungslos, erdrückt durch den Erfolg ihrer Eltern und beschämt über die Leichtigkeit ihres Lebens. „Die Selfmade-Männer sind komplett anders“, erzählte Beck. „Nicht einfacher.“ Häufig hatten sie eine Arbeitsethik, die selbstzerstörerisch war und dazu führte, dass sie Familie, Freunde und ihre eigene Gesundheit vernachlässigten. Aber es gab auch Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gruppen. Beide schienen zu spüren, dass etwas fehlt: ein tieferes „Werteproblem“, wie Beck es formulierte, das sich letztlich mit der Frage zusammenfassen lässt: „Was soll ich auf dieser Welt tun?“ Es fehlte an Sinn; etwas, das nicht da oder verloren gegangen war; eine klaffende Leere, die unter dem Geld lag.
An meinem zweiten Abend in Zürich erzählte mir Pawel Mowlik von dem Moment, an dem er die Leere spürte. Im Sommer 2014 wachte er in der Präsidentensuite in einem Hotel in Monaco auf, umgeben von den nackten Körpern von Leuten, die er nicht kannte. Da wurde ihm klar, dass seinem Leben der Sinn fehlte.
Wir saßen dabei in einem seiner Lieblingsrestaurants in Zürich, einem von Hunderten, die er im Laufe eines einzigen Jahres aufsucht und rund eine Million Euro für gehobenes Essen ausgibt. Mowlik ist in einer polnischen Kleinstadt geboren und hatte eine strenge Mutter und einen unglücklichen Vater. Nach der Scheidung seiner Eltern begann er, mit Amphetaminen zu experimentieren. Laut seiner Erinnerung lag er einmal drei Tage lang wach und redete mit jedem Nachbarn, der ihm zuhören wollte. Mit 15 verließ er die Schule und arbeitete als Page im Hotel Atlantic Kempinksi in Hamburg. Dort machte ihn sein Charme so bekannt, dass er in einem Lokalmagazin porträtiert wurde. (Ein Foto des Artikels hebt er auf seinem Handy auf). Während des Studiums an einer Hotel-Management-Schule in Zürich traf er einen Hedgefonds-Manager, der ihm einen Job im Bereich Investor Relations in der Schweizer Niederlassung des Fonds anbot. Mit 24 Jahren hatte er Millionen verdient, zog von New York nach London („meine Glanzzeit“) und machte so viel Party, wie man von jemandem erwartet, der früher nichts hatte und mittlerweile alles erworben hat. Er trug Anzüge von Louis Vuitton und Hemden von Tom Ford und wurde, wie er es ausdrückte, „so ein James-Bond-Typ“. Zu diesem Zeitpunkt betrachtete er Kokain nicht mehr als Droge, sondern als eine praktische Notwendigkeit, um weiterzumachen.
Als Mowlik merkte, dass er kurz davor war, sich selbst zu zerstören, begab er sich in eine Sucht-Reha-Klinik, zunächst in Florida, dann in mehrere andere, bis er bei Paracelsus landete. Nach seiner Genesung schloss er sich Gerber’s Team an. Mowlik liebte es, sich mit den Kunden anzufreunden. Oft reiste er mit ihnen in die Provence, nach Monaco oder Mailand. Er erzählte seine Geschichte, und im Gegenzug erfuhr er ihre. „Manchmal ist es lustig, manchmal ist es traurig“, sagte er, „denn ich habe viele traurige Dinge erlebt. Mehr als einmal nahm er eine Überdosis. Und er hatte das Gefühl, dass alle seine Freundschaften gekauft waren. „Mein ganzes Leben lang habe ich mich irgendwie einsam gefühlt, obwohl ich so viele Leute kenne“, erklärte Mowlik. „Es gibt einen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Ich habe mich einsam gefühlt, nicht allein. Und das tue ich immer noch. Er schien das gelassen zu sehen, als sei das einfach der Preis für ein Leben wie seines. „Ich bin nicht mehr traurig darüber, nicht wie in der Zeit, als ich Drogen und Alkohol brauchte, um es zu kompensieren. Ich akzeptiere es einfach.“
Unendlich weit weg von der Realität
Das Thema Einsamkeit taucht wiederholt auf. Gerber skizzierte das typische Profil eines Kindes von Milliardären, das von einem teuren Kindermädchen aufgezogen und auf ein Eliteinternat geschickt wird. Später wird erwartet, dass es in das Familienunternehmen eintritt oder sich zumindest einem bestimmten Lebensstil anpasst. Oft dürften solche Kinder auch nicht heiraten, wen sie wollen, weil ihre Eltern „dafür sorgen, dass du niemanden mit nach Hause bringst – aus Sicherheitsgründen“.
