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● 1. Kategorie Prolog => ★ 1.b => Thema gestartet von: ★ Ronald Johannes deClaire Schwab am 28. Oktober 2020, 00:05:11

Titel: Die Künste
Beitrag von: ★ Ronald Johannes deClaire Schwab am 28. Oktober 2020, 00:05:11
„Irgendwie gefällt mir dieses Gemälde sehr. Aber das da brrrh!“
„Ich hab mir noch nie was aus klassischer Musik gemacht. Sie deprimiert mich einfach.“
 „Vielleicht ist es nicht sehr gut geschrieben. Aber ich habe das Buch trotzdem mit Freude gelesen.“
Ob es den schöpferischen Menschen behagt oder nicht die meisten Leute reagieren auf Kunst rein gefühlsmäßig, denn es ist tatsächlich so, dass und Kunst in direkter Beziehung zueinander stehen. Die Ästhetik bildet ihre eigene Emotion, angefangen vom billigsten Kaufhausprunk bis zur Eleganz eines Meisterwerks. Sie existiert auf jeder Stufe der Emotionsskala (und verläuft im rechten Winkel zu ihr). Deshalb fühlen wir uns zuweilen beim Anblick eines ästhetisch makellosen Kunstwerks niedergeschlagen. Andererseits kann es aber auch geschehen, dass uns eine weniger perfekte Arbeit, die jedoch von hohem Emotionsniveau zeugt, in freudige Stimmung versetzt. Mitunter hören wir jemanden in entschuldigendem Ton erklären: „Ich weiß natürlich, dass das recht gut sein soll, aber mir sagt es nicht zu.“
Keine Frage: Dieser Mensch hat etwas gegen das Emotionsniveau des Künstlers einzuwenden. Vielleicht zieht er Trauriges, Sentimentales, Rätselhaftes, Schreckliches vor jedenfalls etwas, das mehr seiner Empfindungsregion entspricht. Allein auf der Stufe „Traurigkeit“ gibt es Abertauende von Liedern: Schlager, die heute in aller Munde und in drei Tagen vergessen sind, aber auch Stücke von klassischer Schönheit, deren Glanz nie vergehen wird. Sicher haben Sie schon bemerkt, dass die Ästhetik Ihr Gefühlsleben sowohl positiv als auch negativ anzusprechen vermag. Bilder, Bücher, Musik können den Menschen freudig oder melancholisch stimmen.
Müssen Künstler neurotisch sein?
Ein Künstler, der das Leben so darstellen will, wie es ist, muss in der Lage sein, alle Empfindungsbereiche von der Apathie bis zum Enthusiasmus unvoreingenommen zu betrachten. Seine eigene Position auf braucht seine schöpferische Kraft nicht zu beeinflussen. Viele der begabtesten Künstler lebten (oder leben) auf einer niedrigen Emotionsschwelle. Ein Künstler muss nicht unbedingt neurotisch werden, ehe er schöpferische Arbeit leisten kann.
Wenn gleich ein Künstler auch dann zu großen Leistungen fähig ist, wenn er „unten“ weilt, wird er doch wohl dynamischer und geschickter sein, sobald sich sein Emotionsniveau verbessert. Schließlich büßt kein Mensch etwas ein, wenn er auf höhere Gefühlsebenen steigt.
Zitat
Im Rampenlicht
Auch für Schauspieler, Dramatiker und Regisseure kann die Kenntnis der Emotionsskala von Nutzen sein. Eine Schauspielerin, die eine dramatische Rolle zu verkörpern hat, wird es weniger schwer haben, wenn sie alle Eigenarten der Stufe Apathie versteht, von denen viele ohne Worte übertragen werden können (Mimik, Gestik, Bewegung, zögernde Reaktion). Ein „Traurigkeits“ Mensch lässt den Kopf hängen. Er starrt zu Boden. Nie gibt er schlagfertige Antwortten. Er seufzt tief. Er ist so mit sich selbst beschäftigt, dass es ihm Mühe macht, sich für andere Leute zu interessieren. Schauspieler können etwas für sich tun, wenn sie einige Sätze nacheinander in allen Empfindungstönen aussprechen.
