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💝 EMOTIONSSKALA - Vierzehntes Kapitel - Langeweile
(1/1)
★ Ronald Johannes deClaire Schwab:
Vierzehntes Kapitel - https://bodhie.eu/ton
Langeweile (2,5)
„Langeweile: Mangel an Abwechslung, Überdruss, nicht wissen, womit man
sich die Zeit vertreiben soll.“ Wahrig: Deutsches Wörterbuch
Man fährt für zwei Wochen ans Meer. Manchmal hört man erst bei der Ankunft
auf, sich Gedanken darüber zu machen, ob man auch ja den Gashahn zugedreht
hat. Meist dauert es noch einige Tage, bis man beim Erwachen nicht mehr von dem
erschreckenden Gedanken geplagt wird, zu spät ins Büro zu kommen. Schließlich
entspannt man sich und erfreut sich an der Tatsache, dass man jetzt endlich einmal
„abgeschaltet“ hat und nicht mehr unter Druck steht. Man schläft lange, geht zum
Schwimmen oder Angeln oder bummelt ziellos durch die Landschaft. Wenn Sie so
ruhig geworden sind, dass der Besuch im Krämerladen ein großes Ereignis bedeutet,
dann haben Sie den Zustand der Langeweile erreicht. Nun interessieren Sie sich
nicht einmal mehr für die wichtigsten Probleme der Menschheit. Viele Leute gelangen
auf diesem Emotionsniveau zu einem gewissen Sättigungsgrad:
Sie wollen bald wieder aktiver werden.
Anders reagiert eine Person, die chronisch auf der Stufe der Langeweile lebt.
Sie kennt eigentlich nur ein Lebensziel: nämlich die Zeit totschlagen. Und das verstehen
solche Leute meist ganz vortrefflich.
Langeweile, die keine ist
Allerdings wäre es ein Fehler, wollten Sie Menschen diesem Emotionsniveau
zuordnen, die gar nicht dorthin gehören. Zuweilen erweckt jemand den Anschein, er
sei ein „Langweiler“, während er sich in Wirklichkeit auf seiner normalen Stimmungsebene
befindet und nur die Intensität seiner Empfindungen ein wenig gedrosselt hat.
Es geschieht halt im Moment nichts, das imstande wäre, sein chronisches Niveau bloßzulegen.
Ein stets apathischer Mensch wird Ihnen berichten, dass nahezu alles auf Erden
langweilig sei, weil es eines starken Anstoßes bedarf, um bei ihm eine Reaktion
auszulösen. Ein immerzu trauriger Mensch wird sich darüber beklagen, dass ein komischer
Film langweilig sei, denn er hatte ja keinen Grund zum Weinen.
Wenn man dem 1,1er nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt, so dass er
„Feuer fängt“, dann täuscht er eine weltkluge, übertrieben kritische Langeweile vor.
„Was suchen wir eigentlich noch hier? Wollen wir nicht woanders hingehen, um etwas zu erleben?“
Derartige Leute sind gelangweilt (wie es in den meisten Definitionen heißt),
weil nichts passiert, das sie anzuregen vermag. Aber sie befinden sich keineswegs
auf 2,5 der Skala. Der wirklich gelangweilte Mensch beklagt sich nicht und ist auch
nicht ungeduldig. Er fühlt sich ganz wohl.
Werfen wir doch einmal einen Blick in ein Klassenzimmer. „Gerda, ich hab
mich noch nie im Leben so gelangweilt wie jetzt. Wenn der Kerl da vorn nicht bald
seine Klappe hält, krieg ich einen Schreikrampf. Quasselt dieser Mensch doch tatsächlich
über die Beine der Heuschrecken! Du liebe Güte! Und ich hab mir immer
eingebildet, in der Biologie würde man was über Sex zu hören kriegen!“ Drei Reihen
hinter dieser jungen Dame, die ihre Empfindungen so drastisch auf einem Zettelchen
ihrer Freundin mitteilt, macht ein langer Lulatsch ein Nickerchen. In einer andern
Reihe wippt ein finster dreinblickender Jüngling ungeduldig mit dem Fuß.
