„Kurz nachdem mein Partner und ich ein Unternehmen gegründet hatten, passierte es zum erstenmal,“ sagte der junge Geschäftsführer. „Ich arbeitete hart, aber es machte mir Freude. Der Rubel rollte. Ich spielte mein Lieblingsspiel. Und auf einmal bekam ich Depressionen. Ich war bei jedem Gespräch nervös, verlor meinen Appetit und entwickelte mich zum Kettenraucher. Später begann mein Magen, mir Schwierigkeiten zu machen und ich bekam scheussliche Kopfschmerzen. Mein Arzt untersuchte mich sehr gründlich – Bluttests, Urinuntersuchungen, das ganze Arsenal. Er konnte nichts finden, das nicht in Ordnung gewesen wäre. ‘Das sind nur die Nerven’, sagte er mir. Etwa eine Woche später ging es mir wieder gut. Ich hatte die Zügel wieder in der Hand, und alles ging bestens. Allerdings habe ich diese Rückfälle ziemlich häufig. Manchmal muss ich für ein paar Tage allein mit meinem Segelboot hinaus fahren. Das bringt mich in der Regel wieder in Ordnung.“ Die vierzigjährige Hausfrau erzählt über ihren Kampf mit der Korpulenz: „Wenn ich in Form bin, beschliesse ich, die Dinge einmal anzugehen, und die dreissig Kilos, die ich zuviel habe, mit DiätHalten herunter zu bekommen. Und dann klappt es auch. Ich fühle mich phantastisch. Alles gelingt mir, und ich bin schöpferisch. Ich schreibe Gedichte. Ich male. Ich bin wach und rege. Abzunehmen ist einfach. Tatsächlich denke ich gar nicht ans Essen. Und dann, völlig grundlos“, fährt sie fort, „überfällt mich eine meiner trüben Stimmung. Ich schlafe viel und kann mich für nichts begeistern. Obwohl ich mich dabei elend fühle, habe ich dann nicht einmal viel für meine Kinder übrig. Ich esse und esse und kann nicht aufhören. Bevor ich mich versehe, habe ich wieder mein altes Gewicht. Das Schlimmste daran ist: es ist mir völlig egal, dass ich dermassen „down“ bin.“ Selbst bei grossen Staatsmännern ging es hinauf und hinunter. Winston Churchills Sohn berichtet, dass sein Vater oft Perioden voller Energie hatte: stark, antreibend unermüdlich. Zu solchen Zeiten schien Churchill fähig zu sein, alles zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte, eine total verfahrene Situation zu meistern, als Schriftsteller, Politiker, Feldherr oder Premierminister glänzende Erfolge zu erringen. Auf der anderen Seite, schreibt sein Sohn, verbrachte er längere Zeiten seines Lebens in tiefen Depressionen und wurde in dem Versuch, seine Depressionen zu überwinden, zum chronischen Alkoholiker. Abraham Lincoln taumelte den grössten Teil seines Lebens zwischen hohen und tiefen Stimmungen hin und her. Zuweilen war er voller Energie, ehrgeizig, gesellig – leicht zum Lachen zu bringen und sich jeder gesellschaftlichen Situation anpassend. Zuweilen aber war er von Schüchternheit, Selbstzweifeln, Verzweiflung und Erschöpfung übermannt, praktisch ein Einsiedler. Er litt an Migräne und nervösen Magenleiden. Es ist durchaus nicht unnormal, hin und wieder ein Stimmungstief zu haben. Wenn jemand, den wir lieben, uns wegen eines anderen verlässt, wenn vier Lehrer uns am selben Tag mit Hausaufgaben nur so überhäufen, wenn unsere Rübenernte von einer Dürreperiode versengt wird, dann ist es verständlich, wenn wir Trübsal blasen. Das Leben lässt jeden von uns hin und wieder in eine Abseitsfalle laufen. Natürlich sind wir an solchen Tagen nicht hingerissen, wenn wir immer wieder zurück gepfiffen werden.
Viel zu viele von uns müssen jedoch andauernd Höhen und Tiefen durchstehen, für die es scheinbar keinerlei Gründe gibt. Was verursacht diese unbegreiflichen Stimmungsschwankungen? Wie kann es dazu kommen, dass eine gewöhnlich zuversichtliche und zielstrebige Geschäftsfrau bei mir klagt: „Immer wieder habe ich Perioden, wo ich mir dumm vorkomme. Dann kann ich keine Entscheidungen treffen. „Wie kommt es, dass eine Person sich an einem Tag durchaus zutraut, auf einem Bein den Mount Everest hinauf zu hüpfen, während sie am folgenden Tag grösste Mühe hat, sich zum Streichen eines Mettwurstbrötchens aufzuraffen? Es gibt Leute, die sich selbst einzureden bemühen, dieses ungewollte Achterbahnfahren sei natürlich – so sei das Leben halt. Sie haben sich ihren periodischen Tiefs unterworfen. „Du musst das Schlechte ebenso hinnehmen wie das Gute“. „Etwas Gutes kann nicht ewig dauern“. Eine Frau erklärte: „Wenn es mir gut geht, habe ich das Gefühl, als ob ich direkt auf das nächste Tief zu steuerte. Geht es mir schlecht, warte ich einfach ab, weil ich weiss, dass alles besser werden muss.“ Andere sorgen sich still (oder vornehmlich) um ihre Vernunft. Die extremen Formen von Stimmungsschwankungen sind in dem Feld der geistigen Gesundheit längst erkannt worden. Patienten, die zwischen ungehemmter, gesprächiger Begeisterung und tiefen, selbstzerstörerischen Depressionen wechselten, wurden mit dem Etikett „manischdepressiv“ oder „schizophren“ versehen. Grausame Schockbehandlungen, als Therapie verordnet, reduziert sie oft zu Wesen, die nur noch dahin vegetieren. Oder massive Dosen von erinnerungslähmenden Beruhigungsmitteln schufen wandelnde Halbidioten. Viel mehr wurde nicht für sie getan. Unzählige Menschen erleben jedoch subtilere Höhen und Tiefen, die sie nicht erklären können. In dem Hoch sind sie fröhlich und selbstsicher. Während der Gefühlstiefen werden sie von Ängsten, Reizbarkeit oder Apathie geplagt. Bei einigen mag das Achterbahnschema deutlicher bei ihrer Arbeit als bei ihren Gefühlen in Erscheinung treten. Heute arbeitet ein Angestellter gut, morgen macht er unerklärliche Fehler, vergisst wesentliche Details, verliert Dinge. Und die meisten von uns kennen mindestens einen starken Trinker, jemanden, der zu dick ist, oder jemanden, der zwei Schachteln Zigaretten pro Tag raucht – und die alle periodisch beschliessen, sich zu bessern. Sie mögen wohl eine Weile Erfolg haben, um dann, aus keinem offensichtlichen Grund, ihre Gewohnheit wieder zu verfallen. „Warum auch nicht?