Es fiel mir auf, dass die Bedingungen in der Klinik die Einsamkeit zu wiederholen schien, die das Leben vieler Klientinnen bestimmt: abgeschnitten von der Gemeinschaft, kostspielig isoliert und geplagt von einem Gefühl der ungerechtfertigten Besonderheit. Gerber betonte zwar oft, dass es für die Genesung der Klienten wichtig sei, in einer vertrauten Umgebung zu sein, die einem Standard entspricht, an den sie gewöhnt sind. Aber wie mir eine frühere Live-in-Therapeutin in einer der Schweizer Kliniken erzählte: „Es ist Segen und Fluch zugleich. Letztlich unterstützen wir die Dynamik, dass die Person die wichtigste im Raum ist.“
Beunruhigende Anzeichen stellten sich ein. Am zweiten Tag in dem Apartment hatte ich fast völlig aufgehört, mich unermüdlich zu bedanken. Auch hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, herumgeführt zu werden, dass ich mich, als ich ausnahmsweise meinen Weg allein finden musste, aussperrte. Ich musste eine Krankenschwester rufen, damit sie mich hereinließ, hilflos wie ein Kind.
Das Umfeld schien zu begünstigen, nicht selbst Verantwortung zu übernehmen. Oft seien die Leute, die zur Behandlung kommen, nicht daran gewöhnt, früh aufzustehen, erzählte mir Hammoud. „Manchmal darf man sie nicht wecken. Sie gucken dich dann von oben nach unten an und sagen: Wer bist du, dass du mich aufweckst?“ Ein Patient griff alle verbal an, erinnerte sich von Hohenzollern. Einmal schleuderte der Mann seinen Teller voll Essen auf den Boden. „Wir gehen auf alle ihre Bedürfnisse und Wünsche ein“, stellte die frühere Live-in-Therapeutin fest. „Sie machen nicht die Erfahrung, in der Realität anzukommen.“ Manche hätten nie in ihrem Leben ein Nein gehört, erzählte Gerber. Es seien dennoch Menschen mit sehr hohem Leidensdruck, betonte er, möglicherweise, weil er in meinem Gesichtsausdruck Wellen der Verurteilung bemerkt hatte.
Laut Live-In-Therapeutin Danuta Siemek ist das Prinzip ihrer heiklen Beziehung zu den Klienten, ihnen mit „bedingungslos positiver Wertschätzung“ zu begegnen. Sie akzeptiert sie ohne Vorbehalt. Das bedeutet nicht, dass die Patienten nie herausgefordert werden, aber „wenn wir sie zu sehr fordern“, erklärte Gerber, „könnten wir eine Situation schaffen, in der beide Seiten verlieren. Sie packen ihre Sachen und verschwinden.“ Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Privatjet-Pilot eines Klienten in einem nahegelegenen Hotel in Zürich untergebracht ist, damit eine Abreise jederzeit möglich ist. Natürlich ist es besser für die Bilanz, wenn der Patient bleibt.
💳 Nachsorge-Programm zu Hause
Nicht, dass die Behandlung nach der Abreise unbedingt endet. Nach ihrem Aufenthalt in der Schweiz fliegen Patienten häufig mit ihrem Live-in-Therapeuten im Schlepptau nach Hause, bei einem Tagestarif von 2.250 Euro. Laut Paul Flynn in London ist das Nachsorge-Programm zentral für das Finanzierungsmodell, da es eine wiederkehrende Einnahmequelle ist, während der Reha-Aufenthalt nur einmalig Geld bringt. Kürzlich habe ein Klient einen Therapeuten mit nach New York genommen, erzählte Gerber. Er habe ihn für eine Woche in einem Hotel untergebracht, ohne sich auch nur einmal an ihn zu wenden. Er fand es einfach angenehm zu wissen, dass er in der Nähe ist. „Wir haben eine über 70-jährige Therapeutin, die praktisch nach Saudi-Arabien umgezogen ist“, fügte er hinzu. Das ist eine Lösung, die irgendwie im Widerspruch zu der normalerweise typischen Betonung von Psychotherapie steht, ein nicht abhängiges Verhältnis zu schaffen, in dem ein Klient lernt, selbstständig zu sein.
In den meisten Fällen aber wird der Therapeut oder die Therapeutin am Ende nicht mehr da sein. Die Klinik bleibt in Verbindung, aber letztlich müssen Patienten wie ein Kind, das erwachsen wird, lernen, es allein zu schaffen, mit ihren eigenen Fahrerinnen, Köchen, Haushältern, Therapeuten und Psychiaterinnen.
Mehr als einmal hörte ich bei meiner Recherche in den Luxus-Kliniken in Zürich, dass der entscheidende Moment der Veränderung, das spirituelle Erwachen der Behandelten, der Besuch eines Lebensmittelgeschäfts war. In einer Version wurde ein Mitglied einer königlichen Familie aus dem Nahen Osten von ihren Kindern gefilmt, wie sie in der Schlange an der Kasse stand und sich freute, dass sie etwas in ihren Korb gelegt und dann bezahlt hatte. Sie hatte so etwas noch nie getan. Ein andermal wurde von einem jungen Patienten berichtet, der völlig überwältigt in einem Regal mit verschiedenen Joghurt-Sorten stand, weil er noch nie zuvor vor so einem Regal stehen und auswählen musste.