Jeder dieser Drei wird beteuern, wie gelangweilt er sich fühle. Dennoch befinden
sie sich nicht auf der Stufe der Langweile. Der wirkliche 2,5er sitzt hinten an der
Wand und malt Männchen in sein Heft. Dann schaut er interessiert einer Fliege zu,
die über den Tisch summt. Er fragt sich, ob der Lehrer wohl eine Perücke trägt und
kommt zu dem Schluss dass das eigentlich völlig egal sei. Er untersucht Staubkörnchen,
die in einem Sonnenstrahl tanzen. Er denkt kurz über Heuschrecken nach und
sagt sich dann, dass er wohl irgendwann einmal die Lektion durchlesen sollte.
Erfinden wir einen denkbaren Vorfall, um das wahre Emotionsniveau kennen zu lernen:
Plötzlich zerschmettert ein Stein die Fensterscheibe und landet auf dem Tisch
des Lehrers. Papiere flattern durch die Luft. Eine Blumenvase zerschellt am Boden.
Der Lehrer springt entgeistert zurück. Ein frostiger Wind peitscht durch den Raum.
Ein Mädchen fängt an zu schreien. Andere brechen in Tränen aus. Ein paar Schüler
lachen. Einer läuft nach vorn, um nachzusehen, ob der Lehrer verletzt ist.
Der 1,1er indessen heuchelt bloß Besorgnis. Er überlegt schon, wie er die Geschichte
später schön ausschmücken kann. Nach dieser Begebenheit geht jeder gewissermaßen
aus seinem Emotionsbereich heraus: Er zeigt sein wahres Gesicht. In
der letzten Reihe sitzt unser 2,5er und betrachtet sich gelassen die ganze Bescherung.
Er weiß natürlich, dass die Angelegenheit auch gefährlich hätte enden können.
Doch stürzt er bei diesem Gedanken keineswegs in Panik. Er blickt aus dem Fenster
und fragt sich, woher der Stein wohl geflogen kam, aber er gelangt zu der Folgerung,
dass das eigentlich völlig egal sei. Für ihn war dies eine interessante Stunde.
Ausgeglichenheit
Er ist ein ausgeglichener Mensch. Er schenkt allem seine Aufmerksamkeit. Er
möchte unterhalten werden. Ihm gefällt ein gewisses Maß an Aktivität in seiner Umgebung.
Sich selber kann er stunden-, tage- oder gar jahrelang mit ganz unbedeutenden
Dingen beschäftigen. In aller Gemütsruhe wäscht er sein Auto, schneidet die
Hecken, spielt eine Partie Bridge und betrachtet sich im Fernsehen ein Fußballspiel.
Hin und wieder gehen ihm zwar prächtige Ideen durch den Kopf, aber er wird vermutlich
kaum einen neuen Treibstoff erfinden, der das Benzin ersetzt. Er wird auch keiner
revolutionären Bewegung beitreten.
Menschen auf dieser Stimmungsstufe führen im Allgemeinen ein recht zielloses
Leben. Sie sind sorglos, gleichgültig und wirken nicht unangenehm. Wahrscheinlich
werden sie Ihnen gefallen. Sie brauchen keinen Angriff von ihnen zu befürchten.
Ebenso wenig werden sie versuchen, Sie ummodeln zu wollen. Andererseits werden
solche Leute Sie aber auch in einer Gefahr nicht warnen. Vielmehr bleiben Sie von
ihnen gänzlich ungeschoren. Keine Bange – Aufdringlichkeit ist die Sache derartiger
Menschen nicht. Sie geben sich auch gar keine Mühe, Sie in ihren Kreis einzubeziehen.
Sie haben nämlich keinen Kreis, und sie geben sich keinem Spiel hin: Sie
schauen lediglich den andern (und dem Leben).