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Der Schriftsteller
Viele Schriftsteller leben vom Ertrag ihrer Feder recht gut, ohne je etwas von der Emotionsskala gehört zu haben. Unbewusst bedienen sie sich jedoch dieser Methode beim genauen Beobachten und Beschreiben menschlicher Verhaltensweisen. Wenn sie über Menschen schreiben (die es entweder wirklich gibt oder deren Charakter
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1. individuelles Gepräge eines Menschen durch ererbte und erworbene Eigenschaften, wie es in seinem Wollen und Handeln zum Ausdruck kommt
"einen guten, schwierigen Charakter haben"
2. Mensch mit bestimmten ausgeprägten Charakterzügen
"er ist ein übler Charakter"
Unter Charakter versteht man traditionell – ausgehend von der aristotelischen Ethik – und erneut in der modernen Psychologie diejenigen persönlichen Kompetenzen, die die Voraussetzung für ein moralisches Verhalten bilden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Charakter
sie ersinnen), geht ihnen die Arbeit rascher von der Hand, falls sie sich an die Emotionsskala halten. Ihre Gestalten wirken glaubwürdiger. Wäre jedem politischen Publizisten oder Historiker die Methodik der EmpfindungsEmotionsskala bekannt, dann käme er schneller dahinter, ob eine berühmte Persönlichkeit ein hervorragender Staatsmann oder lediglich ein machtgieriger Schurke war. Kürzlich las ich einen Artikel über einen populären, aber umstrittenen Mann. Da er ziemlich einflussreich ist, hätte ich gern etwas über sein Emotionsniveau erfahren. Leider vermochte ich ihn nirgendwo einzustufen, denn der Verfasser hatte sein eigenes Empfinden durch Unterstellungen und leicht verschleierte Kritik in den Vordergrund gerückt. So handeln oft Leute der Stufe „Versteckte Feindseligkeit“, um „Höherstehenden“ eins auszuwischen. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, wusste ich mehr über den Autor als über die von ihm gezeichnete Figur. Gelegentlich umkleidet ein Schriftsteller entweder aus Bewunderung oder auf Weisung des Verlegers seinen „Helden“ mit einem emotionell hohen „Mäntelchen“. Falls jedoch wörtliche Zitate gebracht werden, können Sie das wirkliche Niveau des Beschriebenen feststellen. Dadurch schlagen Sie sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie erfahren endlich, wie der berühmte Herr X. tatsächlich ist, und Sie erfahren obendrein, wie es um den Autor bestellt ist. Jeder spielt seine Rolle Als die ersten Höhlenbewohner ihre unbeholfenen Schriftzeichen in die Wände ritzten, wurden sie vermutlich auch schon ermahnt, sich „ihrer Rolle gemäß“ zu verhalten: Sie sollten jeden Charakter so darstellen, wie er nun einmal war. Freilich hat man ihnen wohl kaum genaue Verhaltungsrichtlinien gegeben. Denn von der Emotionsskala wusste damals sicher noch niemand etwas. Wenn Sie sich für das chronische Emotionsniveau einer erfundenen Romanfigur entschieden haben, müssen Sie es so lange beibehalten, bis die Situation ein Steigen oder Sinken rechtfertigt.
Sie können die Handlungen Ihrer Gestalt voraus bestimmen: Reagiert sie bei einer Bedrohung mutig, feige, starrköpfig, oder wird sie sich in einem derart tiefen Gefühlsbereich bewegen, dass sie die Gefahr überhaupt nicht wahrnimmt?
Wird sie aufrichtig sein, wenn sie in Versuchung gerät?
Ist sie bei andern Leuten beliebt oder unbeliebt?
Wird sie durch deren Anwesenheit aktiviert oder deprimiert?
Sie können den im ganzen Dorf bekannten Säufer als einen gutmütigen Burschen oder als einen händelsüchtigen Schläger bezeichnen. Wenn Sie ihn jedoch „ernüchtern“, dann sollten Sie ihn auf der Stufe „Apathie“ unterbringen, wo er mürrisch und in sich gekehrt seine Zeit vertrödelt. Die auf der Schwelle „Zorn“ ansässige Hure weist die nämlichen Charaktereigenschaften auf wie ein brutaler General. Ihre Gestalten können reich, arm, abstoßend, dumm wie Bohnenstroh, prüde, auf charmante Weise unmoralisch, höchst moralisch oder gemein bis auf die Knochen sein. Es steht Ihnen frei, sie schick oder schlampig darzustellen. Sie können einem Indianerstamm angehören oder einer New Yorker Cocktail Party. Die Hauptsache ist: Ihr Emotionsniveau bleibt sich gleich. Gelingt es Ihnen, Ihre Personen anschaulich zu schildern, dann werden sie auf der Stelle von einer Dame der Gesellschaft ebenso schnell erkannt wie von einer biederen Hausfrau in Hintertupfingen.