“, ist die Begründung, „schliesslich muss der Mensch ja irgendein Vergnügen im Leben haben.“ Es ist leicht zu behaupten, dies Schema von Entschluss und Sichgehenlassen offenbare einem Mangel an Willenskraft. Aber diese Erklärung ist unzureichend und bietet keine Lösung an. Diese Menschen BESITZEN die Stärke, ihre Gewohnheiten zu kontrollieren, wenn sie ihre überlebensfördernden Entscheidungen treffen. Ihre nächste Talfahrt auf der Achterbahn nimmt ihnen jedoch so viel Kraft, dass sie an ihren Beschlüssen nicht fest zu halten vermögen. Ihr Leben verläuft sprunghaft – „Ja, ich kann es... Nein, ich kann es nicht.“ – drei Schritte vor und zwei zurück (oder, wenn es hart auf hart geht, zwei Schritte vor und drei zurück). Menschen, denen immer wieder etwas zustösst oder die häufig krank sind (vor allem psychosomatisch krank), fahren ebenfalls Achterbahn. In der Tat, wenn Ärzte keine körperlichen Ursachen für Kopfschmerzen, Allergien, Hautkrankheiten, Magenleiden, Schlaflosigkeit und chronische Mattigkeit finden können, bezeichnen sie sie häufig als „stressbedingte“ Leiden.
Höchstwahrscheinlich sind die meisten Ihrer Bekannten von irgendeiner Form dieses betroffen. Manche knurren einfach und ertragen es, wenn sie „down“ sind; andere weinen still vor sich hin; andere erdulden es in verdriesslicher, mürrischer Schweigsamkeit. Ihnen fehlt es an Schwung. In ihrem Bestreben zu fliehen, ergeben sich viele dem Alkohol, trinken zu viel Kaffee oder essen zu viele Tafeln Schokolade, andere suchen ihr Heil in Drogen. Und viel zu viele werden „verschreibungssüchtig“. Einige werden Hypochonder oder versuchen es mit extremer Diät. Diese schlafen zu viel, jene leiden an Schlaflosigkeit. Einige bezahlen Psychiater dafür, dass sie sich gemeinsam mit ihnen über ihre geistige Instabilität Sorgen machen. Aber müssen wir dieses Auf und Ab akzeptieren? Müssen wir uns mit diesen periodischen Depressionen abfinden? Haben wir nicht das Recht auf natürlichen Seelenfrieden? Selbstverständlich haben wir das. Wir mühen uns freilich vergebens, wenn wir nicht genau verstehen, woraus das Problem eigentlich besteht. Ein amerikanischer Philosoph, entdeckte, dass die emotionelle Achterbahn zum Teil von äusserlichen Kräfte verursacht wird. Wir müssen die Umgebung der Person betrachten, um bestimmen zu können, was ihre ungewollten Höhen und Tiefen auslöst.
WIE ES DAZU KOMMT, DASS MAN ACHTERBAHN FÄHRT
Unterdrücken: Nicht aufkommen lassen, bezwingen, niederhalten, gewaltsam beherrschen, unterjochen, knechten. Wahrig, Deutsches Wörterbuch Oft hören wir das Wort „Unterdrückung“ als Beschreibung der Methoden, die eine totalitäre Regierung verwendet, um eine Rebellion niederzuschlagen, oder als Beschreibung der Art und Weise, wie ein rücksichtsloser Diktator seine Untertanen unterjocht. Unterdrückung gibt es jedoch auch von Mensch zu Mensch. Es ist Unterdrückung, die das gefühlsmässige Achterbahnfahren verursacht. hat uns eine genaue Beschreibung der persönlichen Unterdrückung gegeben: ... eine schädliche Absicht oder Handlung, gegen die man sich nicht wehren kann.Feindseligkeit ist an sich nicht notwendigerweise Unterdrückung. Unterdrückung existiert nur dann, wenn das Opfer sich nicht wehren kann. Statt dessen fährt es – unterdrückt – Achterbahn. Meine Freundin Marianne beschloss, sich ein Jahr von der Universität beurlauben zu lassen, um das Geld, das sie für die letzten beiden Semester benötigte, zu verdienen. Obwohl Jobs Mangelware waren, brachte sie es durch unausgesetzte Bemühungen fertig, in einer exklusiven Damenboutique eine gut bezahlte Stellung als Verkäuferin zu erhalten. Einige Tage, nachdem sie die Stelle angetreten hatte, erzählte sie mir aufgeregt: „Ich bekomme phantastische Provisionen. es wird mir ein Leichtes sein, das erforderliche Geld zu verdienen.“ Als ich sie jedoch drei Wochen später wieder traf, machte sie einen gequälten und verkrampften Eindruck. „Was ist los, Marianne?“, fragte ich sie. „Ich weiss nicht“, antwortete sie mit einem tiefen Seufzer. „Seit kurzem bin ich ein nervöses Wrack. Ich kann nicht schlafen, ich habe fürchterliche Kopfschmerzen. Manchmal muss ich grundlos weinen. Ich möchte wirklich wissen, was mit mir los ist.“ Wir unterhielten uns ein paar Minuten, dann fragte ich sie, wie sie mit ihrem Job zurecht komme. „Oh, anfangs sah es wunderbar aus, aber jetzt kann ich den Geschäftsführer einfach nicht mehr ausstehen. Er ist einer von diesen öligen Burschen, die Dir lächelnd die gemeinsten Dinge ins Gesicht sagen. Er lässt keine Gelegenheit aus, mich glauben zu machen, ich sei ein Idiot, wenn ich gerade einen Fehler mache. Und ich wage nicht, mich zu verteidigen. Gerade gestern warf er ein Mädchen hinaus, das es nicht mehr aushielt, und ihm die Meinung sagte. Wenn ich das Geld nicht nötig hätte, würde ich noch heute kündigen.“ Marianne hatte Unterdrückung kennengelernt. Sie hatte das Gefühl, wehrlos zu sein. Ihr Arzt hatte ihr gesagt, ihre Kopfschmerzen seien stressbedingt; er verschrieb ihr Aspirin. Das Wörterbuch definiert Stress als „einen geistigen oder gefühlsmässig zerrüttenden oder beunruhigenden Einfluss“. In Mariannes Fall war der Stress das Ergebnis der unterdrückerischen Handlungen ihres Geschäftsführers. Es gibt viele Arten, jemanden zu unterdrücken. Aber die Hauptwaffe bei der Unterdrückung von Mensch zu Mensch sind Wörter.
