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🗄 ☄ Allgemeine wissenschaftliche Community von innovativen Ideen => 📱 📲 Board Ideen => Thema gestartet von: ★ Ronald Johannes deClaire Schwab am 16. März 2023, 21:09:33

Titel: 🏗 Architekturprojekte mit Problemen 🏗
Beitrag von: ★ Ronald Johannes deClaire Schwab am 16. März 2023, 21:09:33
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🏗 Fenchurch Street 20, London – der „Fryscraper“
Das von Rafael Viñoly entworfene und 2014 errichtete Gebäude 20 Fenchurch Street (wegen seiner eigenwilligen Form auch Walkie Talkie genannt) ist Teil eines Projekts, das Zentrum Londons um diverse Wolkenkratzer zu bereichern. Die Maximalhöhe des Gebäudes sollte 200 Meter betragen, doch der ursprüngliche Plan wurde nach unten korrigiert, damit 20 Fenchurch Street optisch nicht in Konflikt mit dem Tower of London und der St. Paul’s Cathedral geriet.
So reduzierte sich die Höhe auf 160 Meter, und die ursprünglich geplanten Fassadenbalkone entfielen. Auch wenn diese Änderung minimal erscheint, hat das Fehlen der Vorsprünge Auswirkungen auf das Leben aller Menschen in der näheren Umgebung des Gebäudes. Dessen nunmehr glatte, konkave Form führt in Verbindung mit der Glasverkleidung dazu, dass die Sonnenstrahlen zu bestimmten Tageszeiten in den unteren Stockwerken stark gebündelt werden. Die dadurch entstehende Hitze kann bis zu 117 Grad Celsius erreichen und hat u. a. dazu geführt, dass die Karosserie eines Jaguars schmolz, die Fronten umliegender Geschäfte in Brand gerieten und sich Dachziegel von benachbarten Geschäften lösten. Diese unrühmlichen Vorkommnisse verschafften dem Gebäude weltweite Bekanntheit, und es wurde sogar ein riesiger Sonnenschutz errichtet, bis eine dauerhafte Lösung gefunden war.
Ungeachtet dessen sorgte die Höhe des Gebäudes für eine weitere Sorge: Da es unmittelbar dem Südwestwind ausgesetzt ist, bilden sich rund um das Gebäude starke Windböen – nach der Installation von Sonnenschutzlamellen an der Fassade mussten zusätzlich Windräder hinzugefügt werden, um den Wind in Schach zu halten.
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🏗 Lotus Riverside Complex, Schanghai
In Shanghai sollte nahe dem Lianhua-Fluss ein riesiges Immobilienprojekt mit elf Wohn- und Geschäftsgebäuden – alle nach dem gleichen Bauplan und 13 Stockwerke hoch – errichtet werden. Der Lotus Riverside Complex (auch bekannt als Lotus Riverside Block 7) war eines der Wohngebäude.
2007 begannen die Bauarbeiten, die Eröffnungsfeier war für 2009 geplant. Zur Komplettierung der Wohnungen wurde im Süden des Gebäudes eine Tiefgarage ausgehoben und die abgetragene Erde im Norden des Gebäudes aufgeschüttet. Doch starke Regenfälle beeinträchtigten die Arbeiten und bewirkten eine hohe Durchfeuchtung des Bodens. Der Erdhaufen, der schnell eine Höhe von zehn Metern erreicht hatte, übte eine beträchtliche Kraft auf den Boden im Umfeld des Gebäudes aus und rutschte langsam in die Baugrube auf der Südseite. Der Schub war so stark, dass er die Stützpfeiler umriss und das gesamte Gebäude einstürzte.
Da der Komplex kurz vor seiner Öffnung für die Allgemeinheit eingestürzt war, wurde viel über ihn berichtet. Während die Fassade und die Fenster quasi unversehrt geblieben waren, hatte das Fundament nicht gehalten – was als Fehler in der Konstruktion der Gebäude gewertet wurde.
Panik breitete sich unter den Wohnungsinteressent:innen aus, viele Käufer:innen zogen ihre Angebote zurück und forderten die Rückerstattung des gesamten Kaufpreises. Es kam zum Prozess, und sechs Personen wurden wegen nicht ordnungsgemäßer Bauausführung und Bestechung verurteilt.
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🏗 Fallingwater House, Pennsylvania
Von Robert Hughes als „außergewöhnlichste Meisterleistung in der Geschichte der Architektur“ gefeiert, zeichnet sich Frank Lloyd Wrights Fallingwater House dadurch aus, dass es sich in die Natur einfügt und diese zugleich betont. Ursprünglich 1939 für Edgar J. Kaufmann, den Besitzer der gleichnamigen Kaufhauskette, erbaut, beherbergt es heute ein Museum, das der Öffentlichkeit zugänglich ist.
Wright ist allerdings auch als Architekt bekannt, der die Ästhetik oft über die Funktion stellte. Wurde ein Kompromiss nötig, betrachtete er die Problematik der technischen Anforderungen auf intuitive Weise und konzentrierte sich vor allem auf das visuelle Erscheinungsbild seiner Werke. Dies führte oft zu Konflikten, etwa als der für die Errichtung des Hauses zuständige Bauunternehmer ohne Wissen des Architekten doppelt so viel Stahl wie vorgesehen in die Träger des ersten Stockwerks einbaute. Der Architekt soll wütend gedroht haben, den Bau abzubrechen, doch ohne die Verstärkungen wäre das Haus wohl schnell eingestürzt.