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Bekannte Figuren der Literatur
Es ist recht unterhaltend, das Emotionsniveau bekannter Gestalten aus Literatur und Filmen zu studieren. Hier ein paar Anregungen: Dieser ausgekochte John Silver aus Robert Louis Stevensons „Schatzinsel“ war fraglos ein apatischen Menschen: Hinter seiner stets freundlichen Miene verbarg er die listigsten Gaunereien. Hamlet tanzte an hinauf und hinunter. Als er indessen sein berühmtes „Sein oder Nichtsein...“ von sich gab, war er ganz gewiss im Stadium tiefsten Grams. Sein Onkel, der König, bietet ein abschreckendes Exempel des unterdrücken den apatischen Menschen: Seine abgefeimte Schurkerei brachte der Reihe nach aller Welt den Tod.
George Bernard Shaw stellt uns in seinem „Pygmalion“ einen apatischen Menschen vor, und zwar in der Person des Henry Higgins. Die beherzte und freimütige Liza Dolittle hin gegen befand sich meist auf der „Antagonismus“ Stufe, wenn gleich sie hin und wie der zu Ausbrüchen neigte, die eigentlich dem „Zorn“ Menschen vorbehalten bleiben. Dass der Professor Higgins ein typisch empfindungsloser Mensch ist, offenbart er in seiner absoluten Unfähigkeit, Lizas Empfindungen auch nur zu begreifen. Freilich bedient er sich gelegentlich der Überredungskünste des apatischen Menschen oder bekommt einen Wutanfall. Nachdem sich die bei den ziemlich demaskiert haben, wählt Shaw (auf glaubhafte Weise) den Mittelweg, um beider Beziehungen gewissermaßen zu glätten: „Beim geringsten Anlass (oder bei gar keinem) schnauzt sie ihn an... Er tobt und schikaniert und tyrannisiert...“
Jacqueline Susann schildert in ihrem Roman „Die Liebesmaschine“ einen gefühllosen Menschen: Robin Stone. Mit einigen knappen Sätzen beschreibt Thomas Berger in „Der letzte Held“ eine bei Apathie angelangte Krankenschwester: „... beleibt, unglaublich neugierig, boshaft... eine jener Personen, die ihrem moralischen Kodex so rückhaltlos frönen wie ein Trinker dem Alkohol... und ging dabei so weit, gehässige Anspielungen zu machen... Eine etwas feinfühligere Person hätte meine gemurmelten Worte als eine Äußerung des Unmuts verstanden, doch Mrs. Burr war Feinheiten gegenüber im mun...“
In Mario Puzos Roman „Der Pate“ werden wir mit dem Empfindungsbereich des Verbrechens konfrontiert. Der Pate selbst ist zwar ab und zu un barmherzig und zornig, befindet sich meist jedoch in „versteckter Feindseligkeit“. „Wir sind doch vernünftige Menschen. Also können wir uns auch auf vernünftige Weise einigen.“ Aber diese vorgetäuschte Freundlichkeit sollte die Tatsache verdecken, dass jeder, der sich ihm nicht fügte, kaltgemacht wurde. Seine mehrfach gezeigten Gefühle, seine Sentimentalitäten und seine Anwandlungen von Güte hatten nur einen Zweck: Wie alle apatischen Menschen wollte er über die andern herrschen. Ungeachtet seiner offensichtlichen Liebe zur Familie, waren seine Angehörigen ständig durch sein Unterweltstreiben Gefahren ausgesetzt. Diese übertriebene Ich Bezogenheit des apatischen Menschen verlangt „unbedingten Gehorsam“. In einem fort glaubt er seine „Ehre“ verteidigen zu müssen, während er sich seinerseits allerlei Verrätereien erlaubt.