Der Künstler ruft begeistert aus: „Diese Hände werden eine vollkommenen neue Kunstform schaffen.“ Der Kritiker bemerkt trocken: „Hmm – Ihre Fingernägel sind schmutzig.“ „Wir werden dieses Spiel gewinnen“, betonte der Fussballspieler. „Ha. Das hast du letzte Woche auch gesagt“, grinst sein Freund. Nachdem er seinem Sohn beim Eishockeyspiel zugesehen hat, unterzieht ihn der Vater einem strengen Verhör: „Warum hast du dich nicht allein durchgespielt? Du hättest dem anderen eine verpassen sollen. Du spielst den Puck zu spät ab. Wieso fällst du andauernd hin?“ Margret steht den halben Tag in der Küche, um eine PekingEnte für höchste Ansprüche zuzubereiten, nur um von einem Gast die Bemerkung zu hören: „Nicht schlecht. Aber meiner Meinung nach bekommt man die besten Hähnchen im Schnellimbiss am Bahnhof.“ Ganz normale Konversation? Nicht ganz. Einige Leute spezialisieren sich darauf, andere zu unterdrücken.
DIE UNTERDRÜCKERISCHE PERSON
Die grösste Qual der Menschheit ist, dass sie unterteilt ist in diejenigen, die aufbauen, und diejenigen, die niederreissen.
Als er das Phänomen der gefühlsmässigen Höhen und Tiefen studiert hatte, dass eine Person Achterbahn fährt, wenn sie in Verbindung zu einer unterdrückerischen Person steht. Die unterdrückerische Person ist jemand, der normalerweise geistig gesund erscheint, in Wirklichkeit aber an einer fortdauernden Geisteskrankheit leidet: Er ist davon überzeugt, dass er andere zerdrücken und unten halten muss, um überleben zu können. Die Geisteskrankheit, von der diese Person (auch die Antisoziale Persönlichkeit genannt) beherrscht wird, verursacht, dass sie andere Menschen fürchtet; sie glaubt, jedermann sei ihr Feind. Obwohl diese Überzeugung der unterdrückerischen Person selten ausgesprochen wird, ist sie durchdringender und intensiver als der Verfolgungswahn, der normalerweise mit „Paranoia“ verbunden wird. Um sich selbst zu schützen, so schloss sie, muss sie alle anderen stoppen. Unglücklicherweise verbirgt sie ihre Natur so geschickt, dass sie selten für wirklich verrückt gehalten wird. Sie verursacht, dass Dinge schief gehen, verletzt Menschen, unterdrückt sie. In ihrer Umgebung verschwinden alle richtigen Handlungen, während die verkehrten Handlungen zum Vorschein kommen. Bernd wälzte sich im Bett herum und schüttelte sein Kissen zurecht. Einige Minuten lang lag er still, dann richtete er sich zornig auf, um das Licht anzuschalten. „Was ist los mit mir?, fragte er sich, „warum kann ich nicht schlafen?“ Er überflog im Geiste den vergangenen Tag. Am Morgen war er in ausgezeichneter Verfassung gewesen, hatte sich an seinem Plan für ein neues Verkaufsprogramm berauscht. Sein Chef, ebenfalls begeistert, forderte ihn auf, den Plan in die tat umzusetzen. Bernd hatte einen vergnüglichen Vormittag mit der Bearbeitung des Programms verbracht, und schliesslich traf er sich mit seinem Vater zum Essen. Am Nachmittag hatte er unerklärliche Depressionen. Ihm war übel, er schob es auf den Hummer. Seine Gedanken wanderten weiter. Am Nachmittag hatte er mehrere Fehler gemacht. Der Aufmerksamkeit seiner Sekretärin war es zu verdanken, dass zwei Fehler, die kostspielig hätten werden können, korrigiert wurden. Bernd löschte das Schlafzimmerlicht. Höhen und Tiefen scheinen meine Lebensgeschichte zu bestimmen“, seufzte er. „Wieso bin ich nicht einer jener Burschen, die ununterbrochen glücklich durchs Leben segeln?“ Der Wendepunkt von Bernds Tag war in Wirklichkeit die Mahlzeit mit seinem Vater. In der Hoffnung, seines alten Herrn Zustimmung und Respekt zu gewinnen, hatte Bernd sein neues Verkaufsprogramm dargelegt. Sein Vater erwidert: „Tja – so hättest du schon immer denken sollen. Warum hast du so lange gebraucht? Wenn ich an die grosse Verkaufskampagne denke, die der XYKonzern lancierte...