Ich fragte mich, ob ein Patient wirklich ein gesamtes Klinik-Team braucht, um einen Moment der Erleuchtung im Supermarkt zu erleben. Angesicht der Beobachtung, dass extremer Reichtum die Menschen in eine leidende Kombination aus sich selbst isolierenden Einzelgängern und verwöhnten Kindern zu verwandeln scheint, ist das aber vielleicht doch der Fall
💳 Wenn Reichtum das Problem ist
Thilo Beck beschrieb die „kleinen Schritte“, die er häufig mit Patient:innen geht, indem er sie ermutigt, „neue Freunde zu finden oder eine Gruppe von Freunden oder andere Hobbys“. Es ist allerdings eine Menge Geld für den Rat, sich bei einem Akt-Zeichenkurs anzumelden. Die Klinikmitarbeiter, insbesondere diejenigen, die auch mit Menschen mit drastisch niedrigeren Einkommen arbeiten, sind sich der Ungleichheit in der Versorgung durchaus bewusst. „Ich wäre sehr gern in der Lage“, meinte Beck, „das jedem anzubieten“. (Wobei natürlich ein solcher Schritt, den Anspruch der Klinik auf Exklusivität deutlich dämpfen würde.)
„Als ausgebildeter Ökonom weiß ich, dass das keine Option ist“, erklärte denn auch Gerber, argumentierte aber, dass ihre Arbeit einen Trickle-Down-Effekt habe. Hilf dem Menschen an der Spitze eines riesigen Unternehmens oder dem Mittzwanziger mit nicht selbst verdienten Millionen auf der Bank und ihr verwandeltes Ich könnte sich entschließen, ihren Mitarbeitern zu helfen, ihrer Gesellschaft, der Welt. Wie bei einem Großteil der Trickle-Down-Rhetorik schien eher eine Hoffnung beschrieben zu werden als Realität. Ich konnte nicht umhin zu denken: Wenn Reichtum zum Teil die Krankheit ist, könnte auch radikale Besteuerung ein Mittel zur Heilung sein.
Für Mowlik, der Paracelsus kurz nach meinem Besuch verließ, liefen seine Erkenntnisse als Mitbetreiber einer Reha-Klinik auf einige einfache Wahrheiten hinaus. „Ich glaube ganz ehrlich, dass selbst der reichste Mensch der Welt letztlich eine Verbindung zu Menschen sucht“, erklärte er. Der Behandlungserfolg hänge ausschließlich von der Entschlossenheit des Klienten selbst ab. „Man muss dazu bereit sein, sich zu ändern. Weder ein Bentley noch eine Villa werden den Ausschlag geben.“
Er war zu der Überzeugung gelangt, dass der Überfluss an Luxus – „dieser ganze Schwachsinn, entschuldigen Sie mein Französisch“ – nur eine Ablenkung war. Diese Kliniken seien Blasen, unhaltbar und zerbrechlich, „weshalb viele Patient:innen keine Antworten finden und wieder in ihrem alten toxischen Lebensstil landen“. Als nächsten Schritt beschloss er, eine gemeinnützige Stiftung für psychische Gesundheit zu gründen. Rückblickend empfand Mowlik die Arbeit als Hotelpage in Hamburg als den authentischsten Abschnitt seines Lebens. Sinn, Dienstleistung, menschliche Verbundenheit: Alle Lektionen des Lebens waren dort zu finden.
Spät in der zweiten Nacht merkte ich, wie ich ziellos allein im Apartment herumwanderte. Nach zwei Tagen, in denen alle Bedürfnisse vorweggenommen und alle praktischen Dinge für mich erledigt worden waren, hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich wusste, dass es Luxus war, nicht kochen und putzen zu müssen oder die alltäglichen logistischen Aufgaben zu bewältigen, aber mich überkam auch ein deutliches Gefühl von Leere. Alles, woran ich denken musste, war ich selbst: ein schrecklicher Zustand.
Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von von Hohenzollern, der mir einige selbstgemachte Schokoladen für zu Hause mitgab. Er wollte mir noch zeigen, wo man etwas zum Lunch kaufen kann, wie ich zum Flughafen komme und den besten Ort zum Brotkaufen in Zürich empfehlen. Keine Sorge, antwortete ich, das finde ich schon heraus. Ich wollte es dringend selbst herausfinden. Ich schnappte meinen schäbigen Mantel und rannte aus dem Gebäude, als sei ich auf der Flucht vor einem Feuer.