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Die Intensität
Ein guter Autor wird auch die Intensität des jeweiligen Emotionsniveaus betonen. Er lässt einige Figuren in den Vordergrund treten, während er andere in den Kulissen zurückhält. Er lauscht das wirkliche Leben ab. Vielleicht zeichnet er einen apatischen Menschen, der amüsant und liebenswürdig ist und den die Frauen verwöhnen. Im Allgemeinen muss man ihm verzeihen. Dennoch ist er im Grunde seines Wesens unzuverlässig, unaufrichtig, unethisch. Manche seiner Späßchen liegen hart an der Grenze. Nicht immer hält er sich an Absprachen, und auch seine Ausdauer ist nicht die beste. Er besitzt alle charakteristischen Eigenschaften des apatischen Menschen, aber dank seines Charmes wird er in der Gesellschaft akzeptiert (nur darf man nicht zu sehr auf ihn angewiesen sein). So sieht der Mensch am unteren Ende der Stufe Apathie aus: Seine Intensität ist gering.
Andererseits begegnen wir im Roman und im Leben häufig auch dem apatischen Menschen, der „ganz da“ ist: Seine Intensität kann böse Folgen haben. Er trägt nämlich zwar noch immer sein gekünsteltes Lächeln zur Schau, ist im Geheimen jedoch derart dem Destruktiven verfallen, dass er allerorten Unheil stiftet. Diese beiden Apathie Typen unterscheiden sich lediglich durch ihre Intensität. Ein „Apathie“ Mensch kann so gut wie nie in Erscheinung treten. Ein zweiter indessen hockt vielleicht trübsinnig in der Ecke und schweigt sich aus. Obwohl er kein Wort von sich gibt, lähmt er alle, die mit ihm in Berührung kommen, durch seine absolute Hoffnungslosigkeit. Realistik und Romantik.
Seit einigen Jahren werden wir durch eine ganz spezielle Art von „Realismus“ beglückt.
Die Anhänger dieser Denkweise halten das Leben und die Welt für einen riesigen Dreckeimer. Sie behaupten, dass sie die Dinge so sähen, wie sie halt seien. Also führen sie uns geradezu genüsslich alles Hässliche vor Augen: Trunksucht, Arglist, Süchte, Prostitution, Verbrechen, Verderbtheiten, Mord, Elend, Jammer in jeder weder Form.
Ein wirklich realistischer Mensch weist indessen nicht bloß auf den Dreck hin, sondern macht auch auf die Rosen im Garten aufmerksam. Natürlich werden sich stets Leute finden, die den Erzeugnissen eines Schriftstellers Beifall spenden gleichviel, auf welchem Emotionsniveau er angesiedelt ist.
Der Glaube an die „Unverwundbarkeit“ solcher beliebten Gestalten wie Sherlock Holmes oder James Bond bereitet vielen Menschen nun einmal Vergnügen. So lange sie von deren Heldentaten lesen, sind sie dem tatsächlichen Leben entrückt und wähnen sich selbst für „unbesiegbar“.
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Der Wendepunkt
Jede erfundene Handlung bedarf mindestens eines Wendepunkts, denn ohne ihn wäre die ganze Geschichte langweilig. Ein armes Waisenkind wird plötzlich aller Sorgen ledig. Ein notorischer Krimineller fasst den Entschluss, sich endlich auf die rechte Bahn zu begeben. Ein ungetreuer Ehemann sieht ein, dass er seine Frau doch mehr liebt als alle andern. Wir alle müssen Entscheidungen treffen, die unser Leben ändern. Der Schriftsteller muss dies bei seinen Figuren weitaus häufiger tun: Sie können „aus der Rolle fallen“, wann immer er es für angebracht hält.