“ Sein Vater fuhr fort, verschiedene klassische Verkaufskampagnen zu beschreiben, die von den grössten internationalen Konzernen durchgeführt worden waren. Jemand, der gerade zufällig vorbeigekommen wäre, hätte vermutlich den Eindruck gewonnen, dass der Vater Bernds Idee nicht nur zustimmte, sondern ihn zu noch grösseren Leistungen inspirieren wollte. In Wirklichkeit liessen die langen Erzählungen von legendären Verkaufskampagnen Bernds Vorschlag – und sogar Bernds Firma – in der Welt des internationalen Handels bedeutungslos erscheinen. Die tatsächliche Absicht unter all dem anregenden Geschwätz war es, Bernd und seine Pläne in kleinem Licht erscheinen zu lassen. Seit Jahren hatte Bernd durch diese Art väterlicher „Anregung“ Dämpfer verpasst bekommen. Sein Vater war eine unterdrückerische Person. Es ist die Absicht einer Person, die darüber entscheidet, ob sie ein Unterdrücker ist oder nicht. Die meisten Menschen haben gutartige Absichten. Sie wollen ihren Mitarbeitern wirklich helfen und gönnen es ihnen, wenn sie Erfolg haben. Die antisoziale Persönlichkeit jedoch führt sie – während sie vorgibt, anderen zu helfen und sie anzuleiten – unvermeidlich ins Unglück und zu Fehlschlägen. Mit Ausnahme derjenigen unter uns, die die letzten zwanzig Jahre auf einem SüdseeAtoll ausgesetzt waren, kennen wir alle einige unterdrückerische Personen. Aber wie identifizieren wir sie? Viele Male in meinem leben kam ich mir vor, als hätte jemand plötzlich mein Licht ausgedreht, wenn ich bestimmte Personen traf. Wenn so etwas geschah, nahm ich an, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei, und ignorierte normalerweise – zu meinem späteren Bedauern – meinen Instinkt. Bis vor ein paar Jahren hatte ich keine Daten, die diese frühen Warnsignale unterstützt hätten. Wenn ich heute auf diese Leute zurück blicke, muss ich sagen, das sie alle Unterdrücker waren. Das folgende Kapitel beschreibt die Charakteristiken eines Unterdrückers. Wenn Sie intuitiv, aber ohne es sich erklären zu können, bestimmte Männer und Frauen (oder hie und da sogar ein gemeines Kind) verabscheuten, dann werden die folgenden Seiten Ihr angeborenes Wissen vielleicht ins Recht setzen. Für jene milden Seelen unter Ihnen, die nur freundliche Gedanken über jeden anderen hegen können, wird das nächste Kapitel eine harte Zumutung sein. Sie werden die ganze Idee zurück weisen und jede Charakteristik hinweg erklären wollen. Und zu guter Letzt, wenn Sie sich selbst schuldbewusst zu oft dem Material, das Sie studieren, wiederfinden sollten, dann kann ich nur sagen: Warten Sie ab, Sie haben eine Menge guter Gesellschaft.
DIE CHARAKTERISTIKEN
Die meisten dieser Leute stellen nach aussen hin keinerlei Anzeichen von Irrsinn zur Schau. Sie erscheinen recht vernünftig. Sie können sehr überzeugend wirken. Angesichts seiner dramatischen und demoralisierenden Wirkungen könnte man annehmen, dass ein Unterdrücker leicht zu erkennen sei. Wenn er schon keine Mistgabel bei sich hat, sollte er wenigstens Hörner tragen. Leider tritt die antisoziale Persönlichkeit in vielerlei Verkleidung auf. Sie kann der Fussballstar sein oder ein zurückgebliebener Teenager. Sie ist vielleicht in gemeiner Weise beleidigend oder widerlich freundlich. Sie kann als der mächtige Reeder auftreten oder als der bedauernswerte Sozialleistungsempfänger. Möglicherweise ist sie der schweigende Opa, der im Nachbargarten seine Petunien begiesst, oder der siebenjährige Tyrann, der dort drüben das kleine Kind quält. Trotz ihrer vielen Unterschiede haben alle Unterdrücker jedoch bestimmte Charakterzüge gemeinsam. Es ist nicht notwendiger weise so, dass Sie bei jeder Person, die Sie überprüfen, alle Charakteristiken finden. Stellt sich bei einem Bekannten heraus, dass er die meisten Charakteristiken besitzt, dann ist diese Person höchstwahrscheinlich ein Unterdrücker. Kein Unterdrücker wird ausnahmslos Base sein. Adolf Hitler wurde von einem seiner eigenen Mitarbeiter als „der grösste und dynamischste Zerstörfaktor, den die Menschheit bisher auszuhalten hatte“, beschrieben. Gleichzeitig wurde er „ein Monster mit guten Manieren“ genannt. Seiner ihn zärtlich liebende Mutter war er ein gehorsamer Sohn, ausserdem liebte er Hunde und Kinder. Er war Vegetarier, rauchte und trank nicht. Galant mit den Damen, freundlich und rücksichtsvoll gegenüber Sekretärinnen und Chauffeuren, setzte er den Tod von Millionen Menschen ins Werk.