Beim Gespräch
Mit Tatsachen geht ein Mensch der Stufe „Langeweile“ ziemlich nachlässig
um. Sie werden ihn jedoch trotz dieser Nachlässigkeit für liebenswürdig halten. Er
wird niemals mit Ihnen streiten, weil es ihm gleichgültig ist, ob Sie einer Meinung sind
oder nicht. Wenn Sie auf Ihrer Ansicht beharren, wird er lediglich erwidern: „Geraten
wir uns doch wegen dieser Lappalie nicht in die Haare.“ Seine Unterhaltung kreist
meistens um unwichtige Themen. Wenngleich Ihnen dieser friedfertige Mensch vielleicht
alles über die Nachbarn brühwarm auftischen könnte, ist sein Klatsch doch nie
bösartig. Ihm ist es auch egal, ob er sich mit Ihnen verständigen kann oder nicht.
Wenn Sie sich in irgendeiner Angelegenheit um Klarheit bemühen, wird er Ihre Versuche
mit den Worten abtun: „Ach, kommen Sie, das ist doch alles nicht so wichtig.“
Er nimmt die Menschen, wie sie sind – nicht etwa, weil er sich für sie interessiert,
sondern weil es gar zu beschwerlich wäre, sich anders zu verhalten. Fragen
Sie ihn, ob er es für ratsam hält, diesen oder jenen Mann für eine bestimmte Tätigkeit
zu engagieren, und er wird Ihnen gleichmütig antworten: „Ich glaube, der Bursche ist
schon in Ordnung.“
Wenn es gefährlich wird
Der 2,5er unterschätzt das Ausmaß gefährlicher Situationen. Wenn einer zu
ihm gestürzt kommt und keucht: „Ihr Haus steht in Flammen! Beeilen Sie sich! Unternehmen
Sie etwas!“, dann wird er entgegnen: „Sachte, sachte. Immer mit der Ruhe.“
Ihm steht eine Auswahl von Plattitüden zur Verfügung, die er in ernsten Lagen
zitiert, damit er in nichts „hineingezogen“ wird und folglich auch keine Verantwortung
zu übernehmen braucht. Wenn Sie ihm erzählen, dass Sie gerade dabei sind, ein
Tätigkeitsfeld zu suchen, wo Sie mehr verdienen können, dann wird er lediglich mit
den Achseln zucken und das Thema von sich weisen: „Wo nichts ist, gedeiht auch nichts.“
Er verspürt kein Bedürfnis, sich anzustrengen. Fragen Sie ihn, was er in der
letzten Zeit gemacht habe, so wird er Ihnen antworten: „Ach, nichts besonderes. Es
ist halt immer noch dasselbe.“ Er trödelt und bummelt. Er hascht nach unnützen Informationen
und beschäftigt sich mit Nebensächlichkeiten. Vielleicht erinnert er sich
an jedes Fußballtor, das irgendwann und irgendwo einmal gefallen ist, aber es gelingt
ihm nicht, sich einer Aufgabe zu widmen, die seine Existenz auf eine solidere Grundlage stellen könnte.
Er wird niemals etwas Großes zustande bringen – es sei denn, man zwingt ihn dazu.
Sinn für Humor
Es gibt einen uralten Witz über die Unterhaltung zweier Engländer. „Es tut mir
sehr leid, dass Sie Ihre Frau gestern beerdigt haben“, murmelt der eine. „Nun, was
sollte ich machen?“ versetzt der andere. „Schließlich war sie ja tot.“
Der 2,5er wird sich köstlich über diesen Witz amüsieren (und ihn vermutlich
auch weitererzählen). Sein Sinn für Humor zeigt sich in seiner Vorliebe für Kalauer.
Wenn er selbst witzig sein will, kommen zwar ganz lustige, aber zumeist abgedroschene
Wortspiele heraus. Mehr als Plattitüden hat er selten zu bieten. Und obwohl
seine Witzchen kaum originell sind, bringt er sie bei jeder passenden und unpassenden
Gelegenheit an den Mann. Wirklich originelle Wortspiele gelingen im Allgemeinen
nur Personen auf der Stufe 1,1.