Wenn ein Mensch von einer großen Aufregung, einem schweren Verlust oder einer argen Enttäuschung betroffen wird, fällt er eine Entscheidung, die oft den bis herigen Verlauf seines Daseins verändert. Eine derartige Entscheidung wird fast im mer dann gefällt, wenn er sich auf einem niedrigen Emotionsniveau befindet (zwangsläufig bedingt durch das Erlebnis). In diesem Zustand ist er kaum jemals in der Lage, seine Situation so sachlich zu überschauen, wie dies in oberen Stimmungsbereichen möglich wäre. Jede Entscheidung, die unter derartigen Umständen getroffen wird, ist von emotionell „tiefem“ Niveau. Während solcher Depressionen finden manche Leute, dass es sich nicht lohne, seinen Mitmenschen allzu viel Zuneigung zu schenken. („Ich werde nie wieder jemanden lieben können.“) Auch das Vertrauen lässt nach. („Du kannst ja doch keinem glauben.“) Man legt weniger Wert auf den Umgang mit andern. („Ich werde mir den Mund nicht noch einmal verbrennen.“)
In derartigen Momenten werden Kurzschlusshandlungen vollzogen: Man verlässt die Schule, zieht in eine andere Stadt, betrinkt sich maßlos, will künftig keiner Frau mehr über den Weg trauen, will nie wieder die Wahrheit sagen oder jemandem behilflich sein. Nehmen wir an, der eiskalte Killer (auf Stufe „Gefühllosigkeit“) zielt auf einen Polizisten, verletzt aber statt seiner ein kleines Mädchen. Sogleich wird er von Gewissensbissen gequält und versucht nun, das Kind und dessen Eltern mit Geschenken und Geld zu überschütten. Vielleicht hält ihn die „Gesellschaft“ jetzt für einen im Grunde doch „guten“ Menschen. Ein Schriftsteller, der dieses Motiv verwendet, sollte jedoch wissen, dass sich der Gangster lediglich auf die Stufe „Wiedergutmachung“ zurückgezogen hat.
Das heißt: Er wird nach diesem Intermezzo weiterhin labil und schwach bleiben.
Will ein Autor eine Romanfigur zu einem „ordentlichen“ Menschen werden lassen, dann muss er die äußeren Umstände so gestalten, dass der Mann die Möglichkeit findet, auf zu steigen.

Nach einem Vortrag kam ein junger Dramatiker zu mir und er klärte: „Ich habe erst kürzlich von der Emotionsskala gehört. Zurzeit arbeite ich an einem neuen Stück, das beinahe fertig ist. Jetzt, nachdem ich Sie angehört habe, stelle ich ja fest, dass meine Heidin ein „Traurigkeits“ Typ ist. Ich möchte aber nicht, dass sie am Schluss noch immer auf dieser Stufe ist. Um ihre Empfindungswelt zu ändern, müsste ich jedoch fast jede Szene umschreiben.
Gibt es denn kein glaub würdiges Mittel, ihr Niveau zu heben?“
„Doch“. „Führen Sie irgendeinen Wendepunkt herbei, der auf etwas Positivem fußt. Vermeiden Sie also das Negative. Geben Sie der Person die Chance, etwas zu erreichen, wonach sie strebt. Vielleicht können Sie die Sache so drehen, dass sie beispielsweise jemanden verlässt, der sie unterdrückt.“ Ein Mensch am unteren Ende kann oft schon durch einen geringfügigen Erfolg geradezu aufwärts „schnellen“.
Einer Hausfrau gelingt ein Kuchen besonders gut.
Ein Mann bringt seinen sonst immer widerspenstigen Automotor sogleich zum Anspringen.
Ich schlug diesem Dramatiker außerdem vor, er möge seine Person langsam die einzelnen Gefühlsbereiche nach oben durchziehen lassen. „Sie könnte etwa plötzlich mehr Interesse für ihre Mitmenschen an den Tag legen. Dadurch würde sie mehr Lebensmut gewinnen und eine größere Bereitschaft, allen Hindernissen zu trotzen.
Je schöner die Erfolge sind, die Sie ihr zugestehen, umso höher steigt sie naturgemäß. Das wird jedermann einleuchten.“
Seine Miene hellte sich auf, und er beschloss, meinem Rat zu folgen.
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Selbsterkenntnisse
Will ein Schriftsteller einen ausgesprochen bösartigen Menschen darstellen, der nach einem ungewöhnlich harten Verlust fortan „nett“ sein möchte, dann muss er bedenken, dass dieser Entschluss ja in einer „Traurigkeits“ Phase gefasst wird. („Ich muss ein anderer Mensch werden. Ich füge andern zu viel Leid zu.“)
Ein Autor, der eine Person partout mit einem „goldenen Herzen“ ausstaffieren will, sollte sich vor Augen halten, dass dieses Herz auf den Ebenen Mitleid „vergoldet“ wird. Soll eine Romanfigur von selber „erkennen“, dass sie bislang feig oder faul war und sich nun zu einem „edlen“ Menschen läutern möchte, dann muss sich der Verfasser einen gangbaren Weg einfallen lassen, der in die Höhe führt.