1. DER UNTERDRÜCKER BEFASST SICH HAUPTSÄCHLICH MIT SCHLECHTEN NACHRICHTEN, KRITISCHEN UND FEINDSELIGEN BEMERKUNGEN UND HERABSETZUNGEN
Jeder von uns fällt gelegentlich kurzen Phasen von Gemeinheit anheim, während deren wir Dinge sagen und tun, die wir später gern zurücknehmen würden. Ganz anders jedoch ist das Verhalten der antisoziale Persönlichkeit. Der Unterdrücker ist unbarmherzig bei seinen Angriffen gegen die, die um ihn sind. Regine beschrieb ihre bedrückende Ehe. „Ich hatte 50 Kilos Übergewicht. Zweimal kam ich mit Hilfe einer Diät auf mein Normalgewicht hinunter, nur um wieder wie ein Hefeteig aufzugehen. Warum? Weil mein überkritischer Mann mich, als ich schlank war, kein bisschen besser behandelte als zuvor. Er gab mir und meiner Korpulenz die Schuld für alle seine Schwierigkeiten. Alles, was in seinem Leben schief ging, sein lausiger Beruf, Zusammenstösse mit seiner Familie, selbst notwendige Reparaturen an seinem Auto – all diese Dinge machte er mir zum Vorwurf. Und sogar, wenn ich all dieses Übergewicht abgehungert hatte, machte es ihm noch Vergnügen, mir zu erzählen, wie hässlich ich sei. Ich ging zu einem Eheberater, aber mein Mann wollte nicht mitkommen. Er sagte, es sei nicht sein Problem. Nach einer Weile ging mir auf, dass ich für ihn nichts anderes als eine Fussmatte war. Als ich ihn schliesslich los wurde, verlor ich auch meine 55 Kilos Übergewicht – für immer.“ Abwertung kann ohne ein einziges Wort erreicht werden. Eine frühere Nachbarin von mir arbeitete meist tagsüber im Büro ihres Mannes. Daher stellte sie eine ausgezeichnete Putzfrau namens Judith ein, die einmal wöchentlich gewissenhaft das Haus reinigte. Judith verwendete besonders viel Mühe aufs Staub wischen, nachdem sie gelernt hatte, dass meine Nachbarin in bezug auf diese Dinge penibel war. Als Judith einmal gerade – erschöpft, aber zufrieden mit dem, was sie geleistet hatte – gehen wollte, kam die Hausfrau heim. „Heute bin ich stolz auf mich“, sagte Judith, das Haus ist makellos sauber.“ Ohne ein Wort zu verlieren, beugte sich meine Nachbarin vor, fuhr mit der Hand über die Glühbirne einer Stehlampe und zeigte Judith drei kaum Staub bedeckte Finger. „Oh nein.“ seufzte Judith, das muss die einzige Stelle sein, die mir entgangen ist.“ Vor Jahren kannte ich einmal eine scheinbar engelgleiche Frau, die „über niemanden ein unfreundliches Wort sagen würde“. Und doch brachte sie es ausnahmslos fertig, schlechte Nachrichten und Kritik wie zufällig fallen zu lassen. „Neulich sah ich Peter. Oh, ich habe gehört, er hat Zuhause grosse Schwierigkeiten, weil seine Frau der Meinung ist, dass es sie betrügt. Aber der Arme ist wirklich sehr nett. Wie dem auch sei, er erzählte mir...“ Vielen Unterdrückern macht es besonders Freude, Bekanntschaften zu zerbrechen, indem sie dem einen bösartige Gerüchte und Lügen über den anderen in dessen Abwesenheit erzählen. Dieser Lügenfabrikant sagte zu Daniel: „Ich war dabei, wie Wolfgang dich als dumm hinstellte.“ Dann plauderte er mit Wolfgang: „Wusstest du, dass Daniel sich hinter deinem Rücken über dich lustig gemacht hat?“ Es dauert nicht lange, bis Daniel und Wolfgang einen Streit miteinander beginnen. Es gelingt ihnen nicht ganz, danach ihre frühere Freundschaft wieder herzustellen. Wenn sie sich hinsetzten, um die Sache gründlich zu besprechen, würden sie herausfinden, dass eine dritte Partei – der Unterdrücker – ihre Beziehung heimlich unterminiert hatte. Manche Leute verdienen ihr Geld mit Gerüchten, boshaften Andeutungen, Spekulationen und Sticheleien. Der Journalist Jim Bishop schrieb über den späten Walter Winchell: „Dieser Kolumnist hatte einen verblüffenden Mordinstinkt. Er stellte den Pranger über das Lob. Er liebte es, da zu sitzen und die Namen von Schauspielern, Presseagenten, Chormädchen und Offiziellen auf zu zählen, die ihm eins ausgewischt hatten und die er daraufhin mit einigen Worten in einer Kolumne ruiniert hatte... Aufgrund seiner krankhaften Selbstsucht glaubte Winchell, dass er Staatsmänner empor heben oder stürzen könne... Mit der Zeit verzehrte ihn sein eigenes Feuer. Winchell verlor seine Familie, alte Freunde, sein Publikum...“ Ich glaube wir können unsere eigenen Schlüsse über diesen schnell redenden professionellen Gerüchteverbreiter ziehen.