Eines Tages stand ich vor einem Bauernhaus und wählte ein paar Maiskolben,
die auf einem Schubkarren zum Verkauf angeboten wurden. Plötzlich trat der Bauer
zu mir. „Dieser Mais sieht aber gut aus“, bemerkte ich. „Richtig. Er ist auch ganz
frisch. Erst vor einer knappen Stunde geschnitten. Das weiß ich zufälligerweise ganz
genau.“ Dann beugte er sich wie ein Verschwörer zu mir und gab mir sein großes
Geheimnis preis: „Ich hab ihn nämlich selber geschnitten. Deshalb weiß ich so gut
Bescheid.“ Während er den Mais einpackte und mir das Wechselgeld reichte, freute
er sich noch immer über den guten Witz, den er da gemacht hatte. Mit diesen liebenswürdigen
Worten hatte der Mann den Gipfel seines Humors erreicht.
Noch witziger kann ein 2,5er nicht werden.
Nun, dieser Mann war nicht gerade ein Witzbold, aber doch ein ganz netter Kerl.
Liebe und Leidenschaft
In seiner Eigenschaft als Vater ist an dem 2,5er wenig auszusetzen. Er ist
freundlich und liebenswürdig zu Kindern, mischt sich jedoch nicht weiter in ihre Angelegenheiten.
Sollten Sie indessen eine leidenschaftliche Verbindung vorziehen,
Schlagfertigkeit, Esprit und übermut erhoffen, dann angeln Sie sich lieber keinen
Menschen aus dem Gefühlsbereich „Langeweile“. Er ist nämlich viel zu bequem, um
Sie mit glühender Leidenschaft zu verfolgen. Er wird sich auch nie darüber Gedanken
machen, ob Sie ihn lieben oder nicht: Er hat einen gesunden Schlaf, der durch
Sorgen dieser Art in keiner Weise beeinträchtigt wird.
Will der 2,5er im Fernsehen eine langweilige Unterhaltungssendung so recht
von Herzen genießen, dann stellt er den Kasten eben an – was Sie darüber denken,
ist ihm schnuppe. Nein, ein großartiger Kavalier ist er wahrlich nicht. Immerhin hält er
jedoch den Rasen in Ordnung.
Im Geschäftsleben
Er wirkt zwar nicht so aktiv wie Leute auf niedrigeren Emotionsebenen, macht
seine Sache in einem Routinejob aber ganz gut. Seine Mitarbeiter verstehen sich mit
ihm. Als Chef ist er weniger geeignet, denn er vermag andere nicht mitzureißen, und
er ist auch zu gleichgültig, um sich für ein Unternehmen begeistern zu können. Wenn
Sie jemanden mit Ideen suchen, dann zählen Sie besser nicht auf ihn. Es fällt ihm
schwer, Entscheidungen zu treffen.
Falls Sie ihn fragen: „Was halten Sie von einer großen Verkaufskampagne?“,
dann wird er Ihnen wahrscheinlich antworten: „Meinetwegen.“
Er ist nicht sehr beständig, ziemlich träge und kann sich auch nicht recht konzentrieren.
Dennoch ist er bemüht, seine Arbeit anständig zu erledigen. Aber nur das – mehr nicht.
Zusammenfassung
Die Langeweile ist eine Art Apathie auf höherer Stufe. Der „langweilige“
Mensch legt jedoch auch eine gewisse Leichtfertigkeit an den Tag. Seine Aufmerksamkeit
wendet sich andern zu. Er ist viel lebhafter und sorgloser als ein in Apathie Versunkener.
Dieser Typ ist eigentlich der netteste, dem wir bisher bei unserer Kletterpartie
auf der Skala begegnet sind. Wenn es Ihnen schwer fällt, sich an „Langweiler“ zu
erinnern, die Sie einmal getroffen haben, dann hat dies einen einleuchtenden Grund:
Solche Leute sagen oder tun nur seIten etwas, das im Gedächtnis haften bleibt.
Der 2,5er ist ein Mensch, der seinen Ehrgeiz ruhen lässt. Er ist freundlich und
müßig. Er wird die Welt ganz sicher nicht aus den Angeln heben. Er ist weder zufrieden
noch unzufrieden. Er möchte vor allem unterhalten werden.
Mit einem Wort: Er ist ein Zuschauer.
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