Und dies muss geschehen, ehe die Gestalt sich an die Verwirklichung des Vorsatzes macht.
Solange jemand auf niedrigem Emotionsniveau verweilt, ist er nämlich gar nicht im stande, die Wahrheit über sich selber einzusehen. Am unteren Ende sind so genannte Erkenntnisse meist nichts anderes als holder Trug.
Klettert ein gefühlsmäßig „tiefer“ Mensch wieder nach oben, dann muss er auch den „Zorn“ Bereich durchwandern, was ein ganz natürlicher Wendepunkt ist. Auf dieser Stufe wird der frühere „Feigling“ sagen: „Mir reicht dieses ewige Plärren. Ich habe die Nase voll. Von jetzt an werde ich auf den Tisch hauen. An mir sollen sich die andern nicht mehr ihre dreckigen Schuhe abwischen.“
Ist er erst einmal in der Lage, überhaupt zornig zu werden, sieht er auch die Möglichkeit, noch höher zu steigen.
„Zorn“ ist jene Ebene, auf der es zum entscheidenden Kampf kommt: zur direkten Konfrontation.
Ein Schriftsteller, der eine Person nach „oben“ bringen will, darf den „Zorn“ Bereich nicht übergehen. Dies entspräche nicht der Wirklichkeit. Zuweilen lesen wir wahre Begebenheiten über Menschen, die nach schlimmen Erfahrungen plötzlich den „Augenblick des Erwachens“ erleben. Dergleichen kann einem emotionell hochstehenden Menschen widerfahren, der durch einen schweren Rückschlag niedergeworfen, gleichzeitig aber auch bereichert wird. Die Folge: Er gelangt über kurz oder lang wieder nach oben.
Ein Beispiel: Ein „konservativer“ Mann kommt bei einem Autounfall fast ums Leben. Während seiner langen Genesungszeit fühlt er sich so schwach und hilflos, dass er an Selbstmord denkt. Schließlich nach qualvollen inneren Kämpfen kann er sich jedoch an ein Hoffnungsfädchen klammern. Allmählich kehren die Kräfte zurück, die es ihm ermöglichen, wieder auf zu steigen. Nach einiger Zeit ist sein Emotionsniveau höher denn je. Er freut sich des Lebens, denn er war jener Schwelle nah, von der es keine Umkehr gibt. Wenn er ein hübsches Mädchen trifft, küsst er es. Wenn beim Aufwachen die Sonne scheint, ist der junge Tag einfach herrlich für ihn. Regnet es jedoch, dann findet er den Tag auch herrlich. Er hat auf seinem Krankenlager viele Hemmungen abgestreift, die sein Alltagsleben früher wie in ein Korsett eingepresst hatten. Jetzt empfindet er ein tieferes Vergnügen als vor seinem Unfall. Er weiß nun, wie schön das Leben sein kann. Viele andere indessen, die gleichfalls eines Tages ihren „Augenblick des Erwachens“ durchmachten, haben lediglich bei einer philosophischen „Apathie“ Zuflucht gefunden. Entscheidend ist bei derartigen Erlebnissen die Frage: Was hat der Mensch nach seinem „Umschwung“ getan?
Ist er aktiver geworden, oder ergibt er sich tiefsinnigen Grübeleien über die Bedeutung eines Grashalms?
Wenn sich ein Mensch von jetzt auf nachher für eine mystische, okkulte oder symbolische Deutung aller Dinge interessiert, liegt der Schluss nahe, dass sein Ehrgeiz irgendwie Schaden genommen hat. Er ist ohne Aufhebens in den stillen Bereich der Apathie abgeglitten. Nun erklärt er alles und jedes durch Sterne, Zahlen und Sinnbilder, die auf geheimnisvolle Weise vorherbestimmt seien und die er nicht beeinflussen könne.

Das Milieu des Künstlers
Wahre Schöpferkraft kann sich nicht entfalten, wenn das Milieu sie beengt. Der Künstler muss sich seine Umgebung sorgfältig aussuchen, wenn er nicht in seinem Schaffen behindert werden will.