2. SEINE BEKANNTEN FAHREN MIT IHREN STIMMUNGEN AUF UND AB
Unterdrücker sind umgeben von unglücklichen Menschen, die unter periodischem Auf und Ab leiden. Manchmal (oder vielleicht sogar häufig) sind ihre Bekannten deprimiert, eingeschüchtert, krank oder mutlos. Ein befreundeter Geschäftsmann erzählte mir kürzlich von einer bekannten Familie. Der Vater leidet seit Jahren an Magengeschwüren, die eine Tochter ist schwer drogenabhängig. Die jüngere Tochter ist krankhaft schüchtern; sie unternimmt es nie, ihre Rechte zu verteidigen oder auf ihre Meinung zu bestehen. Sie besitzt so wenig Geistesgegenwart, dass sie nicht einmal in der Lage ist, an einem Gespräch teil zu nehmen. Dann ist da noch ein Sohn, der mit 15 Jahren von der Schule ging und von zu Hause fort lief. „Erzählen Sie mir über die Mutter“, forderte ich ihn auf. „Oh, sie ist eine von diesen sanften, stillen Frauen. Sie scheint die einzige zu sein, die in der ganzen Familie die Ruhe behält. Ihr Gesichtsausdruck ändert sich eigentlich nie.“
Demnach ist die Mutter diejenige, von der ich zuerst annehmen würde, dass sie in dieser leid geprüften Familie möglicherweise der Unterdrücker ist. Als Peter seine neue Stelle antrat fiel ihm auf, dass jeder im Büro nur ganz leise sprach und ängstlich herum huschte. Eines Tages, im Gespräch mit Kollegen, bemerkte Peter, dass er selbst nur flüsterte. Lauf fragte er: „Warum wispern wir alle?“ Seine Kollegen zuckten zusammen, lachten nervös auf und begannen dann in normalem Tonfall zu sprechen. Später entdeckte Peter, dass der Abteilungsleiter ein übelgelaunter Unterdrücker war, der bei der kleinsten Provokation in die Luft ging. Die Angestellten bewegten sich nur noch auf Zehenspitzen, da sie sich in ständiger Angst befanden, dass sie den nächsten Wutausbruch dieses Schreckensherrschers verursachen könnten. Der Unterdrücker verbreitet eine gewisse Spannung. Man fühlt sich gezwungen, vorsichtig zu sein... leise auf zu treten. Ein Gefühl der Erleichterung breitete sich aus, wenn er gegangen ist. Gudrun war mit ihrem zwölfjährigen Sohn alleine in die Ferien gefahren. (Unerwartete geschäftliche Verpflichtungen hatten ihren Mann gezwungen, daheim zu bleiben.) „Die erstaunlichsten Dinge sind geschehen“, erzählte sie mir später. „Zum ersten Mal seit Jahren hörte ich meinen Sohn laut lachen. Wir beide benahmen uns richtig albern. Wir lachten über jede Kleinigkeit. Wie ein paar Schulkinder am letzten Schultag vor den grossen Ferien. Ich konnte es kaum glauben. Wenn mein Mann dabei war, fühlten wir uns nie so. Bis zu diesen Ferien war mir nie aufgefallen, wie sehr er uns beide verängstigt hatte.“ Menschen, die in ihrer unmittelbaren Umgebung einen Unterdrücker haben, verbessern sich zwar. Man kann sie behandeln, beraten oder erziehen. Die Gewinne, die sie erzielen, sind jedoch nur kurzfristig. Solange sie unter dem Einfluss der unterdrückerischen Person bleiben, fallen sie zurück und verlieren jene Vorteile wieder, die sie durch ihre Verbesserung erlangt hatten. Kinder, die immer wieder vergessen, was sie gelernt haben, (wie man eine Rechenaufgabe löst oder ein neues Wort ausspricht), fahren Achterbahn. Eine Person, die mit einem Unterdrücker in Verbindung steht, kann sich in ärztlicher Behandlung zunächst tatsächlich verschlechtern, um dann einen komplizierten Heilungsprozess durchzumachen.
3. ER ÄNDERT KOMMUNIKATION ZUM SCHLECHTEREN AB, WENN ER SIE AN ANDERE WEITERLEITET
Während er es gewohnheitsmässig versäumt, gute Nachrichten weiterzuleiten, nimmt der Unterdrücker jede schlechte Nachricht, derer er habhaft werden kann, fügt ein paar Ornamente hinzu und gibt sie mit Vergnügen weiter. Agnes erzählte über ihren Bruder, der vor kurzem eine sehr gute neue Stelle angetreten hatte. „Oh, er verdient jetzt eine Menge Geld, das muss ich sagen. Aber ebenso sicher ist, dass er seine Familie nicht allzu oft sieht. Wenn Sie mich fragen“, rümpft sie die Nase, diese Ehe wird nicht lange halten...“ Als Arbeitskollege wird der Unterdrücker der erste sein, der Sie davon in Kenntnis setzt, dass das Unternehmen einen grossen Verlust gemacht hat, wobei er geflissentlich unerwähnt lassen wird, dass der Aufsichtsrat gerade entschied, eine erhebliche Dividende an alle Angestellten auszuschütten. Derselbe Mensch wird die Zeichensetzung in Ihrem Bericht beanstanden, ohne Ihnen mitzuteilen, welch hohes Lob der Bericht erhielt.
Michael beschrieb einen Bekannten, der eine kleine, aber einträgliche Werkzeugfabrik besass. „Immer, wenn ich ihn sehe, frage ich ihn nach dem Gang des Geschäfts. In all den Jahren, seit ich ihn kenne, gab er kein einziges Mal zu, dass die Geschäfte gut gingen. Er sagt immer: Das Geschäft geht schlecht, wir verlieren Geld’ und sogar wenn ich weiss, dass er scheffelweise Geld gemacht hat, sagt er: ‘Es ist furchtbar, wir können keine vernünftige Unterstützung bekommen’ oder ‘Wir haben immer Schwierigkeiten, die Materialien zu erhalten’. Ich glaube, wenn ihm jemand eine Million steuerfrei überliesse, würde er immer noch etwas zum Nörgeln finden.“ Herausgeber von Zeitungen sind oft Spezialisten darin, nur die schlechten Nachrichten in sensationell aufgemachten Schlagzeilen zu publizieren. Als ich am letzten Abend der olympischen Spiele in Montreal vor dem Fernseher sass, freute ich mich zu sehen, dass mehrere Amerikaner Goldmedaillen gewannen. Am nächsten Tag las ich jedoch folgende Schlagzeile (die sich nur auf die Namen der beiden konzentrierte, die es nicht schafften): „Stones und Shorter verfehlen beide gold“.