Dennoch sorgten die freitragenden Terrassen, die für das Fallingwater House so repräsentativ sind, bald für vielerlei Probleme. Sie sackten allmählich ab, und es entstanden Risse entlang der Brüstungen, die Löcher im Boden verursachten und die Tür- und Fensterrahmen aufbrachen.
Unter den Terrassen wurden schließlich Verstärkungen angebracht, die jedoch ihrerseits zu schwach waren, um dauerhaft zu halten. Erst 2002 konnte die für den Fortbestand des Hauses notwendige Technologie eingesetzt werden. So wurde eine Spannbewehrung eingebaut, die die Terrassen halten sollte, ohne mit der von Frank Lloyd Wright so geliebten Ästhetik in Konflikt zu geraten. Diese Arbeiten, die damals über 6,5 Millionen Dollar verschlangen, machten es möglich, das Meisterwerk des Stararchitekten zu erhalten – jenes Bauwert, das Ausdruck der wahren Liebe seines Schöpfers für die Architektur ist.
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🏗 Aon Center, Chicago
Das Aon Center in Chicago (ehemals Amoco Building) wurde 1974 als Hauptsitz der Standard Oil Company errichtet. Der 83-stöckige Wolkenkratzer ist eines der höchsten Gebäude Chicagos – war ursprünglich vollständig mit Carrara-Marmor verkleidet. Der weiße Marmor ohne Maserungen wird in der Architektur häufig eingesetzt, doch hier wurde er erstmals in einer solchen Höhe verarbeitet. Das Aon Center war damit das höchste Marmorgebäude der Welt. Um dieses Kunststück zu vollbringen, wurde ein völlig neues Strukturmodell verwendet, bei dem die Reihen der tragenden Pfeiler an die Enden des Gebäudes verlegt wurden und die anderen Pfeiler in einem riesigen zentralen Zylinder zusammengefasst wurden. Ausgehend von diesem neuen Schema wurde beschlossen, eine Marmorverkleidung über die äußeren Dreieckssäulen zu legen, um sie in einem besonders erkennbaren Design zu tarnen.
Die aus 43.000 Platten bestehende Verkleidung entstand durch eine völlig neue Marmortechnik, mit der die Platten dünner geschnitten werden konnten als üblich. Leider begann sich der Marmor aufgrund des Chicagoer Klimas mit seinen hohen Temperaturschwankungen zu verziehen, was zu zahlreichen Rissen führte – so dramatisch, dass die jeweils 150 Kilo schweren Platten herunterzufallen drohten. Eine von ihnen stürzte schließlich auf ein benachbartes Bürogebäude und durchschlug dessen Dach.
Schließlich beschloss man 1990, die gesamte Marmorverkleidung durch weißen Granit zu ersetzen. Diese monumentale Arbeit, die bei laufendem Betrieb durchgeführt wurde, dauerte zwei Jahre. Die Summe, die Amoco für diese Arbeiten aufbrachte, wurde nie bekannt gegeben, wird aber auf über 80 Millionen Dollar geschätzt, was mehr als der Hälfte der ursprünglichen Baukosten entspricht.
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🏗 Amphitheater von Fidenae, Capri
Zu den größten Missgeschicken in der Architektur gehört ein Beispiel, das auf das Jahr 27 nach Christos zurückgeht. Im damaligen Römischen Reich schmückten sich die Städte gern mit Amphitheatern, und die dort abgehaltenen Spiele standen im Mittelpunkt der Politik. Das Beispiel von Fidenae, das wichtig genug war, um in den Annalen des römischen Historikers Tacitus Erwähnung zu finden, ereignete sich in einer konfliktreichen Zeit, als der römische Kaiser Tiberius gezwungen war, Rom zu verlassen und sich auf Capri zurückzuziehen.
Dort beauftragte er einen freigelassenen Sklaven namens Atilius mit dem Bau eines riesigen Amphitheaters, wobei die Kosten für den Bau möglichst gering ausfallen sollten. Da Atilius die Bauarbeiten unbedingt so schnell wie möglich fertigstellen wollte, nahm man einen ungesicherten Boden in Kauf und die Konstruktion, die vollständig aus Holz bestand, war ebenfalls alles andere als stabil. Die ständige Erweiterung des ursprünglichen Plans um weitere Sitzplätze machte die Konstruktion weniger stabil, als es für ein Gebäude dieser Größe nötig gewesen wäre.
Bei der Eröffnung drängten sich schließlich Zehntausende von Zuschauern auf den Rängen, um die berühmtesten Gladiatoren gegeneinander antreten zu sehen. Noch während das Spektakel tobte, stürzte das kolossale Gebäude in sich zusammen und riss die Zuschauermenge mit sich. Tacitus spricht von 50.000 Toten, von denen viele sofort starben und andere unter den Trümmern verschollen blieben.
Das Ereignis erschütterte das gesamte Römische Reich. Atilius, der überlebt hatte, wurde vom Senat ins Exil gezwungen. Es folgte ein Gesetz, das Bauten auf unsicherem Boden verbot und jedem, der weniger als 400.000 Sesterzen besaß, die Veranstaltung von Spielen ganz untersagte. Was möglicherweise nur ein Einzelfall war, führte laut Tacitus zu den ersten echten Bauvorschriften und Baunormen.
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