Je größer der Erfolg eines Künstlers ist, umso mehr gefühlsmäßig tiefstehende Leute hängen sich wie die Kletten an ihn. In dieser Lage ist falsche Rücksichtnahme verderblich.
Der schöpferische Mensch braucht einen klaren Kopf und eine ruhige Umgebung.
Wer seine Träume Menschen anvertraut, die einer niedrigen Gefühlswelt verhaftet sind, wird bald die traurige Erfahrung machen müssen, dass sie von jenen Kreaturen vernichtet werden. Sehen Sie sich doch einmal in Ihrem Freundes und Bekanntenkreis um: Wie viele faseln immerzu von Geschichten oder Liedern, die sie vor Jahren oder Jahrzehnten schon schreiben wollten, nur „kamen sie halt nie dazu“, sie zu schreiben, denn sie haben sich Leuten angeschlossen, die unterhalb der Stufe Zorn behaust sind. Sie haben längst aufgegeben...

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Die Kritiker
Man ist gut beraten, wenn man sich in einem Winkel verkriecht und dort seine eigene Arbeit bewundert, anstatt sie einem Menschen zur Kritik anzuvertrauen, der zur Kritik außerstande ist. Die schöpferische Kraft ist in vielen Fällen sehr verwundbar, und ein junger Künstler wird häufig entmutigt, falls seine ersten Bemühungen sogleich einer erbarmungslosen Kritik ausgesetzt werden. Ein bekannter Autor zeigte einst einem Freund ein noch unvollendetes Manuskript. Der Freund äußerte sich kritisch, worauf der Autor seine Arbeit in die Schublade legte. Erst nach einem Jahr, als er sich von dem vernichtenden Urteil erholt hatte, war er imstande, das Buch zu beenden. Es wurde ein Bestseller.
Sie mögen einen in der Öffentlichkeit angesehenen Kritiker wählen, den alle Welt schätzt, und dennoch die schlimmsten Erfahrungen mit ihm machen. Interessieren Sie sich vernünftigerweise zunächst einmal für sein Emotionsniveau. Er mag auf seinem Gebiet durchaus beschlagen sein. Gehört er jedoch einem niedrigen Gefühlsbereich an, wird seine Kritik unweigerlich negativ ausfallen was Ihnen und Ihrer Arbeitskraft sehr schaden kann. Unterhalb der Stufe Zorn ist eine konstruktive Kritik nicht mehr möglich. Während mehrerer Jahre lernte ich eine ganze Reihe von Sprachwissenschaftlern kennen. Auf der Schule hatte ich es mit einer Lehrerin zu tun, die zu den „Gelangweilten“ zählte. Ihre Kritik beschränkte sich auf die Korrektur von grammatikalischen Fehlern. Sie vermochte ein Talent weder zu ermutigen noch zu entmutigen. Dem nach war sie recht harmlos, freilich aber auch alles andere als eine vorbildliche Lehrerin. Später begegnete ich einem Dozenten, der in einem Kursus über Aufsatzlehre gern philosophische Themen aufgriff. Der Mann war ein „Antagonist“. Er warf der Klasse Bälle zu. Es kam zu hitzigen Debatten. Das war zwar recht unterhaltend. Über das Handwerk des Schreibens erfuhren wir indessen nichts. Dann geriet ich an einen Professor, den man als „Mitleid“ Bündel bezeichnen konnte. Er brachte soviel Verständnis für die Zerbrechlichkeit der künstlerischen Natur auf, dass er nie auch nur ein Sterbenswörtchen hören ließ, das kritisch oder konstruktiv gewesen wäre. Er stellte uns nicht einmal Aufgaben. Sein Unterricht war völlig „frei“. Also auch frei von Hilfe. Der Lehrer, der uns am meisten schadete, war ein apatischen Menschen. Seine Spezialität bestand darin, das Vertrauen seiner Schüler zu untergraben. Hatte man eine Frage oder wollte man einen Rat, dann erwiderte er kurzangebunden: „Wenn Sie etwas über Gleichnisse erfahren wollen, müssen Sie Georgia Portly Lament lesen.“ In einem fort berief er sich auf irgendwelche Bücher, die keiner von uns kannte und die auch nirgendwo zu bekommen waren. Seine Kritik war stets nichtssagend und verallgemeinend.