4. ZWANGHAFTES BEDÜRFNIS, KONTROLLE AUSZUÜBEN
Eine geistig gesunde, ausgeglichene Person kann gute Kontrolle über sich selbst, ihre Arbeit, ihre Umgebung und andere Menschen ausüben. Sie ist ausserdem fähig, Anordnungen von anderen anzunehmen. Der Unterdrücker andererseits besteht darauf, dass niemals irgendeineWirkung auf ihn ausgeübt werden darf. Anstatt sich irgendwelcher Kontrolle zu unterwerfen, muss er kontrollieren, muss er jeden anderen kontrollieren und dominieren. Es ist, als ob der Unterdrücker erklärte: „Niemand wird mich berühren. Niemand wird die Hand nach mir ausstrecken. Niemand wird mich verletzen. Niemand wird mich dazu bringen, meine Meinung zu ändern. Er trägt eine geistige Ritterausrüstung, und obwohl er freundlich oder sogar liebenswert erscheinen mag, sind seine Verteidigungswälle undurchdringlich. Am deutlichsten wird dies beim Gespräch. Worte von Ihnen werden elegant beiseite gewischt, spitz überhört, lächerlich gemacht oder mit herablassender Nachsicht übergangen. Ein keineWirkungTyp, den ich beobachtet habe, beginnt immer ungeduldig zu nicken, wenn man versucht, ihm irgend etwas zu erzählen. Er unterbricht: „Ich weiss, ich weiss, das brauchen Sie mir nicht zu sagen.“ Eine andere, scheinbar freundliche Frau, lächelt höflich, während sie nichts hört von dem, was Sie ihr mitteilen. „Oh, wie nett...“ murmelt sie sanft, wobei es keine Rolle spielt, ob Sie ihr erzählen, dass Sie gerade zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wurden oder dass man Ihnen gerade mitgeteilt hat, sie seinen unheilbar krebskrank. Ein dritter dieser Persönlichkeitszerstörer lässt es sich nicht nehmen, jede Geschichte, die Sie ihm erzählen, mit einer anderen, noch grösseren und noch besseren, zu übertrumpfen. Was auch immer Sie sagen, er weigert sich, beeindruckt zu sein. Wenn Sie ihm erzählen, Sie hätten soeben fünf Mark auf der Strasse gefunden, entgegnet er, ein Freund von ihm sei in einem leerstehenden Haus auf einen Schuhkarton voll mit Zwanzigfrankenscheine gestossen. Hatten Sie nachts zuvor beim Poker Glück, übertrifft er Sie mit einer Geschichte von seinem Cousin, der in der vergangenen Woche das grosse Los gewann. Ich arbeitet einmal mit einer Frau zusammen, die nicht Auto fahren konnte. Obwohl sie oft das Taxi für den Heimweg nahm, wollte sie nicht warten und bestellte das Taxi lange vor Arbeitsschluss. So kam es, dass sie in der Regel immer noch zu tun hatte, wenn das Taxi erschien. Sie liess den Fahrer entweder warten oder winkte ihn wieder fort. Manchmal, wenn ein Fahrer keine Geduld hatte, fuhr er ohne sie wieder ab. Schliesslich schickte ihr die Zentrale gar keinen Wagen mehr, wenn sie anrief. Wenn man sie dazu zwingt, gegen ihren Willen Wirkung einer anderen Person zu werden, verlieren einige Unterdrücker tatsächlich die Selbstbeherrschung und explodieren. Inge beschrieb ihren sadistischen Ehemann: „Immer neckte er andere. Er ärgerte kleine Kinder, lachte und sagte, er habe bloss Spass gemacht. Besonderes Vergnügen bereitete es ihm, mich zu kitzeln. Er setzte sich auf meine Beine, meine Arme festhaltend. Dann kitzelte er mich, bis ich um Gnade flehte. Er lachte nur und sagte, es mache ihm halt Spass. Eines nachts hielt ich es nicht mehr aus. Ich sagte ihm: ‘Wenn du nicht aufhörst, spucke ich dir ins Gesicht.’ Er lächelte nur: ‘Das wagst du nicht.“ In ihrer Verzweiflung spie Inge doch. Da wurde er so zornig, dass er sie bewusstlos prügelte. Als sie am nächsten Tag ihren Rechtsanwalt aufsuchte, um über die Scheidung zu sprechen, präsentierte sie ihm zwei blaue Augen, einen gebrochenen Kiefer und fünf in ein Taschentuch gewickelte Zähne. Nur wenige Unterdrücker lassen sich derart gehen. Aber auf die eine oder andere Weise weigern sie sich absolut, zur Wirkung anderer zu werden. Ein Mann beschrieb seine Frau: „Sie darf mir erzählen, ich solle schweigen, aber wehe, wenn ich ihr dasselbe sage. Das kann sie nicht vertragen. Sie würde in Tränen ausbrechen oder tagelang schmollen. Wenn sie nicht alles kontrollieren kann, regt sie sich furchtbar auf.“ Viele antisoziale Persönlichkeiten finden es schwer, wenn nicht unmöglich, „Ich weiss es nicht“ zu sagen. Sie bringen es nicht über sich, einzugestehen, dass sie etwas nicht wissen. Andrerseits gibt es hin und wieder einen Unterdrücker, der sich mit seiner Dummheit brüstet. Das ist der ewige Verlierer, der andauernd über seine Unfähigkeiten jammert. „Ich habe nie gelernt, wie man das macht...“ Diese Person weigert sich, zur Wirkung jedes Versuchs zu werden, sie zu erziehen oder ihr einen Rat zu geben. Die ist enorm stolz, wenn sie beweisen kann, dass ihre Bemühungen und Lösungen nicht funktionieren. Der Unterdrücker muss recht haben. Er unterzieht sich keiner ernstlichen Selbstprüfung (obwohl der eine oder andere scheinbar selbstkritisch ist; doch das ist nur Tünche – er selbst ändert sich niemals auch nur ein bisschen). Seine Handlungen erscheinen ihm total gerechtfertigt, wie abscheulich sie sich auch immer auf andere auswirken mögen. Viele Unterdrücker verbreiten mit ihrem zwanghaften Bedürfnis, im Recht zu sein, eine Aura absoluter Sicherheit. Jene unter uns, die Führung und Schutz brauchen, verwechseln diese übermässige Selbstsicherheit mit echter Kompetenz. Das ist der Grund, warum viele Menschen bereit sind, die überselbstbewussten Unterdrücker, die häufig hohe Positionen im Geschäftsleben und in der Politik erreichen, zu akzeptieren und ihnen folgen. Wenn ein Unterdrücker auf irgendeine Weise dazu gezwungen wird, seine Vergehen offen einzugestehen, kann es geschehen, dass er schwer krank wird. Es ist noch nicht lange her, dass wir das Beispiel des prahlerischen, verachtungsvollen Politikers vor Augen geführt bekamen, der jahrelang tyrannisch seine Macht ausübte. Plötzlich wird er als ein Krimineller enthüllt, der heimlich Regierungsgelder missbrauchte. Energisch weist er die Anschuldigungen zurück, um schliesslich aufgrund der allzu belastenden Zeugenaussagen seine Schuld einzugestehen. Der Schock dieser öffentlichen Missbilligung bringt oft eine dramatische Persönlichkeitsveränderung mit sich. Der Unterdrücker kann krank werden oder mit Selbstmordabsichten spielen. Einige, für immer aus ihren unterdrückerischen Rollen aufgerüttelt und von ihren Gewissensbissen überwältigt, wurden religiöse Fanatiker oder verbrachten den Rest ihres Lebens in der Stille damit, als Art Wiedergutmachung wohltätige Werke zu tun.
5. UNETHISCH
Geralds Lieblingsspiel bestand darin, neue Firmen mit anderer Leute Geld zu gründen. Aus irgendeinem Grund endete keines seiner Abenteuer glücklich. Dennoch fuhr Gerald fort, seinen Charme dazu zu verwenden, dass Unschuldige sich ihm anvertrauten. Er versprach phantastische Profite, wob ein Netz von Verträgen, usammenlegung von Aktien, Dokumenten und Vereinbarungen, während er in eindrucksvoller Manier halblegales Geschwafel vom Stapel liess. Auf diese Weis verleitete er Hunderte von hoffnungsvollen Opfern dazu, ihm ihre Ersparnisse zu überlassen. Er selbst lebte wie ein Millionär. Ausbeutung war das Salz seines Lebens. Wer ihm vertraut hatte, blieb verwirrt, betrogen und verärgert auf der Strecke. Als er schliesslich wegen Betrug angeklagt wurde, war er total verblüfft. „Warum ziehen alle Leute über mich her? Wissen Sie, diese Menschen suchten nach etwas, in das sie ihr Geld investieren konnten. Sie trafen mich, und ich bot ihnen eine gute Möglichkeit dazu. Was haben sie nun alle gegen mich?“ Erstaunlicherweise gab er, wie das bei Unterdrückern häufig der Fall ist, seine unethischen Handlungen freimütig und selbstsicher zum besten, als ob diese Vorfälle „einfach geschehen seinen“. Viel Unterdrücker arbeiten schamlos ausserhalb des Gesetzes. Die Mafia basiert ihre Beschützergeschäfte auf nackte Angst. Geldverleiher drohen mit Gewalt, um aus ihren Opfern masslose Zinsen heraus zu pressen. Drogendealer zerstören ohne die geringsten Gewissensbisse Leben. Manchmal werden Sie jedoch Unterdrücker finden, die tatsächlich das Gesetz benutzen, um andere Leute einzuschüchtern. Verantwortliche der New Yorker Telefongesellschaft teilten mit, dass Insassen des Gefängnisses von Manhattan einen Weg fanden, wie man Ferngespräche im Wert von über 100.000 Euro nach Orten in Südamerika führen konnte, ohne dafür auch nur einen Cent zu bezahlen. Daher versuchte die Telefongesellschaft die 23 Apparate aus dem Gefängnis zu entfernen. Die findigen Sträflinge verhinderten dies jedoch mit einem Prozess, indem sie behaupteten, die Entfernung der Telefone schränke ihre Rechte auf Kommunikation mit ihren Anwälten und Familien ein. Alle Kriminellen sind Unterdrücker. Diese Aussage bezieht sich auf die hartgesottenen Gewohnheitsverbrecher, nicht auf die Person, die ein oder zwei Fehler macht (oft unter dem Druck eines Unterdrückers), dann aber echte Reue zeigt und den Willen, sich zu bessern, unter Beweis stellt. Krimineller: Einer, der unfähig ist, an die Mitmenschen zu denken, unfähig, Anweisungen zu folgen, unfähig, Dinge wachsen zu lassen, unfähig, den Unterschied zwischen gut und Base zu erkennen, unfähig, überhaupt nur an die Zukunft zu denken. Jeder hat einige von diesen Unfähigkeiten; der Kriminelle hat sie ALLE. Nicht alle Kriminelle sitzen im Gefängnis. Nicht einmal alle Verbrechen, die sie begehen, sind vor dem Gesetz unserer Gesellschaft strafbar. Auf die eine oder andere Weise, sei es durch offene Gewalt oder hinterlistigen Schwindel, trachtet der Kriminelle danach, andere um ihren rechtmässigen Besitz zu bringen. Sie könne fast immer davon ausgehen, dass der Unterdrücker ein chronischer Gesetzesbrecher ist. Vielleicht unterschlägt er ein Vermögen von einer Firma, vielleicht beachtet er nie die Vorfahrt. Auf jeden Fall weigert er sich, sich irgendwelcher Disziplin zu unterwerfen.
Und, zu guter Letzt, übersehen Sie nicht die höfliche alte Dame – ebenfalls ein Unterdrücker – nur weil sie nicht mit einem 38er Revolver anzutreffen ist oder weil sie nicht mit Heroin handelt. Sie überredet vielleicht ihren zuckerkranken Ehemann mitleidig zu einem zweiten Stück Sahnetorte. Oder sie unterminiert elterliche Disziplin dadurch, dass sie ihren Enkelkindern heimlich Bonbons, Brauselimonade oder andere appetitruinierende Süssigkeiten zusteckt. In Unterhaltungen, die mit übertriebenen Kosenamen gewürzt sind, vernichtet sie in der Regel einen guten Ruf oder zwei.
Sie wird für ihre Taten niemals ins Gefängnis kommen, und dennoch könnten die Empfänger ihre „Wohltätigkeiten“ genauso geschädigt werden wie Opfer von Strassenräubern.